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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Achtes Buch

IV

Die Empfindungen und Triebe der Menschen sind allenthalben dem Zustande, worin sie leben, und ihrer Organisation gemäß; allenthalben aber werden sie von Meinungen und von der Gewohnheit regieret

Selbsterhaltung ist das erste, wozu ein Wesen da  ist: vom Staubkorn bis zur Sonne strebt jedes Ding,  was es ist, zu bleiben; dazu ist den Tieren Instinkt  eingeprägt, dazu ist dem Menschen sein Analogon des Instinkts oder der Vernunft gegeben. Gehorchend diesem Gesetz, suchet er sich, durch den wilden Hunger  gezwungen, überall seine Speise; er strebt, ohne daß  er weiß warum und wozu, von Kindheit auf nach  Übung seiner Kräfte, nach Bewegung. Der Matte ruft  den Schlummer nicht, aber der Schlummer kommt  und erneuet ihm sein Dasein; dem Kranken hilft,  wenn sie kann, die innere Lebenskraft oder sie verlanget wenigstens und ächzet. Seines Lebens wehret sich  der Mensch gegen alles, was ihn anficht, und auch  ohne daß er's weiß, hat die Natur in ihm und um ihn  her Anstalten gemacht, ihn dabei zu unterstützen, zu  wahren, zu erhalten.

Es hat Philosophen gegeben, die unser Geschlecht  dieses Triebes der Selbsterhaltung wegen unter die  reißenden Tiere gesetzt und seinen natürlichen Zustand zu einem Stande des Kriegs gemacht haben. Offenbar ist viel Uneigentliches in dieser Behauptung  Freilich, indem der Mensch die Frucht eines Baums  bricht, ist er ein Räuber, indem er ein Tier tötet, ein  Mörder, und wenn er mit seinem Fuß, mit seinem  Hauch vielleicht einer zahllosen Menge ungesehener  Lebendigen das Leben nimmt, ist er der ärgste Unterdrücker der Erde. Jedermann weiß, wie weit es die  zarte indische sowie die übertriebne ägyptische Philosophie zu bringen gesucht hat, damit der Mensch ein  ganz unschädliches Geschöpf werde, aber für die Spekulation vergebens. Ins Chaos der Elemente sehen wir nicht, und wenn wir kein großes Tier verzehren, verschlingen wir eine Menge kleiner Lebendiger im  Wasser, in der Luft, der Milch, den Gewächsen. Von dieser Grübelei also hinweg, stellen wir den  Menschen unter seine Brüder und fragen: Ist er von  Natur ein Raubtier gegen seinesgleichen, ein ungeselliges Wesen? Seiner Gestalt nach ist er das erste nicht und seiner Geburt nach das letzte noch minder. Im  Schoß der Liebe empfangen und an ihrem Busen gesäuget, wird er von Menschen auferzogen und empfing von ihnen tausend Gutes, das er um sie nicht verdiente. Sofern ist er also wirklich in und zu der Gesellschaft gebildet; ohne sie konnte er weder entstehen noch ein Mensch werden. Wo Ungeselligkeit bei ihm  anfängt, ist, wo man seine Natur bedrängt, indem er  mit andern Lebendigen kollidieret; hier ist er aber  wiederum keine Ausnahme, sondern wirkt nach dem  großen Gesetz der Selbsterhaltung in allen Wesen.  Lasset uns sehen, was die Natur für Mittel aussann,  ihn dennoch auch hier, soviel sie konnte, befriedigend einzuschränken und den Krieg aller gegen alle zu hindern.

1. Da der Mensch das vielfach künstlichste Geschöpf ist, so findet auch bei keiner Gattung der Lebendigen eine so große Verschiedenheit genetischer  Charaktere statt als beim Menschen. Der hinreißende, blinde Instinkt fehlet seinem feinen Gebilde; die  Strahlen der Gedanken und Begierden hingegen laufen in seinem Geschlecht wie in keinem andern auseinander. Seiner Natur nach darf also der Mensch weniger mit andern kollidieren, da diese in einer ungeheuren Mannigfaltigkeit von Anlagen, Sinnen und  Trieben bei ihm verteilt und gleichsam vereinzelt ist.  Was einem Menschen gleich gültig vorkommt, ziehet  den andern, und so hat jedweder eine Welt des Genusses um sich, eine für ihn geschaffene Schöpfung.

