Zahme Xenien
IV
Laßt zahme Xenien immer walten,
Der Dichter nimmer gebückt ist.
Ihr ließt verrückten Werther schalten,
So lernt nun, wie das Alter verrückt ist.
Den Vorteil hat der Dichter:
Wie die Gemeinde prüft und probt,
So ist sie auch sein Richter;
Da wird er nun gescholten, gelobt,
Und bleibt immer ein Dichter.
Es schnurrt mein Tagebuch
Am Bratenwender:
Nichts schreibt sich leichter voll
Als ein Kalender.
»Ruf ich, da will mir keiner horchen;
Hab ich das um die Leute verdient?«
Es möchte niemand mehr gehorchen,
Wären aber alle gern gut bedient.
»Wann wird der Herr seine Freude sehn?«
Wenn er befiehlt mit Sinnen Ehrlichen
Leuten, die's recht verstehn,
Und läßt sie was gewinnen.
»Wer ist ein unbrauchbarer Mann?«
Der nicht befehlen und auch nicht gehorchen kann.
»Sage, warum dich die Menschen verlassen?«
Glaubet nicht, daß sie mich deshalb hassen;
Auch bei mir will sich die Lust verlieren,
Mit irgend jemand zu konversieren.
So hoch die Nase reicht, da mag's wohl gehn,
Was aber drüber ist, können sie nicht sehn.
Wie einer ist, so ist sein Gott,
Darum ward Gott so oft zu Spott.
Geh ich, so wird der Schade größer!
Bleib ich, so wird es auch nicht besser.
»Sei einmal ehrlich nur:
Wo findest du in deutscher Literatur
Die größte Verfänglichkeit?«
Wir sind von vielen Seiten groß,
Doch hie und da gibt sich bloß
Bedauerlichste Unzulänglichkeit.
»Verzeihe mir, du gefällst mir nicht,
Und schiltst du nicht, so schneidst ein Gesicht,
Wo sämtliche loben und preisen!«
Daß, wenn man das eine von vornen bedeckt,
Das andre bleibt hinten hinausgestreckt,
Das soll ein Anstand heißen!
»Sage, wie es dir nur gefällt,
Solch zerstückeltes Zeug zu treiben?«
Seht nur hin: für gebildete Welt
Darf man nichts anders beginnen und schreiben.
»Warum willst du das junge Blut
So schnöde von dir entfernen?«
Sie machen's alle hübsch und gut,
Aber sie wollen nichts lernen.
Die holden jungen Geister
Sind alle von einem Schlag,
Sie nennen mich ihren Meister
Und gehn der Nase nach.
Mit seltsamen Gebärden
Gibt man sich viele Pein,
Kein Mensch will etwas werden,
Ein jeder will schon was sein.
»Willst dich nicht gern vom Alten entfernen?
Hat denn das Neue so gar kein Gewicht?«
Umlernen müßte man immer, umlernen!
Und wenn man umlernt, da lebt man nicht.
»Sag uns Jungen doch auch was zuliebe.«
Nun, daß ich euch Jungen gar herzlichen liebel
Denn als ich war als Junge gesetzt,
Hatt ich mich auch viel lieber als jetzt.
Ich neide nichts, ich laß es gehn
Und kann mich immer manchem gleich erhalten;
Zahnreihen aber, junge, neidlos anzusehn,
Das ist die größte Prüfung mein, des Alten.
Künstler! dich selbst zu adeln,
Mußt du bescheiden prahlen;
Laß dich heute loben, morgen tadeln
Und immer bezahlen.
Als Knabe nahm ich mir's zur Lehre,
Welt sei ein allerliebster Spaß,
Als wenn es Vater und Mutter wäre;
Dann - etwas anders fand ich das.
Die klugen Leute gefallen mir nicht
(Ich tadle mich selbst auch wohl zuweilen):
Sie heißen das Vorsicht,
Wenn sie sich übereilen.
»Anders lesen Knaben den Terenz,
Anders Grotius.«
Mich Knaben ärgerte die Sentenz,
Die ich nun gelten lassen muß.
