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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte 
(Ausgabe letzter Hand. 1827)

Episteln

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)

Zuerst im Druck veröffentlicht in Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1-4: Gedichte, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1827. 

Episteln

Gerne hätt ich fortgeschrieben,
Aber es ist liegen blieben.

 


Erste Epistel

Jetzt, da jeglicher liest und viele Leser das Buch nur
Ungeduldig durchblättern und, selbst die Feder 
ergreifend,
Auf das Büchlein ein Buch mit seltner Fertigkeit 
pfropfen,
Soll auch ich, du willst es, mein Freund, dir über das 
Schreiben
Schreibend, die Menge vermehren und meine 
Meinung verkünden,
Daß auch andere wieder darüber meinen und immer
So ins Unendliche fort die schwankende Woge sich 
wälze.
Doch so fähret der Fischer dem hohen Meer zu, 
sobald ihm
Günstig der Wind und der Morgen erscheint; er treibt 
sein Gewerbe,
Wenn auch hundert Gesellen die blinkende Fläche 
durchkreuzen.

Edler Freund, du wünschest das Wohl des 
Menschengeschlechtes,
Unserer Deutschen besonders und ganz vorzüglich 
des nächsten
Bürgers, und fürchtest die Folgen gefährlicher 
Bücher; wir haben
Leider oft sie gesehen. Was sollte man oder was 
könnten
Biedere Männer vereint, was könnten die Herrscher 
bewirken?
Ernst und wichtig erscheint mir die Frage, doch trifft 
sie mich eben
In vergnüglicher Stimmung. Im warmen, heiteren 
Wetter
Glänzet fruchtbar die Gegend; mir bringen liebliche 
Lüfte
Über die wallende Flut süß duftende Kühlung 
herüber,
Und dem Heitern erscheint die Welt auch heiter, und 
ferne Schwebt die
Sorge mir nur in leichten Wölkchen vorüber.

Was mein leichter Griffel entwirft, ist leicht zu 
verlöschen,
Und viel tiefer präget sich nicht der Eindruck der 
Lettern,
Die, so sagt man, der Ewigkeit trotzen. Freilich an 
viele
Spricht die gedruckte Kolumne; doch bald, wie jeder 
sein Antlitz,
Das er im Spiegel gesehen, vergißt, die behaglichen 
Züge,
So vergißt er das Wort, wenn auch von Erze 
gestempelt.
Reden schwanken so leicht herüber hinüber, wenn 
viele
Sprechen und jeder nur sich im eigenen Worte, sogar 
auch
Nur sich selbst im Worte vernimmt, das der andere 
sagte.
Mit den Büchern ist es nicht anders. Liest doch nur 
jeder
Aus dem Buch sich heraus, und ist er gewaltig, so 
liest er
In das Buch sich hinein, amalgamiert sich das 
Fremde.
Ganz vergebens strebst du daher, durch Schriften des 
Menschen
Schon entschiedenen Hang und seine Neigung zu 
wenden;
Aber bestärken kannst du ihn wohl in seiner 
Gesinnung
Oder, wär er noch neu, in dieses ihn tauchen und 
jenes.

Sag ich, wie ich es denke, so scheint durchaus mir, es 
bildet
Nur das Leben den Mann und wenig bedeuten die 
Worte.
Denn zwar hören wir gern, was unsre Meinung 
bestätigt,
Aber das Hören bestimmt nicht die Meinung; was uns
zuwider
Wäre, glaubten wir wohl dem künstlichen Redner; 
doch eilet
Unser befreites Gemüt, gewohnte Bahnen zu suchen.
Sollen wir freudig horchen und willig gehorchen, so 
mußt du
Schmeicheln. Sprichst du zum Volke, zu Fürsten und 
Königen, allen
Magst du Geschichten erzählen, worin als wirklich 
erscheinet,
Was sie wünschen und was sie selber zu leben 
begehrten.

Wäre Homer von allen gehört, von allen gelesen,
Schmeichelt' er nicht dem Geiste sich ein, es sei auch 
der Hörer,
Wer er sei, und klinget nicht immer im hohen Palaste,
In des Königes Zelt die Ilias herrlich dem Helden?
Hört nicht aber dagegen Ulyssens wandernde 
Klugheit
Auf dem Markte sich besser, da, wo sich der Bürger 
versammelt?
Dort sieht jeglicher Held in Helm und Harnisch, es 
sieht hier
Sich der Bettler sogar in seinen Lumpen veredelt.

