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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte 
(Ausgabe letzter Hand. 1827)

Römische Elegien

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)

Zuerst im Druck veröffentlicht in Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1-4: Gedichte, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1827. 

Römische Elegien

Wie wir einst so glücklich waren!
Müssen's jetzt durch euch erfahren.

 

 


I

Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste!
Straßen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht?
Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern,
Ewige Roma; nur mir schweiget noch alles so still.
O wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick ich
Einst das holde Geschöpf, das mich versengend 
erquickt?
Ahn ich die Wege noch nicht, durch die ich immer 
und immer,
Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit?
Noch betracht ich Kirch und Palast, Ruinen und 
Säulen,
Wie ein bedächtiger Mann schicklich die Reise 
benutzt.
Doch bald ist es vorbei; dann wird ein einziger 
Tempel,
Amors Tempel, nur sein, der den Geweihten 
empfängt.
Eine Welt zwar bist du, o Rom; doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch 
nicht Rom.

II

Ehret, wen ihr auch wollt! Nun bin ich endlich 
geborgen!
Schöne Damen und ihr, Herren der feineren Welt,
Fraget nach Oheim und Vetter und alten Muhmen und
Tanten;
Und dem gebundnen Gespräch folge das traurige 
Spiel.
Auch ihr übrigen fahret mir wohl, in großen und 
kleinen
Zirkeln, die ihr mich oft nah der Verzweiflung 
gebracht.
Wiederholet, politisch und zwecklos, jegliche 
Meinung,
Die den Wandrer mit Wut über Europa verfolgt.
So verfolgte das Liedchen »Malbrough« den 
reisenden Briten
Einst von Paris nach Livorn, dann von Livorno nach 
Rom,
Weiter nach Napel hinunter; und wär er nach Smyrna 
gesegelt,
»Malbrough!« empfing ihn auch dort, »Malbrough!« 
im Hafen das Lied.
Und so mußt ich bis jetzt auf allen Tritten und 
Schritten
Schelten hören das Volk, schelten der Könige Rat.
Nun entdeckt ihr mich nicht so bald in meinem Asyle,
Das mir Amor, der Fürst, königlich schützend, 
verlieh.
Hier bedecket er mich mit seinem Fittich; die Liebste
Fürchtet, römisch gesinnt, wütende Gallier nicht;
Sie erkundigt sich nie nach neuer Märe, sie spähet
Sorglich den Wünschen des Manns, dem sie sich 
eignete, nach.
Sie ergetzt sich an ihm, dem freien, rüstigen Fremden,
Der von Bergen und Schnee, hölzernen Häusern 
erzählt;
Teilt die Flammen, die sie in seinem Busen entzündet,
Freut sich, daß er das Gold nicht wie der Römer 
bedenkt.
Besser ist ihr Tisch nun bestellt; es fehlet an Kleidern,
Fehlet am Wagen ihr nicht, der nach der Oper sie 
bringt.
Mutter und Tochter erfreun sich ihres nordischen 
Gastes,
Und der Barbare beherrscht römischen Busen und 
Leib.

III

Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell 
dich ergeben!
Glaub es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig 
von dir.
Vielfach wirken die Pfeile des Amor: einige ritzen,
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das 
Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener 
Schärfe,
Dringen die andern ins Mark, zünden behende das 
Blut.
In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen 
liebten,
Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.
Glaubst du, es habe sich lange die Göttin der Liebe 
besonnen,
Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?
Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen,
O so hätt ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt.
Hero erblickte Leandern am lauten Fest, und behende
Stürzte der Liebende sich heiß in die nächtliche Flut.
Rhea Silvia wandelt, die fürstliche Jungfrau, der 
Tiber
Wasser zu schöpfen, hinab, und sie ergreifet der Gott.
So erzeugte die Söhne sich Mars! - Die Zwillinge 
tränket
Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der 
Welt.

