Spielgemeinschaft ODYSSEE - Inhaltsübersicht
http://goethe.odysseetheater.com 

Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte 
(Ausgabe letzter Hand. 1827)

Parabolisch

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)

Zuerst im Druck veröffentlicht in Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1-4: Gedichte, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1827. 

Parabolisch

Was im Leben uns verdrießt,
Man im Bilde gern genießt.

 


Erklärung
einer antiken Gemme

Es steht ein junger Feigenstock
In einem schönen Garten;
Daneben sitzt ein Ziegenbock,
Als wollt er seiner warten.

Allein, Quiriten, wie man irrt!
Der Baum ist schlecht gehütet;
Und ihm zur andern Seite schwirrt
Ein Käfer ausgebrütet.

Es fliegt der Held mit Panzerbrust
Und naschet in den Zweigen,
Und auch der Bock hat große Lust,
Gemächlich aufzusteigen.

Drum seht ihr, Freunde, schon beinah
Das Bäumchen nackt von Blättern;
Es stehet ganz erbärmlich da
Und flehet zu den Göttern.

Drum hört die guten Lehren an,
Ihr Kinder, zart von Jahren:
Vor Ziegenbock und Käferzahn
Soll man ein Bäumchen wahren!

Katzenpastete

Bewährt den Forscher der Natur
Ein frei und ruhig Schauen,
So folge Meßkunst seiner Spur
Mit Vorsicht und Vertrauen.

Zwar mag in einem Menschenkind
Sich beides auch vereinen;
Doch daß es zwei Gewerbe sind,
Das läßt sich nicht verneinen.

Es war einmal ein braver Koch,
Geschickt im Appretieren;
Dem fiel es ein, er wollte doch
Als Jäger sich gerieren.

Er zog bewehrt zu grünem Wald,
Wo manches Wildpret hauste,
Und einen Kater schoß er bald,
Der junge Vögel schmauste.

Sah ihn für einen Hasen an
Und ließ sich nicht bedeuten,
Pastetete viel Würze dran
Und setzt' ihn vor den Leuten.

Doch manche Gäste das verdroß,
Gewisse feine Nasen:
Die Katze, die der Jäger schoß,
Macht nie der Koch zum Hasen.

Seance

Hier ist's, wo unter eignem Namen
Die Buchstaben sonst zusammenkamen.
Mit Scharlachkleidern angetan,
Saßen die Selbstlauter obenan:
A, E, I, O und U dabei,
Machten gar ein seltsam Geschrei.
Die Mitlauter kamen mit steifen Schritten,
Mußten erst um Erlaubnis bitten:
Präsident A war ihnen geneigt,
Da wurd ihnen denn der Platz gezeigt;
Andre aber, die mußten stehn,
Als Pe-Ha und Te-Ha und solches Getön.
Dann gab's ein Gerede, man weiß nicht wie:
Das nennt man eine Akademie.

Legende

In der Wüsten ein heiliger Mann
Zu seinem Erstaunen tät treffen an
Einen ziegenfüßigen Faun, der sprach:
»Herr, betet für mich und meine Gefährt',
Daß ich zum Himmel gelassen werd,
Zur Seligen Freud: uns dürstet darnach.«
Der heilige Mann dagegen sprach:
»Es sieht mit deiner Bitte gar gefährlich,
Und gewährt wird sie dir schwerlich.
Du kommst nicht zum Englischen Gruß:
Denn du hast einen Ziegenfuß.«
Da sprach hierauf der wilde Mann:
»Was hat Euch mein Ziegenfuß getan?
Sah ich doch manche strack und schön
Mit Eselsköpfen gen Himmel gehn.«

Autoren

Über die Wiese, den Bach herab,
Durch seinen Garten,
Bricht er die jüngsten Blumen ab:
Ihm schlägt das Herz vor Erwarten.
Sein Mädchen kommt - o Gewinst! o Glück!
Jüngling, tauschest deine Blüten um einen Blickt
Der Nachbar Gärtner sieht herein
Über die Hecke: »So ein Tor möcht ich sein!
Hab Freude, meine Blumen zu nähren,
Die Vögel von meinen Früchten zu wehren;
Aber sind sie reif: Geld! guter Freund!
Soll ich meine Mühe verlieren?«

Das sind Autoren, wie es scheint.
Der eine streut seine Freuden herum
Seinen Freunden, dem Publikum;
Der andre läßt sich pränumerieren.

