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Friedrich Schiller

Friedrich Schiller

(1759 - 1805)

 

 

Vom Erhabenen

Vom Erhabenen

(Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen)

Erhaben nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre  vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch, d.i. durch Ideen erheben. Nur als Sinnenwesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frei.

Der erhabene Gegenstand gibt uns erstlich: als Naturwesen unsre Abhängigkeit zu empfinden, indem er  uns zweitens: mit der Unabhängigkeit bekannt macht,  die wir als Vernunftwesen über die Natur sowohl in  uns als außer uns, behaupten.

Wir sind abhängig, insofern etwas außer uns den  Grund enthält, warum etwas in uns möglich wird. Solange die Natur außer uns den Bedingungen konform ist, unter welchen in uns etwas möglich wird,  solange können wir unsre Abhängigkeit nicht fühlen.  Sollen wir uns derselben bewußt werden, so muß die  Natur mit dem, was uns Bedürfnis und doch nur  durch ihre Mitwirkung möglich ist, als streitend vorgestellt werden, oder, was ebensoviel sagt, sie muß  sich mit unsern Trieben im Widerspruch befinden. Nun lassen sich alle Triebe, die in uns, als Sinnenwesen, wirksam sind, auf zwei Grundtriebe zurückführen. Erstlich besitzen wir einen Trieb, unsern  Zustand zu verändern, unsre Existenz zu äußern,  wirksam zu sein, welches alles darauf hinausläuft, uns Vorstellungen zu erwerben, also Vorstellungstrieb,  Erkenntnistrieb heißen kann. Zweitens besitzen wir  einen Trieb, unsern Zustand zu erhalten, unsere Existenz fortzusetzen, welches Trieb der Selbsterhaltung  genannt wird.

Der Vorstellungstrieb geht auf Erkenntnis, der  Selbsterhaltungstrieb auf Gefühle, also auf innre  Wahrnehmungen der Existenz.

Wir stehen also durch diese zweierlei Triebe in  zweifacher Abhängigkeit von der Natur. Die erste  wird uns fühlbar, wenn es die Natur an den Bedingungen fehlen läßt, unter welchen wir zu Erkenntnissen  gelangen; die zweite wird uns fühlbar, wenn sie den  Bedingungen widerspricht, unter welchen es uns möglich ist, unsre Existenz fortzusetzen. Ebenso behaupten wir durch unsere Vernunft eine zweifache Unabhängigkeit von der Natur: erstlich: indem wir (im  Theoretischen) über Naturbedingungen hinausgehen  und uns mehr denken können, als wir erkennen; zweitens: indem wir (im Praktischen) uns über Naturbedingungen hinwegsetzen und durch unsern willen unsrer Begierde widersprechen können. Ein Gegenstand,  bei dessen Wahrnehmung wir das erste erfahren, ist  theoretisch groß, ein Erhabenes der Erkenntnis. Ein  Gegenstand, der uns die Unabhängigkeit unsers  Willen zu empfinden gibt, ist praktisch groß, ein Erhabenes der Gesinnung.

Bei dem Theoretischerhabenen steht die Natur als  Objekt der Erkenntnis im Widerspruch mit dem Vorstellungstriebe. Bei dem Praktischerhabenen steht sie  als Objekt der Empfindung im Widerspruch mit dem  Erhaltungstrieb. Dort wurde sie bloß als ein Gegenstand betrachtet, der unsre Erkenntnis erweitern sollte; hier wird sie als eine Macht vorgestellt, die unsern eigenen Zustand bestimmen kann. Kant nennt daher  das Praktischerhabene das Erhabene der Macht oder  das Dynamischerhabene, im Gegensatz von dem  Mathematischerhabenen. Weil aber aus den Begriffen  dynamisch und mathematisch gar nicht erhellen  kann, ob die Sphäre des Erhabenen durch diese Einteilung erschöpft sei oder nicht, so habe ich die Einteilung in das Theoretisch, und Praktisch-Erhabene  vorgezogen.

Auf was Art wir in Erkenntnissen von Naturbedingungen abhängig sind und dieser Abhängigkeit uns  bewußt werden, wird bei Entwicklung des  Theoretischerhabenen hinreichend ausgeführt werden. Daß unsre Existenz als Sinnenwesen von Naturbedingungen außer uns abhängig gemacht ist, wird wohl  kaum eines eigenen Beweises bedürfen. Sobald die  Natur außer uns das bestimmte Verhältnis zu uns ändert, auf welches unser physischer Wohlstand  gegründet ist, so wird auch sogleich unsre Existenz in der Sinnenwelt, die an diesem physischen Wohlstande haftet, angefochten und in Gefahr gesetzt. Die Natur  hat also die Bedingungen in ihrer Gewalt, unter denen wir existieren, und damit wir dieses zu unserm Dasein so unentbehrliche Naturverhältnis in acht nehmen  sollten, so ist unserm physischen Leben an dem  Selbsterhaltungstriebe ein wachsamer Hüter, diesem  Triebe aber an dem Schmerz ein Warner gegeben  worden. Sobald daher unser physischer Zustand eine  Veränderung erleidet, die ihn zu seinem Gegenteil zu  bestimmen droht, so erinnert der Schmerz an die Gefahr, und der Trieb der Selbsterhaltung wird durch ihn zum Widerstand aufgefordert.

Ist die Gefahr von der Art, daß unser Widerstand  vergeblich sein würde, so muß Furcht entstehen. Ein  Objekt also, dessen Existenz den Bedingungen der  unsrigen widerstreitet, ist, wenn wir uns ihm an  Macht nicht gewachsen fühlen, ein Gegenstand der  Furcht, furchtbar.

Aber es ist nur furchtbar für uns als Sinnenwesen,  denn nur als solche hängen wir ab von der Natur.  Dasjenige in uns, was nicht Natur, was dem Naturgesetz nicht unterworfen ist, hat von der Natur außer  uns, als Macht betrachtet, nichts zu befahren. Die  Natur, vorgestellt als eine Macht, die zwar unsern  physischen Zustand bestimmen kann, aber auf unsern  Willen keine Gewalt hat, ist dynamisch oder praktisch erhaben.

Das Praktischerhabene unterscheidet sich also  darin von dem Theoretischerhabenen, daß es den Bedingungen unsrer Existenz, dieses nur den Bedingungen der Erkenntnis widerstreitet. Theoretischerhaben  ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung der  Unendlichkeit mit sich führet, deren Darstellung sich  die Einbildungskraft nicht gewachsen fühlt. Praktischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung einer Gefahr mit sich führt, welche zu besiegen sich unsre physische Kraft nicht vermögend fühlt. Wir erliegen an dem Versuch, uns von dem ersten  eine Vorstellung zu machen. Wir erliegen an dem  Versuch, uns der Gewalt des zweiten zu widersetzen.  Ein Beispiel des ersten ist der Ozean in Ruhe, der  Ozean im Sturm ein Beispiel des zweiten. Ein ungeheuer hoher Turm oder Berg kann ein Erhabenes der  Erkenntnis abgeben. Bückt er sich zu uns herab, so  wird er sich in ein Erhabenes der Gesinnung verwandeln. Beide haben aber wieder das miteinander gemein, daß sie gerade durch ihren Widerspruch mit den Bedingungen unsers Daseins und Wirkens diejenige  Kraft in uns aufdecken, die an keine dieser Bedingungen sich gebunden fühlt; eine Kraft also, die einerseits sich mehr denken kann, als der Sinn faßt, und die  andrerseits für ihre Unabhängigkeit nichts fürchtet  und in ihren Äußerungen keine Gewalt erleidet, wenn  auch ihr sinnlicher Gefährte unter der furchtbaren Naturmacht erliegen sollte.

