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Friedrich Schiller

Friedrich Schiller

(1759 - 1805)

 

 

Tragödie und Komödie

(1792/93)

Tragödie und Komödie

Das Gemüt in Freiheit zu setzen, erzielen beide; die Komödie leistet es aber durch die moralische Indifferenz, die Tragödie durch die Autonomie.

In der Komödie muß alles von dem moralischen Forum auf das physische gespielt werden, denn das moralische erlaubt keine Indifferenz. Behandelt die Komödie etwas, was unser moralisches Gefühl interessiert, so liegt ihr ob, es zu neutralisieren, d. i. es in die Klasse natürlicher Dinge zu versetzen, welche nach der Kausalität notwendig erfolgen. Undank z. B. ist an sich etwas, was unser moralisches Gefühl affiziert. Undank kann tragisch behandelt werden, so im »Lear« der Undank der Töchter gegen den Vater, und da ist es eine moralische Rührung. Wir werden dadurch moralisch verletzt, das kann und soll uns nicht erspart werden, denn die Tragödie fordert, daß wir leiden; durch den Schmerz führt sie uns zur Freiheit.

Undank kann aber auch in der Komödie behandelt werden, aber dann muß er als eine natürliche Sache erscheinen; und wenn wir in der Tragödie mit demjenigen Mitleiden haben, der Undank erleidet, so muß uns die Komödie den lächerlich machen, welcher Dank erwartet.

Man hat den Molière getadelt, daß er in dem »Tartuffe« den Heuchler zum Gegenstand einer Komödie gemacht; ein Charakter, der immer Abscheu errege und folglich für die Heiterkeit des Lustspiels nicht geeignet sei. Wenn Moliere wirklich durch Darstellung seines Heuchlers unsre Indignation, unsern Abscheu erregt, so hat er freilich Unrecht, und in diesem Fall hätte ihn der Genius der Komödie verlassen. Auch den Heuchler kann die Komödie behandeln, aber dann muß es so geschehen, daß nicht er abscheulich, sondern die, welche er betrügt, lächerlich werden. Welche von beiden, die Komödie oder die Tragödie, höher stehe, ist öfters gefragt worden. Man müßte untersuchen, welche das Höhere erzielt, aber dann wird man finden, daß beide aus so verschiedenen Punkten ausgehen und nach so verschiedenen Punkten wirken, daß sie sich nicht vergleichen lassen. Im ganzen kann man sagen: die Komödie setzt uns in einen höhern Zustand, die Tragödie in eine höhere Tätigkeit. Unser Zustand in der Komödie ist ruhig, klar, frei, heiter, wir fühlen uns weder tätig noch leidend, wir schauen an, und alles bleibt außer uns; dies ist der Zustand der Götter, die sich um nichts Menschliches bekümmern, die über allem frei schweben, die kein Schicksal berührt, die kein Gesetz zwingt.

Aber wir sind Menschen, wir stehen unter dem Schicksal, wir sind unter dem Zwang von Gesetzen. Es muß also eine höhere, rüstigere Kraft in uns aufgeweckt und geübt werden, damit wir uns wiederherstellen können, wenn jenes glückliche Gleichgewicht, worin die Komödie uns fand, aufgehoben ist. Dort brauchten wir diese Kraft nicht, weil wir mit nichts zu kämpfen hatten; aber hier müssen wir siegen und bedürfen also der Kraft. Die Tragödie macht uns nicht zu Göttern, weil Götter nicht leiden können; sie macht uns zu Heroen, d. i. zu göttlichen Menschen, oder, wenn man will, zu leidenden Göttern, zu Titanen. Prometheus, der Held einer der schönsten Tragödien, ist gewissermaßen ein Sinnbild der Tragödie selbst.

 

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