2. Diesem divergierenden Geschlecht gab die Natur einen großen Raum, die reiche weite Erde, auf der die  verschiedensten Erdstriche und Lebensweisen die  Menschen zerstreuen sollten. Hier zog sie Berge, dort  Ströme und Wüsten, damit sie die Menschen auseinander brächte; den Jägern gab sie den weiten Wald,  den Fischern das weite Meer, den Hirten die weite  Ebne. Ihre Schuld ist's also nicht, wenn Vögel, betrogen von der Kunst des Vogelstellers, in ein Netz flogen, wo sie einander Speise und Augen weghacken  und den Atem verpesten; denn sie setzte den Vogel in  die Luft und nicht ins Netz des Voglers. Sehet jene  wilden Stämme an, wie unwilde sie unter sich leben!  Da neidet keiner den andern, da erwirbt sich und genießt jeder das Seine in Frieden. Es ist gegen die  Wahrheit der Geschichte, wenn man den bösartigen,  widersinnigen Charakter zusammengedrängter Menschen, wetteifernder Künstler, streitender Politiker,  neidiger Gelehrten zu allgemeinen Eigenschaften des  menschlichen Geschlechts macht; der größeste Teil  der Menschen auf der Erde weiß von diesen ritzenden  Stacheln und ihren blutigen Wunden nichts, er lebt in  der freien Luft und nicht im verpestenden Hauch der  Städte. Wer das Gesetz notwendig macht, weil es  sonst Gesetzesverächter gäbe, der setzt voraus, was er erst beweisen sollte. Dränget die Menschen nicht in  enge Kerker, so dürft ihr ihnen keine frische Luft zulächeln. Bringet sie nicht in künstliche Raserei, so  dürft ihr sie durch keine Gegenkünste binden.

3. Auch die Zeiten, wenn Menschen zusammen  sein mußten, verkürzte die Natur, wie sie sie  verkürzen konnte. Der Mensch ist einer langen Erziehung bedürftig; aber alsdenn ist er noch schwach; er  hat die Art des Kindes, das zürnt und wieder vergißt,  das oft unwillig ist, aber keinen langen Groll nähret.  Sobald er Mann wird, wacht ein Trieb in ihm auf, und er verläßt das Haus des Vaters. Die Natur wirkte in  diesem Triebe: sie Stieß ihn aus, damit er sein eigen  Nest bereite.

Und mit wem bereitet er dasselbe? Mit einem Geschöpf, das ihm so unähnlich-ähnlich, das ihm in  streitbaren Leidenschaften so ungleichartig gemacht  ist, als es im Zweck der Vereinigung beider nur irgend geschehen konnte. Des Weibes Natur ist eine  andre als des Mannes; sie empfindet anders, sie wirkt  anders. Elender, dessen Nebenbuhlerin sein Weib ist  oder die ihn in männlichen Tugenden gar überwindet!  Nur durch nachgebende Gute soll sie ihn beherrschen, und so wird der Zankapfel abermals ein Apfel der  Liebe. -

Weiter will ich die Geschichte der Vereinzelung  des Menschengeschlechts nicht fortsetzen; der Grund  ist gelegt, daß mit den verschiednen Häusern und Familien auch neue Gesellschaften, Gesetze, Sitten und  sogar Sprachen werden. Was zeigen diese verschiednen, diese unvermeidlichen Dialekte, die sich auf unsrer Erde in unbeschreibbarer Anzahl, und oft schon in der kleinsten Entfernung, nebeneinander finden? Das  zeigen sie, daß es die weitverbreitende Mutter nicht  auf Zusammendrängung, sondern auf freie Verpflanzung ihrer Kinder anlegte. Kein Baum soll, soviel  möglich, dem andern die Luft nehmen, damit dieser  ein Zwerg bleibe oder, um einen freien Atemhauch zu  genießen, sich zum elenden Krüppel beuge. Eignen  Platz soll er finden, damit er durch eignen Trieb wurzelaus in die Höhe steige und eine blühende Krone  treibe.