IV

Fromm sind wir Liebende, still verehren wir alle 
Dämonen,
Wünschen uns jeglichen Gott, jegliche Göttin geneigt.
Und so gleichen wir euch, o römische Sieger! Den 
Göttern
Aller Völker der Welt bietet ihr Wohnungen an,
Habe sie schwarz und streng aus altem Basalt der 
Ägypter
Oder ein Grieche sie weiß, reizend, aus Marmor 
geformt.
Doch verdrießet es nicht die Ewigen, wenn wir 
besonders
Weihrauch köstlicher Art einer der Göttlichen streun.
Ja, wir bekennen euch gern, es bleiben unsre Gebete,
Unser täglicher Dienst einer besonders geweiht.
Schalkhaft munter und ernst begehen wir heimliche 
Feste,
Und das Schweigen geziemt allen Geweihten genau.
Eh' an die Ferse lockten wir selbst, durch gräßliche 
Taten,
Uns die Erinnyen her, wagten es eher, des Zeus
Hartes Gericht am rollenden Rad und am Felsen zu 
dulden,
Als dem reizenden Dienst unser Gemüt zu entziehn.
Diese Göttin, sie heißt Gelegenheit; lernet sie 
kennen!
Sie erscheinet euch oft, immer in andrer Gestalt.
Tochter des Proteus möchte sie sein, mit Thetis 
gezeuget,
Deren verwandelte List manchen Heroen betrog.
So betriegt nun die Tochter den Unerfahrnen, den 
Blöden;
Schlummernde necket sie stets, Wachende fliegt sie 
vorbei;
Gern ergibt sie sich nur dem raschen, tätigen Manne;
Dieser findet sie zahm, spielend und zärtlich und 
hold.
Einst erschien sie auch mir, ein bräunliches Mädchen,
die Haare
Fielen ihr dunkel und reich über die Stirne herab,
Kurze Locken ringelten sich ums zierliche Hälschen,
Ungeflochtenes Haar krauste vom Scheitel sich auf.
Und ich verkannte sie nicht, ergriff die Eilende, 
lieblich
Gab sie Umarmung und Kuß bald mir gelehrig 
zurück.
O wie war ich beglückt! - Doch stille, die Zeit ist 
vorüber,
Und umwunden bin ich, römische Flechten, von euch.

V

Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden 
begeistert;
Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der 
Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders 
beschäftigt;
Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt 
beglückt.
Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen 
Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh ich den Marmor erst recht; ich denk und
vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand.
Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des 
Tages,
Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung 
hin.
Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig 
gesprochen;
Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel.
Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmet in lieblichem 
Schlummer,
Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die 
Brust.
Amor schüret die Lamp indes und denket der Zeiten,
Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan.

VI

»Kannst du, o Grausamer! mich in solchen Worten 
betrüben?
Reden so bitter und hart liebende Männer bei euch?
Wenn das Volk mich verklagt, ich muß es dulden! 
und bin ich
Etwa nicht schuldig? Doch, ach! schuldig nur bin ich 
mit dir!
Diese Kleider, sie sind der neidischen Nachbarin 
Zeugen,
Daß die Witwe nicht mehr einsam den Gatten 
beweint.
Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein 
gekommen,
Grau, im dunkeln Surtout, hinten gerundet das Haar?
Hast du dir scherzend nicht selbst die geistliche 
Maske gewählet?
Soll's ein Prälate denn sein: gut, der Prälate bist du.
In dem geistlichen Rom, kaum scheint es zu glauben, 
doch schwör ich:
Nie hat ein Geistlicher sich meiner Umarmung 
gefreut.
Arm war ich leider! und jung, und wohl bekannt den 
Verführern.
Falconieri hat mir oft in die Augen gegafft
Und ein Kuppler Albanis mich mit gewichtigen 
Zetteln
Bald nach Ostia, bald nach den Vier Brunnen gelockt.
Aber wer nicht kam, war das Mädchen. So hab ich 
von Herzen
Rotstrumpf immer gehaßt und Violettstrumpf dazu.
Denn: 'Ihr Mädchen bleibt am Ende doch die 
Betrognen',
Sagte der Vater, wenn auch leichter die Mutter es 
nahm.
Und so bin ich denn auch am Ende betrogen! Du 
zürnest
Nur zum Scheine mit mir, weil du zu fliehen 
gedenkst.
Geh! Ihr seid der Frauen nicht wert! Wir tragen die 
Kinder
Unter dem Herzen, und so tragen die Treue wir auch;
Aber ihr Männer, ihr schüttet mit eurer Kraft und 
Begierde
Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!«
Also sprach die Geliebte und nahm den Kleinen vom 
Stuhle,
Drückt' ihn küssend ans Herz, Tränen entquollen dem
Blick.
Und wie saß ich beschämt, daß Reden feindlicher 
Menschen
Dieses liebliche Bild mir zu beflecken vermocht!
Dunkel brennt das Feuer nur augenblicklich und 
dampfet,
Wenn das Wasser die Glut stürzend und jählings 
verhüllt;
Aber sie reinigt sich schnell, verjagt die trübenden 
Dämpfe,
Neuer und mächtiger dringt leuchtende Flamme 
hinauf.

