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Keiner sei gleich dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten. (Friedrich Schiller)
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Der "Gruppengeist"
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Es gibt viele Wege, ein Schauspiel zu gestalten. Sehr leicht ist das Ziel erreicht, wenn man alle Rollen möglichst typengerecht besetzt und darauf baut, dass sich jeder Darsteller möglichst grandios so auslebt, wie er selbst nun einmal ist. Von Haus aus extrovertierten Menschen geht diese Art übersteigerter Selbstdarstellung leicht von der Hand. Manch heftige Konflikte zwischen den oft diametral entgegengesetzten Persönlichkeiten mit ihren ganz spezifischen Eitelkeiten sind zwar kaum zu vermeiden, aber ist einmal der Text gelernt, so ist eine Aufführung bald auf die Beine gebracht. Das Publikum ist zufrieden und das Ego des Schauspielers wohltuend befriedigt - soweit so gut! Und doch kann Schauspiel noch viel mehr sein. Das merkt man gleich, wenn einmal eine Rolle bewusst völlig quer zum Typ besetzt wird. Dann geht es plötzlich nicht mehr um Selbstdarstellung, sondern vielmehr darum, von sich selbst soweit als möglich loszukommen und eine völlig neue, fremde, unvertraute Persönlichkeit auf der Bühne zu erschaffen. Das verlangt mehr als bloß äußerlich eine "Maske" aufzusetzen. So konträr zur eigenen kann diese Persönlichkeit sein, dass man sich zunächst mit Händen und Füßen dagegen sträubt, ihr Leben zu verleihen. Ist sie erhabener als man selbst sich dünkt, fühlt sich das eigene Ego nur allzu leicht gekränkt. Soll man gar den grausamen Bösewicht , den Haderlump oder Schlimmeres gestalten, dann ist das Maß des Unglücks voll. Nein, nein, das bin ich nicht, die Rolle spiele ich nicht! Vielleicht nicht immer so offensichtlich, liegen derartige innere Seelenkonflikte jeder ernsthaften Rollenarbeit zu Grunde. Man muss mit sich selbst ringen - und das noch dazu öffentlich, mitten auf der Bühne vor den anderen Kollegen, die der Probe beiwohnen. Das erfordert Mut, aber es lohnt sich. Gelingen kann es nur, wenn man seine verborgenen Seelentiefen viel mehr bloßlegt, als man es im Alltagsleben gewohnt ist. Wohlgemerkt, nicht um irgendwelchen privaten Tratsch geht es dabei, sondern um viel grundlegendere seelische Qualitäten, die kaum benannt, aber umso deutlicher gefühlt werden können. Das macht sehr verletzlich; jede noch so leise spöttelnde Kritik der Kollegen kann tief verwunden. Gedeihen kann eine derartige Probenarbeit daher nur, wenn man möglichst offen, ehrlich, vertrauensvoll und tolerant miteinander umgeht. Jeder Mensch, und erst recht jeder Schauspieler, hat nun einmal seinen eigenen "Vogel" - und man muss lernen, mit den "Vögeln" der anderen umzugehen und seinen eigenen im Zaum zu halten, ohne ihn deswegen verleugnen zu müssen. Gelingt das nicht, wird niemals eine brauchbare Aufführung zustande kommen. Hat man so eine völlig neue Persönlichkeit erschaffen, bleibt doch die eigene Individualität vollgültig daneben bestehen. Niemals ist es heilsam, sich mit seiner Rolle völlig zu identifizieren - oder sollte etwa, krass gesagt, wer einen Mörder spielt, deswegen selbst zum Mörder werden? Nicht zusammenfließen darf man mit seiner Rolle, sondern man muss ihr den eigenen Körper leihen, d.h. sie "verkörpern", damit das, was im Rollentext verborgen ruht, dem Publikum sichtbar vor Augen geführt wird. "Körper" meint dabei durchaus mehr als diesen äußeren physischen Klotz; er lebt in der bewegenden Geste ebenso wie in der durchseelten Wortgestaltung. Jede Charakterdarstellung wird daher so individuell wie nur irgend möglich geprägt sein - denn das eigene Wesen ist das Rohmaterial, aus dem sich eine völlig neue Bühnenpersönlichkeit aufbaut. So viel muss man jedenfalls von sich selbst hergeben und der "Rolle" verleihen. Aber nicht ärmer wird man dadurch, sondern reicher. Von jeder Rolle die man so gestaltet hat , nimmt man ein Stückchen mit hinein in seine eigene Individualität. Nicht etwa den Bösewicht oder Streithansel, auch nicht den Helden - aber vielleicht überwindet man doch ein paar dunkle Fleckchen in sich selbst. Dann wächst das eigene Ich ein bisschen und ist mehr als bloßes Ego, das stets so bleiben will, wie es ist.
Das Ich wächst über sich hinaus und damit zugleich zu den anderen hin. Dadurch entsteht erst jene Gemeinschaft, die kreative Kräfte weckt, über die der Einzelne für sich selbst niemals verfügt. Dem Regisseur obliegt es, dafür wachsam und empfänglich zu sein. Nicht ein Diktator darf er sein, der rücksichtslos sein Ego durchsetzen will, sonder er muss der "Geburtshelfer" des heranreifenden Gruppengeistes werden. Wo einer den anderen beflügelt, entsteht erst wahre Begeisterung und wirkliche Freude am gemeinsamen Spiel. Dann sind tiefer Ernst und ausgelassene Heiterkeit aufs engste miteinander verknüpft. Dann entstehen auch da und dort jene völlig ungezwungenen Freundschaften, die über das Theaterspiel hinausreichen und es erst wirklich persönlich und menschlich machen. Neue Mitglieder in die Gemeinschaft aufzunehmen, ist immer schwierig - für beide Teile. Sich selbst zu integrieren und von den anderen integriert zu werden, ist auch bei bestem Willen manchmal mühevoll - dafür aber, wenn es gelingt, umso fruchtbarer. Dann muss sich der "Gemeinschaftsgeist" selbst weiterentwickeln. Gerade in dieser Hinsicht waren für uns die letzten Jahre, in denen wir einige neue Mitglieder hinzugewonnen haben, besonders förderlich. Zu jeder Spielgemeinschaft gehört unverzichtbar aber noch das Publikum. Und die wirklich gelungenen Theaterabende sind jene, wo sich ein kaum fassbares seelisches Band zwischen Darstellern und Publikum knüpft und der graue Alltag in der Zauberwelt des Theaters versinkt. Dann ist der "Gruppengeist", der Schauspieler und Zuschauer gleichermaßen erfasst, zwar keine körperlich greifbare, aber dafür seelisch umso realere Wirklichkeit. Wolfgang PETER
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Wolfgang
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