Ob aber gleich beide Arten des Erhabenen ein gleiches Verhältnis zu unserer Vernunftkraft haben, so  stehen sie doch in einem ganz verschiednen Verhältnis zu unsrer Sinnlichkeit, welches einen wichtigen  Unterschied, sowohl der Stärke als des Interesse, zwischen ihnen begründet.

Das Theoretischerhabene widerspricht dem Vorstellungstrieb, das Praktischerhabene dem Erhaltungstrieb. Bei dem ersten wird nur eine einzelne Äußerung der sinnlichen Vorstellungskraft, bei dem zweiten  aber wird der letzte Grund aller möglichen Äußerungen desselben, nämlich die Existenz, angefochten. Nun ist zwar jedes mißlingende Bestreben nach Erkenntnis mit Unlust verbunden, weil einem tätigen  Trieb dadurch widersprochen wird. Aber bis zum  Schmerz kann diese Unlust nie steigen, solange wir  unsere Existenz von dem Gelingen oder Mißlingen  einer solchen Erkenntnis unabhängig wissen und unsere Selbstachtung nicht dabei leidet.

Ein Gegenstand aber, der den Bedingungen unsers  Daseins widerstreitet, der in der unmittelbaren Empfindung Schmerz erregen würde, erregt in der Vorstellung Schrecken; denn die Natur mußte zu Erhaltung  der Kraft selbst ganz andere Anstalten treffen, als sie  zu Unterhaltung der Tätigkeit nötig fand. Unsre Sinnlichkeit ist also bei dem furchtbaren Gegenstand  ganz anders interessiert als bei dem unendlichen; denn der Trieb der Selbsterhaltung erhebt eine viel lautere  Stimme als der Vorstellungstrieb. Es ist ganz etwas  anders, ob wir um den Besitz einer einzelnen Vorstellung oder ob wir um den Grund aller möglichen Vorstellungen, unsre Existenz in der Sinnenwelt, ob wir  für das Dasein selbst oder für eine einzelne Äußerung desselben zu fürchten haben.

Eben deswegen aber, weil der furchtbare Gegenstand unsere sinnliche Natur gewaltsamer angreift als  der unendliche, so wird auch der Abstand zwischen  dem sinnlichen und übersinnlichen Vermögen dabei  um so lebhafter gefühlt, so wird die Überlegenheit der Vernunft und die innere Freiheit des Gemüts desto  hervorstechender. Da nun das ganze Wesen des Erhabenen auf dem Bewußtsein dieser unsrer Vernunftfreiheit beruht und alle Lust am Erhabenen gerade nur  auf dieses Bewußtsein sich gründet, so folgt von  selbst (was auch die Erfahrung lehrt), daß das Furchtbare in der ästhetischen Vorstellung lebhafter und angenehmer rühren müsse als das Unendliche, und daß  also das Praktischerhabene, der Stärke der Empfindung nach, einen sehr großen Vorzug vor dem Theoretischen voraushabe.

Das Theoretischgroße erweitert eigentlich nur unsre Sphäre, das Praktischgroße, das Dynamischerhabene  unsre Kraft. - Unsre wahre und vollkommene Unabhängigkeit von der Natur erfahren wir eigentlich nur  durch das letztere; denn es ist ganz etwas anders, in  der bloßen Handlung des Vorstellens und in seinem  ganzen innern Dasein sich von Naturbedingungen unabhängig fühlen, als sich über das Schicksal, über  alle Zufälle, über die ganze Naturnotwendigkeit hinweggesetzt und erhaben fühlen. Nichts liegt dem  Menschen als Sinnenwesen näher an als die Sorge für  seine Existenz, und keine Abhängigkeit ist ihm  drückender als diese, die Natur als diejenige Macht zu betrachten, die über sein Dasein zu gebieten hat. Und  von dieser Abhängigkeit fühlt er sich frei bei Betrachtung des Praktisch, erhabenen. »Die unwiderstehliche  Macht der Natur«, sagt Kant, »gibt uns, als Sinnenwesen betrachtet, zwar unsre Ohnmacht zu erkennen,  aber entdeckt zugleich in uns ein Vermögen, uns als  von ihr unabhängig zu beurteilen, und eine Überlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz andrer Art gründet, als diejenige ist,  die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann - dabei die Menschheit in  unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich der  Mensch jener Gewalt unterliegen müßte. Auf solche  Weise«, fährt er fort, »wird die furchtbare Macht der  Natur ästhetisch von uns als erhaben beurteilt, weil  sie unsre Kraft, die nicht Natur ist, in uns aufruft, um  alles dasjenige, wofür wir als Sinnenwesen besorgt  sind, Güter, Gesundheit und Leben, als klein anzusehen und deswegen auch jene Macht der Natur - der  wir in Ansehung dieser Güter allerdings unterworfen  sind - für uns und unsre Persönlichkeit dennoch als  keine Gewalt zu betrachten, unter die wir uns zu beugen hätten, wenn es auf unsre höchsten Grundsätze  und deren Behauptung oder Verlassung ankäme.  Also«, endigt er, »heißt die Natur hier erhaben, weil  sie die Einbildungskraft zu Darstellung derjenigen  Fälle erhebt, in denen das Gemüt sich die eigene Erhabenheit seiner Bestimmung fühlbar machen kann.« Diese Erhabenheit unserer Vernunftbestimmung - diese unsre praktische Unabhängigkeit von der Natur, muß von derjenigen Überlegenheit wohl unterschieden werden, die wir entweder durch unsere körperlichen Kräfte oder durch unseren Verstand über sie, als  Macht, in einzelnen Fällen zu behaupten wissen und  welche zwar auch etwas Großes, aber gar nichts Erhabenes an sich hat. Ein Mensch z.B. der mit einem wilden Tiere streitet und es durch die Stärke seines Arms oder auch durch List überwindet; ein reißender Strom  wie der Nil, dessen Macht durch Dämme gebrochen  wird, und den der menschliche Verstand aus einem  schädlichen Gegenstand sogar in einen nützlichen  verwandelt, indem er seinen Überfluß in Kanälen  auffängt und dürre Felder damit wässert; ein Schiff  auf dem Meere, das durch seine künstliche Einrichtung imstand ist, allem Ungestüm des wilden Elements zu trotzen: kurz alle diejenigen Fälle, wo der  Mensch durch seinen erfinderischen Verstand die  Natur auch da, wo sie ihm als Macht überlegen und  zu seinem Untergange bewaffnet ist, gezwungen hat,  ihm zu gehorchen und seinen Zwecken zu dienen alle  diese Fälle, sage ich, erwecken kein Gefühl des Erhabenen, ob sie gleich etwas Analoges damit haben und  deswegen auch in der ästhetischen Beurteilung gefallen. Warum sind sie aber nicht erhaben, da sie doch  die Überlegenheit des Menschen über die Natur vorstellig machen?

Wir müssen hier zum Begriff des Erhabenen zurückgehen, worin sich der Grund leicht entdecken lassen wird. Zufolge dieses Begriffs ist nur derjenige Gegenstand erhaben, gegen den wir als Naturwesen erliegen, von dem wir uns aber als Vernunftwesen, als  nicht zur Natur gehörige Wesen, absolut unabhängig  fühlen. Alle natürliche Mittel also, die der Mensch  anwendet, um der Naturmacht zu widerstehen, sind  durch diesen Begriff des Erhabenen ausgeschlossen;  denn dieser Begriff verlangt schlechterdings, daß wir  dem Gegenstande als Naturwesen nicht gewachsen  sein sollen, daß wir uns aber durch das, was in uns  nicht Natur ist (und dies ist nichts anders als reine  Vernunft), als von ihm unabhängig fühlen sollen. Nun sind aber alle jene angeführten Mittel, durch welche  der Mensch der Natur überlegen wird (Geschicklichkeit, List und physische Stärke), aus der Natur genommen, kommen ihm also als Naturwesen zu; er widersteht also diesen Gegenständen nicht als Intelligenz, sondern als Sinnenwesen, nicht moralisch durch seine innre Freiheit, sondern physisch durch Anwendung natürlicher Kräfte. Er unterliegt auch deswegen  diesen Gegenständen nicht, sondern er ist ihnen schon als Sinnenwesen überlegen. Wo er aber mit seinen  physischen Kräften ausreicht, da ist nichts da, was ihn nötigen könnte, zu seinem intelligenten Selbst, zu der  innern Selbständigkeit seiner Vernunftkraft seine Zuflucht zu nehmen.

