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Johann Gottfried Herderaus Ideen zur Philosophie der Geschichte der MenschheitFünfzehntes Buch |
IIAlle zerstörenden Kräfte in der Natur müssen den erhaltenden Kräften mit der Zeitenfolge nicht nur unterliegen, sondern auch selbst zuletzt zur Ausbildung des Ganzen dienenErstes Beispiel. Als einst im Unermeßlichen der Werkstoff künftiger Welten ausgebreitet schwamm, gefiel es dem Schöpfer dieser Welten, die Materie sich bilden zu lassen nach den ihnen anerschaffenen inneren Kräften. Zum Mittelpunkt des Ganzen, der Sonne, floß nieder, was nirgend eigne Bahn finden konnte oder was sie auf ihrem mächtigen Thron mit überwiegenden Kräften an sich zog. Was einen andern Mittelpunkt der Anziehung fand, ballte sich gleichartig zu ihm und ging entweder in Ellipsen um seinen großen Brennpunkt oder flog in Parabeln und Hyperbeln hinweg und kam nie wieder. So reinigte sich der Äther, so ward aus einem schwimmenden, zusammenfließenden Chaos ein harmonisches Welt system, nach welchem Erden und Kometen in regel mäßigen Bahnen Äonen durch um ihre Sonne umhergehn: ewige Beweise des Naturgesetzes, daß vermittelst eingepflanzter göttlicher Kräfte aus dem Zustande der Verwirrung Ordnung werde. Solange dies einfache große Gesetz aller gegeneinander gewogenen und abgezählten Kräfte dauert, stehet der Weltbau fest; denn er ist auf eine Eigenschaft und Regel der Gottheit gegründet. Zweites Beispiel. Gleichergestalt als unsre Erde aus einer unförmlichen Masse sich zum Planeten formte, stritten und kämpften auf ihr ihre Elemente, bis jedes seine Stelle fand, so daß, nach mancher wilden Verwirrung, der harmonisch geordneten Kugel jetzt alles dienet. Land und Wasser, Feuer und Luft, Jahreszeiten und Klimate, Winde und Ströme, die Witterung und was zu ihr gehöret: alles ist einem großen Gesetz ihrer Gestalt und Masse, ihres Schwunges und ihrer Sonnenentfernung unterworfen und wird nach solchem harmonisch geregelt. Jene unzählige Vulkane auf der Oberfläche unsrer Erde flammen nicht mehr, die einst flammten; der Ozean siedet nicht mehr von jenen Vitriolgüssen und andern Materien, die einst den Boden unsres festen Landes bedeckten. Millionen Geschöpfe gingen unter, die untergehen mußten; was sich erhalten konnte, blieb und steht jetzt Jahrtausende her in großer harmonischer Ordnung. Wilde und zahme, fleisch- und grasfressende Tiere, Insekten, Vögel, Fische, Menschen sind gegeneinander geordnet, und unter diesen allen Mann und Weib, Geburt und Tod, Dauer und Lebensalter, Not und Freude, Bedürfnisse und Vergnügen. Und alle dies nicht etwa nach der Willkür einer täglich geänderten, unerklärlichen Fügung, sondern nach offenbaren Naturgesetzen, die im Bau der Geschöpfe, d. i. im Verhältnis aller der organischen Kräfte lagen, die sich auf unserm Planeten beseelten und erhielten. Solange das Naturgesetz dieses Baues und Verhältnisses dauert, wird auch seine Folge dauern: harmonische Ordnung nämlich zwischen dem belebten und unbelebten Teil unsrer Schöpfung, die, wie das Innere der Erde zeigt, nur durch den Untergang von Millionen bewirkt werden konnte. Wie? und im menschlichen Leben sollte nicht eben dies Gesetz walten, das, innern Naturkräften gemäß, aus dem Chaos Ordnung schafft und Regelmäßigkeit bringt in die Verwirrung der Menschen? Kein Zweifel! wir tragen dies Principium in uns, und es muß und wird seiner Art gemäß wirken. Alle Irrtümer des Menschen sind ein Nebel der Wahrheit; alle Leidenschaften seiner Brust sind wildere Triebe einer Kraft, die sich selbst noch nicht kennet, die ihrer Natur nach aber nicht anders als aufs Bessere wirket. Auch die Stürme des Meers, oft zertrümmernd und verwüstend, sind Kinder einer harmonischen Weltordnung und müssen derselben wie die säuselnden Zephyrs dienen. Gelänge es mir, einige Bemerkungen ins Licht zu setzen, die diese erfreuliche Wahrheit uns vergewissern. 