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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Dreizehntes Buch

VI

Geschichte der Veränderungen Griechenlandes

So reich und verflochten die griechische Geschichte an Veränderungen ist, so gehen doch ihre Fäden an wenigen Hauptpunkten zusammen, deren Naturgesetze klar sind. Denn:

1. Daß in diesen drei Landesstrecken mit ihren Inseln und Halbinseln viele Stämme und Kolonien zur See und vom hohem Lande hinaus hin und her wandern, sich niederlassen und einander vertreiben, ist allenthalben die Geschichte der Alten Welt bei ähnlichen Meer- und Erdstrichen gewesen. Nur hier war das Wandern lebhafter, weil das volkreiche nordische Gebirge und das große Asien nahe lag und durch eine Reihe von Zufällen, von denen die Sagen erzählen, der Geist des Abenteuers sehr rege erhalten wurde. Dies ist die Geschichte Griechenlandes beinahe von 700 Jahren.

2. Daß unter diese Stämme Kultur, und zwar von verschiedenen Seiten in verschiedenen Graden, kommen mußte, ist ebensowohl Natur der Sache und des Erdstrichs. Sie breitete sich von Norden hinab, sie kam aus verschiednen Gegenden der nahen gebildeten Völker zu ihnen herüber und setzte sich hie und da sehr verschieden fest. Die überwiegenden Hellenen bringen endlich Einheit ins Ganze und geben der griechischen Sprache und Denkart Ton. Nun mußten in Kleinasien, in Klein- und Großgriechenland die Keime dieser gegebenen Kultur sehr ungleich und verschieden treiben; diese Verschiedenheit aber half durch Wetteifer und Verpflanzungen dem griechischen Geist auf; denn es ist in der Naturgeschichte sowohl der Pflanzen als der Tiere bekannt, daß derselbe Same auf demselben Erdstrich nicht ewig gedeihe, aber, zu rechter Zeit verpflanzt, frischere und fröhlichere Früchte trage.

3. Aus ursprünglichen kleinen Monarchien gingen die geteilten Staaten mit der Zeit in Aristokratien, einige in Demokratien über: beide gerieten oft in Gefahr, unter die Willkür eines Beherrschers zurückzufallen; jedoch die Demokratien öfter. Abermals der Naturgang der menschlichen Einrichtung in ihrer früheren Jagend. Die Vornehmsten des Stammes glaubten sich dem Willen der Könige entziehen zu dürfen, und da das Volk sich nicht führen, konnte, so wurden sie seine Führer. Nachdem nun sein Gewerbe, sein Geist, seine Einrichtung war, blieb es entweder unter diesen Führern, oder es rang so lange, bis es Anteil an der Regierung bekam. Jenes war der Fall in Lacedämon, dies in Athen. Von beidem lag die Ursache in den Umständen und der Verfassung beider Städte. In Sparta wachten die Regenten scharf aufeinander, daß kein Tyrann aufkommen konnte; in Athen wurde das Volk mehr als einmal unter die Tyrannei mit oder ohne Namen hineingeschmeichelt. Beide Städte mit allem, was sie hervorgebracht haben, sind so natürliche Produkte ihrer Lage, Zeit, Einrichtung und Umstände, als je eine Naturerzeugung sein mochte.

4. Viele Republiken, mehr oder minder durch gemeinschaftliche Geschäfte, Grenzen oder ein anderes Interesse, am meisten aber durch die Krieges- und Ruhmliebe gleichsam an eine Rennbahn gestellt, werden, bald Ursache zu Zwistigkeiten finden; die mächtigern zuerst, und diese ziehen zu ihrer Partei, wen sie hinzuzuziehen vermögen, bis endlich eine das Übergewicht gewinnt. Dies war der Fall der langen Jugendkriege zwischen den Staaten Griechenlands, insonderheit zwischen Lacedämon, Athen und zuletzt Theben. Die Kriege waren bitter, hart, ja oft grausam, wie allemal Kriege sein werden, in welchen jeder Bürger und Krieger am Ganzen teilnimmt. Meistens entstanden sie über Kleinigkeiten oder über Sachen der Ehre, wie die Gefechte bei Jugendhändeln zu entstehen pflegen, und was sonderbar scheint, es aber nicht ist: jeder überwindende Staat, insonderheit Lacedämon, suchte dem überwundenen seine Gesetze und Einrichtung aufzuprägen, als ob damit das Zeichen der Niederlage unauslöschlich an ihm bliebe. Denn die Aristokratie ist eine geschworne Feindin der Tyrannei sowohl als der Volksregierung.