Zum Gefühl des Erhabenen wird also schlechterdings erfordert, daß wir uns von jedem physischen  Widerstehungsmittel völlig verlassen sehen und in  unserm nichtphysischen Selbst dagegen Hülfe suchen. Furchtbar muß also ein solcher Gegenstand für unsre Sinnlichkeit sein, und das ist er nicht mehr, sobald  wir uns ihm durch natürliche Kräfte gewachsen fühlen.

Auch wird dieses von der Erfahrung bestätigt. Die  mächtigste Naturkraft ist in eben dem Grad weniger  erhaben, als sie von dem Menschen gebändigt erscheint, und sie wird wieder schnell erhaben, sobald  sie die Kunst des Menschen zuschanden macht. Ein  Pferd, das noch frei und ungebändigt in den Wäldern  herumläuft, ist uns als eine uns überlegene Naturkraft furchtbar und kann einen Gegenstand für eine erhabene Schilderung abgeben. Eben dieses Pferd, gezähmt,  an das Joch oder vor den Wagen gespannt, verliert  seine Furchtbarkeit und mit ihr auch alles Erhabene.  Zerreißt aber dieses gebändigte Pferd seine Zügel,  bäumt es sich entrüstet unter seinem Reiter, gibt es  sich seine Freiheit gewaltsam wieder, so ist seine  Furchtbarkeit wieder da, und es wird aufs neue erhaben.

Die physische Überlegenheit des Menschen über  die Naturkräfte ist also so wenig ein Grund des Erhabenen, daß sie fast überall, wo sie angetroffen wird,  die Erhabenheit des Gegenstandes schwächt oder  ganz vernichtet. Zwar können wir uns mit merklichem Vergnügen bei der Betrachtung der menschlichen Geschicklichkeit verweilen, die sich die wildesten Naturkräfte zu unterwerfen gewußt hat, aber die Quelle dieses Vergnügens ist logisch und nicht ästhetisch; es  ist eine Wirkung des Nachdenkens und wird nicht  durch die unmittelbare Vorstellung eingeflößt. Praktischerhaben ist also die Natur nirgends, als  wo sie furchtbar ist. Aber nun entsteht die Frage: ist  dies auch umgekehrt so? Ist sie überall, wo sie furchtbar ist, auch praktischerhaben?

Hier müssen wir abermals zum Begriff des Erhabenen zurückgehen. So eine wesentliche Erfordernis es  dazu ist, daß wir uns als Sinnenwesen von dem Gegenstand abhängig fühlen, so wesentlich gehört auf  der andern Seite dazu, daß wir uns als Vernunftwesen von dem, selben unabhängig fühlen. Wo das erste  nicht ist, wo der Gegenstand gar nichts Furchtbares  für unsre Sinnlichkeit hat, da ist keine Erhabenheit  möglich. Wo das zweite fehlt, wo er bloß furchtbar  ist, wo wir uns ihm als Vernunftwesen nicht überlegen fühlen, da ist sie ebensowenig möglich. Innre Gemütsfreiheit gehört schlechterdings dazu,  um das Furchtbare erhaben zu finden und Wohlgefallen daran zu haben; denn es kann ja bloß dadurch erhaben sein, daß es unsre Unabhängigkeit, unsre Gemütsfreiheit zu empfinden gibt. Nun hebt aber die  wirkliche und ernstliche Furcht alle Gemütsfreiheit  auf.

Das erhabene Objekt muß also zwar furchtbar sein, aber wirkliche Furcht darf es nicht erregen. Furcht ist  ein Zustand des Leidens und der Gewalt; das Erhabene kann allein in der freien Betrachtung und durch das Gefühl innrer Tätigkeit gefallen. Entweder darf also  das furchtbare Objekt seine Macht gar nicht gegen  uns richten, oder wenn dies geschieht, so muß unser  Geist frei bleiben, indem unsere Sinnlichkeit überwältigt wird. Dieser letztere Fall ist aber höchst selten  und erfordert eine Erhebung der menschlichen Natur,  die kaum in einem Subjekt als möglich gedacht werden kann. Denn da, wo wir uns wirklich in Gefahr befinden, wo wir selbst der Gegenstand einer feindseligen Naturmacht sind, da ist es um die ästhetische Beurteilung geschehen. So erhaben ein Meersturm, vom  Ufer aus betrachtet, sein mag, so wenig mögen die,  welche sich auf dem Schiff befinden, das von demselben zertrümmert wird, aufgelegt sein, dieses ästhetische Urteil darüber zu fällen.

Wir haben es also bloß mit dem ersten Fall zu tun,  wo das furchtbare Objekt uns zwar seine Macht sehen läßt, aber sie nicht gegen uns richtet, wo wir uns vor  demselben sicher wissen. Wir versetzen uns alsdann  bloß in der Einbildung in den Fall, wo diese Macht  uns selbst treffen könnte und aller Widerstand vergeblich sein würde. Das Schreckliche ist also bloß in der  Vorstellung, aber auch schon die bloße Vorstellung  der Gefahr bringt, wenn sie einigermaßen lebhaft ist,  den Erhaltungstrieb in Bewegung, und es erfolgt  etwas dem Analoges, was die wirkliche Empfindung  hervorbringen würde. Ein Schauer ergreift uns, ein  Gefühl von Bangigkeit regt sich, unsre Sinnlichkeit  wird empört. Und ohne diesen Anfang des wirklichen  Leidens, ohne diesen ernstlichen Angriff auf unsre  Existenz würden wir bloß mit dem Gegenstande spielen; und es muß Ernst sein, wenigstens in der  Empfindung, wenn die Vernunft zur Idee ihrer Freiheit ihre Zuflucht nehmen soll. Auch kann das Bewußtsein unsrer innern Freiheit nur insofern einen  Wert haben und etwas gelten, als es damit Ernst ist,  es kann aber nicht damit Ernst sein, wenn wir mit der  Vorstellung der Gefahr bloß spielen.

Ich habe gesagt, daß wir uns in Sicherheit befinden müssen, wenn das Furchtbare uns gefallen soll. Nun  gibt es aber Unglücksfälle und Gefahren, vor denen  sich der Mensch niemals sicher wissen kann und die  in der Vorstellung doch erhaben sein können und es  auch wirklich sind. Der Begriff der Sicherheit kann  also nicht darauf eingeschränkt werden, daß man sich  der Gefahr physisch entzogen weiß, wie z.B. wenn  man von einem hohen und wohlbefestigten Geländer  in eine große Tiefe oder von einer Anhöhe auf die  stürmende See hinabsieht. Hier freilich gründet sich  die Furchtlosigkeit auf die Überzeugung von der Unmöglichkeit, daß man getroffen werden kann. Aber  worauf wollte man seine Sicherheit vor dem Schicksal, vor der allgegenwärtigen Macht der Gottheit, vor  schmerzhaften Krankheiten, vor empfindlichen Verlusten, vor dem Tode gründen? Hier ist gar kein physischer Grund der Beruhigung vorhanden; und wenn  wir uns das Schicksal in seiner Furchtbarkeit denken,  so müssen wir uns zugleich sagen, daß wir derselben  nichts weniger als entzogen sind.

