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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte. Nachlese

Gedichte. Nachlese

 


Ein zärtlich jugendlicher Kummer

Ein zärtlich jugendlicher Kummer
Führt mich ins öde Feld; es liegt
In einem stillen Morgenschlummer
Die Mutter Erde. Rauschend wiegt
Ein kalter Wind die starren Äste. Schauernd
Tönt er die Melodie zu meinem Lied voll Schmerz,
Und die Natur ist ängstlich still und trauernd,
Doch hoffnungsvoller als mein Herz.

Denn sieh, bald gaukelt dir, mit Rosenkränzen
In runder Hand, du Sonnengott, das Zwillingspaar
Mit offnem blauen Aug, mit krausem goldnen Haar
In deiner Laufbahn dir entgegen. Und zu Tänzen
Auf neuen Wiesen schickt
Der Jüngling sich und schmückt
Den Hut mit Bändern, und das Mädchen pflückt
Die Veilchen aus dem jungen Gras, und bückend sieht
Sie heimlich nach dem Busen, sieht mit Seelenfreude
Entfalteter und reizender ihn heute,
Als er vorm Jahr am Maienfest geblüht,
Und fühlt und hofft.
Gott segne mir den Mann
In seinem Garten dort! Wie zeitig fängt er an,
Ein lockres Bett dem Samen zu bereiten!
Kaum riß der März das Schneegewand
Dem Winter von den hagern Seiten,
Der stürmend floh und hinter sich aufs Land
Den Nebelschleier warf, der Fluß und Au
Und Berg in kaltes Grau
Versteckt, da geht er ohne Säumen,
Die Seele voll von Ernteträumen,
Und sät und hofft.

Felsweihegesang

An Psyche

Veilchen bring ich getragen,
Junge Blüten zu dir,
Daß ich dein moosig Haupt
Ringsum bekränze,
Ringsum dich weihe,
Felsen des Tals.

Sei du mir heilig!
Sei den Geliebten
Lieber als andre
Felsen des Tals!

Ich sah von dir
Der Freunde Seligkeit,
Verbunden Edle
Mit ew'gem Band.

Ich irrer Wandrer
Fühlt erst auf dir
Besitztumsfreuden
Und Heimatsglück.

Da, wo wir lieben,
Ist Vaterland;
Wo wir genießen,
Ist Hof und Haus.

Schrieb meinen Namen
An deine Stirn;
Du bist mir eigen,
Mir Ruhesitz.

Und aus dem fernen
Unlieben Land
Mein Geist wird wandern
Und ruhn auf dir.

Sei du mir heilig,
Sei den Geliebten
Lieber als andre
Felsen des Tals!

Ich sehe sie versammelt
Dort unten um den Teich;
Sie tanzen einen Reihen
Im Sommerabendrot;
Und warme Jugendfreude
Webt in dem Abendrot.

Sie drücken sich die Hände
Und glühn einander an.
Und aus den Reihn verlieret
Sich Psyche zwischen Felsen
Und Sträuchen weg, und traurend
Um den Abwesenden,
Lehnt sie sich über den Fels.
Wo meine Brust hier ruht,
An das Moos mit innigem
Liebesgefühl sich Atmend drängt,
Ruhst du vielleicht dann, Psyche.
Trübe blickt dein Aug
In den Bach hinab,
Und eine Träne quillt
Vorbeigequollnen Freuden nach;
Hebst dann zum Himmel
Dein bittend Aug,
Erblickest über dir
Da meinen Namen.
- Auch der-
Nimm des verlebten Tages Zier,
Die bald welke Rose, von deinem Busen,
Streu die freundlichen Blätter
Übers düstre Moos,
Ein Opfer der Zukunft!

Elysium

An Uranien

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie du das erste Mal
Liebahndend dem Fremdling
Entgegentratst
Und deine Hand ihm reichtest,
Fühlt' er alles voraus,
Was ihm für Seligkeit
Entgegenkeimte.