5. Indessen waren die Kriege der Griechen, auch als Geschäft betrachtet, nicht bloß Streitereien der Wilden; vielmehr entwickelt sich in ihnen mit der Zeitenfolge bereits der ganze Staats- und Kriegesgeist, der je das Rad der Weltbegebenheiten gelenkt hat.229 Auch die Griechen wußten, was Bedürfnisse des Staats, Quellen seiner Macht und seines Reichtums sei'n, die sie sich oft auf rohe Weise zu verschaffen suchten. Auch sie wußten, was Gleichgewicht der Republiken und Stände gegeneinander, was geheime und öffentliche Konföderationen, was Kriegslist, Zuvorkommen, Imstichlassen u. dgl. heiße. Sowohl in Kriegs- als Staatssachen haben also die erfahrensten Männer der römischen und neuern Welt von den Griechen gelernt; denn die Art des Krieges möge sich mit den Waffen, der Zeit und der Weltlage ändern, der Geist der Menschen, der da erfindet, überredet, seine Anschläge bedeckt, angreift, vorrückt, sich verteidigt oder zurückzieht, die Schwächen seiner Feinde ausspäht und so oder also seinen Vorteil gebraucht oder mißbraucht, wird zu allen Zeiten derselbe bleiben.

6. Die Kriege mit den Persern machen die erste große Unterscheidung in der griechischen Geschichte. Sie waren von den asiatischen Kolonien veranlaßt, die dem ungeheuren morgenländischen Eroberungsgeist nicht hatten widerstehen mögen und, an die Freiheit gewohnt, bei der ersten Gelegenheit dies Joch abzuschütteln suchten. Daß die Athenienser ihnen zwanzig Schiffe zu Hülfe sandten, war ein Obermut der Demokratie; denn Kleomenes, der Spartaner, hatte ihnen die Hülfe abgeschlagen, und mit ihren zwanzig Schiffen führten jene dem ganzen Griechenlande den wildesten Krieg zu. Indessen da er einmal geführt wurde, so war es zwar ein Wunder der Tapferkeit, daß einige kleine Staaten gegen zwei Könige des großen Asiens die herrlichsten Siege davontrugen; es war aber kein Naturwunder. Die Perser waren völlig außer ihrem Mittelpunkt; die Griechen dagegen stritten für Freiheit, Land und Leben. Sie stritten gegen sklavische Barbaren, die an den Eretriern gezeigt hatten, was auch ihnen bevorstünde, und nahmen daher alles zusammen, was menschliche Klugheit und Mut ausrichten konnte. Die Perser unter Xerxes griffen wie Barbaren an: sie kamen mit Ketten in der Hand, um zu binden, und mit Feuer in der Hand, um zu verheeren; dies hieß aber nicht mit Klugheit fechten. Themistokles bediente sich gegen sie bloß des Windes, und freilich ist der widrige Wind auf dem Meer einer ungelenken Flotte ein gefährlicher Gegner. Kurz, der Persische Krieg wurde mit großer Macht und Wut, aber ohne Verstand geführt, und so mußte er unglücklich enden. Gesetzt, daß auch die Griechen geschlagen und ihr ganzes Land wie Athen verwüstet worden wäre: Griechenland konnten die Perser von der Mitte Asiens her und bei dem innern Zustande ihres Reichs dennoch nie behaupten, da sie Ägypten selbst mit Mühe behaupten konnten. Das Meer war Griechenlands Freundin, wie in anderm Sinn auch das Delphische Orakel sagte.

