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Johann Gottfried
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IIIDeutsche VölkerWir treten zu dem Völkerstamm, der durch seine Größe und Leibesstärke, durch seinen unternehmenden, kühnen und ausdaurenden Kriegsmut, durch seinen dienenden Heldengeist, Anführern, wohin es sei, im Heer zu folgen und die bezwungenen Länder als Beute unter sich zu teilen, mithin durch seine weiten Eroberungen und die Verfassung, die allenthalben umher nach deutscher Art errichtet wurde, zum Wohl und Weh dieses Weltteils mehr als alle andere Völker beigetragen. Vom Schwarzen Meer an durch ganz Europa sind die Waffen der Deutschen furchtbar worden; von der Wolga bis zur Ostsee reichte einst ein gotisches Reich; in Thrazien, Mösien, Pannonien, Italien, Gallien, Spanien, selbst in Afrika hatten zu verschiedenen Zeiten verschiedene deutsche Völker Sitze und stifteten Reiche; sie waren es, die die Römer, Sarazenen, Galen, Kymren, Lappen, Finnen, Esten, Slawen, Kuren, Preußen und sich untereinander selbst verdrängten, die alle heutige Königreiche in Europa gestiftet, ihre Stände eingeführt, ihre Gesetze gegründet haben. Mehr als einmal haben sie Rom eingenommen, besiegt und geplündert, Konstantinopel mehrmals belagert und selbst in ihm geherrscht, zu Jerusalem ein christliches Königreich gestiftet; und noch jetzt regieren sie, teils durch die Fürsten, die sie allen Thronen Europas gegeben, teils durch diese von ihnen errichtete Throne selbst, als Besitzer oder im Gewerb und Handel, mehr oder minder alle vier Weltteile der Erde. Da nun keine Wirkung ohne Ursache ist, so muß auch diese ungeheure Folge von Wirkungen ihre Ursache haben. 1. Nicht wohl liegt diese im Charakter der Nation allein: ihre sowohl physische als politische Lage, ja eine Menge von Umständen, die bei keinem andern nördlichen Volk also zusammentraf, hat zum Lauf ihrer Taten mitgewirkt. Ihr großer, starker und schöner Körperbau, ihre fürchterlich-blauen Augen wurden von einem Geist der Treue und Enthaltsamkeit beseelt, die sie ihren Obern gehorsam, kühn im Angriff, ausdaurend in Gefahren, mithin andern Völkern, zumal den ausgearteten Römern, zum Schutz und Trutz sehr wohlgefällig oder furchtbar machten. Frühe haben Deutsche im römischen Heer gedient, und zur Leibwache der Kaiser waren sie die auserlesensten Menschen; ja, als das bedrängte Reich sich selbst nicht helfen konnte, waren es deutsche Heere, die für Sold gegen jeden, selbst gegen ihre Brüder fochten. Durch diese Söldnerei, die jahrhundertelang fortgesetzt wurde, bekamen viele ihrer Völker nicht nur eine Kriegswissenschaft und Kriegszucht, die andern Barbaren fremd bleiben mußte, sondern sie kamen auch durch das Beispiel der Römer und durch die Bekanntschaft mit ihrer Schwäche allmählich in den Geschmack eigner Eroberungen und Völkerzüge. Hatte dieses jetzt so ausgeartete Rom einst Völker unterjocht und sich zur Herrscherin der Welt aufgeworfen, warum sollten sie es nicht tun, ohne deren Hände jenes nichts Kräftiges mehr vermochte? Der erste Stoß auf die römischen Länder kam also, wenn wir die altern Einbrüche der Teutonen und Kymren absondern und von den unternehmenden Männern Ariovist, Marbud und Hermann zu rechnen anfangen, von Grenzvölkern oder von Anführern her, die der Kriegsart dieses Reichs kundig und in seinen Heeren oft selbst gebraucht waren, mithin die Schwäche sowohl Roms als späterhin Konstantinopels gnugsam kannten. Einige derselben waren sogar eben damals römische Hülfsvölker, als sie es besser fanden, was sie gerettet hatten, sich selbst zu bewahren. Wie nun die Nachbarschaft eines schwachen Reichen und eines starken Dürftigen, der jenem unentbehrlich ist, diesem notwendig die Überlegenheit und Herrschaft einräumt, so hatten auch hier die Römer den Deutschen, die im Mittelpunkt Europas gerade vor ihnen saßen und die sie bald aus Not in ihren Staat oder in ihre Heere nahmen, das Heft selbst in die Hände gegeben. 