VII

O wie fühl ich in Rom mich so froh! gedenk ich der 
Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich
senkte,
Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die 
Stirne;
Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen 
Gesängen,
Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum ich? 
Empfänget
Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?
Ach! hier lieg ich und strecke nach deinen Knien die 
Hände
Flehend aus. O vernimm, Jupiter Xenius, mich
Wie ich hereingekommen, ich kann's nicht sagen; es 
faßte
Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen heran.
Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten?
Irrte die Schöne? Vergib! Laß mir des Irrtums 
Gewinn!
Deine Tochter Fortuna, sie auch! die herrlichsten 
Gaben
Teilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune 
gebeut.
Bist du der wirtliche Gott? O dann so verstoße den 
Gastfreund
Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab! -
»Dichter! wohin versteigest du dich?« - Vergib mir; 
der hohe
Kapitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp.
Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich 
später,
Cestius' Mal vorbei, leise zum Orkus hinab.

VIII

Wenn du mir sagst, du habest als Kind, Geliebte, den 
Menschen
Nicht gefallen und dich habe die Mutter verschmäht,
Bis du größer geworden und still dich entwickelt - 
ich glaub es:
Gerne denk ich mir dich als ein besonderes Kind.
Fehlet Bildung und Farbe doch auch der Blüte des 
Weinstocks,
Wenn die Beere, gereift, Menschen und Götter 
entzückt.

IX

Herbstlich leuchtet die Flamme vom ländlich 
geselligen Herde,
Knistert und glänzet, wie rasch! sausend vom Reisig 
empor.
Diesen Abend erfreut sie mich mehr; denn eh noch zur
Kohle
Sich das Bündel verzehrt, unter die Asche sich neigt,
Kommt mein liebliches Mädchen. Dann flammen 
Reisig und Scheite,
Und die erwärmete Nacht wird uns ein glänzendes 
Fest.
Morgen frühe geschäftig verläßt sie das Lager der 
Liebe,
Weckt aus der Asche behend Flammen aufs neue 
hervor.
Denn vor andern verlieh der Schmeichlerin Amor die 
Gabe,
Freude zu wecken, die kaum still wie zu Asche 
versank.

X

Alexander und Cäsar und Heinrich und Friedrich, die 
Großen,
Gäben die Hälfte mir gern ihres erworbenen Ruhms,
Könnt ich auf eine Nacht dies Lager jedem 
vergönnen;
Aber die Armen, sie hält strenge des Orkus Gewalt.
Freue dich also, Lebend'ger, der lieberwärmeten 
Stätte,
Ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt.

XI

Euch, o Grazien, legt die wenigen Blätter ein Dichter
Auf den reinen Altar, Knospen der Rose dazu,
Und er tut es getrost. Der Künstler freuet sich seiner
Werkstatt, wenn sie um ihn immer ein Pantheon 
scheint.
Jupiter senket die göttliche Stirn, und Juno erhebt sie;
Phöbus schreitet hervor, schüttelt das lockige Haupt;
Trocken schauet Minerva herab, und Hermes, der 
leichte,
Wendet zur Seite den Blick, schalkisch und zärtlich 
zugleich
Aber nach Bacchus, dem weichen, dem träumenden, 
hebet Cythere
Blicke der süßen Begier, selbst in dem Marmor noch 
feucht.
Seiner Umarmung gedenket sie gern und scheinet zu 
fragen:
Sollte der herrliche Sohn uns an der Seite nicht stehn?