Es gibt also einen zweifachen Grund der Sicherheit. Vor solchen Übeln, denen zu entfliehen in unserm physischen Vermögen steht, können wir äußere  physische Sicherheit haben; vor solchen Übeln aber,  denen wir auf natürlichem Weg nicht zu widerstehen  noch auszuweichen imstande sind, können wir bloß  innre oder moralische Sicherheit haben. Dieser Unterschied ist, besonders in Beziehung auf das Erhabene,  wichtig.

Die physische Sicherheit ist ein unmittelbarer Beruhigungsgrund für unsre Sinnlichkeit, ohne alle Beziehung auf unsern innern oder moralischen Zustand.  Es wird daher auch gar nichts dazu erfordert, ein Objekt ohne Furcht zu betrachten, vor welchem man sich in dieser physischen Sicherheit befindet. Daher bemerkt man auch unter den Menschen eine bei weitem  größere Einstimmigkeit der Urteile über das Erhabene solcher Objekte, deren Anblick mit dieser physischen  Sicherheit verbunden ist, als derjenigen, vor denen  man nur moralische Sicherheit hat. Die Ursache ist in  die Augen fallend. Physische Sicherheit kommt jedem auf gleiche Art zugut; moralische hingegen setzt einen Gemütszustand voraus, der nicht in allen Subjekten  sich findet. Aber weil diese physische Sicherheit bloß  für die Sinnlichkeit gilt, so hat sie für sich selbst  nichts, was der Vernunft gefallen könnte, und ihr Einfluß ist bloß negativ, indem sie bloß verhindert, daß  der Selbsterhaltungstrieb nicht aufgeschreckt und die  Gemütsfreiheit aufgehoben wird.

Ganz anders ist es mit der innern oder moralischen Sicherheit. Diese ist zwar auch ein Beruhigungsgrund für die Sinnlichkeit (sonst wäre sie selbst erhaben),  aber sie ist es nur mittelbar durch Ideen der Vernunft.  Wir sehen das Furchtbare ohne Furcht an, weil wir  uns der Macht desselben über uns, als Naturwesen,  entweder durch das Bewußtsein unserer Unschuld  oder durch den Gedanken an die Unzerstörbarkeit  unsers Wesens entzogen fühlen. Diese moralische Sicherheit postuliert also, wie wir sehen, Religionsideen, denn nur die Religion, nicht aber die Moral,  stellt Beruhigungsgründe für unsere Sinnlichkeit auf  Die Moral verfolgt die Vorschrift der Vernunft unerbittlich und ohne alle Rücksicht auf das Interesse unserer Sinnlichkeit; die Religion aber ist es, die zwischen den Forderungen der Vernunft und dem Anliegen der Sinnlichkeit eine Aussöhnung, eine Übereinkunft zu stiften sucht. Zur moralischen Sicherheit  reicht es also gar nicht hin, daß wir eine moralische  Gesinnung besitzen, sondern es wird noch dazu erfordert, daß wir die Natur in Einstimmung mit dem  Moralgesetz, oder was hier einerlei ist, daß wir sie  uns unter dem Einfluß eines reinen Vernunftwesens  denken. Der Tod z.B. ist ein solcher Gegenstand, vor  dem wir nur moralische Sicherheit haben. Die  lebhafte Vorstellung aller Schrecknisse des Todes,  verbunden mit der Gewißheit, ihm nicht entfliehen zu  können, würde es den meisten Menschen, weil die  meisten doch weit mehr Sinnenwesen als Vernunftwesen sind, durchaus unmöglich machen, mit dieser  Vorstellung so viel Ruhe zu verbinden, als zu einem  ästhetischen Urteil erfodert wird - wenn nicht der  Vernunftglaube an eine Unsterblichkeit, auch noch  selbst für die Sinnlichkeit, eine leidliche Auskunft  wüßte.

Aber man muß dies nicht so verstehen, als ob die  Vorstellung des Todes, wenn sie mit Erhabenheit verbunden ist, diese Erhabenheit durch die Idee der Unsterblichkeit erhielte. - Nichts weniger! - Die Idee  der Unsterblichkeit, so wie ich sie hier annehme, ist  ein Beruhigungsgrund für unsern Trieb nach Fortdauer, also für unsere Sinnlichkeit, und ich muß einmal  für allemal bemerken, daß bei allem, was einen erhabenen Eindruck machen soll, die Sinnlichkeit mit  ihren Forderungen schlechterdings abgewiesen worden sein und aller Beruhigungsgrund nur in der Vernunft  zu suchen sein müsse. Diejenige Idee der Unsterblichkeit also, wobei die Sinnlichkeit gewissermaßen noch  ihre Rechnung findet (wie sie in allen positiven Religionen aufgestellt ist) kann gar nichts dazu beitragen,  die Vorstellung des Todes zu einem erhabenen Gegenstand zu machen. Vielmehr muß diese Idee nur  gleichsam im Hintergrunde stehen, um bloß der Sinnlichkeit zu Hülfe zu kommen, wenn diese sich allen  Schrecknissen der Zernichtung trost- und wehrlos  bloßgestellt fühlte und unter diesem heftigen Angriff  zu erliegen drohte. Wird diese Idee der Unsterblichkeit aber die herrschende im Gemüt, so verliert der  Tod das Furchtbare, und das Erhabene verschwindet.

Die Gottheit, vorgestellt in ihrer Allwissenheit, die  alle Krümmungen des menschlichen Herzens durchleuchtet, in ihrer Heiligkeit, die keine unreine Regung  duldet, und in ihrer Macht, die unser physisches  Schicksal in ihrer Gewalt hat, ist eine furchtbare  Vorstellung und kann deswegen zu einer erhabenen  Vorstellung werden. Vor den Wirkungen dieser  Macht können wir keine physische Sicherheit haben,  weil es uns gleich unmöglich ist, derselben auszuweichen und Widerstand zu tun. Also bleibt uns nur moralische Sicherheit übrig, die wir auf die Gerechtigkeit dieses Wesens und auf unsre Unschuld gründen. Wir  sehen die schreckhaften Erscheinungen, durch welche  sie ihre Macht zu erkennen gibt, ohne Schrecken an,  weil das Bewußtsein unserer Schuldlosigkeit uns  davor sicherstellt. Diese moralische Sicherheit macht  es uns möglich, bei der Vorstellung dieser grenzenlosen, unwiderstehlichen und allgegenwärtigen Macht  unsre Gemütsfreiheit nicht völlig zu verlieren, denn  wo diese dahin ist, da ist das Gemüt zu keiner ästhetischen Beurteilung aufgelegt. Sie kann aber die Ursache des Erhabenen nicht sein, weil dieses Gefühl der  Sicherheit, ob es gleich auf moralischen Gründen beruht, doch zuletzt nur einen Beruhigungsgrund für die Sinnlichkeit abgibt und den Trieb der Selbsterhaltung befriedigt; das Erhabene aber niemals auf Befriedigung unsrer Triebe sich gründet. Soll die Vorstellung  der Gottheit praktisch (dynamisch) erhaben werden,  so dürfen wir das Gefühl unserer Sicherheit nicht auf  unser Dasein, sondern auf unsre Grundsätze beziehen. Es muß uns gleichgültig sein, wie wir als Naturwesen dabei fahren, wenn wir uns nur als Intelligenzen von den Wirkungen ihrer Macht unabhängig fühlen. Wir fühlen uns aber als Vernunftwesen selbst von der Allmacht unabhängig, insofern selbst die Allmacht unsre Autonomie nicht aufheben, unsern Willen nicht gegen unsre Grundsätze bestimmen kann.  Nur insofern also, als wir der Gottheit allen Natureinfluß auf unsre Willensbestimmungen absprechen, ist  die Vorstellung ihrer Macht dynamischerhaben.