2. Der lange Widerstand, den mehrere Völker unseres Deutschlandes gegen die Römer zu tun hatten, stärkte in ihnen notwendig ihre Kräfte und ihren Haß gegen einen Erbfeind, der sich der Triumphe über sie mehr als anderer Siege rühmte. Sowohl am Rhein als an der Donau waren die Römer den Deutschen gefährlich; so gern diese ihnen gegen die Gallier und andere Völker gedient hatten, so wollten sie ihnen als Selbstüberwundene nicht dienen. Daher nun die langen Kriege von Augustus an, die, je schwächer das Reich der Römer wurde, immer mehr in Einbruch und Plünderung ausarteten und nicht anders als mit seinem Untergange enden konnten. Der markomannische und schwäbische Bund, den mehrere Völker gegen die Römer schlössen, der Heerbann, in welchem alle, auch die entlegenem deutschen Stämme standen, der jeden Mann zum Wehren, d. i. zum Mitstreiter machte: diese und mehrere Einrichtungen gaben der ganzen Nation sowohl den Namen als die Verfassung der Germanen oder Alemannen, d. i. verbundener Kriegsvölker: wilde Vorspiele eines Systems, das nach Jahrhunderten auf alle Nationen Europas verbreitet werden sollte. [252] 3. Bei solch einer stehenden Kriegsverfassung mußte es den Deutschen notwendig an manchen andern Tugenden fehlen, die sie ihrer Hauptneigung oder ihrem Hauptbedürfnis, dem Kriege, nicht ungern aufopferten. Den Ackerbau trieben sie eben so fleißig nicht und beugten sogar in manchen Stämmen durch eine jährlich neue Verteilung der Äcker dem Vergnügen vor, das jemand an dem eignen Besitz und einer bessern Kultur des Landes finden könnte. Einige, insonderheit östliche Stämme waren und blieben lange tatarische Jagd- und Hirtenvölker. Die rohe Idee von Gemeinweiden und einem Gesamteigentum war die Lieblingsidee dieser Nomaden, die sie auch in die Einrichtung ihrer eroberten Länder und Reiche brachten. Deutschland blieb also lange ein Wald voll Wiesen, Moräste und Sümpfe, wo der Ur und das Elend, jetzt ausgerottete deutsche Heldentiere, neben den deutschen Menschenhelden wohnten; Wissenschaften kannten sie nicht, und die wenigen ihnen unentbehrlichen Künste verrichteten Weiber und größtenteils geraubte Knechte. Völkern dieser Art mußte es angenehm sein, von Rache, Dürftigkeit, Langerweile, Gesellschaft oder von einer andern Aufforderung getrieben, ihre öden Wälder zu verlassen, bessere Gegenden zu suchen oder um Sold zu dienen. Daher waren mehrere Stämme in einer ewigen Unruhe, mit- und gegeneinander entweder im Bunde oder im Kriege. Keine Völker (wenige Stämme ruhiger Landesanwohner ausgenommen) sind so oft hin und her gezogen als diese; und wenn ein Stamm aufbrach, schlugen sich im Zuge meistenteils mehrere an ihn, also daß aus dem Haufen ein Heer wurde. Viele deutsche Völker, Wandalen, Sveven u. a., haben vom Umherschweifen, Wandeln, den Namen; so ging's zu Lande, so ging's zur See. Ein ziemlich tatarisches Leben. In der ältesten Geschichte der Deutschen hüte man sich also, sich irgend an einen Lieblingsplatz unserer neuen Verfassung mit Vorliebe zu heften: die alten Deutschen gehören in diese nicht; sie folgten einem andern Strome der Völker. Westwärts drangen sie auf Belgen und Galen, bis sie in der Mitte anderer Stämme eingeschlossen saßen; östlich gingen sie bis zur Ostsee, und wenn sie auf ihr nicht rauben oder fortschwimmen konnten, an den sandigen Küsten aber auch keinen Unterhalt fanden, so wandten sie sich natürlicherweise bei dem ersten Anlaß südlich in leergelassene Länder. Daher, daß mehrere der Nationen, die ins römische Reich zogen, zuerst an der Ostsee gewohnt haben; es waren aber gerade nur die wilderen Völker, deren Wohnung daselbst keine Veranlassung zum Sturz dieses Reichs war. Weit entfernter lag diese, in der asiatischen Mungalei; denn dort wurden die westlichen Hunnen von den Iguren und andern Völkern gedrängt; sie gingen über die Wolga, trafen auf die Alanen am Don, trafen auf das große Reich der Goten am Schwarzen Meere; und jetzt gerieten lauter südliche deutsche Völker, West- und Ostgoten, Wandalen, Alanen, Sveven in Bewegung, denen die Hunnen folgten. Mit den Sachsen, Franken, Burgundern und Herulern hatte es wieder andere Bewandtnis; die