Nicht Krieg also, sondern Friede ist der Naturzustand des unbedrängten menschlichen Geschlechts;  denn Krieg ist ein Stand der Not, nicht des ursprünglichen Genusses. In den Händen der Natur ist er (die  Menschenfresserei selbst eingerechnet) nie Zweck,  sondern hie und da ein hartes, trauriges Mittel, dem  die Mutter aller Dinge selbst nicht allenthalben entweichen konnte, das sie aber zum Ersatz dafür auf  desto höhere, reichere, vielfacher Zwecke anwandte. Ehe wir also zum traurigen Haß kommen dürfen,  wollen wir von der erfreuenden Liebe reden. Überall  auf der Erde ist ihr Reich; nur allenthalben zeigt sie  sich unter andern Gestalten.

Sobald die Blume ihren Wuchs erreicht hat, blühet  sie; die Zeit der Blüte richtet sich also nach der Periode des Wuchses und diese nach der sie emportreibenden Sonnenwärme. Die Zeit der früheren oder späteren Menschenblüte hangt gleichfalls vom Klima ab  und von allem, was zu ihm gehöret. Sonderbar weit  sind auf unsrer kleinen Erde die Zeiten der menschlichen Mannbarkeit nach Lebensarten und Erdstrichen  verschieden. Die Perserin heiratet im achten und gebiert im neunten Jahr; unsre alten Deutschen waren  dreißigjährige Männinnen, ehe sie an die Liebe dachten.

Jedermann siehet, wie sehr diese Unterschiede das  ganze Verhältnis der Geschlechter zueinander ändern  mußten. Die Morgenländerin ist ein Kind, wenn sie  verheiratet wird; sie blühet frühe auf und frühe ab; sie wird von dem erwachsneren Mann also auch wie Kind und Blume behandelt. Da nun jene wärmeren Gegenden die Reize des physischen Triebes in beiden Geschlechtern nicht nur früher, sondern auch lebhafter  entwickeln: welcher Schritt war näher, als daß der  Mann die Vorzüge seines Geschlechts gar bald mißbrauchte und sich einen Garten dieser vorübergehenden Blumen sammlen wollte. Fürs Menschengeschlecht war dieser Schritt von großer Folge. Nicht  nur, daß die Eifersucht des Mannes seine mehreren  Weiber in einen Harem schloß, wo ihre Ausbildung  mit dem männlichen Geschlecht unmöglich gleich  fortgehen konnte, sondern da die Erziehung des Weibes von Kindheit auf für den Harem und die Gesellschaft mehrerer Weiber eingerichtet, ja das junge  Kind oft schon im zweiten Jahr verkauft oder  vermählt ward wie anders, als daß der ganze Umgang  des Mannes, die Einrichtung des Hauses, die Erziehung der Kinder, endlich auch die Fruchtbarkeit  selbst mit der Zeit an diesem Mißverhältnis teilnehmen mußte? Es ist nämlich genugsam erwiesen, daß  eine zu frühe Heirat des Weibes und ein zu starker  Reiz des Mannes weder der Tüchtigkeit der Gestalten  noch der Fruchtbarkeit des Geschlechts förderlich sei; ja, die Nachrichten mehrerer Reisenden machen es  wahrscheinlich, daß in manchen dieser Gegenden  wirklich mehrere Töchter als Söhne geboren werden,  welches, wenn die Sache gegründet ist, sowohl eine  Folge der Polygamie sein kann, als es wiederum eine  fortwirkende Ursache derselben wurde. Und gewiß ist dies nicht der einzige Fall, da die Kunst und die gereizte Üppigkeit der Menschen die Natur aus ihrem  Wege geleitet hätte; denn diese hält sonst ein ziemliches Gleichmaß in den Geburten beider Geschlechter.  Wie aber das Weib die zarteste Sprosse unsrer Erde  und die Liebe das mächtigste Mobil ist, das von jeher  in der Schöpfung gewirket, so mußte notwendig die  Behandlung derselben auch der erste kritische Scheidepunkt in der Geschichte unsres Geschlechts werden. Allenthalben war das Weib der erste Zankapfel der  Begierden und seiner Natur nach gleichsam der erste  brüchige Stein im Gebäude der Menschenschöpfung.  -

