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August Strindberg

August Strindberg

 

 

Auszüge aus dem

BLAUBUCH


Die Geschichte des Blaubuchs

Vorrede zur dritten Auflage des Originals

Ich hatte bei Goethe gelesen, wie er einmal beabsichtigt hatte, ein „Breviarium Universale" zu schreiben, ein Erbauungsbuch für Bekenner aller Religionen. In den „Historischen Miniaturen" habe ich versucht, Gottes Ratschlüsse in der Weltgeschichte zu finden, und ich stellte das Christentum in seine Linie ein, die von Israel ausgeht, beging vielleicht aber den Fehler, den ändern Religionen einen Platz an der Seite zu geben, während sie darunter hätten stehen müssen. Ein Jahr verging, und ich fühlte mich von inneren Mahnungen bedrängt, ein ziemlich konfessionsloses Brevier zu schreiben, ein Wort der Weisheit für jeden Tag im Jahr. Ich sammelte darum die heiligen Bücher aller Religionen, um aus ihnen einen „Spruch" zu nehmen, um über ihn zu schreiben. Aber siehe da, die Bücher erschlossen sich nicht! Weda, Zend waren versiegelt und gaben nicht einen Spruch her; nur der Koran gab einen, aber einen Löwen!*) Da nahm ich mir vor, den Plan zu ändern und rein weltliche Weisheit über Menschen zu schreiben und das Buch Herbarium Humane zu nennen. Aber ich schob die Arbeit auf, vor der großen Aufgabe und dem unreifen Plan bebend.

Dann kam der 15. Juni 1906. Morgens, als ich ausging, sah ich zuerst eine Straßenbahn mit der Zahl 365. Ich war betroffen über diese Nummer und dachte an meine 365 Seiten, die ich schreiben wollte. Dann kam ich in eine enge Straße. Ein Karren fuhr an meiner Seite auf, und der trug eine rote Flagge; das war die Pulverflagge.

Der Karren begleitete mich und begann mich zu stören. In diesem Augenblick, und um von der Pulverflagge wegzukommen, sah ich in die Luft hinauf, und siehe da, eine riesige rote Flagge (die englische) begegnete meinen Blicken, demonstrativ. Ich sah wieder nach unten, und eine schwarz gekleidete Dame mit feuerrotem Hut ging schräg über die Straße. Ich beschleunigte meine Schritte und erblickte sofort darauf das Fenster eines Papierhändlers, in dem ein Karton aufgestellt stand, mit einer Aufschrift in Goldbuchstaben: Herbarium. Es war ja natürlich, daß alles dies auf mich eindrang, und mein Entschluß war jetzt gefaßt, ich legte meine Pulverkammer an, die dann das Blaubuch wurde. Ein Jahr verging, langsam, qualvoll. Das Merkwürdigste, was geschah, war dieses: Im Theater begannen die Proben zu meinem Drama, dem „Traumspiel", und gleichzeitig trat eine Änderung in meinem täglichen Leben ein. Mein Dienstbote ging, das Haus kam herunter; in 40 Tagen mußte ich sechs Dienstboten wechseln, der eine schlechter als der andere. Schließlich mußte ich mich selbst bedienen, den Tisch decken und Feuer machen; ich aß schwarzes Schweinefutter aus einem Tragkorb. Kurz, alles Bittere des Lebens mußte ich erleiden, ohne daß ich verstand warum.