1. Wie die Stürme des Meers seltner sind als seine regelmäßigen Winde, so ist's auch im Menschengeschlecht eine gütige Naturordnung, daß weit weniger Zerstörer als Erhalter in ihm geboren werden. Im Reich der Tiere ist es ein göttliches Gesetz, daß weniger Löwen und Tiger als Schafe und Tauben möglich und wirklich sind; in der Geschichte ist's eine ebenso gütige Ordnung, daß der Nebukadnezars und Cambyses', der Alexander und Sulla, der Attila und Dschengis-Khane eine weit geringere Anzahl ist als der sanftem Feldherren oder der stillen friedlichen Monarchen. Zu jenen gehören entweder sehr unregelmäßige Leidenschaften und Mißanlagen der Natur, durch welche sie der Erde statt freundlicher Sterne wie flammende Meteore erscheinen, oder es treten meistens sonderbare Umstände der Erziehung, seltne Gelegenheiten einer frühen Gewohnheit, endlich gar harte Bedürfnisse der feindseligen, politischen Not hinzu, um die sogenannten Geißeln Gottes gegen das Menschengeschlecht in Schwung zu bringen und darin zu erhalten. Wenn also zwar die Natur unsertwegen freilich nicht von ihrem Gange ablassen wird, unter den zahllosen Formen und Komplexionen, die sie hervorbringt, auch dann und wann Menschen von wilden Leidenschaften, Geister zum Zerstören und nicht zum Erhalten ans Licht der Welt zu senden, so steht es eben ja auch in der Gewalt der Menschen, diesen Wölfen und Tigern ihre Herde nicht anzuvertraun, sondern sie vielmehr durch Gesetze der Humanität selbst zu zähmen. Es gibt keine Auerochsen mehr in Europa, die sonst allenthalben ihr waldichtes Gebiet hatten; auch die Menge der afrikanischen Ungeheuer, die Rom zu seinen Kampfspielen brauchte, ward ihm zuletzt schwer zu erjagen. Je mehr die Kultur der Länder zunimmt, desto enger wird die Wüste, desto seltner ihre wilden Bewohner. Gleichergestalt hat auch in unserm Geschlecht die zunehmende Kultur der Menschen schon diese natürliche Wirkung, daß sie mit der tierischen Stärke des Körpers auch die Anlage zu wilden Leidenschaften schwächt und ein zarteres menschliches Gewächs bildet. Nun sind bei diesem allerdings auch Unregelmäßigkeiten möglich, die oft um so verderblicher wüten, weil sie sich auf eine kindische Schwäche gründen, wie die Beispiele so vieler morgenländischen und römischen Despoten zeigen; allein da ein verwöhntes Kind immer doch eher zu bändigen ist als ein blutdürstiger Tiger, so hat uns die Natur mit ihrer mildernden Ordnung zugleich den Weg gezeigt, wie auch wir durch wachsenden Fleiß das Regellose regeln, das Unersättlich-Wilde zähmen sollen und zähmen dürfen. Gibt es keine Gegenden voll Drachen mehr, gegen welche jene Riesen der Vorzeit ausziehen müßten, gegen Menschen selbst haben wir keine zerstörenden Herkuleskräfte nötig. Helden von dieser Sinnesart mögen auf dem Kaukasus oder in Afrika ihr blutiges Spiel treiben und den Minotaurus suchen, den sie erlegen; die Gesellschaft, in welcher sie leben, hat das ungezweifelte Recht, alle flammenspeiende Stiere Geryons selbst zu bekämpfen. Sie leidet, wenn sie sich ihnen gutwillig zum Raube hingibt, durch ihre eigne Schuld, wie es die eigne Schuld der Völker war, daß sie sich gegen das verwüstende Rom nicht mit aller Macht einer gemeinschaftlichen Verbindung zur Freiheit der Welt verknüpften. 