Jean Poquelin
Tapissier ordinaire du Roy
Im "Pavillon des Singes" genannten
väterlichen Eckhaus Rue St. Honore/Rue de Vielle Étude,
nahe der Pariser Markthallen, wird Jean Poquelin
der sich später Jean-Baptiste Molière nannte - als
erstes Kind des Tapezierermeisters Jean Poquelin und der
einer Musikerfamilie entstammenden Marie Cressé geboren.
Vermutlich schon am nächsten Tag, dem 15. Januar 1622,
wird er in der Kirche Saint-Eustache getauft.
Durch den theaternärrischen Großvater Cressé lernt der
junge Jean Poquelin das turbulente Treiben im
Stadtviertel der Hallen kennen, das ihn mit seinem
buntscheckigen, von allen Volkstypen wimmelnden
Jahrmarktsgewirr fasziniert.
Jean ist zehn Jahre alt, als seine Mutter im Kindbett
stirbt. Nach Ablauf des Trauerjahres heiratet der Vater
Catherine Fleurette, die Tochter eines angesehenen
Kaufmanns. Sie führt nun die Wirtschaft und versorgt die
Kinder.
1635 tritt Jean-Baptiste in das "Collège de
Clermont" ein. Kaum ein Jahr später stirbt auch
seine Stiefmutter Cathérine im Wochenbett. Jean-Baptiste
leistet, der Familientradition entsprechend, als
ältester Sohn den Diensteid der Nachfolge als
"Valet de Chambre, Tapissier ordinaire du Roy".
Die Leidenschaft erwacht
- Madeleine Béjart und das "Illustre
Théâtre"
Ab 1640 studiert Jean-Baptiste Rechte in Orléans.
Drei Jahre später verzichtet er zugunsten seines
jüngeren Bruders Jean auf die Charge des "Tapissier
du Roy" und schließt sich, fasziniert von der
jungen Schauspielerin Madeleine Béjart, den Komödianten
des "Illustre Theâtre" an. Beiden, Madeleine
und dem Theater, verfiel er mit Leib und Seele. Von
Tiberio Fiorelli, berühmt als "Scaramouche",
dem großen Mimen, Lautenspieler und Star der
italienischen Komödianten, erhält der junge Jean
Poquelin seinen ersten Schauspielunterricht.
1645 spielt die Truppe der Familie Béjart unter dem
Patronat des Herzogs von Epernon. Es folgen Gastspiele in
Nantes, Rennes, Cadillac und Bordeaux. Später zieht die
Truppe unter ärmlichsten Verhältnissen durch die Languedoc.
Auf Schloß La Grange gewinnt Molière (dieser
Künstlername taucht erstmals 1644 auf) schließlich die
Protektion des Prinzen Conti, der ihm sogar die
freigewordene Stelle als Sekretär anbietet, die Molière
aber dankend ablehnt.
1655 entsteht Molières erste fünfaktige, in
Alexandrinern gedichtete Komödie Der Tolpatsch
oder immer zur Unzeit".
Königliche Protektion -
der Durchbruch gelingt
Am 24. Oktober 1658 wird die Wanderbühne Molières
als Truppe von Monsieur, dem einzigen Bruder des
Königs eingeladen, vor König und Hof im Saal der
Garden des Louvre zu gastieren. Auf Anordnung des Königs
darf sich Molière nun mit Scaramouche das Theater
du petit Bourbon teilen. Nach einem
erfolglosen Jahresanfang gelingt 1659 der Durchbruch mit
Der Tolpatsch und
Liebesverwirrung. Nach Abzug der Italiener
wird Molière Alleinherrscher im Petit
Bourbon.
Die lächerlichen Preziösen werden
gleichermaßen zum Triumph wie zum Skandal. Die
Preziösen, die sich als geistige Elite von
Paris verstanden, und die neue Regelungen für ein
gesittetes gesellschaftliches Leben schaffen wollten,
fühlten sich zutiefst verspottet.
Schicksalsschläge und
Erneuerung - die erste Ballettkomödie
Im April 1660 stirbt Molières jüngerer Bruder Jean
Poquelin. Monsieur de Ratabon läßt im Oktober den Saal
des "Petit Bourbon" abreißen. Zwar weist der
König Molière den Theatersaal im Palais Royal zu, doch
zwischenzeitlich ist die Truppe drei Monate ohne Theater.
