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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Zehntes Buch

VI

Fortsetzung der ältesten Schrifttradition über den Anfang der Menschengeschichte

Gefallen meinem Leser die reinen Ideen dieser alten Tradition, die ich ohne Hypothese oder Verzierung  dahingestellt habe, so lasset uns dieselbe verfolgen,  wenn wir zuvor noch auf das Ganze dieses Schöpfungsgemäldes einen Blick geworfen haben. Wodurch zeichnet es sich vor allen Märchen und Traditionen  der höheren Asiaten so einzig aus? Durch Zusammenhang, Einfalt und Wahrheit. So manchen Keim der  Physik und Geschichte jene enthalten, so liegt alles,  wie es durch die Übergabe der ungeschriebenen oder  dichtenden Priester- und Volkstradition werden  mußte, wild durcheinander, ein fabelhaftes Chaos wie  beim Anfange der Weltschöpfung. Dieser Naturweise  hat das Chaos überwunden und stellt uns ein Gebäude dar, das in seiner Einfalt und Verbindung der ordnungreichen Natur selbst nachahmet. Wie kam er zu dieser Ordnung und Einfalt? Wir dürfen ihn nur mit den  Fabeln andrer Völker vergleichen, so sehen wir den  Grund seiner reinern Philosophie der Erd- und Menschengeschichte.

Erstens. Alles für Menschen Unbegreifliche, außer  ihrem Gesichtskreis Liegende ließ er weg und hielt  sich an das, was wir mit Augen sehen und mit unserm Gedächtnis umfassen können. Welche Frage z. B. hat  mehr Streit erreget als die über das Alter der Welt,  über die Zeitdauer unsrer Erde und des Menschengeschlechtes? Man hat die asiatischen Völker mit ihren  unendlichen Zeitrechnungen für unendlich klug, die  Tradition, von der wir reden, für unendlich kindisch  gehalten, weil sie, wie man sagt, gegen alle Vernunft,  ja gegen das offenbare Zeugnis des Erdbaues mit der  Schöpfung wie mit einer Kleinigkeit dahineilet und  das Menschengeschlecht so jung machte. Mich dünkt, man tue ihr hierin offenbar Unrecht. Wenn Moses wenigstens der Sammler dieser alten Traditionen war, so konnten ihm, dem gelehrten Ägyptier, jene Götter- und Halbgötter-Aeonen nicht unbekannt sein, mit  denen dieses Volk, wie alle Nationen Asiens, die Geschichte der Welt anfingen. Warum webte er sie also  seinen Nachrichten nicht ein? Warum rückte er ihnen  gleichsam zum Trotz und zur Verachtung die Weltentstehung in das Symbol des kleinsten Zeitlaufs zusammen? Offenbar, weil er jene abschneiden und als  unnütze Fabel aus dem Gedächtnis der Menschen hinwegbringen wollte. Mich dünkt, er handelte hierin  weise; denn jenseit der Grenzen unsrer ausgebildeten  Erde, d. i. vor Entstehung des Menschengeschlechts  und seiner zusammenhangenden Geschichte, gibt es  für uns keine Zeitrechnung, die diesen Namen verdiene. Lasset Buffon seinen sechs ersten Epochen der  Natur Zahlen geben, wie groß er sie wolle, von  26000, von 35000, von 15-20000, von 10000 Jahren  u. f.; der menschliche Verstand, der seine Schranken  fühlet, lacht über diese Zahlen der Einbildungskraft,  gesetzt, daß er auch die Entwicklung der Epochen  selbst wahr fände, noch weniger aber wünscht das historische Gedächtnis sich mit ihnen zu beschweren.  Nun sind die ältesten ungeheuren Zeitrechnungen der  Völker offenbar von dieser buffonschen Art; sie laufen nämlich in Zeitalter, da die Götter- und Weltkräfte regiert haben, also in die Zeiten der Erdbildung hinüber, wie solche diese Nationen, die ungeheure Zahlen sehr liebten, entweder aus Himmelsrevolutionen  oder aus halbverstandnen Symbolen der ältesten Bildertradition zusammensetzten. So hat unter den Ägyptern Vulkan, der Schöpfer der Welt, unendlich lange,  sodann die Sonne, Vulkanus Sohn, 30000, sodann  Saturn und die übrigen zwölf Götter 3984 Jahre regiert, ehe die Halbgötter und späterhin die Menschen  folgten. Ein gleiches ist's mit den höhern asiatischen  Schöpfungs- und Zeittraditionen. 3000 Jahre regierte  bei den Parsen das himmlische Heer des Lichts ohne  Feinde; 3000 folgten, bis die Wundergestalt des  Stiers erschien, aus dessen Samen erst die Geschöpfe  und am spätsten Meschia und Meschiana, Mann und  Weib, entstanden. Das erste Zeitalter der Tibetaner,  da die Lahen regierten, ist unendlich, das zweite von  80, das dritte von 40, das vierte von 20 Jahrtausenden eines Lebensalters, von denen dies bis zu 10 Jahren  hinab- und denn allmählich wieder hinaufsteigen wird zum Zeitalter der 80000 Jahre. Die Perioden der Indier voll Verwandlungen der Götter und der Sineser  voll Verwandlungen ihrer ältesten Könige steigen  noch höher hinauf: Unendlichkeiten, mit denen nichts  getan werden konnte, als daß Moses sie wegschnitt,  weil sie nach dem Bericht der Traditionen selbst zur  Erdschöpfung, nicht aber zu unsrer Menschengeschichte gehören.