Also hört ich einmal, am wohlgepflasterten Ufer
Jener Neptunischen Stadt, allwo man geflügelte 
Löwen
Göttlich verehrt, ein Märchen erzählen. Im Kreise 
geschlossen,
Drängte das horchende Volk sich um den zerlumpten 
Rhapsoden.
»Einst«, so sprach er, »verschlug mich der Sturm ans 
Ufer der Insel,
Die Utopien heißt. Ich weiß nicht, ob sie ein andrer
Dieser Gesellschaft jemals betrat; sie lieget im Meere
Links von Herkules' Säulen. Ich ward gar freundlich 
empfangen;
In ein Gasthaus führte man mich, woselbst ich das 
beste
Essen und Trinken fand und weiches Lager und 
Pflege.
So verstrich ein Monat geschwind. Ich hatte des 
Kummers
Völlig vergessen und jeglicher Not; da fing sich im 
stillen
Aber die Sorge nun an: wie wird die Zeche dir leider
Nach der Mahlzeit bekommen? Denn nichts enthielte 
der Säckel.
'Reiche mir weniger!' bat ich den Wirt; er brachte nur
immer
Desto mehr. Da wuchs mir die Angst, ich konnte 
nicht länger
Essen und sorgen und sagte zuletzt: 'Ich bitte, die 
Zeche
Billig zu machen, Herr Wirt!' Er aber mit finsterem 
Auge
Sah von der Seite mich an, ergriff den Knittel und 
schwenkte
Unbarmherzig ihn über mich her und traf mir die 
Schultern,
Traf den Kopf und hätte beinah mich zu Tode 
geschlagen.
Eilend lief ich davon und suchte den Richter; man 
holte
Gleich den Wirt, der ruhig erschien und bedächtig 
versetzte:

'Also müß es allen ergehn, die das heilige Gastrecht
Unserer Insel verletzen und, unanständig und gottlos,
Zeche verlangen vom Manne, der sie doch höflich 
bewirtet.
Sollt ich solche Beleidigung dulden im eigenen 
Hause?
Nein! es hätte fürwahr statt meines Herzens ein 
Schwamm nur
Mir im Busen gewohnt, wofern ich dergleichen 
gelitten.'

Darauf sagte der Richter zu mir: 'Vergesset die 
Schläge,
Denn Ihr habt die Strafe verdient, ja schärfere 
Schmerzen;
Aber wollt Ihr bleiben und mitbewohnen die Insel,
Müsset Ihr Euch erst würdig beweisen und tüchtig 
zum Bürger.'
'Ach!' versetzt ich, 'mein Herr, ich habe leider mich 
niemals
Gerne zur Arbeit gefügt. So hab ich auch keine 
Talente,
Die den Menschen bequemer ernähren; man hat mich 
im Spott nur
Hans Ohnsorge genannt und mich von Hause 
vertrieben.'

'O so sei uns gegrüßt!' versetzte der Richter; 'du 
sollst dich
Oben setzen zu Tisch, wenn sich die Gemeine 
versammelt,
Sollst im Rate den Platz, den du verdienest, erhalten.
Aber hüte dich wohl, daß nicht ein schändlicher 
Rückfall
Dich zur Arbeit verleite, daß man nicht etwa das 
Grabscheit
Oder das Ruder bei dir im Hause finde, du wärest
Gleich auf immer verloren und ohne Nahrung und 
Ehre.
Aber auf dem Markte zu sitzen, die Arme 
geschlungen
Über dem schwellenden Bauch, zu hören lustige
Lieder Unserer Sänger, zu sehn die Tänze der 
Mädchen, der Knaben
Spiele, das werde dir Pflicht, die du gelobest und 
schwörest.'«

So erzählte der Mann, und heiter waren die Stirnen
Aller Hörer geworden, und alle wünschten des Tages
Solche Wirte zu finden, ja solche Schläge zu dulden.