Eines Morgens während dieser Fastenzeit ging ich an einem Laden vorbei, und im Fenster sah ich einen Gobelin, der mich anzog und in Entzücken versetzte. Ich glaubte, mein „Traumspiel" in der Zeichnung des Gewebes zu sehen. Ganz oben das wachsende Schloß; darunter die grünende Insel mit einem Regenbogen darüber und von der Sonne beleuchtete Alpenspitzen. Darunter das Meer mit sich spiegelnden Sternen und einer großen grünen Seeschlange, die etwas von sich gab; und ganz unten in der Borte eine Reihe Hakenkreuze, Swastika, die bedeuten Glück oder: Es ist gut! Das war jedoch nur meine Deutung; der Künstler hatte etwas anderes gemeint, das nicht hierher gehört. Dann kam die Generalprobe des „Traumspiels". Dieses Drama schrieb ich vor sieben Jahren, nach gerade 40 Tagen Leiden, die zum Schlimmsten gehören, das ich durchgemacht habe. Und nun sind gerade 40 Tage Fasten und Pein vergangen. Es scheint also eine geheime Gesetzgebung mit festgesetzten Strafbestimmungen zu geben. Ich dachte an die 40 Tage der Sündflut, die 40 Jahre der Wüstenwanderung, die 40 Tage Fasten von Moses, Elias, Christus. Mein Tagebuch beschreibt meine Eindrücke folgendermaßen:

Die Sonne scheint - - - eine gewisse ruhige, resignierte Ungewißheit herrscht in meinem Kopf. Ich frage mich, ob nicht eine Katastrophe die Aufführung des Stückes verhindern wird, das vielleicht nicht gespielt werden darf. Ich habe allerdings schön zu den Menschen gesprochen, aber dem Weltenordner raten zu wollen, ist vermessen (vielleicht Lästerung). Daß ich die verhältnismäßige Nichtigkeit des Lebens (Buddhismus), seine wahnwitzigen Widersprüche, seine Bosheit und Zügellosigkeit offenbart habe, kann ja lobenswert sein, wenn es den Menschen Resignation gibt. Daß ich die verhältnismäßige (?) Schuldlosigkeit des Menschen gezeigt habe in diesem Leben, das selbst Schuld mit sich bringt, ist wohl nicht böse - - - aber - - - Eben Telephon vom Theater: Wie dies gehen wird, steht in Gottes Hand. -Ganz meine Meinung! antworte ich; und ich frage mich wieder, ob das Stück gespielt werden darf. (Ich glaube, es ist bereits von hohen Mächten bestimmt, wie auch der Ausgang der Premiere sein mag, wenn sie zustande kommt.)

Gerade jetzt ist mir, als sei es Sonntag. „Die weiße Gestalt" erscheint draußen auf dem Altan des „wachsenden Schlosses". Meine Gedanken haben sich in der letzten Zeit mit dem Tod und dem Leben nach diesem beschäftigt. Las gestern „Timaios" und „Phaidon" von Platon. Schreibe gegenwärtig an einer „Toteninsel", in der ich das Erwachen nach dem Tode schildere, und was dann folgt, aber ich zögere und schaudere vor dem bodenlosen Elend des bloßen Lebens. Neulich verbrannte ich ein Drama, welches so aufrichtig war, daß mir graute. Was ich nicht begreife, ist dies: ob man die Niedertracht verbergen und den Menschen schmeicheln soll. Ich will heiter und schön schreiben, darf aber nicht, kann nicht. Fasse es als eine Schreckenspflicht, wahr zu sein, und das Leben ist unbeschreiblich häßlich. Jetzt schlägt die Uhr elf (um zwölf ist Probe).

Am selben Tag um acht Uhr abends. Ich habe die Probe des „Traumspiels" gesehen und litt unerhört. Hatte den Eindruck, dieses Werk dürfe nicht gespielt werden. Es ist vermessen und sicher eine Lästerung (?). Ich bin disharmonisch und erschreckt (unselig). Habe kein Mittagessen bekommen; aß um sieben Uhr kaltes Essen aus dem Korb in der Küche.