Zweitens. Streitet man also, ob die Welt jung oder  alt sei, so haben beide recht, die da streiten. Der Fels  unsrer Erde ist sehr alt, und die Bekleidung desselben  hat lange Revolutionen erfodert, über die kein Streit  stattfindet. Hier läßt Moses einem jeden Freiheit,  Epochen zu dichten, wie er will, und mit den Chaldäern den König Alorus, das Licht, Uranus, den Himmel, Gea, die Erde, Helios, die Sonne, u. f. regieren  zu lassen, solange man begehret. Er zählet gar keine  Epochen dieser Art und hat, um ihnen vorzubeugen,  sein ineinandergreifendes, systematisches Gemälde  gerade im leichtsten Zyklus einer Erdumwälzung dahingestellet. Je älter aber diese Revolutionen sind und je länger sie dauerten, desto jünger muß notwendig  das menschliche Geschlecht sein, das, nach allen Traditionen und nach der Natur der Sache selbst, erst als  die letzte Ausgeburt der vollendeten Erde stattfand.  Ich danke also jenem Naturweisen für diesen kühnen  Abschnitt der alten ungeheuren Fabel; denn meinem  Fassungskreise genügt die Natur, wie sie da ist, und  die Menschheit, wie sie jetzt lebet.

Auch bei der Schöpfung des Menschen wiederholet die Sage [172], daß sie geschehen sei, da sie der Natur  nach geschehen konnte. »Als auf der Erde«, fährt sie  ergänzend fort, »weder Kräuter noch Bäume waren,  konnte der Mensch, den die Natur zum Bau derselben  bestimmt hatte, noch nicht leben; noch stieg kein  Regen nieder, aber Nebel stiegen auf, und aus einer  solchen mit Tau befeuchteten Erde ward er gebildet  und mit dem Atem der Lebenskraft zum lebendigen  Wesen belebet.« Mich dünkt, die einfache Erzählung  sagt alles, was auch nach allen Erforschungen der  Physiologie Menschen von ihrer Organisation zu wissen vermögen. Im Tode wird unser künstliches Gebäu in Erde, Wasser und Luft aufgelöset, die in ihm jetzt  organisch gebunden sind; die innere Ökonomie des  animalischen Lebens aber hangt von dem verborgnen  Reiz oder Balsam im Element der Luft ab, der den  vollkommenern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern  Zwist der Lebenskräfte unsrer Maschine in Bewegung setzt, und so wird wirklich der Mensch durch den  lebendigen Odem zur regsamen Seele. Durch ihn erhält und äußert er die Kraft, Lebenswärme zu verarbeiten und als ein sich bewegendes, empfindendes,  denkendes Geschöpf zu handeln. Die älteste Philosophie ist mit den neuesten Erfahrungen hierüber einig. Ein Garten war der erste Wohnsitz des Menschen, und auch dieser Zug der Tradition ist, wie ihn immer  nur die Philosophie ersinnen könnte. Das Gartenleben ist das leichteste für die neugeborne Menschheit; denn jedes andre, zumal der Ackerbau, fordert schon mancherlei Erfahrungen und Künste. Auch zeigt dieser  Zug der Tradition, was die ganze Anlage unsrer Natur beweiset, daß der Mensch nicht zur Wildheit, sondern zum sanften Leben geschaffen sei und also, da der  Schöpfer den Zweck seines Geschöpfs am besten  kannte, den Menschen, wie alle andre Wesen