XII

Hörest du, Liebchen, das muntre Geschrei den 
Flaminischen Weg her?
Schnitter sind es; sie ziehn wieder nach Hause zurück,
Weit hinweg. Sie haben des Römers Ernte vollendet,
Der für Ceres den Kranz selber zu flechten 
verschmäht.
Keine Feste sind mehr der großen Göttin gewidmet,
Die, statt Eicheln, zur Kost goldenen Weizen verlieh.
Laß uns beide das Fest im stillen freudig begehen!
Sind zwei Liebende doch sich ein versammeltes Volk.
Hast du wohl je gehört von jener mystischen Feier,
Die von Eleusis hieher frühe dem Sieger gefolgt?
Griechen stifteten sie, und immer riefen nur Griechen,
Selbst in den Mauern Roms: »Kommt zur geheiligten 
Nacht!«
Fern entwich der Profane; da bebte der wartende 
Neuling,
Den ein weißes Gewand, Zeichen der Reinheit, 
umgab.
Wunderlich irrte darauf der Eingeführte durch Kreise
Seltner Gestalten; im Traum schien er zu wallen: denn
hier
Wanden sich Schlangen am Boden umher, 
verschlossene Kästchen,
Reich mit Ähren umkränzt, trugen hier Mädchen 
vorbei,
Vielbedeutend gebärdeten sich die Priester und 
summten;
Ungeduldig und bang harrte der Lehrling auf Licht.
Erst nach mancherlei Proben und Prüfungen ward ihm
enthüllt
Was der geheiligte Kreis seltsam in Bildern verbarg.
Und was war das Geheimnis! als daß; Demeter, die 
große,
Sich gefällig einmal auch einem Helden bequemt,
Als sie Jasion einst, dem rüstigen König der Kreter,
Ihres unsterblichen Leibs holdes Verborgne gegönnt.
Da war Kreta beglückt! das Hochzeitbette der Göttin
Schwoll von Ähren, und reich drückte den Acker die 
Saat.
Aber die übrige Welt verschmachtete; denn es 
versäumte
Aber der Liebe Genuß Ceres den schönen Beruf.
Voll Erstaunen vernahm der Eingeweihte das 
Märchen,
Winkte der Liebsten - Verstehst du nun, Geliebte, 
den Wink?
Jene buschige Myrte beschattet ein heiliges Plätzchen!
Unsre Zufriedenheit bringt keine Gefährde der Welt.