Lasset uns z. B. Cook auf seiner letzten Reise begleiten. Wenn auf den Sozietäts- und andern Inseln  das weibliche Geschlecht dem Dienst der Cythere  eigen zu sein schien, so daß es sich nicht nur selbst  um einen Nagel, einen Putz, eine Feder preisgab, sondern auch der Mann um einen kleinen Besitz, der ihn  lüstete, sein Weib zu verhandeln bereit war, so ändert sich mit dem Klima und dem Charakter andrer Insulaner offenbar die Szene. Unter Völkern, wo der Mann  mit der Streitaxt erschien, war auch das Weib verborgner im Hause; die rauhere Sitte jenes machte auch diese härter, daß weder ihre Häßlichkeit noch ihre  Schönheit den Augen der Welt bloßlag. An keinem  Umstande, glaube ich, läßt sich der eigentliche Charakter eines Mannes oder einer Nation so unterscheidend erkennen als an der Behandlung des Weibes.  Die meisten Völker, denen ihre Lebensart schwer  wird, haben das weibliche Geschlecht zu Haustieren  erniedrigt und ihm alle Beschwerlichkeiten der Hütte  aufgetragen; durch eine gefahrvolle, kühne, männliche Unternehmung glaubte der Mann dem Joch aller kleinen Geschäfte entnommen zu sein und überließ diese  den Weibern. Daher die große Subalternität dieses  Geschlechts unter den meisten Wilden von allerlei  Erdstrichen; daher auch die Geringschätzung der  Söhne gegen ihre Mütter, sobald sie in die männlichen Jahre treten. Frühe wurden sie zu gefahrvollen  Übungen erzogen, also oft an die Vorzüge des Mannes erinnert, und eine Art rauhen Kriegs- oder Arbeitsmutes trat bald an die Stelle zärtlicher Neigung. Von  Grönland bis zum Lande der Hottentotten herrscht  diese Geringschätzung der Weiber bei allen unkultivierten Nationen, ob sie sich gleich in jedem Volk  und Weltteil anders gestaltet. In der Sklaverei sogar  ist das Negerweib weit unter dem Neger, und der armseligste Karibe dünkt sich in seinem Hause ein  König.

Aber nicht nur die Schwachheit des Weibes scheint es dem Mann untergeordnet zu haben, sondern an den meisten Orten trug auch die größere Reizbarkeit desselben, seine List, ja überhaupt die feinere Beweglichkeit seiner Seele dazu noch ein mehreres bei. Die  Morgenländer z. B. begreifen es nicht, wie in Europa, dem Reich der Weiber, ihre ungemessene Freiheit  ohne die äußerste Gefahr des Mannes stattfinden oder  bestehen könne; bei ihnen, meinen sie, wäre alles voll Unruh, wenn man diese leicht beweglichen, listigen,  alles unternehmenden Geschöpfe nicht einschränkte.  Von manchen tyrannischen Gebräuchen gibt man  keine Ursache an, als daß durch dies oder jenes Betragen die Weiber sich ehemals selbst ein so hartes Gesetz verdient und die Männer ihrer Sicherheit und  Ruhe wegen dazu gezwungen hätten. So erklärt man  z. B. den unmenschlichen Gebrauch in Indien, das  Verbrennen der Weiber mit ihren Männern das Leben  des Mannes, sagt man, sei ohne dieses fürchterliche  Gegenmittel ihres eignen, mit ihm aufzuopfernden Lebens nicht sicher gewesen; und beinah ließe sich,  wenn man von der verschlagnen Lüsternheit der Weiber in diesen Ländern, von den zauberischen Reizen  der Tänzerinnen in Indien von den Kabalen der Harems unter Türken und Persern lieset, etwas von der  Art glauben. Die Männer nämlich waren zu unvermögend, den leichten Zunder, den ihre Üppigkeit zusammenbrachte, vor Funken zu bewahren, aber auch zu  schwach und lässig, den unermeßlichen Knäuel zarter, weiblicher Fähigkeiten und Anschläge zu bessern  Zwecken zu entwickeln; als üppig-schwache Barbaren also schafften sie sich auf eine barbarische Art Ruhe  und unterdrückten die mit Gewalt, deren List sie mit  Verstand nicht zu überwinden vermochten Man lese,  was Morgenländer und Griechen über das Weib gesagt haben, und man wird Materialien finden, sich ihr  befremdendes Schicksal in den meisten Gegenden heißer Klimate zu erklären. Freilich lag im Grunde alles  wieder an den Männern, deren stumpfe Brutalität das  Übel gewiß nicht ausrottete, das sie so ungelenk einschränkte, wie es nicht nur die Geschichte der Kultur,  die das Weib durch vernünftige Bildung dem Mann  gleichgesetzt hat, sondern auch das Beispiel einiger  vernünftigen Völker ohne feinere Kultur zeiget. Der  alte Deutsche, auch in seinen rauhen Wäldern, erkannte das Edle im Weibe und genoß an ihm die  schönsten Eigenschaften seines Geschlechts, Klugheit, Treue, Mut und Keuschheit; allerdings aber kam  ihm auch sein Klima, sein genetischer Charakter,  seine ganze Lebensweise hierin zu Hülfe. Er und sein  Weib wuchsen, wie die Eichen, langsam, unverwüstlich und kräftig; die Reize der Verführung fehlten seinem Lande; Triebe zu Tugenden dagegen gab beiden  Geschlechtern sowohl die gewohnte Verfassung als  die Not. Tochter Germaniens, fühle den Ruhm deiner  Urmütter und eifre ihm nach: unter wenigen Völkern  rühmt die Geschichte, was sie von ihnen rühmet;  unter wenigen Völkern hat auch der Mann die Tugend des Weibes wie im ältesten Germanien geehret. Sklavinnen sind die Weiber der meisten Nationen, die in  solcher Verfassung leben; ratgebende Freundinnen  waren deine Mütter, und jede Edle unter ihnen ist's  noch.