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie du den liebenden Arm
Um den Freund schlangst,
Wie ihm Lilas Brust
Entgegenbebte,
Wie ihr, euch rings umfassend,
In heil'ger Wonne schwebtet
Und ich, im Anschaun selig,
Ohne sterblichen Neid
Darneben stand.

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wie durch heilige Täler wir
Händ in Hände wandelten
Und des Fremdlings Treu
Sich euch versiegelte,
Daß du dem liebenden,
Stille sehnenden
Die Wange reichtest
Zum himmlischen Kuß.

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Wenn du fern wandelst
Am Hügelgebüsch,
Wandeln Liebesgestalten
Mit dir den Bach hinab;
Wenn mir auf dem Felsen
Die Sonne niedergeht,
Seh ich Freundegestalten
Mir winken durch
Wehende Zweige
Des dämmernden Hains.

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elysium.
Seh ich, verschlagen
Unter schauernden Himmels
Ode Gestade,
In der Vergangenheit
Goldener Myrtenhainsdämmerung
Lilan an deiner Hand,
Seh mich Schüchternen
Eure Hände fassen,
Bittend blicken,
Eure Hände küssen -
Eure Augen sich begegnen,
Auf mich blicken seh ich,
Werfe den hoffenden Blick
Auf Lila; sie nähert sich mir,
Himmlische Lippe!
Und ich wanke, nahe mich,
Blicke, seufze, wanke -
Seligkeit! Seligkeit!
Eines Kusses Gefühl!

Mir gaben die Götter
Auf Erden Elysium!
Ach, warum nur Elysium!

Pilgers Morgenlied

An Lila

Morgennebel, Lila,
Hüllen deinen Turn um.
Soll ich ihn zum
Letzten Mal nicht sehn!
Doch mir schweben
Tausend Bilder
Seliger Erinnerung
Heilig warm ums Herz.
Wie er so stand,
Zeuge meiner Wonne,
Als zum ersten Mal
Du den Fremdling
Ängstlich liebevoll
Begegnetest
Und mit einem Mal
Ew'ge Flammen
In die Seel ihm warfst! -
Zische, Nord,
Tausend-schlangenzüngig
Mir ums Haupt!
Beugen sollst du's nicht!
Beugen magst du
Kind'scher Zweige Haupt,
Von der Sonne
Muttergegenwart geschieden.

O Vater alles wahren Sinns

O Vater alles wahren Sinns
Und des gesunden Lebens,
Du Geber köstlichen Gewinns,
Du Fördrer treuen Strebens,
Sprich in mein Herz dein leises Wort,
Bewahre mich so fort und fort
Für Heuchlern und für Huren!

Ein Reicher,

dem gemeinen Wesen zur Nachricht

Wollt ihr wissen, woher ich's hab,
Mein Haus und Hab?
Hab allerlei Pfiff' ersonnen,
Es mit Müh, Schweiß und Angst gewonnen,
Genug, ich bin reich,
Und drum scheiß ich auf euch!

Gedichte zu 
»Götz von Berlichingen«

An Friedrich Wilhelm Gotter

Schicke dir hier den alten Götzen,
Magst ihn zu deinen Heil'gen setzen
Oder magst ihn in die Zahl
Der Ungeblätterten stellen zumal.
Hab's geschrieben in guter Zeit,
Tags, Abends und Nachts Herrlichkeit,
Und find nicht halb die Freud so mehr,
Da nun gedruckt ist ein großes Heer.
Find, daß es wie mit den Kindern ist,
Da doch wohl immer die schönste Frist
Bleibt, wenn man in der schönen Nacht
Sie hat der lieben Frau gemacht.
Das andre geht dann seinen Gang
Und Rechnen, Wehn und Tauf und Sang.
Mögt euch nun auch ergötzen dran,
So habt ihr doppelt wohlgetan.
Magst, wie ich höre, dann allda
Agieren, tragieren Komödia
Vor Stadt und Land und Hof und Herrn:
Die sähn das Schattenspiel wohl gern.
So such dir denn in deinem Haus
Einen rechten, tüchtigen Bengel aus
Und gib ihm die Roll von meinem Götz
In Panzer, Blechhaub und Geschwätz.
Dann nimm den Weisling vor dich hin
In Pumphos, Kragen und stolzem Kinn
Und Spada wohl nach Spanier Art
Und Weitnaslöchern, Stützleinbart,
Und sei ein Falscher an den Frauen,
Laß dich zuletzt vergiftet schauen.
Und bring, da hast du meinen Dank,
Mich vor die Weiblein ohn Gestank.
Mußt alle garst'gen Worte lindern,
Aus Scheißkerl Schurken, aus Arsch mach Hintern -
Und gleich' das alles so fortan,
Wie du's wohl ehmals schon getan.