1661 erlebt Molière einen totalen Reinfall mit Don
Garcia von Navarra, kann aber bald mit Die
Männerschule als Dichter und Darsteller
triumphieren. Auf dem Fest des allmächtigen
Finanzministers Fouquet werden Die Lästigen
in Schloß Vaux als erste Ballett-Komödie aufgeführt.
Armande Béjart - Ehe
mit Hindernissen
Am 23. Januar 1662 wird der Heiratskontrakt zwischen
Molière und Armande Béjart aufgesetzt. War Armande
Madeleines Tochter oder Schwester? eine Frage,
über die Ströme von Tinte vergossen worden sind,
ohne ein sicheres Ergebnis zu erzielen. Die
Kirchliche Trauung fand am 20. Februar in
Saint-Germain-1'Auxerrois statt. Wie sich Madeleine zu
dieser Hochzeit gestellt hat, ist nicht bekannt; immerhin
hatte sie seit 1643 mit Molière in wilder Ehe gelebt
allerdings während dieser Zeit auch noch mehrere
andere Liebhaber gehabt.
Jedenfalls war diese Hochzeit eine gute Gelegenheit für
den von Molière parodierten fetten Montfleury, dem
Königsdarsteller des Hotel de Bourgogne,
sich zu rächen. Er zeigte Jean-Baptiste Poquelin,
genannt de Molière, bei der Polizei an: ...er habe
seine eigene Tochter geheiratet und <autrefois> mit
der Mutter geschlafen. Die Inzestanklage wird
jedoch niedergeschlagen. Als dann noch Ludwig XIV und
Henriette von England die Patenschaft für Molières
Erstgeborenen übernehmen, ist die leidige Sache
offiziell aus der Welt.
Armande wird schon bald zu einer der wichtigsten
Schauspielerinnen der Truppe. Die Nachwelt hat sich
allerdings allzuoft lieber mit Armandes an geblichen,
aber kaum stichhaltig zu belegenden ehelichen Eskapaden
und den häufigen Auseinandersetzungen des ungleichen
Paares beschäftigt als mit ihrem schauspielerischen und
organisatorischen Talent.
Großzügige Gratifikationen des Königs sichern die
finanzielle Stellung der Truppe. Obendrein gelingt mit
der Schule der Frauen der bisher größte
Erfolg: das Stück spielt in drei Wochen beachtliche
11,000 Livres ein. Aber auch Kritik macht sich breit. Im
August 1663 erscheint Zelinde oder die wahre Kritik
der Frauenschule von Donneau de Vise. Und im
Oktober spielt das Hôtel de Bourgogne, das
ständig mit Molière rivalisierte, Das Porträt
des Malers, in dem Molière gar als Hahnrei
verspottet wird.
"Das Fest des
Jahrhunderts" in Versailles 1664
Molières Erfolge setzen sich fort mit Das
Stegreifspiel von Versailles, Die erzwungene
Heirat und Die Vergnügungen der verzauberten
Insel.
Mit verschiedenen neuen Stücken beteiligt sich Molière
auch am Traumfest des Königs - dem Fest des
Jahrhunderts - , an dem alle Pariser Bühnen
teilnehmen: Die Prinzessin von Elis und am
12. Mai die ersten drei Akte des Tartuffe -
unter dem Titel Der Heuchler - ; weitere
Aufführungen dieses komprimierten
Ur-Tartuffe werden allerdings verboten.
Jean Racine - eine
Freundschaft zerbricht
Im Palais Royal inszeniert Molière La
Thebaide, das erste Stück Racines. Der erste
Privatbrief an den König mit der Bitte um Freigabe des
Tartuffe wird abschlägig beschieden, jedoch
eine königliche Gratifikation von 1,000 Livres
überwiesen - die bis 1671 jährlich, aber in
unregelmäßigen Abständen gezahlt wird.
Der am 19. Januar 1664 geborene erste Sohn Molières
stirbt im November des selben Jahres.
1665 erscheint Don Juan oder der steinerne
Gast. Am 3. August wird Molières Tochter
Esprit-Madeleine geboren. Die Truppe erhält in
Saint-Germain den offiziellen Titel Troupe du Roy
au Palais Royal und eine Subvention von 6,000
Livres jährlich.