7. Aber die geschlagenen Perser ließen mit ihrer Beute und Schande den Atheniensern einen Funken zurück, dessen Flamme das ganze Gebäude der griechischen Staatseinrichtungen zerstörte. Es war der Ruhm und Reichtum, die Pracht und Eifersucht, kurz, der ganze Übermut, der auf diese Kriege folgte. Bald erschien in Athen das Zeitalter Perikles', das glänzendste, in welchem je ein so kleiner Staat gewesen, und es folgte darauf aus ebenso natürlichen Ursachen der unglückliche Peloponnesische, der doppelte Spartanische Krieg, bis endlich durch eine einzige Schlacht Philippus aus Macedonien dem ganzen Griechenlande das Netz übers Haupt warf. Sage doch niemand, daß ein ungünstiger Gott das Schicksal der Menschen lenke und neidend es von seiner Höhe zu stürzen trachte; die Menschen selbst sind einander ihre ungünstigen Dämonen. Was konnte aus Griechenland, wie es in diesen Zeiten war, anders als die leichte Beute eines Siegers werden? Und woher konnte dieser Sieger kommen als aus den mazedonischen Gebirgen? Vor Persien, Ägypten, Phönicien, Rom, Karthago war es sicher; sein Feind aber saß ihm in der Nähe, der es mit ein paar Griffen voll List und Macht erhaschte. Das Orakel war hier abermals klüger als die Griechen; es philippisierte, und im ganzen Vorfall wurde nichts als der allgemeine Satz bestätigt: daß ein einträchtiges krieggeübtes Bergvolk, das einer geschwächten, zerteilten, entnervten Nation auf dem Nacken sitzt, notwendig der Sieger derselben sein werde, sobald es die Sache klug und tapfer angreift. Das tat Philippus und raffte Griechenland auf; denn es war durch sich selbst lange vorher besiegt gewesen. Hier würde nun die Geschichte Griechenlands endigen, wenn Philippus ein Barbar wie Sulla oder Alarich gewesen wäre; er war aber selbst ein Grieche, sein größerer Sohn war es auch; und so beginnet eben mit dem Verlust der griechischen Freiheit noch unter dieses Volkes Namen eine Weltszene, die ihresgleichen wenige gehabt hat.

8. Der junge Alexander nämlich, der, kaum zwanzig Jahre alt, im ersten Feuer der Ruhmbegierde auf den Thron kam, führte den Gedanken aus, zu dem sein Vater alles vorbereitet hatte: er ging nach Asien hinüber in des Persermonarchen eigene Staaten. Abermals die natürlichste Begebenheit, die sich ereignen konnte. Alle Landzüge der Perser gegen Griechenland waren durch Thracien und Macedonien gegangen; der alte Haß gegen sie lebte also bei diesen Völkern noch. Nun war die Schwäche der Perser den Griechen gnugsam bekannt, nicht nur aus jenen alten Schlachten bei Marathon, Platäa u. f., sondern noch in näheren Zeiten aus dem Rückzuge Xenophons mit seinen zehntausend Griechen. Der Macedonier, der jetzt Gebieter und Oberfeldherr von Griechenland war, wohin sollte er seine Waffen, wo seinen Phalanx hin richten als gegen die reiche Monarchie, die seit einem Jahrhundert von innen in tiefem Verfall war. Der junge Held lieferte drei Schlachten, und Kleinasien, Syrien, Phönicien, Ägypten, Lybien, Persien, Indien war sein; ja er hätte bis zum Weltmeer gehen mögen, wenn nicht seine Macedonier, klüger als er, ihn zum Rückzuge gezwungen hätten. Sowenig in alle diesem Glück ein Wunder war, sowenig war's ein neidiges Schicksal, das ihm in Babylon sein Ende machte. Welch ein großer Gedanke zwar, von Babylon aus die Welt zu regieren, eine Welt, die vom Indus bis gen Lybien, ja über Griechenland bis zum Ikarischen Meer reichte! Welch ein Gedanke, diesen Weltstrich zu einem Griechenlande an Sprache, Sitten, Künsten, Handel und Pflanzstädten zu machen und in Baktra, Susa, Alexandrien u. f. neue Athene zu gründen! Und siehe, da stirbt der Sieger in der schönsten Blüte seines Lebens; mit ihm stirbt alle diese Hoffnung, eine neuerschaffene griechische Welt! Spräche man also zum Schicksal, so würde dieses uns antworten: »Sei Babel oder Pella die Residenz Alexanders, möge Baktra griechisch oder parthisch reden: nur wenn das Menschenkind seinen Entwurf ausführen will, so sei es mäßig und trinke sich nicht zu Tode.« Alexander tat's, und sein Reich war hin. Kein Wunder, daß er sich selbst erwürgte; vielmehr war es beinah ein Wunder, daß er, der sein Glück längst nicht mehr hatte ertragen können, so lange lebte.

