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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Vierzehntes Buch

V

Charakter, Wissenschaften und Künste der Römer

Nach dem, was bisher gesagt worden, fodert es auch die Pflicht, jene edlen Seelen zu nennen und zu rühmen, die in dem harten Stande, auf welchen sie das Schicksal gestellt hatte, sich dem, was sie Vaterland nannten, mit Mut aufopferten und in ihrem kurzen Leben Dinge bewirkten, die fast ans höchste Ziel menschlicher Kräfte reichen. Ich sollte dem Gange der Geschichte zufolge einen Junius Brutus und Poplicola, Mucius Scävola und Coriolan, eine Valeria und Veturia, die dreihundert Fabier und Cincinnatus, Camillus und Decius, Fabricius und Regulus, Marcellus und Fabius, die Scipionen und Catonen, Cornelia und ihre unglücklichen Söhne, ja wenn es auf Kriegestaten allein ankommt, auch Marius und Sulla, Pompejus und Cäsar, und wenn gute Absichten und Bemühungen Lob verdienen, den Markus Brutus, Cicero, Agrippa, Drusus, Germanikus nach ihrem Verdienst nennen und rühmen. Auch unter den Kaisern sollte ich die Freude des Menschengeschlechts, Titus, den gerechten und guten Nerva, den glücklichen Trajan, den unermüdeten Hadrian, die guten Antoninen, den unverdrossenen Severus, den männlichen Aurelian u. f., starke Pfeiler eines sinkenden Baues, loben. Da aber diese Männer mehr als selbst die Griechen jedermann bekannt sind, so sei es mir vergönnt, vom Charakter der Römer in ihren besten Zeiten bloß allgemein zu reden und auch diesen Charakter lediglich als Folge ihrer Zeitumstände zu betrachten.

Wenn Unparteilichkeit und fester Entschluß, wenn unermüdete Tätigkeit in Worten und Werken und ein gesetzter rascher Gang zum Ziel des Sieges oder der Ehre, wenn jener kalte, kühne Mut, der durch Gefahren nicht geschreckt, durch Unglück nicht gebeugt, durchs Glück nicht übermütig wird, einen Namen haben soll, so müßte er den Namen eines römischen Mutes haben. Mehrere Glieder dieses Staats, selbst aus niederm Stande, haben ihn so glänzend erwiesen, daß wir, zumal in der Jugend, da uns die Römer meistens nur von ihrer edlen Seite erscheinen, dergleichen Gestalten der Alten Welt als hingewichene, große Schatten verehren. Wie Riesen schreiten ihre Feldherren von einem Weltteil zum andern und tragen das Schicksal der Völker in ihrer festen leichten Hand. Ihr Fuß stößt Thronen vorübergehend um; eins ihrer Worte bestimmt das Leben oder den Tod von Myriaden. Gefährliche Höhe, auf welcher sie standen! Zu kostbares Spiel mit Kronen und Millionen an Menschen und Golde! Und auf dieser Höhe gehen sie einfach wie Römer einher, verachtend den Pomp königlicher Barbaren; der Helm ihre Krone, ihre Zierde der Brustharnisch.

Und wenn ich sie auf diesem Gipfel der Macht und des Reichtums in ihrer männlichen Beredsamkeit höre, in ihren häuslichen oder patriotischen Tugenden unermüdet-wirksam sehe, wenn im Gewühl der Schlachten oder im Getümmel des Marktes die Stirn Cäsars immer heiter bleibt und auch gegen Feinde seine Brust mit verschonender Großmut schläget: große Seele, bei allen deinen leichtsinnigen Lastern, wenn du nicht wert wärest, Monarch der Römer zu werden, so war es niemand. Doch Cäsar war mehr als dies: er war Cäsar. Der höchste Thron der Erde schmückte sich mit seinem persönlichen Namen; o hätte er sich auch mit seiner Seele schmücken können, daß Jahrtausende hin ihn der gütige, muntre, umfassende Geist Cäsars hätte beleben mögen!