»So widerstrebe! Das wird dich adeln;
Willst vor der Feierstunde schon ruhn?«
Ich bin zu alt, um etwas zu tadeln,
Doch immer jung genug, etwas zu tun.
»Du bist ein wunderlicher Mann,
Warum verstummst du vor diesem Gesicht?«
Was ich nicht loben kann,
Davon sprech ich nicht.
»Bei mancherlei Geschäftigkeit
Hast dich ungeschickt benommen.«
Ohne jene Verrücktheit
Wär ich nicht so weit gekommen.
»Laß doch, was du halb vollbracht,
Mich und andre kennen!«
Weil es uns nur irremacht,
Wollen wir's verbrennen.
»Willst du uns denn nicht auch was gönnen:
Kannst ja, was mancher andre kann.«
Wenn sie mich heute verbrauchen können,
Dann bin ich ihnen ein rechter Mann.
Das alles ist nicht mein Bereich -
Was soll ich mir viel Sorge machen?
Die Fische schwimmen glatt im Teich
Und kümmern sich nicht um den Nachen.
Mit der Welt muß niemand leben,
Als wer sie brauchen will;
Ist er brauchbar und still,
Sollt er sich lieber dem Teufel ergeben
Als zu tun, was sie will.
»Was lehr ich dich vor allen Dingen?«
Möchte über meinen eignen Schatten springen!
Sie möchten gerne frei sein,
Lange kann das einerlei sein;
Wo es aber drunter und drüber geht,
Ein Heiliger wird angefleht,
Und wollen die alten uns nicht befreien,
So macht man sich behend einen neuen;
Im Schiffbruch jammert jedermann,
Daß keiner mehr als der andre kann.
Grenzlose Lebenspein,
Fast, fast erdrückt sie mich!
Das wollen alle Herren sein,
Und keiner ist Herr von sich.
Und wenn man auch den Tyrannen ersticht,
Ist immer noch viel zu verlieren.
Sie gönnten Cäsarn das Reich nicht
Und wußten's nicht zu regieren.
Warum mir aber in neuster Welt
Anarchie gar so wohl gefällt?
Ein jeder lebt nach seinem Sinn,
Das ist nun also auch mein Gewinn.
Ich laß einem jeden sein Bestreben,
Um auch nach meinem Sinne zu leben.
Da kann man frank und fröhlich leben,
Niemanden wird recht gegeben,
Dafür gibt man wieder niemand recht,
Macht's eben gut, macht's eben schlecht;
Im ganzen aber, wie man sieht,
Im Weltlauf immer doch etwas geschieht.
Was Kluges, Dummes auch je geschah,
Das nennt man Welthistoria;
Und die Herrn Bredows künft'ger Zeiten
Werden daraus Tabellen bereiten,
Darin studiert die Jugend mit Fleiß,
Was sie nie zu begreifen weiß.
Wie es in der Welt so geht -
Weiß man, was geschah?
Und was auf dem Papiere steht,
Das steht eben da.
Das Weltregiment - über Nacht
Seine Formen hab ich durchgedacht:
Den hehren Despoten lieb ich im Krieg,
Verständigen Monarchen gleich hinter dem Sieg;
Dann wünscht ich jedoch, daß alle die Trauten
Sich nicht gleich neben und mit ihm erbauten.
Und wie ich das hoffe, so kommt mir die Menge,
Nimmt hüben und droben mich derb ins Gedränge;
Von da verlier ich alle Spur. -
Was will mir Gott für Lehre daraus gönnen?
Daß wir uns eben alle nur
Auf kurze Zeit regieren können.
Ich tadl' euch nicht,
Ich lob euch nicht,
Aber ich spaße;
Dem klugen Wicht
Fährt's ins Gesicht
Und in die Nase.
Und wenn er ganz gewaltig niest,
Wer weiß, was dann daher entsprießt
Und was er alles mache:
Besinnung aber hinterdrein,
Verstand, Vernunft, wo möglich rein,
Das ist die rechte Sache.
Soll man euch immer und immer beplappern?
Gewinnt ihr nie einen freien Blick?