gleichsam in seinem Element, im Gebiet der Lebensart, für  die er gemacht ist, erschaffen habe. Alle Verwilderung der Menschenstämme ist Entartung, zu der sie  die Not, das Klima oder eine leidenschaftliche Gewohnheit zwang; wo dieser Zwang aufhöret, lebet der  Mensch überall auf der Erde sanfter, wie die Geschichte der Nationen beweiset. Nur das Blut der  Tiere hat den Menschen wild gemacht, die Jagd, der  Krieg und leider auch manche Bedrängnisse der bürgerlichen Gesellschaft. Die älteste Tradition der frühesten Weltvölker weiß nichts von jenen  Waldungeheuern, die als natürliche Unmenschen jahrtausendelang mordend umhergestreift und dadurch  ihren ursprünglichen Beruf erfüllet hätten. Erst in entlegnen, rauheren Gegenden, nach weiten Verirrungen  der Menschen fangen diese wilden Sagen an, die der  spätere Dichter gern ausmalte und denen zuletzt der  kompilierende Geschichtsschreiber, dem Geschichtsschreiber aber der abstrahierende Philosoph folgte. Abstraktionen aber geben sowenig als das Gemälde der Dichter eine wahre Urgeschichte der Menschheit. Wo lag nun aber der Garten, in den der Schöpfer  sein sanftes wehrloses Geschöpf setzte? Da diese  Sage aus dem westlichen Asien ist, so setzt sie ihn  ostwärts »höher hinauf gen Morgen, auf eine Erdhöhe, aus der ein Strom brach, der sich von da aus in  vier große Hauptströme teilte«. [173] Unparteiischer  kann keine Tradition erzählen; denn da jede alte Nation sich so gern für die erstgeborne und ihr Land für  den Geburtsort der Menschheit hielt, so rückt diese  hingegen das Urland weit hinauf an den höchsten  Rücken der bewohnten Erde. Und wo ist diese Höhe  der Erde? Wo entspringen die genannten vier Ströme  aus einem Quell oder Strom, wie die Urschrift deutlich saget? In unsrer Erdbeschreibung nirgend, und es  ist vergeblich, daß man die Namen der Flüsse tausendfach martere, da ein unparteiischer Blick auf die  Weltkarte uns lehrt, daß nirgend auf Erden der  Euphrat mit drei andern Strömen aus einem Quell  oder Strom entspringe. Erinnern wir uns aber an die  Traditionen aller höhern asiatischen Völker, so treffen wir dies Paradies der höchsten Erdhöhe mit seinem  lebendigen Urquell, mit seinen die Welt befruchtenden Strömen in ihnen allen an. Sineser und Tibetaner, Indier und Perser reden von diesem Urberge der  Schöpfung, um den die Länder, Meere und Inseln gelagert sind und von dessen Himmelhöhe der Erde ihre  Ströme geschenkt wurden. Ohne Physik ist diese Sage keineswegs; denn ohne Berge konnte unsre Erde kein  lebendiges Wasser haben, und daß alle Ströme Asiens von dieser Erdhöhe fließen, zeigt die Karte. Auch  gehet die Sage, die wir erklären, alles Fabelhafte der  paradiesischen Ströme vorbei und nennet vier der  weltbekanntesten, die von den Gebirgen Asiens fließen. Freilich fließen sie nicht aus einem Strom; dem  späten Sammler dieser Traditionen indes mußten sie  gnug sein, den Ursitz der Menschen in einer ihm fernen Ostwelt zu bezeichnen.