In seinen Willensbestimmungen sich von der Gottheit unabhängig fühlen, heißt aber nichts anders, als  sich bewußt sein, daß die Gottheit nie als eine Macht  auf unsern Willen wirken könne. Weil aber der reine  Wille jederzeit mit dem Willen der Gottheit koinzidieren muß, so kann der Fall nie eintreten, daß wir  uns aus reiner Vernunft gegen den Willen der Gottheit bestimmen. Wir sprechen ihr also bloß insofern den  Einfluß auf unsern Willen ab, als wir uns bewußt  sind, daß sie durch nichts anders als durch ihre Einstimmigkeit mit dem reinen Vernunftgesetz in uns,  also nicht durch Autorität, nicht durch Belohnung  oder Strafe, nicht durch Hinsicht auf ihre Macht, in  unsre Willensbestimmungen einfließen könne. Unsre  Vernunft verehrt in der Gottheit nichts als ihre Heiligkeit und fürchtet auch nichts von ihr als ihre Mißbilligung und auch diese nur insofern, als sie in der göttlichen Vernunft ihre eigenen Gesetze erkennt. Es steht  aber nicht in der göttlichen Willkür, unsre Gesinnungen zu mißbilligen oder zu billigen, sondern das wird  durch unser Betragen bestimmt. In dem einzigen Falle also, wo die Gottheit für uns furchtbar werden könnte, nämlich in ihrer Mißbilligung, hängen wir nicht von  ihr ab. Die Gottheit also, vorgestellt als eine Macht,  die unsre Existenz zwar aufheben, aber, solange wir  diese Existenz noch haben, auf die Handlungen unsrer Vernunft keinen Einfluß haben kann, ist dynamischerhaben - und auch nur diejenige Religion, welche uns  diese Vorstellung von der Gottheit gibt, trägt das Siegel der Erhabenheit in sich. [1]

Der Gegenstand des Praktischerhabenen muß für  die Sinnlichkeit furchtbar sein; unserm physischen  Zustand muß ein Übel drohen, und die Vorstellung  der Gefahr muß den Selbsterhaltungstrieb in Bewegung setzen.

Unser intelligibles Selbst, dasjenige in uns, was  nicht Natur ist, muß sich bei jener Affektion des Erhaltungstriebs von dem sinnlichen Teil unsers Wesens unterscheiden und seiner Selbständigkeit, seiner Unabhängigkeit von allem, was die physische Natur treffen kann, kurz, seiner Freiheit sich bewußt werden. Diese Freiheit ist aber schlechterdings nur moralisch, nicht physisch. Nicht durch unsre natürliche  Kräfte, nicht durch unsern Verstand, nicht als Sinnenwesen dürfen wir uns dem furchtbaren Gegenstand  überlegen fühlen; denn da würde unsre Sicherheit  immer nur durch physische Ursachen, also empirisch,  bedingt sein und also immer noch eine Abhängigkeit  von der Natur übrigbleiben. Sondern es muß uns völlig gleichgültig sein, wie wir als Sinnenwesen dabei  fahren, und bloß darin muß unsre Freiheit bestehen,  daß wir unsern physischen Zustand, der durch die  Natur bestimmt werden kann, gar nicht zu unserm  Selbst rechnen, sondern als etwas Auswärtiges und  Fremdes betrachten, was auf unsre moralische Person  keinen Einfluß hat.

Groß ist, wer das Furchtbare überwindet. Erhaben  ist, wer es, auch selbst unterliegend, nicht fürchtet. Hannibal war theoretischgroß, da er sich über die  unwegsamen Alpen den Durchgang nach Italien  bahnte; praktischgroß oder erhaben war er nur im Unglück.

Groß war Herkules, da er seine zwölf Arbeiten unternahm und beendigte.

Erhaben war Prometheus, da er, am Kaukasus angeschmiedet, seine Tat nicht bereute und sein Unrecht nicht eingestand.

Groß kann man sich im Glück, erhaben nur im Unglück zeigen.

Praktischerhaben ist also jedweder Gegenstand, der uns zwar unsre Ohnmacht als Naturwesen zu bemerken gibt - zugleich aber ein Widerstehungsvermögen  von ganz andrer Art in uns aufdeckt, welches zwar  von unsrer physischen Existenz die Gefahr nicht entfernt, aber (welches unendlich mehr ist) unsre physische Existenz selbst von unsrer Persönlichkeit absondert. Es ist also keine materiale und bloß einen einzelnen Fall betreffende, sondern eine idealische und  über alle möglichen Fälle sich erstreckende Sicherheit, deren wir uns bei Vorstellung des Erhabenen bewußt werden. Dieses gründet sich also ganz und gar  nicht auf Überwindung oder Aufhebung einer uns drohenden Gefahr, sondern auf Wegräumung der letzten  Bedingung, unter der es allein Gefahr für uns geben  kann, indem es uns den sinnlichen Teil unsers Wesens, der allein der Gefahr unterworfen ist, als ein  auswärtiges Naturding betrachten lehrt, das unsre  wahre Person, unser moralisches Selbst, gar nichts  angeht.

Nach Festsetzung des Begriffs vom Praktischerhabenen sind wir imstande, es nach Verschiedenheit der  Gegenstände, durch die es erregt wird, und nach Verschiedenheit der Verhältnisse, in welchen wir zu diesen Gegenständen stehen, unter Klassen zu bringen. In der Vorstellung des Erhabenen unterscheiden  wir dreierlei. Erstlich: einen Gegenstand der Natur als Macht: Zweitens: eine Beziehung dieser Macht auf  unser physisches Widerstehungsvermögen: Drittens:  eine Beziehung derselben auf unsre moralische Person. Das Erhabene ist also die Wirkung dreier aufeinanderfolgender Vorstellungen: I. einer objektiven physischen Macht, 2. unsrer subjektiven physischen Ohnmacht, 3. unsrer subjektiven moralischen Übermacht.  Ob aber gleich bei jeder Vorstellung des Erhabenen  diese drei Bestandstücke wesentlich und notwendig  sich vereinigen müssen, so ist es dennoch zufällig,  wie wir zu der Vorstellung derselben gelangen, und  darauf gründet sich nun ein zweifacher Hauptunterschied des Erhabenen der Macht.

1

Entweder wird bloß ein Gegenstand als Macht, die  objektive Ursache des Leidens, aber nicht das Leiden  selbst in der Anschauung gegeben, und es ist das urteilende Subjekt, welches die Vorstellung des Leidens in sich erzeugt und den gegebenen Gegenstand durch  Beziehung auf den Erhaltungstrieb in ein Objekt der  Furcht und durch Beziehung auf seine moralische Person in ein Erhabnes verwandelt.

2

Oder außer dem Gegenstand als Macht wird zugleich seine Furchtbarkeit für den Menschen, das Leiden selbst, objektiv vorgestellt, und dem beurteilenden Subjekt bleibt nichts übrig, als die Anwendung  davon auf seinen moralischen Zustand zu machen und aus dem Furchtbaren das Erhabene zu erzeugen. Ein Objekt der ersten Klasse ist kontemplativ-, ein  Objekt der zweiten pathetischerhaben.