letztgenannten standen als Helden, die ihr Blut verkauften, längst in römischem Solde. Auch hüte man sich, allen diesen Völkern gleiche Sitten oder eine gleiche Kultur zuzueignen; das Gegenteil davon zeigt ihr verschiedenes Betragen gegen die überwundnen Nationen. Anders verfuhren die wilden Sachsen in Britannien, die streifenden Alanen und Sveven in Spanien als die Ostgoten in Italien oder in Gallien die Burgunder. Die Stämme, die lange an den römischen Grenzen, neben ihren Kolonien und Handelsplätzen, west- oder südlich, gewohnt hatten, waren milder und bildsamer, als die aus den nordischen Wäldern oder von öden Küsten herkamen; daher es z.B. anmaßend sein würde, wenn jede Horde der Deutschen sich die Mythologie der skandischen Goten zueignen wollte. Wohin waren diese Goten nicht gekommen, und auf wie mancherlei Wegen hat sich diese Mythologie späterhin nicht verfeinert! Dem tapfern Urdeutschen bleibt vielleicht nichts als sein Teut oder Tuisto, Mann, Hertha und Wodan, d. i. ein Vater, ein Held, die Erde und ein Feldherr. Indessen dörfen wir uns doch, wenigstens brüderlich, jenes entfernten Schatzes der deutschen Fabellehre freuen, der sich am Ende der bewohnten Welt, in Island, erhalten oder zusammengefunden und durch die Sagen der Normänner und christlichen Gelehrten augenscheinlich bereichert hat: ich meine der nordischen Edda. Als eine Sammlung von Urkunden der Sprache und Denkart eines deutschen Volksstammes ist sie allerdings auch uns höchst merkwürdig. Die Mythologie dieser Nordländer mit der griechischen zu vergleichen kann lehrreich oder unnütz werden, nachdem man die Untersuchung anstellt; sehr vergeblich wäre es aber, einen Homer oder Ossian unter diesen Skalden zu erwarten. Bringt die Erde allenthalben einerlei Früchte hervor? Und sind die edelsten Früchte dieser Art nicht Folgen eines lange zubereiteten, seltnen Zustandes der Völker und Zeiten? Lasst uns also in diesen Gedichten und Sagen schätzen, was wir in ihnen finden: einen eignen Geist roher, kühner Dichtung, starker, reiner und treuer Gefühle, samt einem nur zu künstlichen Gebrauch des Kerns unserer Sprache; und Dank sei jeder aufbewahrenden, jeder mitteilenden Hand, die zum allgemeinern oder bessern Gebrauch dieser Nationalschätze beiträgt. Unter den Namen derer, die in früheren und neueren Zeiten ruhmwürdig dazu beitrugen [253], nenne ich in unsern Zeiten auch für die Geschichte der Menschheit den Namen Suhm mit Dank und Ehre. Er ist es, der uns von Island her dies schöne Nordlicht in neuem Glanze hervorschimmern läßt; er selbst und andere suchen es auch in den Horizont unserer Kenntnisse zum richtigem Gebrauch einzuführen. Leider können wir Deutsche von unsern alten Sprachschätzen nicht viel aufzeigen [254], die Lieder unserer Barden sind verloren; der alte Eichbaum unserer Heldensprache prangt, außer wenigem, nur mit sehr junger Blüte. Als die deutschen Völker das Christentum angenommen hatten, fochten sie dafür wie für ihre Könige und ihren Adel; welche echte Degentreue denn außer ihren eignen Völkern, den Alemannen, Thüringern, Bayern und Sachsen, die armen Slawen, Preußen, Kuren, Liven und Esten reichlich erfahren haben. Zum Ruhme gereicht es ihnen, daß sie auch gegen die später eindringende Barbaren als eine lebendige Mauer standen, an der sich die tolle Wut der Hunnen, Ungarn, Mogolen und Türken zerschellte. Sie also sind's, die den größesten Teil von Europa nicht nur erobert, bepflanzt und nach ihrer Weise eingerichtet, sondern auch beschützt und beschirmt haben; sonst hätte auch das in ihm nicht aufkommen können, was aufgekommen ist. Ihr Stand unter den andern Völkern, ihr Kriegesbund und Stammescharakter sind also die Grundfesten der Kultur, Freiheit und Sicherheit Europas geworden; ob sie nicht auch durch ihre politische Lage an dem langsamen Fortgange dieser Kultur mit eine Ursache sein müssen, davon wird ein unbescholtener Zeuge, die Geschichte, Bericht geben. |
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Wolfgang
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