Aber gegen ihm über steht sein Freund Brutus mit gezücktem Dolch. Guter Brutus, bei Sarden und Philippen erschien dir dein böser Genius nicht zuerst; er war dir längst vorher unter dem Bilde des Vaterlandes erschienen, dem du mit einer weichem Seele, als deines rohen Vorfahren war, die heiligem Rechte der Menschheit und Freundschaft aufopfertest. Du konntest deine erzwungene Tat nicht nutzen, da dir Cäsars Geist und Sullas Pöbelwut fehlte, und wurdest also genötigt, das Rom, das kein Rom mehr war, den wilden Ratschlägen eines Antonius und Oktavius zu überlassen, von denen jener alle römische Pracht einer ägyptischen Buhlerin zu Füßen legte und dieser nachher aus dem Gemach einer Livia mit scheinheiliger Ruhe die müde-gequälte Welt beherrschte. Nichts blieb dir übrig als dein eigner Stahl, eine traurige und doch notwendige Zuflucht der Unglücklichen unter einem römischen Schicksal.

Woher entsprang dieser große Charakter der Römer? Er entsprang aus ihrer Erziehung, oft sogar aus dem Namen der Person und des Geschlechtes, aus ihren Geschäften, aus dem Zusammendrange des Rats, des Volks und aller Völker im Mittelpunkt der Weltherrschaft, ja endlich aus der glücklich- unglücklichen Notwendigkeit selbst, in der sich die Römer fanden. Daher teilte er sich auch allem mit, was an der römischen Größe teilnahm, nicht nur den edeln Geschlechtern, sondern auch dem Volk, und Männern sowohl als den Weibern. Die Tochter Scipios und Catos, die Gattin Brutus', der Gracchen Mutter und Schwester konnten ihrem Geschlecht nicht unwürdig handeln; ja oft übertrafen edle Römerinnen die Männer selbst an Klugheit und Würde. So war Terentia heldenmütiger als Cicero, Veturia edler als Coriolan, Paulina stärker als Seneka u. f. In keinem morgenländischen Harem, in keinem Gynäzeum der Griechen konnten, bei aller Anlage der Natur, weibliche Tugenden hervorsprossen wie im öffentlichen und häuslichen Leben der Römer; freilich aber auch in verdorbenen Zeiten weibliche Laster, vor denen die Menschheit schaudert. Schon nach Überwindung der Lateiner wurden hundertundsiebenzig römische Gemahlinnen eins, ihre Männer mit Gift hinzurichten, und tranken, als sie entdeckt waren, ihre bereitete Arznei wie Helden. Was unter den Kaisern die Weiber in Rom vermochten und ausübten, ist unsäglich. Der stärkste Schatte grenzt ans stärkste Licht: eine Stiefmutter Livia und die treue Antonia-Drusus, eine Plancina und Agrippina-Germanikus, eine Messalina und Oktavia stehen dicht aneinander.

Wollen wir den Wert der Römer auch in der Wissenschaft schätzen, so müssen wir von ihrem Charakter ausgehn und keine Griechenkünste von ihnen fodern. Ihre Sprache war der äolische Dialekt, beinah mit allen Sprachen Italiens vermischt; sie hat sich aus dieser rohen Gestalt langsam hervorgearbeitet, und dennoch, trotz aller Bearbeitung, hat sie zur Leichtigkeit, Klarheit und Schönheit der griechischen Sprache nie völlig gelangen mögen. Kurz, ernst und würdig ist sie, die Sprache der Gesetzgeber und Beherrscher der Welt; in allem ein Bild vom Geiste der Römer. Da diese mit den Griechen erst spät bekannt wurden, nachdem sie durch die lateinische, etruskische und eigne Kultur lange Zeit schon ihren Charakter und Staat gebildet hatten, so lernten sie auch ihre natürliche Beredsamkeit durch die Kunst der Griechen erst spät verschönern. Wir wollen also über die ersten dramatischen und poetischen Übungen, die zu Ausbildung ihrer Sprache unstreitig viel beitrugen, wegsehn und von dem reden, was bei ihnen tiefere Wurzel faßte. Es war dieses Gesetzgebung, Beredsamkeit und Geschichte: Blüten des Verstandes, die ihre Geschäfte selbst hervortrieben und in welchen sich am meisten ihre römische Seele zeigt.