Lasset uns also auf die Tugenden des Weibes kommen wie sie sich in der Geschichte der Menschheit offenbaren. Auch unter den wildesten Völkern unterscheidet sich das Weib vom Mann durch eine zärtere  Gefälligkeit, durch Liebe zum Schmuck und zur  Schönheit; auch da noch sind diese Eigenschaften  kennbar, wo die Nation mit dem Klima und dem  schnödesten Mangel kämpfet. Überall schmückt sich  das Weib, wie wenigen Putz es auch hie und da, sich  zu schmücken, habe; so bringet im ersten Frühling die lebenreiche Erde wenigstens einige geruchlose Blümchen hervor, Vorboten, was sie in andern Jahrszeiten  zu tun vermöchte. - Reinlichkeit ist eine andre Weibertugend, dazu sie ihre Natur zwingt und der Trieb,  zu gefallen, reizet. Die Anstalten, ja die oft übertriebnen Gesetze und Gebräuche, wodurch alle gesunde Nationen die Krankheiten der Weiber absonderten  und unschädlich machten, beschämen manche kultivierte Völker. Sie wußten und wissen also auch nichts von einem großen Teil der Schwachheiten, die bei uns sowohl eine Folge als eine neue Ursache jener tiefen  Versunkenheit sind, die eine üppige, kranke Weiblichkeit auf eine elende Nachkommenschaft fortbreitet. - Noch eines größern Ruhmes ist die sanfte Duldung, die unverdrossene Geschäftigkeit wert, in der  sich, ohne den Mißbrauch der Kultur, das zarte Geschlecht überall auf der Erde auszeichnet Mit Gelassenheit trägt es das Joch, das ihm die rohe Übermacht der Männer, ihre Liebe zum Müßiggange und zur  Trägheit, endlich auch die Ausschweifungen seiner  Vorfahren selbst als eine geerbte Sitte auflegten, und  bei den armseligsten Völkern finden sich hierin oft  die größesten Muster. Es ist nicht Verstellung, wenn  in vielen Gegenden die mannbare Tochter zur beschwerlichen Ehe gezwungen werden muß; sie  entläuft der Hütte, sie fliehet in die Wüste; mit Tränen nimmt sie ihren Brautkranz; denn es ist die letzte  Blüte ihrer vertändelten, freieren Jugend. Die meisten  Brautlieder solcher Nationen sind Aufmunterungs-,  Trost- und halbe Trauerlieder [148], über die wir spotten, weil wir ihre Unschuld und Wahrheit nicht mehr  fühlen. Zärtlich nimmt sie Abschied von allem, was  ihrer Jugend so lieb war; als eine Verstorbene verläßt  sie das Haus ihrer Eltern, verlieret ihren vorigen  Namen und wird das Eigentum eines Fremden, der  vielleicht ihr Tyrann ist. Das Unschätzbarste, was ein  Mensch hat, muß sie ihm aufopfern, Besitz ihrer Person, Freiheit, Willen, ja vielleicht Gesundheit und  Leben; und das alles um Reize, die die keusche Jungfrau noch nicht kennet und die ihr vielleicht bald in  einem Meer von Ungemächlichkeit verschwinden.  Glücklich, daß die Natur das weibliche Herz mit  einem unnennbar zarten und starken Gefühl für den  persönlichen Wert des Mannes ausgerüstet und geschmückt hat. Durch dies Gefühl erträgt sie auch  seine Härtigkeiten; sie schwingt sich in einer süßen  Begeisterung so gern zu allem auf, was ihr an ihm  edel, groß, tapfer, ungewöhnlich dünket; mit erhebender Teilnehmung hört sie männliche Taten, die ihr,  wenn der Abend kommt, die Last des beschwerlichen  Tages versüßen und es zum Stolz ihr machen, daß sie, da sie doch einmal zugehören muß, einem solchen  Mann gehöre. Die Liebe des Romantischen im weiblichen Charakter ist also eine wohltätige Gabe der  Natur, Balsam für sie und belohnende Aufmunterung  des Mannes; denn der schönste Kranz des Jünglings  war immer die Liebe der Jungfrau.