I

Das Kontemplativerhabene der Macht

Gegenstände, welche uns weiter nichts als eine  Macht der Natur zeigen, die der unsrigen weit überlegen ist, im übrigen aber es uns selbst anheimstellen,  ob wir eine Anwendung davon auf unsern physischen  Zustand oder auf unsre moralische Person machen  wollen, sind bloß kontemplativerhaben. Ich nenne sie  deswegen so, weil sie das Gemüt nicht so gewaltsam  ergreifen, daß es nicht in einem Zustand ruhiger Betrachtung dabei verharren könnte. Bei dem Kontemplativerhabenen kommt auf die Selbsttätigkeit des  Gemüts das meiste an, weil von außen nur eine Bedingung gegeben wird, die zwei andern aber von dem  Subjekt selbst erfüllt werden müssen. Aus diesem  Grund ist das Kontemplativerhabene weder von so  intensivstarker noch von so ausgebreiteter Wirkung  als das Pathetischerhabene. Nicht von so ausgebreiteter: weil nicht alle Menschen Einbildungskraft genug  haben, um eine lebhafte Vorstellung der Gefahr in  sich hervorzubringen, nicht alle selbständige moralische Kraft genug haben, um einer solchen Vorstellung nicht lieber auszuweichen. Nicht von so starker Wirkung: weil die Vorstellung der Gefahr, auch wenn sie  noch so lebhaft erweckt wird, in diesem Falle doch  immer freiwillig ist und das Gemüt leichter über eine  Vorstellung Meister bleibt, die es selbsttätig erzeugte. Das Kontemplativerhabene verschafft daher einen geringen, aber auch weniger gemischten Genuß.

Die Natur gibt zum Kontemplativerhabenen nichts  her als einen Gegenstand als Macht, aus dem etwas  Furchtbares für die Menschheit zu machen der Einbildungskraft überlassen bleibt. Je nachdem nun der Anteil groß oder klein ist, den die Phantasie an Hervorbringung dieses Furchtbaren hat, je nachdem sie ihr  Geschäft aufrichtiger oder verdeckter verwaltet, muß  auch das Erhabene verschieden ausfallen.

Ein Abgrund, der sich zu unsern Füßen auftut, ein  Gewitter, ein brennender Vulkan, eine Felsenmasse,  die über uns herabhängt, als wenn sie eben niederstürzen wollte, ein Sturm auf dem Meere, ein rauher Winter der Polargegend, ein Sommer der heißen Zone, reißende oder giftige Tiere, eine Überschwemmung  u.dgl. sind solche Mächte der Natur, gegen welche  unser widerstehendes Vermögen für nichts zu rechnen ist, und die mit unsrer physischen Existenz doch im  Widerspruche stehen. Selbst gewisse idealische Gegenstände, wie z.B. die Zeit, als eine Macht betrachtet, die still, aber unerbittlich wirkt, die Notwendigkeit, deren strengem Gesetz kein Naturwesen sich entziehen kann, selbst die moralische Idee der Pflicht,  die sich nicht selten gegen unsre physische Existenz  als eine feindliche Macht verhält, sind furchtbare Gegenstände, sobald die Einbildungskraft sie auf den  Erhaltungstrieb bezieht; und sie werden erhaben, sobald die Vernunft sie auf ihre höchsten Gesetze anwendet. Weil aber in allen diesen Fällen die Phantasie erst das Furchtbare hinzutut und es ganz bei uns steht, eine Idee zu unterdrücken, die unser eigenes Werk ist, so gehören diese Gegenstände in die Klasse des Kontemplativerhabenen.

Aber die Vorstellung der Gefahr hat hier doch  einen realen Grund, und es bedarf bloß der einfachen  Operation: die Existenz dieser Dinge mit unserer physischen Existenz in eine Vorstellung zu verknüpfen,  so ist das Furchtbare da. Die Phantasie braucht aus  ihrem eigenen Mittel nichts hineinzulegen, sondern  sie hält sich nur an das, was ihr gegeben ist.

Aber nicht selten werden an sich gleichgültige Gegenstände der Natur, durch Dazwischenkunft der  Phantasie, subjektiv in furchtbare Mächte verwandelt, und es ist die Phantasie selbst, die das Furchtbare  nicht bloß durch Vergleichung entdeckt, sondern es,  ohne einen hinreichenden objektiven Grund dazu zu  haben, eigenmächtig erschafft. Dies ist der Fall beim  Außerordentlichen und beim Unbestimmten.

Dem Menschen im Zustand der Kindheit, wo die  Einbildungskraft am ungebundensten wirkt, ist alles  schreckhaft, was ungewöhnlich ist. In jeder unerwarteten Erscheinung der Natur glaubt er einen Feind zu  erblicken, der gegen sein Dasein gerüstet ist, und der  Erhaltungstrieb ist sogleich geschäftig, dem Angriff  zu begegnen. Der Erhaltungstrieb ist in dieser Periode sein unumschränkter Gebieter, und weil dieser Trieb  ängstlich und feig ist, so ist die Herrschaft desselben  ein Reich des Schreckens und der Furcht. Der Aberglaube, der in dieser Epoche sich bildet, ist daher  schwarz und fürchterlich, und auch die Sitten tragen  diesen feindseligen finstern Charakter. Man findet den Menschen früher bewaffnet als bekleidet, und sein erster Griff ist an das Schwert, wenn er einem Fremdling begegnet. Die Gewohnheit der alten Taurier,  jeden Ankömmling, den das Unglück an ihre Küste  führte, der Diana zu opfern, hat schwerlich einen andern Ursprung als die Furcht; denn so verwildert ist  nur der schiefgebildete, nicht der ungebildete  Mensch, daß er gegen dasjenige watete, was ihm nicht schaden kann.

Diese Furcht vor allem, was außerordentlich ist,  verliert sich nun zwar im Zustand der Kultur, aber  nicht so ganz, daß in der ästhetischen Betrachtung  der Natur, wo sich der Mensch dem Spiel der Phantasie freiwillig hingibt, nicht eine Spur davon übrigbleiben sollte. Das wissen die Dichter sehr gut und unterlassen daher nicht, das Außerordentliche wenigstens  als ein Ingrediens des Furchtbaren zu gebrauchen.  Eine tiefe Stille, eine große Leere, eine plötzliche Erhellung der Dunkelheit sind an sich sehr gleichgültige Dinge, die sich durch nichts als das Außerordentliche  und Ungewöhnliche auszeichnen. Dennoch erregen  sie ein Gefühl des Schreckens oder verstärken wenigstens den Eindruck desselben und sind daher tauglich  zum Erhabenen.

Wenn uns Virgil mit Grausen über das Höllenreich erfüllen will, so macht er uns vorzüglich auf die Leerheit und Stille desselben aufmerksam. Er nennt es  loca nocte late tacentia, weitschweigende Gefilde der Nacht, demos vacuas Ditis et inania regna, leere Behausungen und hohle Reiche des Pluto.

Bei den Einweihungen in die Mysterien der Alten  wurde vorzüglich auf einen furchtbaren, feierlichen  Eindruck gesehen, und dazu bediente man sich besonders auch des Stillschweigens. Eine tiefe Stille gibt  der Einbildungskraft einen freien Spielraum und  spannt die Erwartung auf etwas Furchtbares, welches  kommen soll. Bei Übungen der Andacht ist das Stillschweigen einer ganzen versammelten Gemeine ein  sehr wirksames Mittel, der Phantasie einen Schwung  zu geben und das Gemüt in eine feierliche Stimmung  zu setzen. Selbst der Volksaberglaube macht bei seinen Träumereien davon Gebrauch, denn bekanntlich  muß eine tiefe Stille beobachtet werden, wenn man  einen Schatz zu erheben hat. In den bezauberten Palästen, die in Feenmärchen vorkommen, herrscht ein  totes Schweigen, welches Grauen erweckt, und es gehört zur Naturgeschichte der bezauberten Wälder, daß nichts Lebendiges sich darin regt. Auch die Einsamkeit ist etwas Furchtbares, sobald sie anhaltend und  unfreiwillig ist, wie z.B. die Verbannung in eine unbewohnte Insel. Eine weitausgebreitete Wüste, ein  einsamer, viele Meilen langer Wald, das Herumirren  auf der grenzenlosen See sind lauter Vorstellungen,  welche Grauen erregen und in der Dichtkunst zum Erhabenen zu gebrauchen sind. Hier aber (bei der Einsamkeit) ist doch schon ein objektiver Grund der  Furcht, weil die Idee einer großen Einsamkeit auch  die Idee der Hülflosigkeit mit sich führt.