2. Der Verfolg der Geschichte zeigt, daß mit dem Wachstum wahrer Humanität auch der zerstörenden Dämonen des Menschengeschlechts wirklich weniger geworden sei, und zwar nach innern Naturgesetzen einer sich aufklärenden Vernunft und Staatskunst. Je mehr die Vernunft unter den Menschen zunimmt, desto mehr muß man's von Jugend auf einsehen lernen, daß es eine schönere Größe gibt als die menschenfeindliche Tyrannengröße, daß es besser und selbst schwerer sei, ein Land zu bauen, als es zu verwüsten, Städte einzurichten, als solche zu zerstören. Die fleißigen Ägypter, die sinnreichen Griechen, die handelnden Phönicier haben in der Geschichte nicht nur eine schönere Gestalt, sondern sie genossen auch während ihres Daseins ein viel angenehmeres und nützlicheres Leben als die zerstörenden Perser, die erobernden Römer, die geizigen Karthaginenser. Das Andenken jener blühet noch in Ruhm, und ihre Wirkung auf Erden ist mit wachsender Kraft unsterblich; dagegen die Verwüster mit ihrer dämonischen Übermacht nichts anders erreichten, als daß sie auf dem Schutthaufen ihrer Beute ein üppiges, elendes Volk wurden und zuletzt selbst den Giftbecher einer ärgern. Vergeltung tranken. Dies war der Fall der Assyrer, Babylonier, Perser, Römer; selbst den Griechen hat ihre innere Uneinigkeit sowie in manchen Provinzen und Städten ihre Üppigkeit mehr als das Schwert der Feinde geschadet. Da nun diese Grundsätze eine Naturordnung sind, die sich nicht etwa nur durch einige Fälle der Geschichte als durch zufällige Exempel beweiset, sondern die auf sich selbst, d. i. auf der Natur der Unterdrückung und einer überstrengten Macht oder auf den Folgen des Sieges, der Üppigkeit und dem Hochmut wie auf Gesetzen eines gestörten Gleichgewichts ruhet und mit dem Lauf der Dinge ihren gleichewigen Gang hält: warum sollte man zweifeln müssen, daß diese Naturgesetze nicht auch wie jede andre erkannt und, je kräftiger sie eingesehen werden, mit der unfehlbaren Gewalt einer Naturwahrheit wirken sollten? Was sich zur mathematischen Gewißheit und auf einen politischen Kalkül bringen läßt, muß später oder früher als Wahrheit erkannt werden; denn an Euklides Sätzen oder am Einmaleins hat noch niemand gezweifelt. Selbst unsre kurze Geschichte beweiset es daher schon klar, daß mit der wachsenden wahren Aufklärung der Völker die menschenfeindlichen, sinnlosen Zerstörungen derselben sich glücklich vermindert haben. Seit Roms Untergange ist in Europa kein kultiviertes Reich mehr entstanden, das seine ganze Einrichtung auf Kriege und Eroberungen gebauet hätte; denn die verheerenden Nationen der mittleren Zeiten waren rohe, wilde Völker. Je mehr aber auch sie Kultur empfingen und ihr Eigentum liebgewinnen lernten, desto mehr drang sich ihnen unvermerkt, ja oft wider ihren Willen, der schönere, ruhige Geist des Kunstfleißes, des Ackerbaues, des Handels und der Wissenschaft auf. Man lernte nutzen, ohne zu vernichten, weil das Vernichtete sich nicht mehr nutzen läßt, und so ward mit der Zeit, gleichsam durch die Natur der Sache selbst, ein friedliches Gleichgewicht zwischen den Völkern, weil nach Jahrhunderten wilder Befehdung es endlich alle einsehen lernten, daß der Zweck, den jeder wünschte, sich nicht anders erreichen ließe, als daß sie gemeinschaftlich dazu beitrügen. Selbst der Gegenstand des scheinbar größesten Eigennutzes, der Handel, hat keinen andern als diesen Weg nehmen mögen, weil er Ordnung der Natur ist, gegen welche alle Leidenschaften und Vorurteile am Ende nichts vermögen. Jede handelnde Nation Europas beklaget es jetzt und wird es künftig noch mehr beklagen, was sie einst des Aberglaubens oder des Neides wegen sinnlos zerstörte. Je mehr die Vernunft zunimmt, desto