Endlich die süße Mutterliebe, mit der die Natur  dies Geschlecht ausstattete; fast unabhängig ist sie  von kalter Vernunft und weit entfernt von eigennütziger Lohnbegierde. Nicht, weil es liebenswürdig ist,  liebet die Mutter ihr Kind, sondern weil es ein lebendiger Teil ihres Selbst, das Kind ihres Herzens, der  Abdruck ihrer Natur ist. Darum regen sich ihre Eingeweide über seinem Jammer; ihr Herz klopft stärker  bei seinem Glück; ihr Blut fließt sanfter, wenn die  Mutterbrust, die es trinkt, es gleichsam noch an sie  knüpfet. Durch alle unverdorbene Nationen der Erde  geht dieses Muttergefühl; kein Klima, das sonst alles  ändert, konnte dies ändern; nur die verderbtesten Verfassungen der Gesellschaft vermochten etwa mit der  Zeit das weiche Laster süßer zu machen als jene zarte  Qual mütterlicher Liebe. Die Grönländerin säugt  ihren Sohn bis ins dritte, vierte Jahr, weil das Klima  ihr keine Kinderspeisen darbeut; sie erträgt von ihm  alle Unarten des keimenden männlichen Übermuts mit nachsehender Duldung Mit mehr als Manneskraft ist  die Negerin gewaffnet, wenn ein Ungeheuer ihr Kind  anfällt; mit staunender Verwunderung lieset man die  Beispiele ihrer das Leben verachtenden mütterlichen  Großmut. Wenn endlich der Tod der zärtlichen Mutter, die wir eine Wilde nennen, ihren besten Trost, den Wert und die Sorge ihres Lebens, raubt - man lese  bei Carver [149] die Klage der Nadowesserin, die ihren  Mann und ihren vierjährigen Sohn verloren hatte - :  das Gefühl, das in ihr herrscht, ist über alle Beschrei- bung. - Was fehlet also diesen Nationen an Empfindungen der wahren weiblichen Humanität, wenn nicht etwa der Mangel und die trauige Not oder ein falscher Punkt der Ehre und eine geerbte rohe Sitte sie hie und  da auf Irrwege leiten? Die Keime zum Gefühl alles  Großen und Edeln liegen nicht nur allenthalben da,  sondern sie sind auch überall ausgebildet, nachdem es die Lebensart, das Klima, die Tradition oder die Eigenheit des Volks erlaubte.