Rezensent

Da hatt ich einen Kerl zu Gast,
Er war mir eben nicht zur Last;
Ich hatt just mein gewöhnlich Essen,
Hat sich der Kerl pumpsatt gefressen,
Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt.
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
Über mein Essen zu räsonieren:
»Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein.«
Der Tausendsakerment!
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.

Dilettant und Kritiker

Es hatt ein Knab eine Taube zart,
Gar schön von Farben und bunt,
Gar herzlich lieb, nach Knabenart,
Geätzet aus seinem Mund
Und hatte so Freud am Täubchen sein,
Daß er nicht konnte sich freuen allein.

Da lebte nicht weit ein Alt-Fuchs herum,
Erfahren und lehrreich und schwätzig darum;
Der hatte den Knaben manch Stündlein ergetzt,
Mit Wundern und Lügen verprahlt und verschwätzt.

»Muß meinem Fuchs doch mein Täubelein zeigen!«
Er lief und fand ihn strecken in Sträuchen.
»Sieh, Fuchs, mein lieb Täublein, mein Täubchen so 
schön!
Hast du dein' Tag' so ein Täubchen gesehn?«

»Zeig her!« - Der Knabe reicht's. - »Geht wohl an;
Aber es fehlt noch, manches dran.
Die Federn, zum Exempel, sind zu kurz geraten.«
Da fing er an, rupft' sich den Braten.
Der Knabe schrie. - »Du mußt stärkre einsetzen,
Sonst ziert's nicht, schwinget nicht.«
Da war's nackt - Mißgeburt! - und in Fetzen.
Dem Knaben das Herze bricht.

Wer sich erkennt im Knaben gut,
Der sei vor Füchsen auf seiner Hut.

Neologen

Ich begegnet einem jungen Mann,
Ich fragt ihn um sein Gewerbe;
Er sagt': »Ich sorge, wie ich kann,
Daß ich mit, eh ich sterbe,
Ein Bauergütchen erwerbe.«
Ich sagte: »Das ist sehr wohl gedacht«;
Und wünschte, er hätt es so weit gebracht.
Da hört ich, er habe vom lieben Papa
Und ebenso von der Frau Mama
Die allerschönsten Rittergüter.

Das nenn ich doch originale Gemüter.

Krittler

Ein unverschämter Naseweis,
Der, was er durch Stahlarbeitersfleiß
Auf dem Laden künstlich liegen sah,
Dacht, es wär für ihn alleine da:
So tatscht' er dem geduldigen Mann
Die blanken Waren sämtlich an
Und schätzte sie nach Dünkelsrecht,
Das Schlechte hoch, das Gute schlecht,
Getrost, zufriednen Angesichts;
Dann ging er weg und kaufte nichts.

Den Kramer das zuletzt verdroß,
Und macht ein stählern künstlich Schloß
Zur rechten Stunde glühend heiß.
Da ruft gleich unser Naseweis:
»Wer wird so schlechte Ware kaufen!
Der Stahl ist schändlich angelaufen.«
Und tappt auch gleich recht läppisch drein
Und fängt erbärmlich an zu schrein.
Der Kramer fragt: »Was ist dann das?«
Der Quidam schreit: »Ein frostiger Spaß!«

Kläffer

Wir reiten in die Kreuz und Quer
Nach Freuden und Geschäften;
Doch immer kläfft es hinterher
Und billt aus allen Kräften.
So will der Spitz aus unserm Stall
Uns immerfort begleiten,
Und seines Bellens lauter Schall
Beweist nur, daß wir reiten.