Aber zu beklagen ist's, daß auch hier uns das Schicksal wenig gegönnt hat, indem die, deren Eroberungsgeist uns so viele Schriften anderer Völker raubte, die Arbeiten ihres eignen Geistes gleichfalls der zerstörenden Zukunft überlassen mußten. Denn ohne von ihren alten Priesterannalen und den heroischen Geschichten Ennius', Nävius' oder dem Versuch eines Fabius Pictor zu reden: wo sind die Geschichten eines Cincius, Cato, Libo, Posthumius, Piso, Cassius Hemina, Servilians, Fannius, Sempronius, Cälius Antipater, Asellio, Gellius, Lucinius u. f.? Wo ist das Leben Ämilius Skaurus', Rutilius Rufus', Lutatius Catulus', Sulla, Augustus', Agrippa, Tiberius', einer Agrippina-Germanikus, selbst eines Claudius, Trajans u. f., von ihnen selbst beschrieben? Unzählbar anderer Geschichtbücher der wichtigsten Männer des Staats in Roms wichtigsten Zeiten, eines Hortensius, Atticus, Sisenna, Lutatius, Tubero, Luccejus, Balbus, Brutus. Tiro, eines Valerius Messala, Cremutius Cordus, Domitius Corbulo, Cluvius Rufus, auch der vielen verlornen Schriften Cornelius Nepos', Sallustius', Livius', Trogus', Plinius' u. f. nicht zu gedenken. Ich setze die Namen derselben her, um einige neuere, welche sich hoch hinauf über die Römer setzen, auch nur durch diese Namen zu widerlegen; denn welche neuere Nation hat in ihren Regenten, Feldherrn und ersten Geschäftsmännern in einer so kurzen Zeit bei so wichtigen Veränderungen und eignen Taten derselben so viele und große Geschichtschreiber gehabt als diese barbarisch genannten Römer? Nach den wenigen Bruchstücken und Proben eines Cornelius, Cäsar, Livius u. f. hatte die römische Geschichte zwar nicht jene Anmut und süße Schönheit der griechischen Historie, dafür aber gewiß eine römische Würde und in Sallust, Tacitus u. a. viel philosophische und politische Klugheit. Wo große Dinge getan werden, wird auch groß gedacht und geschrieben; in der Sklaverei verstummt der Mund, wie die spätere römische Geschichte selbst zeigt. Und leider ist der größeste Teil der römischen Geschichtschreiber aus Roms freien oder halbfreien Zeiten ganz verloren. Ein unersetzlicher Verlust; denn nur einmal lebten solche Männer, nur einmal schrieben sie ihre eigne Geschichte.

Der römischen Geschichte ging die Beredsamkeit als Schwester und beiden ihre Mutter, die Staats- und Kriegskunst, zur Seite; daher auch mehrere der größesten Römer in jeder dieser Wissenschaften nicht nur Kenntnisse hatten, sondern auch schrieben. Unbillig ist der Tadel, den man den griechischen und römischen Geschichtschreibern darüber macht, daß sie ihren Begebenheiten so oft Staats- und Kriegsreden einmischten; denn da in der Republik durch öffentliche Reden alles gelenkt wurde, hatte der Geschichtschreiber kein natürlicher Band, durch welches er Begebenheiten binden, vielseitig darstellen und pragmatisch erklären konnte, als eben diese Reden; sie waren ein weit schöneres Mittel des pragmatischen Vertrages, als wenn der spätere Tacitus und seine Brüder, von Not gezwungen, ihre eigenen Gedanken einförmig zwischenwebten. Indessen ist auch Tacitus mit seinem Reflexionsgeist oft unbillig beurteilt worden; denn in seinen Schilderungen sowohl als im gehässigen Ton derselben ist er an Geist und Herz ein Römer. Ihm war's unmöglich, Begebenheiten zu erzählen, ohne daß er die Ursachen derselben entwickle und das Verabscheuungswürdige mit schwarzen Farben male. Seine Geschichte ächzt nach Freiheit, und in ihrem dunkel-verschlossenen Ton beklagt sie den Verlust derselben weit bitterer, als sie's mit Worten tun könnte. Nur der Zeiten der Freiheit, d. i. offener Handlungen im Staat und im Kriege, erfreut sich die Beredsamkeit und Geschichte; mit jenen sind beide dahin; sie borgen im Müßiggange des Staats auch müßige Betrachtungen und Worte.