XIII

Amor bleibet ein Schalk, und wer ihm vertraut, ist 
betrogen!
Heuchelnd kam er zu mir: »Diesmal nur traue mir 
noch.
Redlich mein ich's mit dir, du hast dein Leben und 
Dichten,
Dankbar erkenn ich es wohl, meiner Verehrung 
geweiht.
Siehe, dir bin ich nun gar nach Rom gefolget; ich 
möchte
Dir im fremden Gebiet gern was Gefälliges tun.
Jeder Reisende klagt, er finde schlechte Bewirtung;
Welchen Amor empfiehlt, köstlich bewirtet ist er.
Du betrachtest mit Staunen die Trümmern alter 
Gebäude
Und durchwandelst mit Sinn diesen geheiligten 
Raum.
Du verehrest noch mehr die werten Reste des Bildens
Einziger Künstler, die stets ich in der Werkstatt 
besucht.
Diese Gestalten, ich formte sie selbst! Verzeih mir, 
ich prahle
Diesmal nicht; du gestehst, was ich dir sage, sei wahr.
Nun du mir lässiger dienst, wo sind die schönen 
Gestalten,
Wo die Farben, der Glanz deiner Erfindungen hin?
Denkst du nun wieder zu bilden, o Freund? Die 
Schule der Griechen
Blieb noch offen, das Tor schlossen die Jahre nicht 
zu.
Ich, der Lehrer, bin ewig jung und liebe die Jungen.
Altklug lieb ich dich nicht! Munter! Begreife mich 
wohl!
War das Antike doch neu, da jene Glücklichen lebten!
Lebe glücklich, und so lebe die Vorzeit in dir!
Stoff zum Liede, wo nimmst du ihn her? Ich muß dir 
ihn geben,
Und den höheren Stil lehret die Liebe dich nur.«
Also sprach der Sophist. Wer widerspräch ihm? und 
leider
Bin ich zu folgen gewöhnt, wenn der Gebieter 
befiehlt.
Nun, verräterisch hält er sein Wort, gibt Stoff zu 
Gesängen,
Ach und raubt mir die Zeit, Kraft und Besinnung 
zugleich;
Blick und Händedruck und Küsse, gemütliche Worte,
Silben köstlichen Sinns wechselt ein liebendes Paar.
Da wird Lispeln Geschwätz, wird Stottern liebliche 
Rede:
Solch ein Hymnus verhallt ohne prosodisches Maß.
Dich, Aurora, wie kannt ich dich sonst als Freundin 
der Musen!
Hat, Aurora, dich auch Amor, der lose, verführt?
Du erscheinest mir nun als seine Freundin und 
weckest
Mich an seinem Altar wieder zum festlichen Tag.
Find ich die Fülle der Locken an meinem Busen! das 
Köpfchen
Ruhet und drücket den Arm, der sich dem Halse 
bequemt.
Welch ein freudig Erwachen, erhieltet ihr, ruhige 
Stunden,
Mir das Denkmal der Lust, die in den Schlaf uns 
gewiegt!
Sie bewegt sich im Schlummer und sinkt auf die 
Breite des Lagers
Weggewendet; und doch läßt sie mir Hand noch in 
Hand.
Herzliche Liebe verbindet uns stets und treues 
Verlangen,
Und den Wechsel behielt nur die Begierde sich vor.
Einen Druck der Hand, ich sehe die himmlischen 
Augen
Wieder offen. - O nein! laßt auf der Bildung mich 
ruhn!
Bleibt geschlossen! Ihr macht mich verwirrt und 
trunken, ihr raubet
Mir den stillen Genuß reiner Betrachtung zu früh.
Diese Formen, wie groß! wie edel gewendet die 
Glieder!
Schlief Ariadne so schön: Theseus, du konntest 
entfliehn?
Diesen Lippen ein einziger Kuß! O Theseus, nun 
scheide!
Blick ihr ins Auge! Sie wacht! - Ewig nun hält sie 
dich fest.

XIV

Zünde mir Licht an, Knabe! - »Noch ist es hell. Ihr 
verzehret
Öl und Docht nur umsonst. Schließet die Läden doch 
nicht!
Hinter die Häuser entwich, nicht hinter den Berg, uns 
die Sonne!
Ein halb Stündchen noch währt's bis zum Geläute der 
Nacht.«
Unglückseliger! geh und gehorch! Mein Mädchen 
erwart ich;
Tröste mich, Lämpchen, indes, lieblicher Bote der 
Nacht!