Zelebrität

Auf großen und auf kleinen Brucken
Stehn vielgestaltete Nepomuken
Von Erz, von Holz, gemalt, von Stein,
Kolossisch hoch und puppisch klein.
Jeder hat seine Andacht davor,
Weil Nepomuk auf der Brucken das Leben verlor.

Ist einer nun mit Kopf und Ohren
Einmal zum Heiligen auserkoren
Oder hat er unter Henkershänden
Erbärmlich müssen das Leben enden,
So ist er zur Qualität gelangt,
Daß er gar weit im Bilde prangt.
Kupferstich, Holzschnitt tun sich eilen,
Ihn allen Welten mitzuteilen;
Und jede Gestalt wird wohl empfangen,
Tut sie mit seinem Namen prangen:
Wie es denn auch dem Herren Christ
Nicht ein Haar besser geworden ist.
Merkwürdig für die Menschenkinder,
Halb Heiliger, halb armer Sünder,
Sehn wir Herrn Werther auch allda
Prangen in Holzschnitts-Gloria.

Das zeugt erst recht von seinem Werte,
Daß mit erbärmlicher Gebärde
Er wird auf jedem Jahrmarkt prangen,
Wird in Wirtsstuben aufgehangen.
Jeder kann mit dem Stocke zeigen:
»Gleich wird die Kugel das Hirn erreichen!«
Und jeder spricht bei Bier und Brot:
»Gott sei's gedankt, nicht wir sind tot!«

Parabel

In einer Stadt, wo Parität
Noch in der alten Ordnung steht,
Da, wo sich nämlich Katholiken
Und Protestanten ineinander schicken
Und, wie's von Vätern war erprobt,
Jeder Gott auf seine Weise lobt,
Da lebten wir Kinder Lutheraner
Von etwas Predigt und Gesang,
Waren aber dem Kling und Klang
Der Katholiken nur zugetaner:
Denn alles war doch gar zu schön,
Bunter und lustiger anzusehn.

Dieweil nun Affe, Mensch und Kind
Zur Nachahmung geboren sind,
Erfanden wir, die Zeit zu kürzen,
Ein auserlesnes Pfaffenspiel:
Zum Chorrock, der uns wohlgefiel,
Gaben die Schwestern ihre Schürzen;
Handtücher, mit Wirkwerk schön verziert,
Wurden zur Stola travestiert;
Die Mütze mußte den Bischof zieren
Von Goldpapier mit vielen Tieren.

So zogen wir nun im Ornat
Durch Haus und Garten früh und spat
Und wiederholten ohne Schonen
Die sämtlichen heiligen Funktionen;
Doch fehlte noch das beste Stück.
Wir wußten wohl, ein prächtig Läuten
Habe hier am meisten zu bedeuten;
Und nun begünstigt' uns das Glück:
Denn auf dem Boden hing ein Strick.
Wir sind entzückt, und wie wir diesen
Zum Glockenstrang sogleich erkiesen,
Ruht er nicht einen Augenblick:
Denn wechselnd eilten wir Geschwister,
Einer ward um den andern Küster,
Ein jedes drängte sich hinzu.
Das ging nun allerliebst vonstatten,
Und weil wir keine Glocken hatten,
So sangen wir Bum Baum dazu.


Vergessen wie die ältste Sage
War der unschuld'ge Kinderscherz;
Doch grade diese letzten Tage
Fiel er mit einmal mir aufs Herz:
Da sind sie ja, nach allen Stücken,
Die neupoetischen Katholiken!

 

zurück zum Anfang

Diese Seite als PDF drucken
Wolfgang Peter, Ketzergasse 261/3, A-2380 Perchtoldsdorf, Austria Tel/Fax: +43-1- 86 59 103 Mobil: 0676 9 414 616 
www.odysseetheater.com             Impressum             Email: wolfgang@odysseetheater.com

Free counter and web stats