Während der religiösen Grübeleien meiner letzten vierzig Tage las ich das Buch Hiob, wobei ich mir allerdings sagte, daß ich kein gerechter Mann bin. Da kam ich aber zum zweiundzwanzigsten Kapitel, in dem Eliphas von Theman den Hiob entlarvt: „Du hast etwa deinem Bruder ein Pfand genommen, ohne Ursache; du hast den Nackten die Kleider ausgezogen; du hast die Müden nicht mit Wasser getränkt; und hast dem Hungrigen dein Brot versagt - - - Nein, deine Bosheit ist zu groß, und deiner Missetaten ist kein Ende." Da war der ganze Trost von Hiobs Buch dahin, und ich stand wieder verlassen, unschlüssig da. Woran soll ein armer Mensch sich halten? Was soll er glauben? Kann er dafür, wenn er verkehrt denkt? - Gestern las ich „Timaios" und „Phaidon" von Platon, und erhielt so viel sich widersprechende Weisheit, daß ich am Abend meine Andachtsbücher fortwarf und aus vollstem Herzen (!) zu Gott betete. Was soll nun geschehen? Gott helfe mir. Amen!

Der Regisseur abends bei mir. Wir waren beide verzagt --- die Nacht ruhig.

16. April - Las die Korrektur der „Schwarzen Fahnen" (geschrieben 1904). Schwankte, ob das Buch ein Vergehen sei und unterbleiben müsse. Ich blätterte in der Bibel und stieß auf das Buch Hiob, in dem der Prophet zum Weissagen gezwungen wird, auch als er sich verbarg. Das tröstete mich. - - Aber es ist ein entsetzliches Buch!

17. April - Heute wird das „Traumspiel" gegeben. Morgens ruhiger Schneefall. Las im Buch Hiob das letzte Kapitel, in dem Gott Hiob für dessen Vermessenheit straft, sein Werk meistern zu wollen. Hiob bittet um Verzeihung, und ihm wird verziehen. - - - Ruhiges und graues Wetter bis drei Uhr. Da kam G. mit einer guten Nachricht.

Abends allein zu Hause. Schlag acht Uhr klingelt es an der Tür. Ein Bote überbringt einen Lorbeerkranz mit drei Rosen und der Inschrift „Wahrheit, Licht, Befreiung". Ich nahm sofort den Kranz und legte ihn auf Beethovens Haupt auf dem Kachelofen, da ich ihm so viel zu verdanken habe (besonders jetzt die Musik zu meinem Drama).

„Heute haben Kinder gespukt." Als ich heute morgen aus der Haustür kam, traf ich eine Frau, die ein kleines widerstrebendes Mädchen mit sich zog. Als ich heimkehrte, hatte ich ein lärmendes unartiges Kind und eine alte Frau vor mir auf der Treppe. Mir wurde so beklommen, daß ich ihr Gehen abwarten wollte, um eine Begegnung zu vermeiden, aber das war unmöglich. Als ich an ihnen vorbei ging, sagte die Alte, indem sie dem Kind die Zähne zeigte: „Klingele nicht an den Türen, du!"

Dann, als ich gegen Mittag im Schlafzimmer ausruhte, hörte ich, wie ein Kind im Nachbarhaus drei Male geschlagen wurde, unter furchtbarem Geschrei, und zwar durch zwei Brandmauern hindurch. Was bedeutet das. Ist es die gehörige Antwort (das „Traumspiel")? Die Menschen boshafte Kinder, welche die Behandlung verdienen, die sie erfahren? Das „wachsende Schloß" ist heute abend dunkel.

Um elf Uhr ein Telephonanruf aus dem Theater, daß alles gut gegangen ist.

18. April - Mir ist stürmisch zu Mute. Der Haß wütet gegen mich - - - Fand einen Stein auf der Treppe und stieß mit dem Fuß dagegen.

Nach 40 Tagen Fasten und Verwirrung, Leiden aller Art, erscheinen mitten in beiden Händen tiefe Male wie von großen Nägeln (Stigmata?). Ist es Ostern für mich? Als hätte ich Christus gekreuzigt? Ich gehe in Todesgedanken umher und erwarte eine Katastrophe. Ich habe diese ganze Zeit mein Bier mit Wermut darin (Galle!) getrunken.

