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Johann Gottfried
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Zwölftes BuchWir kommen zu den Ufern des Euphrat und Tigris: aber wie verändert sich in diesem ganzen Erdstrich der Anblick der Geschichte! Babel und Ninive, Ekbatana, Persepolis und Tyrus sind nicht mehr; Völker folgen auf Völker, Reiche auf Reiche, und die meisten derselben haben sich bis auf Namen und ihre einst so hochberühmten Denkmale von der Erde verloren. Es gibt keine Nation mehr, die sich Babylonier, Assyrer, Chaldäer, Meder, Phönicier nenne oder von ihrer alten politischen Verfassung auszeichnende Spuren an sich trage. Ihre Reiche und Städte sind zerstört, und die Völker schleichen umher unter andern Namen. Woher dieser Unterschied gegen den tiefgeprägten Charakter der östlichen Reiche? Sina und Indien sind von den Mongolen mehr als einmal überschwemmet, ja zum Teil Jahrhunderte durch unterjocht gewesen, und doch hat sich weder Peking noch Benares, weder der Brahmane noch Lama von der Erde verloren. Mich dünkt, der Unterschied dieses Schicksals erkläre sich selbst, wenn man auf die verschiedene Lage und Verfassung beider Weltgegenden merket. Im östlichen Asien, jenseit des großen Bergrückens der Erde, drohete den südlichen Völkern nur ein Feind, die Mongolen. Jahrhundertelang zogen diese auf ihren Steppen oder in ihren Tälern ruhig einher, und wenn sie die nachbarlichen Provinzen überschwemmten, so ging ihre Absicht nicht sowohl aufs Zerstören als aufs Beherrschen und Rauben; daher mehrere Nationen unter mongolischen Regenten ihre Verfassung Jahrtausende hin erhielten. Ganz ein andres Gedränge wimmelnder Völker war zwischen dem Schwarzen und Kaspischen bis ans Mittelländische Meer, und eben der Euphrat und Tigris waren die großen Ableiter dieser ziehenden Völker. Das ganze Vorderasien war frühe mit Nomaden erfüllt; und je mehr blühende Städte, je mehr künstliche Reiche in diesen schönen Gegenden entstanden, desto mehr lockten solche die roheren Völker zum Raube an sich, oder sie wußten ihre wachsende Übermacht selbst nicht anders zu nutzen, als daß sie andre vertilgten. Das einzige Babylon auf seinem schönen Mittelplatze des öst- und westlichen Handels, wie oft ward es erobert und geplündert! Sidon und Tyrus, Jerusalem, Ekbatana und Ninive hatten kein besseres Schicksal, so daß man diesen ganzen Erdstrich als einen Garten der Verwüstung ansehen kann, wo Reiche zerstörten und zerstöret wurden. Kein Wunder also auch, daß viele namenlos untergingen und fast keine Spur hinter sich ließen; denn was sollte ihnen diese Spur geben? Den meisten Völkern dieses Weltstrichs war eine Sprache gemein, die sich nur in verschiedne Mundarten teilte; bei ihrem Untergange also verwirreten sich diese Mundarten und flossen endlich in das chaldäisch-syrisch -arabische Gemisch zusammen, das, fast ohne ein sonderndes Merkmal der vermengten Völker, noch jetzt in diesen Gegenden lebet. Aus Horden waren ihre Staaten entstanden, in Horden kehrten sie zurück, ohne ein dauerhaftes politisches Gepräge. Noch weniger konnten ihnen die gepriesenen Denkmale eines Belus, einer Semiramis u. f. eine Pyramidenewigkeit sichern; denn nur aus Ziegelsteinen waren sie gebauet, die, an der Sonne oder am Feuer getrocknet und mit Erdpech verbunden, leicht zu zerstören waren, wenn sie nicht unter dem stillen Tritte der Zeit sich selbst zerstörten. Unmerklich also verwitterte die despotische Herrlichkeit der Erbauer Ninives und Babels; so daß das einzige, was wir in dieser weltberühmten Gegend zu betrachten finden, der Name ist, den diese verschwundenen Nationen einst in der Reihe der Völker geführt haben. Wir wandern wie auf den Gräbern untergegangner Monarchien umher und sehen die Schattengestalten ihrer ehemaligen Wirkung auf der Erde. Und wahrlich, diese Wirkung ist so groß gewesen, daß, wenn man Ägypten zu diesem Erdstriche mitrechnet, es außer Griechenland und Rom keine Weltgegend gibt, die, insonderheit für Europa und durch dies für alle Nationen der Erde, so viel erfunden und vorgearbeitet habe. Man erstaunt über die Menge der Künste und Gewerbe, die man in den Nachrichten der Ebräer, schon von den frühesten Zeiten an, mehreren kleinen Nomadenvölkern dieser Gegend gemein findet. [195] Den Ackerbau mit mancherlei Geräten, die Gärtnerei, Fischerei, Jagd, insonderheit die Viehzucht, das Mahlen des Getreides, das Backen des Brots, das Kochen der Speisen, Wein, Öl, zur Kleidung die Bereitung der Wolle und der Tierhäute, das Spinnen, Weben und Nähen, das Färben, Tapetenmachen und Sticken, das Stempeln des Geldes, das Siegelgraben und Steinschneiden, die Bereitung des Glases, die Korallenfischerei, den Bergbau und das Hüttenwesen, mancherlei Kunstarbeiten in Metall, im Modellieren, Zeichnen und Formen, die Bildnerei und Baukunst, Musik und Tanz, die Schreib- und Dichtkunst, Handel mit Maß und Gewicht, an den Küsten Schiffahrt, in den Wissenschaften einige Anfangsgründe der Stern-, Zeiten- und Länderkunde, der Arzneiwissenschaft und Kriegskunst, der Arithmetik, Geometrie und Mechanik, in politischen Einrichtungen Gesetze, Gerichte, Gottesdienst, Kontrakte, Strafen und eine Menge sittlicher Gebräuche: alles dies finden wir bei den Völkern des Vorderasiens so früh im Gange, daß wir die ganze Kultur dieses Erdstrichs für den Rest einer gebildeten Vorwelt ansehen müßten, wenn uns auch keine Tradition darauf brächte. Nur die Völker, die, der Mitte Asiens weit entlegen, in der Irre umherzogen, nur sie sind barbarisch und wilde geworden; daher ihnen auf mancherlei Wegen früher oder später eine zweite Kultur zukommen mußte.
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Wolfgang
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