Zweite Epistel

Würdiger Freund, du runzelst die Stirn; dir scheinen 
die Scherze
Nicht am rechten Orte zu sein; die Frage war 
ernsthaft,
Und besonnen verlangst du die Antwort; da weiß ich, 
beim Himmel!
Nicht, wie eben sich mir der Schalk im Busen 
bewegte.
Doch ich fahre bedächtiger fort. Du sagst mir: »So 
möchte 
Meinetwegen die Menge sich halten im Leben und 
Lesen,
Wie sie könnte; doch denke dir nur die Töchter im 
Hause,
Die mir der kuppelnde Dichter mit allem Bösen 
bekannt macht.«

Dem ist leichter geholfen, versetz ich, als wohl ein 
andrer
Denken mochte. Die Mädchen sind gut und machen 
sich gerne
Was zu schaffen. Da gib nur dem einen die Schlüssel 
zum Keller
Daß es die Weine des Vaters besorge, sobald sie, vom
Winzer
Oder vom Kaufmann geliefert, die weiten Gewölbe 
bereichern.
Manches zu schaffen hat ein Mädchen, die vielen 
Gefäße,
Leere Fässer und Flaschen in reinlicher Ordnung zu 
halten.
Dann betrachtet sie oft des schäumenden Mostes 
Bewegung,
Gießt das Fehlende zu, damit die wallenden Blasen
Leicht die Öffnung des Fasses erreichen, trinkbar und 
helle
Endlich der edelste Saft sich künftigen Jahren 
vollende.
Unermüdet ist sie alsdann, zu füllen, zu schöpfen,
Daß stets geistig der Trank und rein die Tafel belebe.

Laß der andern die Küche zum Reich; da gibt es, 
wahrhaftig!
Arbeit genug, das tägliche Mahl durch Sommer und 
Winter
Schmackhaft stets zu bereiten und ohne Beschwerde 
des Beutels.
Denn im Frühjahr sorget sie schon, im Hofe die 
Küchlein
Bald zu erziehen und bald die schnatternden Enten zu 
füttern.
Alles, was ihr die Jahrszeit gibt, das bringt sie 
beizeiten
Dir auf den Tisch und weiß mit jeglichem Tage die 
Speisen
Klug zu wechseln, und reift nur eben der Sommer die 
Früchte,
Denkt sie an Vorrat schon für den Winter. Im kühlen
Gewölbe Gärt ihr der kräftige Kohl und reifen in 
Essig die Gurken;
Aber die luftige Kammer bewahrt ihr die Gaben 
Pomonens.
Gerne nimmt sie das Lob vom Vater und allen 
Geschwistern,
Und mißlingt ihr etwas, dann ist's ein größeres 
Unglück,
Als wenn dir ein Schuldner entläuft und den Wechsel 
zurückläßt.
Immer ist so das Mädchen beschäftigt und reifet im 
stillen
Häuslicher Tugend entgegen, den klugen Mann zu 
beglücken.
Wünscht sie dann endlich zu lesen, so wählt sie 
gewißlich ein Kochbuch,
Deren Hunderte schon die eifrigen Pressen uns gaben.

Eine Schwester besorget den Garten, der schwerlich 
zur Wildnis,
Deine Wohnung romantisch und feucht zu umgeben, 
verdammt ist,
Sondern in zierliche Beete geteilt, als Vorhof der 
Küche,
Nützliche Kräuter ernährt und jugendbeglückende 
Früchte.
Patriarchalisch erzeuge so selbst dir ein kleines, 
gedrängtes
Königreich, und bevölkern dein Haus mit treuem 
Gesinnte.
Hast du der Töchter noch mehr, die lieber sitzen und 
stille
Weibliche Arbeit verrichten, da ist's noch besser; die 
Nadel
Ruht im Jahre nicht leicht: denn noch so häuslich im 
Hause,
Mögen sie öffentlich gern als müßige Damen 
erscheinen.
Wie sich das Nähen und Flicken vermehrt, das 
Waschen und Biegen,
Hundertfältig, seitdem in weißer, arkadischer Hülle
Sich das Mädchen gefällt, mit langen Röcken und 
Schleppen
Gassen kehrte und Gärten, und Staub erregte im 
Tanzsaal.
Wahrlich! wären mir nur der Mädchen ein Dutzend 
im Hause,
Niemals war ich verlegen um Arbeit, sie machen sich 
Arbeit
Selber genug, es sollte kein Buch im Laufe des Jahres
Über die Schwelle mir kommen, vom Bücherverleiher
gesendet.

 

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