Sie frieren, daß ihnen die Zähne klappern,
Das heißen sie nachher Kritik.
»Du sagst gar wunderliche Dinge!«
Beschaut sie nur, sie sind geringe;
Wird Vers und Reim denn angeklagt,
Wenn Leben und Prosa das Tollste sagt?
»Du gehst so freien Angesichts,
Mit muntern, offnen Augen!«
Ihr tauget eben alle nichts,
Warum sollt ich was taugen?
»Warum bist du so hochmütig?
Hast sonst nicht so die Leute gescholten!«
Wäre sehr gerne demütig,
Wenn sie mich nur so lassen wollten.
Wenn ich dumm bin, lassen sie mich gelten;
Wenn ich recht hab, wollen sie mich schelten.
Überzeugung soll mir niemand rauben,
Wer's besser weiß, der mag es glauben.
Dem ist es schlecht in seiner Haut,
Der in seinen eignen Busen schaut.
»Wohin wir bei unsern Gebresten
Uns im Augenblick richten sollen?«
Denke nur immer an die Besten,
Sie mögen stecken, wo sie wollen.
Den Reichtum muß der Neid beteuern:
Denn er kreucht nie in leere Scheuern.
Soll der Neider zerplatzen,
Begib dich deiner Fratzen.
Soll es reichlich zu dir fließen,
Reichlich andre laß genießen.
»Ist dein Geschenk wohl angekommen?«
Sie haben es eben nicht übelgenommen.
Der Teufel! sie ist nicht gering,
Wie ich von weitem spüre;
Nun schelten sie das arme Ding,
Daß sie euch so verführe.
Erinnert euch, verfluchtes Pack,
Des paradiesischen Fallest
Hat euch die Schöne nur im Sack,
So gilt sie euch für alles.
Wenn dir's bei uns nun nicht gefällt,
So geh in deine östliche Welt.
Ich wünsche mir eine hübsche Frau,
Die nicht alles nähme gar zu genau,
Doch aber zugleich am besten verstände,
Wie ich mich selbst am besten befände.
Wäre Gott und eine,
So wäre mein Lied nicht kleine.
Gott hab ich und die Kleine
Im Lied erhalten reine.
So laßt mir das Gedächtnis
Als fröhliches Vermächtnis.
»Sie betrog dich geraume Zeit,
Nun siehst du wohl, sie war ein Schein.«
Was weißt du denn von Wirklichkeit;
War sie drum weniger mein?
»Betrogen bist du zum Erbarmen,
Nun läßt sie dich allein!«
Und war es nur ein Schein:
Sie lag in meinen Armen,
War sie drum weniger mein?
Gern hören wir allerlei gute Lehr,
Doch Schmähen und Schimpfen noch viel mehr.
Glaube dich nicht allzu gut gebettet;
Ein gewarnter Mann ist halb gerettet.
Wein macht munter geistreichen Mann,
Weihrauch ohne Feuer man nicht riechen kann.
Willst du Weihrauchs Geruch erregen,
Feurige Kohlen mußt unterlegen.
Wem ich ein besser Schicksal gönnte?
Es sind die erkünstelten Talente:
An diesem, an jenem, am Besten gebricht's,
Sie mühen und zwängen und kommen zu nichts.
»Sage deutlicher, wie und wenn;
Du bist uns nicht immer klar.«
Gute Leute, wißt ihr denn,
Ob ich mir's selber war?
»Wir quälen uns immerfort
In des Irrtums Banden.«
Wie manches verständliche Wort
Habt ihr mißverstanden.
Einem unverständigen Wort
Habt ihr Sinn geliehen;
Und so geht's immer fort;
Verzeiht, euch wird verziehen.
Nehmt nur mein Leben hin, in Bausch
Und Bogen, wie ich's führe;
Andre verschlafen ihren Rausch,
Meiner steht auf dem Papiere.
Besser betteln als borgen!
Warum sollen zwei denn sorgen?
Wenn einer sorgt und redlich denkt,
Kommt andrer wohl und heiter und schenkt.
Das sind die besten Intressen,
Die Schuldner und Gläubiger vergessen.