In Absicht der Beredsamkeit indessen dürfen wir den Verlust nicht minder großer Redner als Geschichtschreiber weniger beklagen: der einzige Cicero ersetzt uns viele. In seinen Schriften von der Redekunst gibt er uns wenigstens die Charaktere seiner großen. Vorgänger und Zeitgenossen; seine Reden selbst aber können uns jetzt statt Catos, Antonius', Hortensius', Cäsars u. a. dienen. Glänzend ist das Schicksal dieses Mannes, glänzender nach seinem Tode, als es im Leben war. Nicht nur die römische Beredsamkeit in Lehre und Mustern, sondern auch den größesten Teil der griechischen Philosophie hat er gerettet, da ohne seine beneidenswerten Einkleidungen die Lehren mancher Schulen uns wenig mehr als dem Namen nach bekannt wären. Seine Beredsamkeit übertrifft die Donner des Demosthenes nicht nur an Licht und philosophischer Klarheit, sondern auch an Urbanität und wahrerem Patriotismus. Er beinahe allein hat die reinere lateinische Sprache Europen wiedergegeben, ein Werkzeug, das dem menschlichen Geist bei manchen Mißbräuchen unstreitig große Vorteile gebracht hat. Ruhe also sanft, du vielgeschäftiger, vielgeplagter Mann, Vater des Vaterlandes aller lateinischen Schulen in Europa. Deine Schwachheiten hast du gnug gebüßet in deinem Leben; nach deinem Tode erfreut man sich deines gelehrten, schönen, rechtschaffenen, edeldenkenden Geistes und lernt aus deinen Schriften und Briefen dich wo nicht verehren, so doch hochschätzen und dankbar lieben.241)

Die Poesie der Römer war nur eine ausländische Blume, die in Latium zwar schön fortgeblüht und hie und da eine feinere Farbe gewonnen hat, eigentlich aber keine neuen eignen Fruchtkeime erzeugen konnte. Schon die Etrusker hatten durch ihre saliarischen und Leichengedichte, durch ihre feszenninischen, atellanischen und szenischen Spiele die roheren Krieger zur Dichtkunst vorbereitet: mit den Eroberungen Tarents und anderer großgriechischen Städte wurden auch griechische Dichter erobert, die durch die feineren Musen ihrer Muttersprache den Überwindern Griechenlandes ihre rohe Mundart gefälliger zu machen suchten. Wir kennen das Verdienst dieser ältesten römischen Dichter nur aus einigen Versen und Fragmenten, erstaunen aber über die Menge Trauer- und Lustspiele, die wir von ihnen nicht nur aus alten, sondern zum Teil auch aus den besten Zeiten genannt finden. Die Zeit hat sie vertilgt, und ich glaube, daß, gegen die Griechen gerechnet, der Verlust an ihnen nicht so groß sei, da ein Teil derselben griechische Gegenstände und wahrscheinlich auch griechische Sitten nachahmte. Das römische Volk erfreute sich an Possen und Pantomimen, an zirzensischen oder gar an blutigen Fechterspielen viel zu sehr, als daß es fürs Theater ein griechisches Ohr und eine griechische Seele haben konnte. Als eine Sklavin war die szenische Muse bei den Römern eingeführt, und sie ist bei ihnen immer auch eine Sklavin geblieben, wobei ich indes den Verlust der hundertunddreißig Stücke des Plautus und die untergegangene Schiffsladung von hundertundacht Lustspielen des Terenz sowie die Gedichte Ennius', eines Mannes von starker Seele, insonderheit seinen Scipio und seine Lehrgedichte, sehr bedaure; denn im einzigen Terenz hätten wir, nach Cäsars Ausdruck, wenigstens den halben Menander wieder. Dank also dem Cicero auch dafür, daß er uns den Lukrez, einen Dichter von römischer Seele, und dem Augustus, daß er uns den halben Homer in der Äneis seines Maro erhalten. Dank dem Cornutus, daß er von seinem edlen Schüler Persius auch einige seiner Lehrlingsstücke uns nicht mißgönnte, und auch euch ihr Mönche, sei Dank, daß ihr, um Latein zu lernen, uns den Terenz, Horaz, Boethius, vor allen andern aber euren Virgil als einen rechtgläubigen Dichter aufbewahrtet. Der einzig unbefleckte Lorbeer in Augusts Krone ist's, daß er den Wissenschaften Raum gab und die Musen liebte.