Noch weit geschäftiger beweist sich die Phantasie,  aus dem Geheimen, Unbestimmten und Undurchdringlichen einen Gegenstand des Schreckens zu machen. Hier ist sie eigentlich in ihrem Element, denn da ihr die Wirklichkeit keine Grenzen setzt und ihre  Operationen auf keinen besondern Fall eingeschränkt  werden, so steht ihr das weite Reich der Möglichkeiten offen. Daß sie sich aber gerade zum Schrecklichen hinneigt und von dem Unbekannten mehr fürchtet als hofft, liegt in der Natur des Erhaltungstriebs,  der sie leitet. Die Verabscheuung wirkt ungleich  schneller und mächtiger als die Begierde, und daher  kommt es, daß wir hinter dem Unbekannten mehr  Schlimmes vermuten als Gutes erwarten.

Die Finsternis ist schrecklich und eben darum zum  Erhabenen tauglich. Sie ist aber nicht an sich selbst  schrecklich, sondern weil sie uns die Gegenstände  verbirgt und uns also der ganzen Gewalt der Einbildungskraft überliefert. Sobald die Gefahr deutlich ist,  verschwindet ein großer Teil der Furcht. Der Sinn des Gesichts, der erste Wächter unsers Daseins, versagt  uns in der Dunkelheit seine Dienste, und wir fühlen  uns der verborgenen Gefahr wehrlos bloßgestellt.  Darum setzt der Aberglaube alle Geistererscheinungen in die Mitternachtstunde, und das Reich des  Todes wird vorgestellt als ein Reich der ewigen  Nacht. In den Dichtungen Homers, wo die Menschheit noch ihre natürlichste Sprache redet, wird die  Dunkelheit als eins der größten Übel dargestellt.

 

Allda liegt das Land und die Stadt der cimmerischen  Männer. 
Diese tappen beständig in Nacht und Nebel, und  niemals 
Schauet strahlend auf sie der Gott der leuchtenden  Sonne, 
Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden  Menschen. 

Odyssee, elfter Gesang.

»Jupiter«, ruft der tapfre Ajax im Dunkel der  Schlacht aus, »befreie die Griechen von dieser Finsternis. Laß es Tag werden, laß diese Augen sehen,  und dann, wenn du willst, laß mich im Lichte fallen.«  

Ilias.

Auch das Unbestimmte ist ein Ingrediens des  Schrecklichen, und aus keinem andern Grunde, als  weil es der Einbildungskraft Freiheit gibt, das Bild  nach ihrem eigenen Gutdünken auszumalen. Das Bestimmte hingegen führt zu deutlicher Erkenntnis und  entzieht den Gegenstand dem willkürlichen Spiel der  Phantasie, indem es ihn dem Verstand unterwirft. Homers Darstellung der Unterwelt wird eben dadurch, daß sie gleichsam in einem Nebel schwimmt,  desto furchtbarer, und die Geistergestalten im Ossian  sind nichts als luftige Wolkengebilde, denen die  Phantasie nach Willkür den Umriß gibt.

Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt  zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche  man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las:

»Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein  wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier  aufgehoben.« - 

Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese  Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch  Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.

Die Beschreibung, die uns Tacitus von dem feierlichen Aufzug der Göttin Hertha macht, wird durch das Dunkel, das er darüber verbreitet, furchtbar erhaben.  Der Wagen der Göttin verschwindet im Innersten des  Waldes, und keiner von denen, die zu diesem geheimnisvollen Dienst gebraucht werden, kommt lebend zurück. Mit Schauder fragt man sich, was das wohl sein  möge, welches dem, der es sieht, das Leben kostet,  quod tantum morituri vident.

Alle Religionen haben ihre Mysterien, welche ein  heiliges Grauen unterhalten, und so wie die Majestät  der Gottheit hinter dem Vorhang im Allerheiligsten  wohnet, so pflegt sich auch die Majestät der Könige  mit Geheimnis zu umgeben, um die Ehrfurcht ihrer  Untertanen durch diese künstliche Unsichtbarkeit in  fortdauernder Spannung zu erhalten.

Dies sind die vorzüglichsten Unterarten des Kontemplativerhabenen der Macht, und da sie in der moralischen Bestimmung des Menschen gegründet sind,  welche allen Menschen gemein ist, so ist man berechtigt, eine Empfänglichkeit dafür bei allen menschlichen Subjekten vorauszusetzen, und der Mangel  derselben kann nicht wie bei bloß sinnlichen Rührungen durch ein Spiel der Natur entschuldigt, sondern  darf als eine Unvollkommenheit dem Subjekt zugerechnet werden. Zuweilen findet man das Erhabene  der Erkenntnis mit dem Erhabenen der Macht verbunden, und die Wirkung ist um so größer, wenn nicht  bloß das sinnliche Widerstehungsvermögen, sondern  auch selbst das Darstellungsvermögen an einem Objekt seine Schranken findet und die Sinnlichkeit mit  ihrer doppelten Forderung abgewiesen wird.

II

Das Pathetischerhabene

Wenn uns ein Gegenstand nicht bloß als Macht  überhaupt, sondern zugleich als eine dem Menschen  verderbliche Macht objektiv gegeben wird - wenn er  also seine Gewalt nicht bloß zeigt, sondern sie wirklich feindlich äußert, so steht es der Einbildungskraft  nicht mehr frei, ihn auf den Erhaltungstrieb zu beziehen, sondern sie muß, sie wird objektiv dazu genötigt. Wirkliches Leiden aber gestattet kein ästhetisches Urteil, weil es die Freiheit des Geistes aufhebt. Also darf es nicht das urteilende Subjekt sein, an welchem der  furchtbare Gegenstand seine zerstörende Macht beweist, d.i. wir dürfen nicht selbst, sondern bloß sympathetisch leiden. Aber auch das sympathetische Leiden ist für die Sinnlichkeit schon zu angreifend, wenn das Leiden außer uns Existenz hat. Der teilnehmende  Schmerz überwiegt allen ästhetischen Genuß. Nur  alsdann, wenn das Leiden entweder bloße Illusion  und Erdichtung ist, oder (im Fall, daß es in der Wirklichkeit stattgefunden hätte) wenn es nicht unmittelbar den Sinnen, sondern der Einbildungskraft vorgestellt  wird, kann es ästhetisch werden und ein Gefühl des  Erhabenen erregen. Die Vorstellung eines fremden  Leidens, verbunden mit Affekt und mit dem Bewußtsein unsrer innern moralischen Freiheit, ist pathetischerhaben.

Die Sympathie oder der teilnehmende (mitgeteilte)  Affekt ist keine freie Äußerung unsers Gemüts, die  wir erst selbsttätig in uns hervorbringen müßten, sondern eine unwillkürliche, durch das Naturgesetz bestimmte Affektion des Gefühlvermögens. Es kommt  gar nicht auf unsern Willen an, ob wir das Leiden  eines Geschöpfs mitempfinden wollen. Sobald wir  eine Vorstellung davon haben, müssen wir es. Die  Natur, nicht unsre Freiheit handelt, und die Gemütsbewegung eilt dem Entschluß zuvor.