mehr muß die erobernde eine handelnde Schiffahrt werden, die auf gegenseitiger Gerechtigkeit und Schonung, auf einen fortgehenden Wetteifer in über treffendem Kunstfleiße, kurz, auf Humanität und ihren ewigen Gesetzen ruhet. Inniges Vergnügen fühlt unsre Seele, wenn sie den Balsam, der in den Naturgesetzen der Menschheit liegt, nicht nur empfindet, sondern ihn auch kraft seiner Natur sich unter den Menschen wider ihren Willen ausbreiten und Raum schaffen siehet. Das Vermögen zu fehlen konnte ihnen die Gottheit selbst nicht nehmen; sie legte es aber in die Natur des menschlichen Fehlers, daß er früher oder später sich als solchen zeigen und dem rechnenden Geschöpf offenbar werden mußte. Kein kluger Regent Europas verwaltet seine Provinzen mehr, wie der Perserkönig, ja wie selbst die Römer solche verwalteten; wenn nicht aus Menschenliebe, so aus besserer Einsicht der Sache, da mit den Jahrhunderten sich der politische Kalkül gewisser, leichter, klarer gemacht hat. Nur ein Unsinniger würde zu unserer Zeit ägyptische Pyramiden bauen, und jeder, der ähnliche Nutzlosigkeiten auf führt, wird von aller vernünftigen Welt für sinnlos gehalten, wenn nicht aus Völkerliebe, so aus sparender Berechnung. Blutige Fechterspiele, grausame Tier kämpfe dulden wir nicht mehr; alle diese wilden Jugendübungen ist das Menschengeschlecht durchgangen und hat endlich einsehen gelernt, daß ihre tolle Lust der Mühe nicht wert sei. Gleichergestalt bedürfen wir des Drucks armer Römersklaven oder spartanischer Heloten nicht mehr, da unsre Verfassung durch freie Geschöpfe das leichter zu erreichen weiß, was jene alten Verfassungen durch menschliche Tiere gefährlicher und selbst kostbarer erreichten; ja es muß eine Zeit kommen, da wir auf unsern unmenschlichen Negerhandel ebenso bedaurend zurücksehen werden als auf die alten Römersklaven oder auf die spartanischen Heloten, wenn nicht aus Menschenliebe, so aus Berechnung. Kurz, wir haben die Gottheit zu preisen, daß sie uns bei unsrer fehlbaren schwachen Natur Vernunft gab, einen ewigen Lichtstrahl aus ihrer Sonne, dessen Wesen es ist, die Nacht zu vertreiben und die Gestalten der Dinge, wie sie sind, zu zeigen. 3. Der Fortgang der Künste und Erfindungen selbst gibt dem Menschengeschlecht wachsende Mittel in die Hand, das einzuschränken oder unschädlich zu machen, was die Natur selbst nicht auszutilgen vermochte. Es müssen Stürme auf dem Meer sein, und die Mutter der Dinge selbst konnte sie dem Menschenge schlecht zugut nicht wegräumen; was gab sie aber ihrem Menschengeschlecht dagegen? Die Schiffskunst. Eben dieser Stürme wegen erfand der Mensch die tausendfach künstliche Gestalt seines Schiffes, und so entkommt er nicht nur dem Sturme, sondern weiß ihm auch Vorteile abzugewinnen und segelt auf seinen Flügeln. Verschlagen auf dem Meer, konnte der Irrende keine Tyndariden anrufen, die ihm erschienen und rechten Weges ihn leiteten; er erfand sich also selbst seinen Führer, den Kompaß, und suchte am Himmel seine Tyndariden, die Sonne, den Mond und die Gestirne. Mit dieser Kunst ausgerüstet, wagt er sich auf den uferlosen Ozean, bis zu seiner höchsten Höhe, bis zu seiner tiefsten Tiefe. Das verwüstende Element des Feuers konnte die Natur dem Menschen nicht nehmen, wenn sie ihm nicht zugleich die Menschheit selbst rauben wollte; was gab sie ihm also mittelst des Feuers? Tausendfache Künste; Künste, dies fressende Gift nicht nur unschädlich zu machen und einzuschränken, sondern es selbst zum mannigfaltigsten Vorteil zu gebrauchen. Nicht anders ist's mit den wütenden Leidenschaften der Menschen, diesen Stürmen auf dem Meer, diesem