Freudiger wende ich mich von den römischen Dichtern zu den Philosophen; manche waren oft beides, und zwar Philosophen von Herz und Seele. In Rom erfand man keine Systeme, aber man übte sie aus und führte sie in das Recht, in die Staatsverfassung, ins tätige Leben. Nie wird ein Lehrdichter feuriger und stärker schreiben, als Lukrez schrieb, denn er glaubte seine Lehre; nie ist seit Plato die Akademie desselben reizender verjüngt worden als in Ciceros schönen Gesprächen. So hat die stoische Philosophie nicht nur in der römischen Rechtsgelehrsamkeit ein großes Gebiet eingenommen und die Handlungen der Menschen daselbst strenge geregelt, sondern auch in den Schriften Seneka, in den vortrefflichen Betrachtungen Mark-Aurels, in den Regeln Epiktets u. f. eine praktische Festigkeit und Schönheit erhalten, zu der die Lehrsätze mehrerer Schulen offenbar beigetragen haben. Übung und Not in mancherlei harten Zeitumständen des römischen Staats stärkten die Gemüter der Menschen und stählten sie; man suchte, woran man sich halten könnte, und brauchte das, was der Grieche ausgedacht hatte, nicht als einen müßigen Schmuck, sondern als Waffe, als Rüstung. Große Dinge hat die stoische Philosophie im Geist und Herzen der Römer bewirkt, und zwar nicht zur Welteroberung, sondern zu Beförderung der Gerechtigkeit, der Billigkeit und zum innern Trost unschuldig gedrückter Menschen. Denn auch die Römer waren Menschen, und als eine schuldlose Nachkommenschaft durch das Laster ihrer Vorfahren litt, suchten sie Stärkung, woher sie konnten; was sie selbst nicht erfunden hatten, eigneten sie sich desto fester zu.

Die Geschichte der römischen Gelehrsamkeit endlich ist für uns eine Trümmer von Trümmern, da uns größtenteils die Sammlungen ihrer Literatur sowohl als die Quellen fehlen, aus welchen jene Sammlungen geschöpft waren. Welche Mühe wäre uns erspart, welch Licht über das Altertum angezündet, wenn die Schriften Varros oder die zweitausend Bücher, aus denen Plinius zusammenschrieb, zu uns gekommen wären! Freilich würde ein Aristoteles aus der den Römern bekannten Welt anders als Plinius gesammelt haben; aber noch ist sein Buch ein Schatz, der, bei aller Unkunde in einzelnen Fächern, sowohl den Fleiß als die römische Seele seines Sammlers zeigt. So auch die Geschichte der Rechtsgelehrsamkeit dieses Volkes: sie ist die Geschichte eines großen Scharfsinnes und Fleißes, der nirgend als im römischen Staat also geübt und so lange fortgesetzt werden konnte; an dem, was die Zeitfolge daraus gemacht und darangereiht hat, sind die Rechtslehrer des alten Roms unschuldig. Kurz, so mangelhaft die römische Literatur gegen die griechische beinah in jeder Gattung erscheint, so lag es doch nicht in den Zeitumständen allein, sondern in ihrer römischen Natur selbst, daß sie Jahrtausende hin die stolze Gesetzgeberin aller Nationen werden konnte. Die Folge dieses Werks wird solches zeigen, wenn wir aus der Asche Roms ein neues Rom in sehr veränderter Gestalt, aber dennoch voll Eroberungsgeist, werden aufleben sehen.