Im September wird Der verliebte Arzt in
Versailles aufgeführt, und im November folgt eine
Privatvorstellung des Tartuffe in Raincy.
Während der Proben zu Racines zweitem Stück
Alexander der Große kommt es zu
Auseinandersetzungen zwischen Autor und Regiesseur. Als
dann noch das Hôtel de Bourgogne dasselbe
Stück Racines spielt, bricht die Freundschaft endgültig
auseinander.
Totale Erschöpfung
Der Ärger mit Racine, dazu ewig neue Querelen mit
Armande - all das wird zuviel für Jean-Baptiste. Völlig
entkräftet zieht er sich in das neue Landhaus in Auteuil
zurück; von Januar bis März kann er nicht spielen. In
derselben Woche, in der Prinz Conti stirbt, erscheinen
Die Werke des Herrn Molière, neun Komödien
in zwei Bänden mit Titelkupfer von Francois Chauveau.
Im Juni hat Der Menschenfeind oder der verliebte
Griesgram enttäuschend geringen Erfolg, bis das
Stück zusammen mit Der Arzt wider Willen am
6. August gegeben wird. In der königlichen
Festvorstellung Ballett der Musen zu
Saint-Germain-en-Laye wird Mélicerte einmal
gespielt. Ein anschließendes Gastspiel in Saint-Germain
wird mit den neuen Komödien Komische
Pastorale und Der Sizilianer oder der
verliebte Maler bestritten.
Kampf um
"Tartuffe"
Am 4. März 1667 erfolgt die Uraufführung des
Attila von Corneille. Der
Betrüger , am 5. August mit angeblicher
Genehmigung des Königs öffentlich aufgeführt, wird
schon am nächsten Tag durch den Präsidenten von
Lamoignon verboten.
Zwei Bittschriften an den in Flandern weilenden König
werden ausweichend beantwortet. Am 11. August verbietet
der Bischof von Paris, Hardouin de Perefixe, obendrein
jede öffentliche oder private Aufführung oder Vorlesung
des Tartuffe unter Androhung der
Exkommunikation.
Molière, krank in Auteuil, inspiriert seinen Freund
Chapelle zu dem verständnisvollen Brief über den
Betrüger, mit dem er Molière wichtige
Schützenhilfe für den Tartuffe gibt.
Das Jahr 1668 ist mit Vorstellungen von
Amphitryon, George Dandin, und
Der Geizige ausgefüllt. Im Februar stirbt
auch Molières Vater Jean Poquelin.
Auf den Jagdfesten des Königs in Chambord wird
Monsieur de Pourceaugnac, Ballett-Komödie zum
Vergnügen seiner Majestät gegeben, die ebenso
erfolgreich im November in Paris läuft. Damit klingt das
Jahr 1669 ebenso erfreulich aus wie es begonnen hatte.
Schon am 5. Februar war endlich die Uraufführung der
letzten - uns einzig bekannten - Fassung des
Tartuffe genehmigt worden!
Kaum ein Jahr später, im Oktober 1670, triumphiert
Molière mit Der Bürger als Edelmann in
Chamfort und im November im Pariser Palais
Royal.
Amor und Psyche - die
Pariser Dichter arbeiten zusammen
Im Januar 1671 und während des ganzen Karnevals
läuft in den Tuilerien Psyche, ein
Gemeinschaftswerk von Molière, Corneille, Quinault und
Lully. Die Zauberdekorationen, die Ballette und vor allem
die großartige Inszenierung von Molière machen die
Texte zur Nebensache. Und alles ist des Lobes voll über
Armande und Michel Baron, die als ideales Liebespaar
erscheinen - auch außerhalb der Bühne!
Psyche wird ein Sensationserfolg für drei
Jahre mit 84 Vorstellungen.
Von März bis April wird das Palais Royal umgebaut. Zu
dieser Zeit ist auch Scaramouche von seinem letzten
Heimatausflug endgültig nach Paris zurückgekehrt. Die
alte Freundschaft wird erneuert; nur ist es etwas
störend, daß der geniale Italiener Publikum abzieht.