Ist dieses, so wird der Mann dem Weibe nicht  nachbleiben; und welche denkbare männliche Tugend  wäre es, die nicht hie und da auf der Erde den Ort  ihrer Blüte gefunden hätte? Der männliche Mut, auf  der Erde zu herrschen und sein Leben nicht ohne Tat,  aber genügsam-frei zu genießen, ist wohl die erste  Mannestugend; sie hat sich am weitsten und vielartigsten ausgebildet, weil fast allenthalben die Not zu ihr  zwang und jeder Erdstrich, jede Sitte sie anders lenkte. Bald also suchte der Mann in Gefahren Ruhm, und der Sieg über dieselbe war das kostbarste Kleinod seines männlichen Lebens. Vom Vater ging diese Neigung auf den Sohn über; die frühe Erziehung beförderte sie, und die Anlage zu ihr ward in wenigen Generationen dem Volk erblich. Dem gebornen Jäger ist  die Stimme seines Horns und seiner Hunde, was sie  sonst keinem ist; Eindrücke der Kindheit trugen dazu  bei; oft sogar geht das Jägergesicht und das Jagdgehirn in die Geschlechter über. So mit allen andern Lebensarten freier, wirkender Völker. Die Lieder jeder  Nation sind über die ihr eignen Gefühle, Triebe und  Seharten die besten Zeugen, ein wahrer Kommentar  ihrer Denk- und Empfindungsweise aus ihrem eignen  fröhlichen Munde. [150] Selbst ihre Gebräuche,  Sprüchwörter und Klugheitsregeln bezeichnen lange  nicht soviel, als jene bezeichnen; noch mehr aber  täten es, wenn wir Proben davon hätten oder vielmehr die Reisenden sie bemerkten, der Nationen charakteristische Träume. Im Traum und im Spiel zeiget sich  der Mensch ganz, wie er ist, in jenem aber am meisten.

Die Liebe des Vaters zu seinen Kindern ist die  zweite Tugend, die sich beim Mann am besten durch  männliche Erziehung äußert. Frühe gewöhnt der  Vater den Sohn zu seiner Lebensweise: er lehrt ihn  seine Künste, weckt in ihm das Gefühl seines Ruhms  und liebet in ihm sich selbst, wenn er alt oder nicht  mehr sein wird. Dies Gefühl ist der Grund aller Stammesehre und Stammestugend auf der Erde; es macht  die Erziehung zum öffentlichen, zum ewigen Werk; es hat alle Vorzüge und Vorurteile der Menschengeschlechter hinabgeerbet. Daher fast bei allen Stämmen und Völkern die teilnehmende Freude, wenn der Sohn ein Mann wird und sich mit dem Gerät oder den Waffen seines Vaters schmücket, daher die tiefe Trauer  des Vaters, wenn er diese seine stolzeste Hoffnung  verlieret. Man lese die Klage des Grönländers um seinen Sohn [151], man höre die Klagen Ossians um seinen Oskar, und man wird in ihnen Wunden des Vaterherzens, die schönsten Wunden der männlichen Brust, bluten sehen. -