»Ich bin ein armer Mann,
Schätze mich aber nicht gering:
Die Armut ist ein ehrlich Ding,
Wer mit umgehn kann.«
Erlauchte Bettler hab ich gekannt,
Künstler und Philosophen genannt;
Doch wüßt ich niemand, ungeprahlt,
Der seine Zeche besser bezahlt.
»Was hat dich nur von uns entfernt?«
Hab immer den Plutarch gelesen.
»Was hast du denn dabei gelernt?«
Sind eben alles Menschen gewesen.
Cato wollte wohl andre strafen;
Selbander mocht er gerne schlafen.
Deshalb er sich zur Unzeit
Mit Schwiegertochter und Sohn entzweit,
Auch eine junge Frau genommen,
Welches ihm gar nicht wohl bekommen;
Wie Kaiser Friedrich der Letzte
Väterlich auseinandersetzte.
»Was willst du, redend zur Menge,
Dich selbst fürtrefflich preisen?«
Cato selbst war ruhmredig, der Strenge,
Plutarch will's ihm gar ernst verweisen.
Man könnt erzogene Kinder gebären,
Wenn die Eltern erzogen wären.
Was ich in meinem Haus ertrag,
Das sieht ein Fremder am ersten Tag;
Doch ändert er sich's nicht zuliebe,
Und wenn er hundert Jahre bliebe.
Wie auch die Welt sich stellen mag,
Der Tag immer belügt den Tag.
Dagegen man auch nicht gerne hört,
Wenn der Tag den Tag zerstört.
Ich bin euch sämtlichen zur Last,
Einigen auch sogar verhaßt;
Das hat aber gar nichts zu sagen:
Denn mir behagt's in alten Tagen,
So wie es mir in jungen behagte,
Daß ich nach alt und jung nicht fragte.
Mit sich selbst zu Rate gehn,
Immer wird's am besten stehn:
Gern im Freien, gern zu Haus,
Lausche da und dort hinaus,
Und kontrolliere dich für und für,
Da horchen alt und jung nach dir.
Die Xenien, sie wandeln zahm,
Der Dichter hält sich nicht für lahm;
Belieben euch aber geschärftere Sachen,
So wartet, bis die wilden erwachen.
Sibyllinisch mit meinem Gesicht
Soll ich im Alter prahlen!
Je mehr es ihm an Fülle gebricht,
Desto öfter wollen sie's malen!
»Ist's in der Näh? Kam's aus der Ferne?
Was beugt dich Heute so schwer?«
Ich spaßte wohl am Abend gerne,
Wenn nur der Tag nicht so ernsthaft wär.
Spricht man mit jedermann,
Da hört man keinen;
Stets wird ein andrer Mann
Auch anders meinen;
Was wäre Rat sodann,
Sie zu verstehen?
Kennst du nicht Mann für Mann,
Es wird nicht gehen.
Gott hat die Gradheit selbst ans Herz genommen,
Auf gradem Weg ist niemand umgekommen.
Wirst du die frommen Wahrheitswege gehen,
Dich selbst und andere triegst du nie.
Die Frömmelei läßt Falsches auch bestehen,
Derwegen haß ich sie.
Du sehnst dich, weit hinaus zu wandern,
Bereitest dich zu raschem Flug;
Dir selbst sei treu und treu den andern,
Dann ist die Enge weit genug.
Halte dich nur im stillen rein,
Und laß es um dich wettern;
Je mehr du fühlst, ein Mensch zu sein,
Desto ähnlicher bist du den Göttern.
Was hätte man vom Zeitungstraum,
Der leidigen Ephemere,
Wenn es uns nicht im stillen Raum
Noch ganz behaglich wäre!
Das Schlimmste, was uns widerfährt,
Das werden wir vom Tag gelehrt.
Wer in dem Gestern Heute sah,
Dem geht das Heute nicht allzu nah,
Und wer im Heute sieht das Morgen,
Der wird sich rühren, wird nicht sorgen.
Liegt dir Gestern klar und offen,
Wirkst du heute kräftig frei;
Kannst auch auf ein Morgen hoffen,
Das nicht minder glücklich sei. |