Molière kontert mit einer ganz im Stil der
Commedia dell'arte verfaßten Farce:
Die Gaunerstreiche des Scapin.
Im November und Dezember folgt ein Gastspiel in
Saint-Germain für Liselotte von der Pfalz, zweite
Gemahlin des Herzogs von Orléans, dem Bruder des
Königs. Dabei wird auch, als letzter Auftrag des
Königs, La Comtesse d'Escarbagnas gespielt.
Madeleine Béjarts
Testament - Versöhnung mit Armande
Am 9. Januar 1672 macht Madeleine Béjart, todkrank,
ihr Testament zugunsten von Armande und stirbt am 17.
Februar. Vor ihrem Tod konnte sie noch Molière und
Armand miteinander versöhnen. Durch die Erbschaft hat
das Paar nun Geld im Überfluß. Am 15. September bringt
Armande einen Sohn zur Welt. Voller Vaterstolz läßt
Molière den Knaben auf den Namen Jean-Baptiste-Armand
taufen. Aber das Unterpfand der neuen Liebe stirbt kaum
drei Wochen später.
Am 11. März hatten bereits Die gelehrten
Frauen Premiere gehabt jenes Stück, welches
Molière stets als seine beste Komödie bezeichnet hat.
Todesschatten
Molière ist zu dieser Zeit schon von seiner schweren
Lungenkrankheit gezeichnet. Da erschleicht sich auch noch
Lully das Privileg, mit seiner Königlichen
Musikakademie das gesamte Musikwesen zu
kontrollieren. Molière protestiert - und erhält
gnädigst die Erlaubnis, sechs Sänger und zwölf
Musikanten einsetzen zu dürfen.
Ein
Hypochonder stirbt
Am Freitag, den 10. Februar 1675 hebt sich der Vorhang
für das neue Stück Der eingebildete Kranke
- eine Komödie mit ansehnlich getanzten und
gesungenen Zwischenspielen von Charpentier und
Beauchamps. Hier findet das gleichermaßen
hypochondrische wie euphorische Lebensgefühl Molières
einen letzten künstlerischen Höhepunkt. Paris ist
begeistert. Die Einnahmen des ersten Abends betragen fast
2,000 Livres.
Freitag, den 17. Februar, am Schluß der vierten
Aufführung erleidet Molière einen Blutsturz und stirbt
noch am selben Tag, 10 Uhr abends.
Die Komödie geht weiter
Da dem Komödianten ein christliches Begräbnis
verweigert wird, eilt die empörte Witwe mit einer
Bittschrift zum Erzbischof und wird abschlägig
beschieden. In ihrer Verzweiflung wirft sie sich in
Versailles dem Sonnenkönig zu Füßen, aber auch Ludwig
XIV entläßt sie ungnädig, bestellt aber den Bischof zu
sich und fragt ihn, wie tief denn geweihte Erde
eigentlich sei. Als der antwortet: Drei Fuß,
Sire, erwidert der gnädige Monarch: Dann
begrabt ihn halt vier Fuß tief!.
Am Tag der Beerdigung, dem 21. Februar versammelt sich
vor dem Trauerhaus eine fanatisierte Menge, die nur
zerstreut werden kann, indem Armande über 1,000 Livres
in kleiner Münze aus dem Fenster wirft.
Um 21 Uhr abends wird der Holzsarg mit den sterblichen
Überresten von der Rue de Richelieu zum Friedhof
Saint-Eustache getragen. Zwei schweigende Priester
schreiten voran. Zweihundert Menschen folgen mit Fackeln
in den Händen dem Sarg. Hinter Armande und Baron folgen
die Komödianten, danach Freunde und Verwandte. Keine
Glocke läutet, kein Gebet wird gesprochen, als der Sarg
mit dem Emblem des Tapissier du Roy in die
Erde gesenkt wird.
Genau ein Monat später übergibt Ludwig XIV das Palais
Royal an Lully für seine Königliche Akademie der
Musik. Der Rest von Molières Truppe, mit Armande
an der Spitze, richtet sich in der Rue Guenegaud ein und
vereinigt sich mit der Truppe Marais.
Am 18. August 1680 wird die Truppe des Hotel Guénégaud
mit der des Hôtel Bourgogne auf königliche Order
vereinigt: das ist die Geburtsstunde der
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