9. Jetzt teilte sich das Reich, d. i. es zersprang eine ungeheure Wasserblase: wo und wann ist es bei ähnlichen Umständen anders gewesen? Alexanders Gebiet war noch von keiner Seite vereinigt, kaum noch in der Seele des Überwinders selbst zu einem Ganzen verknüpft. Die Pflanzstädte, die er hie und da angelegt hatte, konnten ohne einen Beschützer, wie er war, sich in dieser Jugend nicht decken, geschweige alle die Völker im Zaum halten, denen sie aufgedrungen waren. Da Alexander nun so gut als ohne Erben starb, wie anders, als daß die Raubvögel, die ihm in seinem Fluge siegreich beigestanden hatten, jetzt für sich raubten? Sie zerhackten sich lange untereinander, bis jeder sein Nest fand, eine erworbene Siegesbeute. Mit keinem Staat, der aus so ungeheuren, schnellen Eroberungen entstand und nur auf des Eroberers Seele ruhte, ist es je anders gegangen; die Natur der verschiednen Völker und Gegenden nimmt gar bald ihre Rechte wieder, so daß es nur der Übermacht griechischer Kultur vor barbarischen Völkern zuzuschreiben ist, daß viele zusammengezwungene Erdstriche nicht eher zu ihrer alten Verfassung zurückkehrten.

Parthien, Baktra und die Länder jenseit des Euphrats taten es zuerst; denn sie lagen dem Mittelpunkt eines Reichs zu fern, das sich gegen Bergvölker von parthischem Stamm mitnichten schützen konnte. Hätten die Seleuciden, wie Alexander wollte, Babylon oder ihr eignes Seleucia zu ihrer Wohnung gemacht, vielleicht wären sie ostwärts mächtiger geblieben, aber auch vielleicht desto eher in entkräftende Üppigkeit versunken. Ein gleiches war's mit den asiatischen Provinzen des thracischen Reiches; sie bedienten sich des Rechts, dessen sich ihre Räuber bedient hatten, und wurden, da die Kriegsgenossen Alexanders weichem Nachfolgern den Thron einräumten, eigne Königreiche. In alle diesem sind die immer wiederkehrenden Naturgesetze der politischen Weltgeschichte unverkennbar.

10. Am längsten dauerten die Reiche, die zunächst um Griechenland lagen; ja sie hätten länger dauern können, wenn der Zwist zwischen ihnen, vorzüglich aber zwischen den Karthaginensern und Römern, nicht auch sie in jenen Rum gezogen hätte, der von der Monarchin Italiens nach und nach über alle Küsten des Mittelländischen Meeres ausging. Hier trafen nun abgelebte, schwache Reiche in einen zu ungleichen Glückskampf, vor welchem sie eine mäßige Klugheit hätte warnen mögen. Indessen hielt sich in ihnen von griechischer Kultur und Kunst, was sich nach Beschaffenheit der Regenten und Zeiten halten konnte. Die Wissenschaften in Ägypten blühten als Gelehrsamkeit, weil sie nur als Gelehrsamkeit eingeführt waren; wie Mumien waren sie im Museum oder in der Bibliothek begraben. Die Kunst an den asiatischen Höfen wurde üppige Pracht; die Könige zu Pergamus und in Ägypten wetteiferten, Bibliotheken zu sammlen: ein Wetteifer, der der ganzen künftigen Literatur nützlich und schädlich wurde. Man sammelte Bücher und verfälschte sie; ja mit dem Brande des Gesammelten ging nachher eine ganze Welt alter Gelehrsamkeit auf einmal unter. Man sieht, daß sich das Schicksal dieser Dinge nicht anders angenommen habe, als es sich aller Dinge der Welt annimmt, die es dem klugen oder törichten, immer aber natürlichen Verhalten der Menschen überließ. Wenn der Gelehrte um ein verlornes Buch des Altertums weinet, um wieviel wichtigere Dinge müßte man weinen, die alle dem Lauf des Schicksals unabänderlich folgten. Äußerst merkwürdig ist die Geschichte der Nachfolger Alexanders, nicht nur weil in ihr soviel Ursachen zu dem, was untergegangen oder erhalten ist, liegen, sondern auch als das traurige Muster von Reichen, die sich auf fremden Erwerb sowohl der Länder als der Wissenschaften, Künste und Kultur gründen.