An Johann Heinrich Merck

Schicke dir hier in altem Kleid
Ein neues Kindlein wohl bereit,
Und ist's nichts weiters auf der Bahn,
Hat's immer alte Hosen an.
Wir Neuen sind ja solche Hasen,
Sehn immer nach den alten Nasen,
Und hast ja auch, wie's jeder schaut,
Dir Neuen ein altes Haus gebaut.
Darum, wie's steht sodann geschrieben
Im Evangelium da drüben,
Daß sich der neu Most so erweist,
Daß er die alten Schläuch zerreißt. -
Ist fast das Gegenteil so wahr,
Das Alt' die jungen Schläuch reißt gar.
Und können wir nicht tragen mehr
Krebs, Panzerhemd, Helm, Schwert und Speer
Und erliegen darunter tot
Wie Ameis unterm Schollenkot,
So ist doch immer unser Mut
Wahrhaftig wahr und bieder gut.
Und allen Perrückeurs und Fratzen
Und allen literar'schen Katzen
Und Räten, Schreibern, Mädels, Kindern
Und wissenschaftlich schönen Sündern
Sei Trotz und Hohn gesprochen hier
Und Haß und Ärger für und für.
Weisen wir so diesen Philistern,
Kritikastern und ihren Geschwistern
Wohl ein jeder aus seinem Haus
Seinen Arsch zum Fenster hinaus.


Mit einer Zeichnung

Sieh in diesem Zauberspiegel
Einen Traum, wie lieb und gut
Unter ihres Gottes Flügel
Unsre Freundin leidend ruht.

Schaue, wie sie sich hinüber
Aus des Lebens Woge stritt;
Sieh dein Bild ihr gegenüber
Und den Gott, der für euch litt.

Fühle, was ich in dem Weben
Dieser Himmelsluft gefühlt,
Als mit ungeduld'gem Streben
Ich die Zeichnung hingewühlt.

Wenn du darnach was fragst

Wenn du darnach was fragst,
Wir waren hier.
Du, der du nach uns kommen magst,
Hab wenigstens so frisches Blut
Und sei so leidlich fromm und gut
Und leidlich glücklich als wie wir!

Sehnsucht

Dies wird die letzte Trän nicht sein,
Die glühend Herz aufquillet,
Das mit unsäglich neuer Pein
Sich schmerzvermehrend stillet.

O laß doch immer hier und dort
Mich ewig Liebe fühlen,
Und möcht der Schmerz auch also fort
Durch Nerv' und Adern wühlen.

Könnt ich doch ausgefüllt einmal
Von dir, o Ew'ger, werden
Ach, diese lange, tiefe Qual,
Wie dauert sie auf Erden!

Bleibe, bleibe bei mir

Bleibe, bleibe bei mir,
Holder Fremdling, süße Liebe,
Holde, süße Liebe,
Und verlasse die Seele nicht!
Ach, wie anders, wie schön
Lebt der Himmel, lebt die Erde,
Ach, wie fühl ich, wie fühl ich
Dieses Leben zum ersten Mal!

In das Stammbuch
von
Jakob Michael Reinhold Lenz

Zur Erinnerung guter Stunden,
Aller Freuden, aller Wunden,
Aller Sorgen, aller Schmerzen
In zwei tollen Dichterherzen,
Noch im letzten Augenblick
Laß ich Lenzchen dies zurück.

 

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