Einleitung
Alles hat seine Zeit! - Ein Spruch, dessen Bedeu-
tung man bei längerem Leben immer mehr anerken-
nen lernt; diesem nach gibt es eine Zeit zu schweigen,
eine andere zu sprechen, und zum letzten entschließt
sich diesmal der Dichter. Denn wenn dem früheren
Alter Tun und Wirken gebührt, so ziemt dem späteren
Betrachtung und Mitteilung.
Ich habe die Schriften meiner ersten Jahre ohne
Vorwort in die Welt gesandt, ohne auch nur im min-
desten anzudeuten, wie es damit gemeint sei; dies ge-
schah im Glauben an die Nation, daß sie früher oder
später das Vorgelegte benutzen werde. Und so gelang
mehreren meiner Arbeiten augenblickliche Wirkung,
andere, nicht ebenso faßlich und eindringend, bedurf-
ten, um anerkannt zu werden, mehrerer Jahre. Indes-
sen gingen auch diese vorüber, und ein zweites, drit-
tes nachwachsendes Geschlecht entschädigt mich dop-
pelt und dreifach für die Unbilden, die ich von meinen
früheren Zeitgenossen zu erdulden hatte.
Nun wünscht ich aber, daß nichts den ersten guten
Eindruck des gegenwärtigen Büchleins hindern möge.
Ich entschließe mich daher, zu erläutern, zu erklären,
nachzuweisen, und zwar bloß in der Absicht, daß ein
unmittelbares Verständnis Lesern daraus erwachse,
die mit dem Osten wenig oder nicht bekannt sind. Da-
gegen bedarf derjenige dieses Nachtrags nicht, der
sich um Geschichte und Literatur einer so höchst
merkwürdigen Weltregion näher umgetan hat. Er wird
vielmehr die Quellen und Bäche leicht bezeichnen,
deren erquickliches Naß ich auf meine Blumenbeete
geleitet.
Am liebsten aber wünschte der Verfasser vorste-
hender Gedichte als ein Reisender angesehen zu wer-
den, dem es zum Lobe gereicht, wenn er sich der
fremden Landesart mit Neigung bequemt, deren
Sprachgebrauch sich anzueignen trachtet, Gesinnun-
gen zu teilen, Sitten aufzunehmen versteht. Man ent-
schuldigt ihn, wenn es ihm auch nur bis auf einen ge-
wissen Grad gelingt, wenn er immer noch an einem
eignen Akzent, an einer unbezwinglichen Unbiegsam-
keit seiner Landsmannschaft als Fremdling kenntlich
bleibt. In diesem Sinne möge nun Verzeihung dem
Büchlein gewährt sein! Kenner vergeben mit Einsicht,
Liebhaber, weniger gestört durch solche Mängel, neh-
men das Dargebotne unbefangen auf.
Damit aber alles, was der Reisende zurückbringt,
den Seinigen schneller behage, übernimmt er die
Rolle eines Handelsmanns, der seine Waren gefällig
auslegt und sie auf mancherlei Weise angenehm zu
machen sucht; ankündigende, beschreibende, ja lob-
preisende Redensarten wird man ihm nicht verargen.
Zuvörderst also darf unser Dichter wohl ausspre-
chen, daß er sich, im Sittlichen und Ästhetischen,
Verständlichkeit zur ersten Pflicht gemacht, daher er
sich denn auch der schlichtesten Sprache, in dem
leichtesten, faßlichsten Silbenmaße seiner Mundart
befleißigt und nur von weitem auf dasjenige hindeu-
tet, wo der Orientale durch Künstlichkeit und Künste-
lei zu gefallen strebt.
Das Verständnis jedoch wird durch manche nicht
zu vermeidende fremde Worte gehindert, die deshalb
dunkel sind, weil sie sich auf bestimmte Gegenstände
beziehen, auf Glauben, Meinungen, Herkommen, Fa-
beln und Sitten. Diese zu erklären, hielt man für die
nächste Pflicht und hat dabei das Bedürfnis berück-
sichtigt, das aus Fragen und Einwendungen deutscher
Hörender und Lesender hervorging. Ein angefügtes
Register bezeichnet die Seite, wo dunkle Stellen vor-
kommen und auch, wo sie erklärt werden. Dieses Er-
klären aber geschieht in einem gewissen Zusammen-
hange, damit nicht abgerissene Noten, sondern ein
selbständiger Text erscheine, der, obgleich nur flüch-
tig behandelt und lose verknüpft, dem Lesenden je-
doch Übersicht und Erläuterung gewähre.
Möge das Bestreben unseres diesmaligen Berufes
angenehm sein! Wir dürfen es hoffen: denn in einer
Zeit, wo so vieles aus dem Orient unserer Sprache
treulich angeeignet wird, mag es verdienstlich
erscheinen, wenn auch wir von unserer Seite die Auf-
merksamkeit dorthin zu lenken suchen, woher so
manches Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden
zu uns gelangte, woher täglich mehr zu hoffen ist.
Hebräer
Naive Dichtkunst ist bei jeder Nation die erste, sie
liegt allen folgenden zum Grunde; je frischer, je natur-
gemäßer sie hervortritt, desto glücklicher entwickeln
sich die nachherigen Epochen.