Die dankbare Liebe des Sohns zu seinem Vater ist  freilich nur eine geringe Wiedervergeltung des Triebes, mit dem der Vater den Sohn liebte; aber auch das ist Naturabsicht. Sobald der Sohn Vater wird, wirkt  das Herz auf seine Söhne hinunter; der vollere Strom  soll hinab, nicht aufwärts fließen; denn nur also erhält sich die Kette stets wachsender, neuer Geschlechter.  Es ist also nicht als Unnatur zu schelten, wenn einige  vom Mangel gedrückte Völker das Kind dem abgelebten Vater vorziehn oder, wie einige Erzählungen  sagen, den Tod der Vergreiseten sogar befördern.  Nicht Haß, sondern traurige Not oder gar eine kalte  Gutmütigkeit ist diese Beförderung, da sie die Alten  nicht nähren, nicht mitnehmen können und ihnen also  lieber mit freundschaftlicher Hand selbst ein qualenloses Ende bereiten, als sie den Zähnen der Tiere zurücklassen wollen. Kann nicht im Drange der Not,  wehmütig genug, der Freund den Freund töten und  ihm, den er nicht erretten kann, damit eine Wohltat  erweisen, die er ihm nicht anders erweisen konnte? -  Daß aber der Ruhm der Väter in der Seele ihres Stammes unsterblich lebe und wirke, zeigen bei den meisten Völkern ihre Lieder und Kriege, ihre Geschichten und Sagen, am meisten die mit ewiger Hochachtung  derselben sich forterbende Lebensweise. Gemeinschaftliche Gefahren endlich erwecken gemeinschaftlichen Mut: sie knüpfen also das dritte und  edelste Band der Männer, die Freundschaft. In Lebensarten und Ländern, die gemeinschaftliche Unternehmungen nötig machen, sind auch heroische Seelen  vorhanden, die den Bund der Liebe auf Leben und  Tod knüpfen. Dergleichen waren jene ewigberühmten  Freunde der griechischen Heldenzeit; dergleichen  waren jene gepriesenen Scythen und sind allenthalben noch unter den Völkern, die Jagd, Krieg, Züge in  Wäldern und Wüsteneien oder sonst Abenteuer lieben. Der Ackermann kennet nur einen Nachbar, der  Handwerker einen Zunftgenossen, den er begünstigt  oder neidet; der Wechsler endlich, der Gelehrte, der  Fürstendiener - wie entfernter sind sie von jener  eigengewählten, tätigen, erprobten Freundschaft, von  der eher der Wandrer, der Gefangne, der Sklave weiß, der mit dem andern an einer Kette ächzet. In Zeiten  des Bedürfnisses, in Gegenden der Not verbünden  sich Seelen: der sterbende Freund ruft den Freund um  Rache seines Blutes an und freut sich, ihn hinterm  Grabe mit demselben wiederzufinden. Mit unauslöschlicher Flamme brennet dieser, den Schatten seines Freundes zu versöhnen, ihn aus dem Gefängnis zu befreien, ihm beizustehen im Streit und das Glück des Ruhms mit ihm zu teilen. Ein gemeinschaftlicher  Stamm kleiner Völker ist nichts als ein also verbündeter Chor von Blutsfreunden, die sich von andern  Geschlechtern in Haß oder in Liebe scheiden. So sind  die arabischen, so sind manche tatarische Stämme und die meisten amerikanischen Völker. Die blutigsten  Kriege zwischen ihnen, die eine Schande der Menschheit scheinen, entsprangen zuerst aus dem edelsten  Gefühl derselben, dem Gefühl der beleidigten Stammesehre oder einer gekränkten Stammesfreundschaft. Weiterhin und auf die verschiednen Regierungsformen weiblicher oder männlicher Regenten der Erde  lasse ich mich jetzt und hier noch nicht ein. Denn da  aus den bisher angezeigten Gründen es sich noch  nicht erklären läßt, warum ein Mensch durchs Recht  der Geburt über Tausende seiner Brüder herrsche,  warum er ihnen ohne Vertrag und Einschränkung  nach Willkür gebieten, Tausende derselben ohne Verantwortung in den Tod liefern, die Schätze des Staats  ohne Rechenschaft verzehren und gerade dem Armen  darüber die bedrückendsten Auflagen tun dürfe; da es  sich noch weniger aus den ersten Anlagen der Natur  ergibt, warum ein tapfres und kühnes Volk, d. i. tausend edle Männer und Weiber, oft die Füße eines  Schwachen küssen und den Zepter anbeten, womit ein Unsinniger sie blutig schlägt, welcher Gott oder  Dämon es ihnen eingegeben, eigne Vernunft und  Kräfte, ja oft Leben und alle Rechte der Menschheit  der Willkür eines zu überlassen und es sich zur höchsten Wohlfahrt und Freude zu rechnen, daß der Despot einen künftigen Despoten zeuge - da, sage ich,  alle diese Dinge dem ersten Anblick nach die verworrensten Rätsel der Menschheit scheinen und glücklicher- oder unglücklicherweise der größeste Teil der  Erde diese Regierungsformen nicht kennet, so können wir sie auch nicht unter die ersten, notwendigen, allgemeinen Naturgesetze der Menschheit rechnen.  Mann und Weib, Vater und Sohn, Freund und Feind  sind bestimmte Verhältnisse und Namen; aber Führer  und König, ein erblicher Gesetzgeber und Richter, ein willkürlicher Gebieter und Staatsverweser für sich  und alle seine noch. Ungebornen - diese Begriffe  wollen eine andre Entwicklung, als wir ihnen hier zu  geben vermögen. Genug, daß wir die Erde bisher als  ein Treibhaus natürlicher Sinne und Gaben, Geschicklichkeiten und Künste, Seelenkräfte und Tugenden in ziemlich großer Verschiedenheit derselben bemerkt haben; wiefern sich nun der Mensch dadurch  Glückseligkeit zu bauen berechtigt oder fähig sei, ja,  wo irgend der Maßstab zu ihr liege, dies lasset uns  jetzo erwägen.

 

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