Sobald wir also objektiv die Vorstellung eines Leidens erhalten, so muß vermöge des unveränderlichen  Naturgesetzes der Sympathie in uns selbst ein Nachgefühl dieses Leidens erfolgen. Dadurch machen wir  es gleichsam zu dem unsrigen. Wir leiden mit. Nicht  bloß die teilnehmende Betrübnis, das Gerührtsein  über fremdes Unglück, heißt Mitleiden, sondern jeder  traurige Affekt ohne Unterschied, den wir einem andern nachempfinden; also gibt es so viele Arten des  Mitleidens, als es verschiedene Arten des ursprünglichen Leidens gibt: mitleidende Furcht, mitleidenden  Schrecken, mitleidende Angst, mitleidende Entrüstung, mitleidende Verzweiflung.

Wenn aber das Affekterregende (oder Pathetische)  einen Grund des Erhabenen abgeben soll, so darf es  nicht bis zum wirklichen Selbstleiden getrieben werden. Auch mitten im heftigsten Affekt müssen wir uns von dem selbstleidenden Subjekt unterscheiden, denn es ist um die Freiheit des Geistes geschehen, sobald  die Täuschung sich in völlige Wahrheit verwandelt. Wird das Mitleiden zu einer solchen Lebhaftigkeit  erhöht, daß wir uns mit dem Leidenden ernstlich verwechseln, so beherrschen wir den Affekt nicht mehr,  sondern er beherrscht uns. Bleibt hingegen die Sympathie in ihren ästhetischen Grenzen, so vereinigt sie  zwei Hauptbedingungen des Erhabenen: sinnlichlebhafte Vorstellung des Leidens, mit dem Gefühl eigner  Sicherheit verbunden.

Aber dieses Gefühl der Sicherheit bei der Vorstellung fremder Leiden ist ganz und gar nicht der Grund  des Erhabenen und überhaupt nicht die Quelle des  Vergnügens, das wir aus dieser Vorstellung schöpfen. Erhaben wird das Pathetische bloß allein durch das  Bewußtsein unsrer moralischen, nicht unsrer physischen Freiheit. Nicht weil wir uns durch unser gutes  Geschick diesem Leiden entzogen sehen (denn da  würden wir noch immer einen sehr schlechten Gewährsmann für unsre Sicherheit haben), sondern weil  wir unser moralisches Selbst der Kausalität dieses  Leidens, nämlich seinem Einfluß auf unsre Willensbestimmung, entzogen fühlen, erhebt es unser Gemüt  und wird pathetischer haben.

Es ist nicht schlechterdings nötig, daß man die Seelenstärke wirklich in sich fühle, bei ernstlich eintretender Gefahr seine moralische Freiheit zu behaupten. Nicht von dem, was geschieht, sondern von dem, was geschehen soll und kann, ist hier die Rede; von unsrer Bestimmung, nicht von unserm wirklichen Tun, von  der Kraft, nicht von Anwendung derselben. Indem wir ein schwerbeladnes Frachtschiff im Sturm untergehen  sehen, so können wir uns an der Stelle des Kaufmanns, dessen ganzer Reichtum hier von dem Wasser verschlungen wird, recht sehr unglücklich fühlen.  Aber zugleich fühlen wir doch auch, daß dieser Verlust nur zufällige Dinge betrifft, und daß es Pflicht ist, sich darüber zu erheben. Es kann aber nichts Pflicht  sein, was unerfüllbar ist, und was geschehen soll,  muß notwendig geschehen können. Daß wir uns aber  über einen Verlust hinwegsetzen können, der uns als  Sinnenwesen mit Recht so empfindlich ist, beweist  ein Vermögen in uns, welches nach ganz andern Gesetzen handelt als das sinnliche und mit dem Naturtrieb nichts gemein hat. Erhaben aber ist alles, was  dieses Vermögen in uns zum Bewußtsein bringt. Man kann sich also recht gut sagen, daß man den  Verlust dieser Güter nichts weniger als gelassen ertragen werde, dieses hindert das Gefühl des Erhabenen  gar nicht - wenn man nur fühlt, daß man sich darüber hinwegsetzen sollte und daß es Pflicht ist, ihnen keinen Einfluß auf die Selbstbestimmung der Vernunft  zu gestatten. Wer freilich auch nicht einmal dafür  Sinn hat; an dem ist alle ästhetische Kraft des Großen und Erhabenen verloren.

Es erfordert also doch wenigstens eine Fähigkeit des Gemüts, sich seiner Vernunftbestimmung bewußt zu  werden, und eine Empfänglichkeit für die Idee der  Pflicht, wenn man auch gleich die Schranken erkennt,  welche die schwache Menschheit ihrer Ausübung setzen dürfte. Es würde überhaupt um das Wohlgefallen  am Guten sowohl als am Erhabenen mißlich stehen,  wenn man nur Sinn für das haben könnte, was man  selber erreicht hat oder zu erreichen sich zutraut. Aber es ist ein achtungswerter Charakterzug der  Menschheit, daß sie sich wenigstens in ästhetischen  Urteilen zu der guten Sache bekennt, auch wenn sie  gegen sich selbst sprechen müßte, und daß sie den reinen Ideen der Vernunft in der Empfindung wenigstens huldigt, wenn sie gleich nicht immer Stärke genug  hat, wirklich darnach zu handeln.

Zum Pathetischerhabenen werden also zwei  Hauptbedingungen erfordert. Erstlich eine lebhafte  Vorstellung des Leidens, um den mit leidenden Affekt in der gehörigen Stärke zu erregen. Zweitens eine  Vorstellung des Widerstandes gegen das Leiden, um  die innre Gemütsfreiheit ins Bewußtsein zu rufen. Nur durch das erste wird der Gegenstand pathetisch, nur  durch das zweite wird das Pathetische zugleich erhaben.

Aus diesem Grundsatz fließen die beiden Fundamentalgesetze aller tragischen Kunst. Diese sind erstlich: Darstellung der leidenden Natur; zweitens: Darstellung der moralischen Selbständigkeit im Leiden.


1 »Wider diese Auflösung des Begriffs vom Dynamischerhabenen«, sagt Kant, »scheint zu streiten, daß wir Gott im Ungewitter, Erdbeben usf. als eine zürnende Macht und dennoch als erhaben vorzustellen pflegen, wobei es von unsrer Seite Torheit sowohl als Frevel sein würde, uns eine Überlegenheit des Gemüts über die Wirkungen einer solchen Macht einzubilden. Hier scheint kein Gefühl der Erhabenheit unsrer eignen Natur, sondern vielmehr Niedergeschlagenheit und Unterwerfung die Gemütsstimmung zu sein, die sich für die Erscheinung eines solchen Gegenstandes schickt. In der Religion überhaupt scheint Niederwerfen Anbetung mit zerknirschten, angstvollen Gebärden das einzig schickliche Benehmen in Gegenwart der Gottheit zu sein, welches daher auch die meisten Völker angenommen haben. Aber«, fahrt er fort, »diese Gemütsstimmung ist mit der Idee der Erhabenheit einer Religion bei weitem nicht so notwendig verbunden. Der Mensch, der sich seiner Schuld bewußt ist und also Ursache hat, sich zu fürchten, ist in gar keiner Gemütsstimmung, um die göttliche Größe zu bewundern- nur alsdann, wenn sein Gewissen rein ist, dienen jene Wirkungen der göttlichen Macht dazu, ihm eine erhabene Idee von der Gottheit zu geben, sofern er durch das Gefühl seiner eigenen erhabenen Gesinnung über die Frucht Vor den Wirkungen dieser Macht erhoben wird. Er hat Ehrfurcht, nicht Furcht vor der Gottheit, da hingegen die Superstition bloße Furcht und Angst vor der Gottheit fühlt, ohne sie hochzuschätzen, woraus nie eine Religion des guten Wandels, bloß Gunstbewerbung und Einschmeichlung entstehen kann.« Kants »Kritik der ästhetischen Urteilskraft«, Analytik des Erhabenen.

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