Da wir von orientalischer Poesie sprechen, so wird
notwendig, der Bibel, als der ältesten Sammlung, zu
gedenken. Ein großer Teil des Alten Testaments ist
mit erhöhter Gesinnung, ist enthusiastisch geschrie-
ben und gehört dem Felde der Dichtkunst an.
Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit, wo Herder
und Eichhorn uns hierüber persönlich aufklärten, so
gedenken wir eines hohen Genusses, dem reinen ori-
entalischen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was sol-
che Männer uns verliehen und hinterlassen, darf nur
angedeutet werden, und man verzeiht uns die Eilfer-
tigkeit, mit welcher wir an diesen Schätzen vorüber-
gehen.
Beispielswillen jedoch gedenken wir des Buches
Ruth, welches bei seinem hohen Zweck, einem
Könige von Israel anständige, interessante Voreltern
zu verschaffen, zugleich als das lieblichste kleine
Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und
idyllisch überliefert worden ist.
Wir verweilen sodann einen Augenblick bei dem
Hohenlied, als dem Zartesten und Unnachahmlich-
sten, was uns von Ausdruck leidenschaftlicher, anmu-
tiger Liebe zugekommen. Wir beklagen freilich, daß
uns die fragmentarisch durcheinandergeworfenen,
übereinandergeschobenen Gedichte keinen vollen, rei-
nen Genuß gewähren, und doch sind wir entzückt, uns
in jene Zustände hineinzuahnen, in welchen die Dich-
tenden gelebt. Durch und durch wehet eine milde Luft
des lieblichsten Bezirks von Kanaan; ländlich trauli-
che Verhältnisse, Wein-, Garten- und Gewürzbau,
etwas von städtischer Beschränkung, sodann aber ein
königlicher Hof mit seinen Herrlichkeiten im Hinter-
grunde. Das Hauptthema jedoch bleibt glühende Nei-
gung jugendlicher Herzen, die sich suchen, finden, ab-
stoßen, anziehen, unter mancherlei höchst einfachen
Zuständen.
Mehrmals gedachten wir aus dieser lieblichen Ver-
wirrung einiges herauszuheben, aneinander zu reihen;
aber gerade das Rätselhaft-Unauflösliche gibt den we-
nigen Blättern Anmut und Eigentümlichkeit. Wie oft
sind nicht wohldenkende, ordnungsliebende Geister
angelockt worden, irgendeinen verständigen
Zusammenhang zu finden oder hineinzulegen, und
einem folgenden bleibt immer dieselbige Arbeit.
Ebenso hat das Buch Ruth seinen unbezwinglichen
Reiz über manchen wackern Mann schon ausgeübt,
daß er dem Wahn sich hingab, das in seinem Lakonis-
mus unschätzbar dargestellte Ereignis könne durch
eine ausführliche, paraphrastische Behandlung noch
einigermaßen gewinnen.
Und so dürfte, Buch für Buch, das Buch aller Bü-
cher dartun, daß es uns deshalb gegeben sei, damit
wir uns daran, wie an einer zweiten Welt, versuchen,
uns daran verirren, aufklären und ausbilden mögen.
Araber
Bei einem östlichern Volke, den Arabern, finden
wir herrliche Schätze an den Moallakat. Es sind
Preisgesänge, die aus dichterischen Kämpfen sieg-
reich hervorgingen; Gedichte, entsprungen vor Maho-
mets Zeiten, mit goldenen Buchstaben geschrieben,
aufgehängt an den Pforten des Gotteshauses zu
Mekka. Sie deuten auf eine wandernde, herdenreiche,
kriegerische Nation, durch den Wechselstreit mehrerer
Stämme innerlich beunruhigt. Dargestellt sind: feste-
ste Anhänglichkeit an Stammgenossen, Ehrbegierde,
Tapferkeit, unversöhnbare Rachelust, gemildert durch
Liebestrauer, Wohltätigkeit, Aufopferung, sämtlich
grenzenlos. Diese Dichtungen geben uns einen hin-
länglichen Begriff von der hohen Bildung des Stam-
mes der Koraischiten, aus welchem Mahomet selbst
entsprang, ihnen aber eine düstre Religionshülle über-
warf und jede Aussicht auf reinere Fortschritte zu ver-
hüllen wußte.
Der Wert dieser trefflichen Gedichte, an Zahl sie-
ben, wird noch dadurch erhöht, daß die größte Man-
nigfaltigkeit in ihnen herrscht. Hiervon können wir
nicht kürzere und würdigere Rechenschaft geben, als
wenn wir einschaltend hinlegen, wie der einsichtige
Jones ihren Charakter ausspricht. »Amralkais Ge-
dicht ist weich, froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig
und anmutig. Tarafas: kühn, aufgeregt, aufspringend
und doch mit einiger Fröhlichkeit durchwebt. Das Ge-
dicht von Zoheir scharf, ernst, keusch, voll morali-
scher Gebote und ernster Sprüche. Lebids Dichtung
ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie erinnert an Vir-
gils zweite Ekloge: denn er beschwert sich über der
Geliebten Stolz und Hochmut und nimmt daher
Anlaß, seine Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines
Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied Anta-
ras zeigt sich stolz, drohend, treffend, prächtig, doch
nicht ohne Schönheit der Beschreibungen und Bilder.
Amru ist heftig, erhaben, ruhmredig; Harez darauf
voll Weisheit, Scharfsinn und Würde. Auch
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