verwüstenden Feuerelemente. Eben durch sie und an ihnen hat unser Geschlecht seine Vernunft geschärft und tausend Mittel, Regeln und Künste erfunden, sie nicht nur einzuschränken, sondern selbst zum Besten zu lenken, wie die ganze Geschichte zeiget. Ein leidenschaftsloses Menschengeschlecht hätte auch seine Vernunft nie ausgebildet; es läge noch irgend in einer Troglodytenhöhle. Der menschenfressende Krieg z.B. war jahrhundertelang ein rohes Räuberhandwerk. Lange übten sich die Menschen darin voll wilder Leidenschaften; denn solange es in ihm auf persönliche Stärke, List und Verschlagenheit ankam, konnten, bei sehr rühmlichen Eigenschaften, nicht anders als zugleich sehr gefährliche Mord- und Raubtugenden genährt werden, wie es die Kriege der alten, mittleren und selbst einiger neuen Zeiten reichlich erweisen. An diesem verderblichen Handwerk aber ward, gleichsam wider Willen der Menschen, die Kriegskunst erfunden, denn die Erfinder sahen nicht ein, daß damit der Grund des Krieges selbst untergraben würde. Je mehr der Streit eine durchdachte Kunst ward, je mehr insonderheit mancherlei mechanische Erfindungen zu ihm traten, desto mehr ward die Leidenschaft einzelner Personen und ihre wilde Stärke unnütz. Als ein totes Geschütz wurden sie jetzt alle dem Gedanken eines Feldherrn, der Anordnung welliger Befehlshaber unterworfen, und zuletzt blieb es nur den Landesherren erlaubt, dies gefährliche, kostbare Spiel zu spielen, da in alten Zeiten alle kriegerische Völker beinahe stets in den Waffen waren. Proben davon sahen wir nicht nur bei mehreren asiatischen Nationen, sondern auch bei den Griechen und Römern. Viele Jahrhunderte durch waren diese fast unverrückt im Schlachtfelde: der volskische Krieg dauerte 106, der samnitische 71 Jahre; zehn Jahre ward die Stadt Veji wie ein zweites Troja belagert, und unter den Griechen ist der 28jähri ge verderbliche Peloponnesische Krieg bekannt genug. Da nun bei allen Kriegen der Tod im Treffen das geringste Übel ist, hingegen die Verheerungen und Krankheiten, die ein ziehendes Heer begleiten oder die eine eingeschlossene Stadt drücken, samt der räuberischen Unordnung, die sodann in allen Gewerben und Ständen herrscht, das größere Übel sind, das ein leidenschaftlicher Krieg in tausend schrecklichen Gestalten mit sich führet, so mögen wir's den Griechen und Römern, vorzüglich aber dem Erfinder des Pulvers und den Künstlern des Geschützes danken, daß sie das wildeste Handwerk zu einer Kunst und neuerlich gar zur höchsten Ehrenkunst gekrönter Häupter gemacht haben. Seitdem Könige in eigner Person mit ebenso leidenschafts- als zahllosen Heeren dies Ehrenspiel treiben, so sind wir, bloß der Ehre des Feldherrn wegen, vor Belagerungen, die 10, oder vor Kriegen, die 71 Jahre dauern, sicher; zumal die letzten auch, der großen Heere wegen, sich selbst aufheben. Also hat nach einem unabänderlichen Gesetz der Natur das Übel selbst etwas Gutes erzeuget, indem die Kriegskunst den Krieg einem Teile nach vertilgt hat. Auch die Räubereien und Verwüstungen haben sich durch sie, nicht eben aus Menschenfreundschaft, sondern der Ehre des Feldherrn wegen, vermindert. Das Recht des Krieges und das Betragen gegen die Gefangenen ist ungleich milder worden, als es selbst bei den Griechen war; an die öffentliche Sicherheit nicht zu gedenken, die bloß in kriegerischen Staaten zuerst aufkam. Das ganze römische Reich z.B. war auf seinen Straßen sicher, solang es der gewaffnete Adler mit seinen Flügeln deckte; dagegen in Asien und Afrika, selbst in Griechenland einem Fremdlinge das Reisen gefährlich ward, weil es diesen Ländern an einem