XV

Cäsarn wär ich wohl nie zu fernen Britannen gefolget,
Florus hätte mich leicht in die Popine geschleppt!
Denn mir bleiben weit mehr die Nebel des traurigen 
Nordens
Als ein geschäftiges Volk südlicher Flöhe verhaßt.
Und noch schöner von heut an seid mir gegrüßet, ihr 
Schenken,
Osterien, wie euch schicklich der Römer benennt;
Denn ihr zeigtet mir heute die Liebste, begleitet vom 
Oheim,
Den die Gute so oft, mich zu besitzen, betriegt.
Hier stand unser Tisch, den Deutsche vertraulich 
umgaben;
Drüben suchte das Kind neben der Mutter den Platz,
Rückte vielmals die Bank und wußt es artig zu 
machen,
Daß ich halb ihr Gesicht, völlig den Nacken gewann.
Lauter sprach sie, als hier die Römerin pfleget, 
kredenzte,
Blickte gewendet nach mir, goß und verfehlte das 
Glas.
Wein floß über den Tisch, und sie, mit zierlichem 
Finger,
Zog auf dem hölzernen Blatt Kreise der Feuchtigkeit 
hin.
Meinen Namen verschlang sie dem ihrigen; immer 
begierig
Schaut ich dem Fingerchen nach, und sie bemerkte 
mich wohl.
Endlich zog sie behende das Zeichen der römischen 
Fünfe
Und ein Strichlein davor. Schnell, und sobald ich's 
gesehn,
Schlang sie Kreise durch Kreise, die Lettern und 
Ziffern zu löschen;
Aber die köstliche Vier blieb mir ins Auge geprägt.
Stumm war ich sitzen geblieben und biß die glühende
Lippe,
Halb aus Schalkheit und Lust, halb aus Begierde, mir 
wund.
Erst noch so lange bis Nacht! dann noch vier Stunden
zu warten!
Hohe Sonne, du weilst, und du beschauest dein Rom!
Größeres sahest du nichts und wirst nichts Größeres 
sehen,
Wie es dein Priester Horaz in der Entrückung 
versprach.
Aber heute verweile mir nicht, und wende die Blicke
Von dem Siebengebirg früher und williger ab!
Einem Dichter zuliebe verkürze die herrlichen 
Stunden,
Die mit begierigem Blick selig der Maler genießt;
Glühend blicke noch schnell zu diesen hohen 
Fassaden,
Kuppeln und Säulen zuletzt und Obelisken herauf;
Stürze dich eilig ins Meer, um morgen früher zu 
sehen,
Was Jahrhunderte schon göttliche Lust dir gewährt:
Diese feuchten, mit Rohr so lange bewachsenen 
Gestade,
Diese mit Bäumen und Busch düster beschatteten 
Höhn.
Wenig Hütten zeigten sie erst; dann sahst du auf 
einmal
Sie vom wimmelnden Volk glücklicher Räuber 
belebt.
Alles schleppten sie drauf an diese Stätte zusammen;
Kaum war das Übrige Rund deiner Betrachtung noch 
wert.
Sahst eine Welt hier entstehn, sahst dann eine Welt 
hier in Trümmern,
Aus den Trümmern aufs neu fast eine größere Welt!
Daß ich diese noch lange von dir beleuchtet erblicke,
Spinne die Parze mir klug langsam den Faden herab;
Aber sie eile herbei, die schön bezeichnete Stunde!
Glücklich! Hör ich sie schon? Nein; doch ich höre 
schon Drei.
So, ihr lieben Musen, betrogt ihr wieder die Länge
Dieser Weile, die mich von der Geliebten getrennt.
Lebet wohl ! Nun eil ich und fürcht euch nicht zu 
beleid'gen;
Denn ihr Stolzen, ihr gebt Amorn doch immer den 
Rang.

XVI

»Warum bist du, Geliebter, nicht heute zur Vigne 
gekommen?
Einsam, wie ich versprach, wartet ich oben auf 
dich.« -
Beste, schon war ich hinein; da sah ich zum Glücke 
den Oheim
Neben den Stöcken, bemüht, hin sich und her sich zu 
drehn.
Schleichend eilt ich hinaus! - »Oh, welch ein Irrtum 
ergriff dich!
Eine Scheuche nur war's, was dich vertrieb! Die 
Gestalt
Flickten wir emsig zusammen aus alten Kleidern und 
Rohren;
Emsig half ich daran, selbst mir zu schaden bemüht.«
Nun, des Alten Wunsch ist erfüllt; den losesten Vogel
Scheucht' er heute, der ihm Gärtchen und Nichte 
bestiehlt.

XVII

Manche Töne sind mir Verdruß, doch bleibet am 
meisten
Hundegebell mir verhaßt; kläffend zerreißt es mein 
Ohr.
Einen Hund nur hör ich sehr oft mit frohem Behagen
Bellend kläffen, den Hund, den sich der Nachbar 
erzog.
Denn er bellte mir einst mein Mädchen an, da sie sich
heimlich
Zu mir stahl, und verriet unser Geheimnis beinah.
Jetzo, hör ich ihn bellen, so denk ich nur immer: sie 
kommt wohl!
Oder ich denke der Zeit, da die Erwartete kam.