II. Daß Griechenland in diesem Zustande nie mehr zu seinem alten Glanz gelangen mögen, bedarf wohl keines Erweises; die Zeit dieser Blüte war längst vorüber. Zwar gaben sich manche eitle Regenten Mühe, der griechischen Freiheit emporzuhelfen; es war aber eine Scheinmühe um eine Freiheit ohne Geist, um einen Körper ohne Seele. An Vergötterung seiner Wohltäter ließ es Athen nie fehlen, und die Kunst sowohl als die Deklamation über Philosophie und Wissenschaften hat sich in diesem Sitz der allgemeinen Kultur Europas, solange es möglich war, erhalten; immer aber wechselten Glücksfälle mit Verwüstungen ab. Die kleinen Staaten untereinander kannten weder Eintracht noch Grundsätze zu ihrer Erhaltung, wenn sie gleich den Ätolischen Bund schlössen und den Achäischen Bund erneuten. Weder Philopömens Klugheit noch Aratus' Rechtschaffenheit gaben Griechenland seine alte Zeiten wieder. Wie die Sonne im Niedergange, von den Dünsten des Horizonts umringt, eine größere, romantische Gestalt hat, so hat's die Staatskunst Griechenlandes in diesem Zeitpunkt; allein die Strahlen der untergehenden Sonne erwärmen nicht mehr wie am Mittage, und die Staatskunst der sterbenden Griechen blieb unkräftig. Die Römer kamen auf sie wie schmeichelnde Tyrannen,

Entscheider aller Zwistigkeiten des Erdstrichs zu ihrem eigenen Besten, und schwerlich haben Barbaren je ärger verfahren, als Mummius in Korinth, Sulla in Athen, Ämilius in Macedonien verfuhren. Lange plünderten die Römer, was in Griechenland geplündert werden konnte, bis sie es zuletzt ehrten, wie man eine beraubte, getötete Leiche ehrt. Sie besoldeten Schmeichler daselbst und schickten ihre Söhne dahin, um auf den geweihten Fußtritten alter Weisen unter Schwätzern und Kunstgrüblern zu studieren. Zuletzt kamen Goten, Christen und Türken, die dem Reich der griechischen Götter, das sich lange selbst überlebt hatte, ein völliges Ende machten. Sie sind gefallen, die großen Götter, Jupiter Olympius und Pallas Athene, der delphische Apoll und die argische Juno: ihre Tempel sind Schutt, ihre Bildsäulen Steinhaufen, nach deren Trümmern selbst man jetzo vergeblich späht. [230] Verschwunden sind sie von der Erde, so daß man sich jetzt kaum mit Mühe denkt, wie ihr Reich einst im Glauben geblüht und bei den scharfsinnigsten Völkern so viele Wunder bewirkt habe. Werden, da diese schönsten Idole der menschlichen Einbildungskraft gefallen sind, auch die minder schönen wie sie fallen? Und wem werden sie Platz machen, andern Idolen?

12. Großgriechenland halte in einem andern Gedränge zuletzt ein gleiches Schicksal. Die blühendsten, volkreichsten Städte im schönsten Klima der Erde, nach Gesetzen Zaleukus', Charondas', Diokles' errichtet und in Kultur, Wissenschaft, Kunst und Handel den meisten Provinzen Griechenlandes zuvoreilend, sie lagen zwar weder den Persern noch dem Philippus im Wege, erhielten sich also zum Teil auch länger als ihre europäischen und asiatischen Schwestern; indessen kam auch ihre Zeit des Schicksals. Mit Karthago und Rom in mancherlei Kriege verflochten, unterlagen sie endlich und verderbten Rom durch ihre Sitten, wie sie durch Roms Waffen verdarben. Beweinenswert liegen ihre schönen und großen Trümmer da, von Erdbeben und feuerspeienden Bergen, noch mehr aber von der Wut der Menschen traurig verödet. [231] Die Nymphe Parthenope klagt, Siziliens Ceres sucht ihre Tempel und findet kaum ihre goldenen Saaten wieder.

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