Und da ist wohl kein Zweifel, daß dieser Ursitz  ihm eine Gegend zwischen den indischen Bergen sein  sollte. Das gold- und edelsteinreiche Land, das er  nennet, ist schwerlich ein anderes als Indien, das von  alters her dieser Schätze wegen bekannt war Der  Fluß, der es umströmt, ist der sich krümmende, heilige Ganges [174]; das ganze Indien erkennt ihn für den  Strom des Paradieses. Daß Gihon der Oxus sei, ist  unleugbar: die Araber nennen ihn noch also, und Spuren des Landes, das er umfließen soll, sind uns noch  in mehreren benachbarten indischen Namen übrig [175]. Die beiden letzten Ströme endlich, der Tigris und Euphrat, fließen freilich sehr weit westwärts; da aber der Sammler dieser Traditionen am westlichen Ende Asiens lebte, so verloren sich ihm notwendig diese Gegenden schon in die weite Ferne, und es ist möglich,  daß der dritte Strom, den er nennet, gar einen östlichern Tigris, den Indus, bedeuten sollte [176]. Es war  nämlich die Gewohnheit aller sich verpflanzenden,  alten Völker, die Sagen vom Berge der Urwelt, den  Bergen und Strömen ihres neuen Landes zuzueignen  und solche durch eine Lokalmythologie zu nationalisieren, wie von den medischen Gebirgen an bis zum  Olympus und Ida gezeigt werden könnte. Nach seiner  Lage also konnte der Sammler dieser Traditionen  nicht anders als den weitsten Strich bezeichnen, den  ihm die Sage darbot. Der Indier am Paropamisus, der  Perser am Imaus, der Iberier am Kaukasus war darunter begriffen, und jeder war im Besitz, sein Paradies  an den Teil der Bergstrecke zu legen, den ihm seine  Tradition wies. Unsre Sage indes winkt eigentlich auf  die älteste der Traditionen; denn sie setzt ihr Paradies  über Indien und gibt die andern Strecken nur zur Zugabe. Wie nun? Wenn ein glückliches Tal wie  Kaschmire, beinah im Mittelpunkt dieser Ströme gelegen, ringsum von Bergen ummauert, sowohl wegen  seiner gesunden erquickenden Wasser als wegen seiner reichen Fruchtbarkeit und Freiheit von wilden  Tieren berühmt, ja noch bis jetzt wegen seines schönen Menschenstammes als das Paradies des Paradieses gepriesen, wenn ein solches der Ursitz unsres Geschlechts gewesen wäre? Doch der Verfolg wird zeigen, daß alle Nachspähungen dieser Art auf unsrer  jetzigen Erde vergeblich sind; wir bemerken also die  Gegend so unbestimmt, wie sie die Tradition bezeichnet, und folgen dem Faden ihrer Erzählung weiter.