XVIII

Eines ist mir verdrießlich vor allen Dingen, ein andres
Bleibt mir abscheulich, empört jegliche Faser in mir,
Nur der bloße Gedanke. Ich will es euch, Freunde, 
gestehen:
Gar verdrießlich ist mir einsam das Lager zu Nacht.
Aber ganz abscheulich ist's, auf dem Wege der Liebe
Schlangen zu fürchten und Gift unter den Rosen der 
Lust,
Wenn im schönsten Moment der hin sich gebenden 
Freude
Deinem sinkenden Haupt lispelnde Sorge sich naht.
Darum macht Faustine mein Glück; sie teilet das 
Lager
Gerne mit mir und bewahrt Treue dem Treuen genau.
Reizendes Hindernis will die rasche Jugend; ich liebe,
Mich des versicherten Guts lange bequem zu erfreun.
Welche Seligkeit ist's! wir wechseln sichere Küsse,
Atem und Leben getrost saugen und flößen wir ein.
So erfreuen wir uns der langen Nächte, wir lauschen,
Busen an Busen gedrängt, Stürmen und Regen und 
Guß.
Und so dämmert der Morgen heran; es bringen die 
Stunden
Neue Blumen herbei, schmücken uns festlich den 
Tag.
Gönnet mir, o Quiriten! das Glück, und jedem 
gewähre
Aller Güter der Welt erstes und letztes der Gott!

XIX

Schwer erhalten wir uns den guten Namen, denn 
Fama
Steht mit Amorn, ich weiß, meinem Gebieter, in 
Streit.
Wißt auch ihr, woher es entsprang, daß beide sich 
hassen?
Alte Geschichten sind das, und ich erzähle sie wohl.
Immer die mächtige Göttin, doch war sie für die 
Gesellschaft
Unerträglich, denn gern führt sie das herrschende 
Wort;
Und so war sie von je bei allen Göttergelagen
Mit der Stimme von Erz Großen und Kleinen verhaßt.
So berühmte sie einst sich übermütig, sie habe
Jovis herrlichen Sohn ganz sich zum Sklaven gemacht
»Meinen Herkules führ ich dereinst, o Vater der 
Götter«,
Rief triumphierend sie aus , »wiedergeboren dir zu.
Herkules ist es nicht mehr, den dir Alkmene geboren;
Seine Verehrung für mich macht ihn auf Erden zum 
Gott.
Schaut er nach dem Olymp, so glaubst du, er schaue 
nach deinen
Mächtigen Knien; vergib! nur in den Äther nach mir
Blickt der würdigste Mann; nur mich zu verdienen, 
durchschreitet
Leicht sein mächtiger Fuß Bahnen, die keiner betrat;
Aber auch ich begegn' ihm auf seinen Wegen und 
preise
Seinen Namen voraus, eh er die Tat noch beginnt.
Mich vermählst du ihm einst; der Amazonen Besieger
Werd auch meiner, und ihn nenn ich mit Freuden 
Gemahl!«
Alles schwieg; sie mochten nicht gern die Prahlerin 
reizen:
Denn sie denkt sich, erzürnt, leicht was Gehässiges 
aus.
Amorn bemerkte sie nicht: er schlich beiseite; den 
Helden
Bracht er mit weniger Kunst unter der Schönsten 
Gewalt.
Nun vermummt er sein Paar; ihr hängt er die Bürde 
des Löwen
Über die Schultern und lehnt mühsam die Keule dazu.
Drauf bespickt er mit Blumen des Helden sträubende 
Haare,
Reichet den Rocken der Faust, die sich dem Scherze 
bequemt.
So vollendet er bald die neckische Gruppe; dann läuft 
er,
Ruft durch den ganzen Olymp: »Herrliche Taten 
geschehn!
Nie hat Erd und Himmel, die unermüdete Sonne
Hat auf der ewigen Bahn keines der Wunder 
erblickt.«
Alles eilte; sie glaubten dem losen Knaben, denn 
ernstlich
Hatt er gesprochen; und auch Fama, sie blieb nicht 
zurück.
Wer sich freute, den Mann so tief erniedrigt zu sehen,
Denkt ihr! Juno. Es galt Amorn ein freundlich 
Gesicht.
Fama daneben, wie stand sie beschämt, verlegen, 
verzweifelnd!
Anfangs lachte sie nur: »Masken, ihr Götter, sind das!
Meinen Helden, ich kenn ihn zu gut! Es haben 
Tragöden
Uns zum besten!« Doch bald sah sie mit Schmerzen, 
er war's!
Nicht den tausendsten Teil verdroß es Vulkanen, sein 
Weibchen
Mit dem rüstigen Freund unter den Maschen zu sehn,
Als das verständige Netz im rechten Moment sie 
umfaßte,
Rasch die Verschlungnen umschlang, fest die 
Genießenden hielt.
Wie sich die Jünglinge freuten! Merkur und Bacchus! 
sie beide
Mußten gestehn: es sei, über dem Busen zu ruhn
Dieses herrlichen Weibes, ein schöner Gedanke. Sie 
baten:
»Löse, Vulkan, sie noch nicht! Laß sie noch einmal 
besehn.«
Und der Alte war so Hahnrei und hielt sie nur fester.
Aber Fama, sie floh rasch und voll Grimmes davon.
Seit der Zeit ist zwischen den zweien der Fehde nicht 
Stillstand;
Wie sie sich Helden erwählt, gleich ist der Knabe 
darnach.
Wer sie am höchsten verehrt, den weiß er am besten 
zu fassen,
Und den Sittlichsten greift er am gefährlichsten an.
Will ihm einer entgehn, den bringt er vom Schlimmen
ins Schlimmste.
Mädchen bietet er an; wer sie ihm töricht verschmäht,
Muß erst grimmige Pfeile von seinem Bogen 
erdulden;
Mann erhitzt er auf Mann, treibt die Begierden aufs 
Tier.
Wer sich seiner schämt, der muß erst leiden; dem 
Heuchler
Streut er bittern Genuß unter Verbrechen und Not.
Aber auch sie, die Göttin, verfolgt ihn mit Augen und 
Ohren;
Sieht sie ihn einmal bei dir, gleich ist sie feindlich 
gesinnt,
Schreckt dich mit ernstem Blick, verachtenden 
Mienen, und heftig
Strenge verruft sie das Haus, das er gewöhnlich 
besucht.
Und so geht es auch mir: schon leid ich ein wenig; die
Göttin,
Eifersüchtig, sie forscht meinem Geheimnisse nach.
Doch es ist ein altes Gesetz: ich schweig und verehre;
Denn der Könige Zwist büßten die Griechen, wie ich.