sichernden Allgemeingeist fehlte. So verwandelt sich das Gift in Arznei, sobald es Kunst wird; einzelne Geschlechter gingen unter, das unsterbliche Ganze aber überlebt die Schmerzen der verschwindenden Teile und lernt am übel selbst Gutes. Was von der Kriegskunst galt, muß von der Staatskunst noch mehr gelten; nur ist sie eine schwerere Kunst, weil sich in ihr das Wohl des ganzen Volks vereinet. Auch der amerikanische Wilde hat seine Staatskunst; aber wie eingeschränkt ist sie, da sie zwar einzelnen Geschlechtern Vorteil bringt, das ganze Volk aber vor dem Untergange nicht sichert. Mehrere kleine Nationen haben sich untereinander aufgerieben; andere sind so dünne geworden, daß im bösen Konflikt mit den Blattern, dem Branntwein und der Habsucht der Europäer manche derselben wahr scheinlich noch ein gleiches Schicksal erwartet. Je mehr in Asien und in Europa die Verfassung eines Staats Kunst ward, desto fester stehet er in sich, desto genauer ward er mit andern zusammengegründet, so daß einer ohne den andern selbst nicht zu fallen vermag. So steht Sina, so stehet Japan, alte Gebäude, tief unter sich selbst gegründet. Künstlicher schon waren die Verfassungen Griechenlandes, dessen vornehmste Republiken jahrhundertelang um ein politisches Gleichgewicht kämpften. Gemeinschaftliche Gefahren vereinigten sie; und wäre die Vereinigung vollkommen gewesen, so hätte das rüstige Volk dem Philippus und den Römern so glorreich widerstehen mögen, wie es einst dem Darius und Xerxes obgesiegt hatte. Nur die schlechte Staatskunst aller benachbarten Völker war Roms Vorteil; geteilt wurden sie angegriffen, geteilt überwunden. Ein gleiches Schicksal hatte Rom, da seine Staats- und Kriegskunst verfiel; ein gleiches Schicksal Judäa und Ägypten. Kein Volk kann untergehen, dessen Staat wohlbestellt ist; gesetzt, daß es auch überwunden wird, wie mit allen seinen Fehlern selbst Sina bezeuget. Noch augenscheinlicher wird der Nutze einer durchdachten Kunst, wenn von der innern Haushaltung eines Landes, von seinem Handel, seiner Rechtspflege, seinen Wissenschaften und Gewerben die Rede ist; in allen diesen Stücken ist offenbar, daß die höhere Kunst zugleich der höhere Vorteil sei. Ein wahrer Kaufmann betrügt nicht, weil Betrug nie bereichert, sowenig als ein wahrer Gelehrter mit falscher Wissenschaft großtut oder ein Rechtsgelehrter, der den Namen verdient, wissentlich je ungerecht sein wird, weil alle diese sich damit nicht zu Meistern, sondern zu Lehrlingen ihrer Kunst bekennten. Ebenso gewiß muß eine Zeit kommen, da auch der Staatsunvernünftige sich seiner Unvernunft schämet und es nicht minder lächerlich und ungereimt wird, ein tyrannischer Despot zu sein, als es in allen Zeiten für ab scheulich gehalten worden; sobald man nämlich klar wie der Tag einsieht, daß jede Staatsunvernunft mit einem falschen Einmaleins rechne und daß, wenn sie sich damit auch die größesten Summen errechnete, sie hiemit durchaus keinen Vorteil gewinne. Dazu ist nun die Geschichte geschrieben, und es werden sich im Verfolg derselben die Beweise dieses Satzes klar zeigen. Alle Fehler der Regierungen haben vorausgehen und sich gleichsam erschöpfen, müssen, damit nach allen Unordnungen der Mensch endlich lerne, daß die Wohlfahrt seines Geschlechts nicht auf Willkür, sondern auf einem ihm wesentlichen Naturgesetz, der Vernunft und Billigkeit, ruhe. Wir gehen jetzt der Entwicklung desselben entgegen, und die innere Kraft der Wahrheit möge ihrem Vortrage selbst Licht und Überzeugung geben.
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Wolfgang
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