Von allen Wunderdingen und Abenteuergestalten,  womit die Sage des gesamten Asiens ihr Paradies der  Urwelt reich besetzte, hat diese Tradition nichts als  zwei Wunderbäume, eine sprechende Schlange und  einen Cherub; die unzählbare Menge der andern sondert der Philosoph ab, und auch jene kleidet er in eine bedeutungsvolle Erzählung. Ein einziger verbotener  Baum ist im Paradiese, und dieser Baum trägt in der  Überredung der Schlange die Frucht der Götterweisheit, nach der dem Menschen gelüstet. Konnte er nach etwas Höherem gelüsten? Konnte er auch in seinem  Fall mehr geadelt werden? Man vergleiche, auch nur  als Allegorie betrachtet, die Erzählung mit den Sagen  andrer Nationen; sie ist die feinste und schönste, ein  symbolisches Bild von dem, was unserm Geschlecht  von jeher alles Wohl und Weh brachte. Unser zweideutiges Streben nach Erkenntnissen, die uns nicht  ziemen, der lüsterne Gebrauch und Mißbrauch unsrer  Freiheit, die unruhige Erweiterung und Übertretung  der Schranken, die einem so schwachen Geschöpf,  das sich selbst zu bestimmen erst lernen soll, durch  moralische Gebote not wendig gesetzt werden mußten: dies ist das feurige Rad, unter dem wir ächzen  und das jetzt doch beinah den Zirkel unsres Lebens  ausmacht. Der alte Philosoph der Menschengeschichte wußte dies, wie wir's wissen, und zeigt uns  den Knoten davon in einer Kindergeschichte, die fast  alle Enden der Menschheit zusammenknüpfet. Auch  der Indier erzählt von Riesen, die nach der Speise der  Unsterblichkeit gruben; auch der Tibetaner spricht  von seinen durch eine Missetat herabgesunkenen  Laben; nichts aber, dünkt mich, reicht an die reine  Tiefe, an die kindliche Einfalt dieser Sage, die nur so- viel Wunderbares behält, als zur Bezeichnung ihrer  Zeit und Gegend gehöret. Alle Drachen und Wundergestalten des über die asiatischen Gebirge sich erstreckenden uralten Feenlandes, der Simurgh und  Soham, die Lahen, Dewetas, Dschins, Divs und Peris, eine in tausend Erzählungen von Dschinnistan, Righiel, Meru, Albordj u. f. weit verbreitete Mythologie  dieses Weltteils, alle diese Abenteuer verschwinden in der ältesten Tradition der Schriftsprache, und nur der  Cherub hält Wache an den Pforten des Paradieses. Dagegen erzählt diese lehrende Geschichte, daß die erstgeschaffenen Menschen mit den unterweisenden  Elohim im Umgange gewesen, daß sie unter Anleitung derselben durch Kenntnis der Tiere sich Sprache  und herrschende Vernunft erworben, daß, da der  Mensch ihnen auch auf eine verbotene Art in Erkenntnis des Bösen gleich werden wollen, er diese mit seinem Schaden erlangt und von nun an einen andern Ort eingenommen, eine neue künstlichere Lebensart angefangen habe, lauter Züge der Tradition, die hinter dem Schleier einer Fabelerzählung mehr menschliche  Wahrheit verbergen als große Lehrgebäude vom Naturzustande der Autochthonen. Sind, wie wir gesehen  haben, die Vorzüge des Menschengeschlechts ihm nur als Fähigkeit angeboren, eigentlich aber durch Erziehung, Sprache, Tradition und Kunst erworben und  herabgeerbt worden, so gehn die Fäden dieser ihm angebildeten Humanität aus allen Nationen und Weltenden nicht nur in einen Ursprung zusammen, sondern  wenn das Menschengeschlecht, was es ist, werden  sollte, mußten sie sich gleich vom Anfange an künstlich knüpfen. Sowenig ein Kind jahrelang hingeworfen und sich selbst überlassen sein kann, ohne daß es  untergehe oder entarte, sowenig konnte das menschliche Geschlecht in seinem ersten keimenden Sproß  sich selbst überlassen werden. Menschen, die einmal  gewohnt waren, wie Orang-Utangs zu leben, werden  nie durch sich selbst gegen sich selbst arbeiten und  aus einer sprachlosen, verhärteten Tierheit zur  Menschheit übergehen lernen. Wollte die Gottheit  also, daß der Mensch Vernunft und Vorsicht übte, so  mußte sie sich seiner auch mit Vernunft und Vorsicht  annehmen. Erziehung, Kunst, Kultur war ihm vom ersten Augenblick seines Daseins an unentbehrlich; und so ist uns der spezifische Charakter der Menschheit  selbst für die innere Wahrheit dieser ältesten Philosophie unsrer Geschichte Bürge. [177]

 

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