XX

Zieret Stärke den Mann und freies, mutiges Wesen,
Oh! so ziemet ihm fast tiefes Geheimnis noch mehr.
Städtebezwingerin du, Verschwiegenheit! Fürstin der 
Völker!
Teure Göttin, die mich sicher durchs Leben geführt,
Welches Schicksal erfahr ich! Es löset scherzend die 
Muse,
Amor löset, der Schalk, mir den verschlossenen 
Mund.
Ach, schon wird es so schwer, der Könige Schande 
verbergen!
Weder die Krone bedeckt, weder ein phrygischer 
Bund
Midas' verlängertes Ohr; der nächste Diener entdeckt 
es,
Und ihm ängstet und drückt gleich das Geheimnis die 
Brust.
In die Erde vergrüb er es gern, um sich zu erleichtern:
Doch die Erde verwahrt solche Geheimnisse nicht;
Rohre sprießen hervor und rauschen und lispeln im 
Winde:
»Midas! Midas, der Fürst, trägt ein verlängertes 
Ohr!«
Schwerer wird es nun mir, ein schönes Geheimnis zu 
wahren;
Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht!
Keiner Freundin darf ich's vertraun: sie möchte mich 
schelten;
Keinem Freunde: vielleicht brächte der Freund mir 
Gefahr.
Mein Entzücken dem Hain, dem schallenden Felsen 
zu sagen,
Bin ich endlich nicht jung, bin ich nicht einsam 
genug.
Dir, Hexameter, dir, Pentameter, sei es vertrauet,
Wie sie des Tags mich erfreut, wie sie des Nachts 
mich beglückt.
Sie, von vielen Männern gesucht, vermeidet die 
Schlingen,
Die ihr der Kühnere frech, heimlich der Listige legt;
Klug und zierlich schlüpft sie vorbei und kennet die 
Wege,
Wo sie der Liebste gewiß lauschend begierig 
empfängt.
Zaudre, Luna, sie kommt! damit sie der Nachbar nicht
sehe;
Rausche, Lüftchen, im Laub! niemand vernehme den 
Tritt.
Und ihr, wachset und blüht, geliebte Lieder, und 
wieget
Euch im leisesten Hauch lauer und liebender Luft,
Und entdeckt den Quiriten, wie jene Rohre 
geschwätzig,
Eines glücklichen Paars schönes Geheimnis zuletzt.

 

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