Zuletzt habe ich noch von der Kunst der Römer zu reden, in welcher sie sich für Welt und Nachwelt als jene Herren der Erde erwiesen, denen die Materialien und Hände aller überwundenen Völker zu Gebot standen. Von Anfang an war ein Geist in ihnen, die Herrlichkeit ihrer Siege durch Ruhmeszeichen, die Herrlichkeit ihrer Stadt durch Denkmale einer prächtigen Dauer zu bezeichnen, so daß sie schon sehr frühe an nichts Geringeres als an eine Ewigkeit ihres stolzen Daseins dachten. Die Tempel, die Romulus und Numa bauten, die Plätze, die sie ihren öffentlichen Versammlungen anwiesen, gingen alle schon, auf Siege und eine mächtige Volksregierung hinaus, bis bald darauf Ankus und Tarquinius die Grundfesten jener Bauart legten, die zuletzt beinah zum Unermeßlichen emporstieg. Der etruskische König baute die Mauer Roms von gehauenen Steinen; er führte, sein Volk zu tränken und die Stadt zu reinigen, jene ungeheure Wasserleitung, die noch jetzt in ihren Ruinen ein Wunder der Welt ist; denn dem neueren Rom fehlte es, sie nur aufzuräumen oder in Dauer zu erhalten, an Kräften. Ebendesselben Geistes waren seine Galerien, seine Tempel, seine Gerichtssäle und jener ungeheure Zirkus, der, bloß für Ergötzungen des Volks errichtet, noch jetzt in seinen Trümmern Ehrfurcht fodert. Auf diesem Wege gingen die Könige, insonderheit der stolze Tarquin, nachher die Konsuls und Ädilen, späterhin die Welteroberer und Diktators, am meisten Julius Cäsar fort, und die Kaiser folgten. So kamen nach und nach jene Tore und Türme, jene Theater und Amphitheater, Zirken und Stadien, Triumphbogen und Ehrensäulen, jene prächtigen Grabmale und Grabgewölbe, Landstraßen und Wasserleitungen, Paläste und Bäder zustande, die nicht nur in Rom und Italien, sondern häufig auch in andern Provinzen ewige Fußtapfen dieser Herren der Welt sind. Fast erliegt das Auge, manche dieser Denkmale nur noch in ihren Trümmern zu sehen, und die Seele ermattet, das ungeheure Bild zu fassen, das in großen Formen der Festigkeit und Pracht sich der anordnende Künstler dachte. Noch kleiner aber werden wir, wenn wir uns die Zwecke dieser Gebäude, das Leben und Weben in und zwischen denselben, endlich das Volk gedenken, denen sie geweiht waren, und die oft einzelnen Privatpersonen, die sie ihm weihten. Da fühlt die Seele, nur ein Rom sei je in der Welt gewesen, und vom hölzernen Amphitheater des Curio an bis zum Coliseum des Vespasians, vom Tempel des Jupiter Stators bis zum Pantheon des Agrippa oder dem Friedenstempel, vom ersten Triumphtor eines einziehenden Siegers bis zu den Siegesbogen und Ehrensäulen Augustus', Titus', Trajans, Severus' u. f. samt jeder Trümmer von Denkmalen ihres öffentlichen und häuslichen Lebens habe ein Genius gewaltet. Der Geist der Völkerfreiheit und Menschenfreundschaft war dieser Genius nicht; denn wenn man die ungeheure Mühe jener arbeitenden Menschen bedenkt, die diese Marmor- und Steinfelsen oft aus fernen Landen herbeischaffen und als überwundene Sklaven errichten mußten; wenn man die Kosten überschlägt, die solche Ungeheuer der Kunst vom Schweiß und Blut geplünderter, ausgesogner Provinzen erforderten, ja endlich, wenn wir den grausamen, stolzen und wilden Geschmack überlegen, den durch jene blutigen Fechterspiele, durch jene unmenschlichen Tierkämpfe, jene barbarischen Triumphaufzüge u. f. die meisten dieser Denkmale nährten, die Wohllüste der Bäder und Paläste noch ungerechnet: so wird man glauben müssen, ein gegen das Menschengeschlecht feindseliger Dämon habe Rom gegründet, um allen Irdischen die Spuren seiner dämonischen übermenschlichen Herrlichkeit zu zeigen. Man lese über diesen Gegenstand des ältern Plinius und jedes edlen Römers eigene Klagen; man folge den Erpressungen und Kriegen nach, durch welche die Künste Etruriens, Griechenlandes und Ägyptens nach Rom kamen, so wird man den Steinhaufen der römischen Pracht vielleicht als die höchste Summe menschlicher Gewalt und Größe anstaunen, aber auch als eine Tyrannen- und Mördergrube des Menschengeschlechts verabscheuen lernen. Die Regeln der Kunst indessen bleiben, was sie sind, und obgleich die Römer selbst in ihr eigentlich nichts erfanden, ja zuletzt das anderswo Erfundene barbarisch gnug zusammensetzten, so bezeichnen sie sich dennoch auch in diesem zusammenraffenden, auftürmenden Geschmack als die großen Herren der Erde. Excudent alii spirantia mollius aera; Credo equidem; vivos ducent de marmore vultus; Orabunt causas melius, coelique meatus Describent radio et surgentia sidera dicent: Tu regere imperio populos, Romane, memento; Hae tibi erunt artes, pacisque imponere morem, Parcere subiectis et debellare superbos.

Gern wollten wir den Römern alle von ihnen verachtete Griechenkünste, die doch selbst von ihnen zur Pracht oder zum Nutzen gebraucht wurden, ja sogar die Erweiterung der edelsten Wissenschaften, der Astronomie, Zeitenkunde u. f. erlassen und lieber zu den Örtern wallfahrten, wo diese Blüten des menschlichen Verstandes auf ihrem eignen Boden blühten, wenn sie dieselbe nur an Ort und Stelle gelassen und jene Regierungskunst der Völker, die sie sich als ihren Vorzug zuschrieben, menschenfreundlicher geübt hätten. Dies aber konnten sie nicht, da ihre Weisheit nur der Übermacht diente und den vermeinten Stolz der Völker nichts als ein größerer Stolz beugte.

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