Während dieser quälenden 40 Tage, als ich unter anderm ausgekochtes und schmutziges Essen bekam, habe ich mit Hiob geklagt: „Wer will essen die Speise, die keinen Geschmack hat noch Salz? Oder wer mag kosten das Weiße um den Dotter?" Da wurde in Hesekiel, Kapitel vier, geantwortet: „Gerstenkuchen sollst du essen, die du vor ihren Augen auf Menschenmist backen sollst. Und der Herr sprach: Also müssen die Kinder Israel ihr unreines Brot essen unter den Heiden." Als der Prophet klagte, wurde ihm gnädig erlaubt, auf Kuhdünger zu backen. Vorbild der Zerstörung Jerusalems. Das war wohl damals angängig, aber ich sollte durch Leiden dahin kommen. Die Disharmonie ist noch da, aber nicht ganz.

23. April - A. abends zu Besuch. Ich begann mich zu beklagen und wollte erzählen, daß ich so schmutziges Essen bekommen, daß ich nicht „Gott für Speis und Trank danken" könne (während ich gleichzeitig einem Bettler zwei Kronen für ein ordentliches Mittagessen gegeben hatte). Im selben Augenblick fuhr ein blauer Blitz an den Fenstern vorbei, und dann rollte der Donner. Das geschah dreimal hintereinander.

24. April - Neuer Dienstbote; das Haus ist wieder in Ordnung, die Quarantäne (=40 Tage) hat aufgehört.

10. Mai - Als ich heute morgen aus der Haustür heraustrete, sehe ich von weitem, wie man mit roten und weißen Flaggen (Feldzeichen) manövriert. Ich ging näher und sah eine schwarze Flagge, aber sie verbarg sich sofort in der Reihe. Ich wartete eine Weile, bekam aber die schwarze nicht wieder zu sehen. Dachte an die „Schwarzen Fahnen", die jetzt gedruckt werden.

16. Mai - Las die letzte Korrektur der „Schwarzen Fahnen". Nun bleibt mir nur noch übrig, den letzten Kelch zu leeren.

29. Mai - N. starb am Morgen. Die „Schwarzen Fahnen" erscheinen heute. Abschluß mit dem Verleger über das Blaubuch, zu ausgezeichneten Bedingungen (obwohl ich nicht geglaubt hatte, es werde gedruckt). So beschloß ich, in der Wohnung zu bleiben, die ich infolge von Armut bereit war, zu verlassen.

30. Mai - Auf dem Exerzierfeld wurde am Morgen etwas aus hellem Holz gebaut und hergerichtet, das einem Scheiterhaufen und einem Schober glich. Zur Mittagszeit wurde an etwas, das einem kleinen Haus (Abtritt) glich, Feuer gelegt. Es brannte in heller Flamme, brannte aber nicht nieder, sondern blieb stehen, aber schwarz, der gelbe Schober aus Holzschindeln stand unberührt vom Feuer.

Noch einmal wurde das Haus angesteckt, brannte, brannte aber nicht nieder. Herumstehende Personen hatten rote Gegenstände in der Hand, die Kegeln glichen. Was es gewesen ist, weiß ich nicht. (Riet auf einen feuersicheren Stoff.) Aber ich deutete es so: Entweder sollte ich gebrannt werden, aber nicht verbrennen, oder der alte Abtritt konnte zwar angebrannt, aber nicht verzehrt werden. Ich faßte es als einen Scheiterhaufen auf, der für mich errichtet war. (Später als etwas, das verbrannt werden sollte; denn am Abend war nur ein Aschenhaufen übrig.) Wenn es nun wirklich ein Versuch mit feuerfesten Farben oder einer Imprägnierungsflüssigkeit war, so war es für mich eine symbolische Szene. In solchen wirklichen Bildern erhalte ich meine Mahnungen und Warnungen.

20. August - Ich las am Abend Korrektur des Blaubuchs. Später wurde es kohlschwarz von dunkeln Wolken, die sich auftürmten. Ein Gewitterregen fiel; darauf klärte es sich auf, und ein großer Regenbogen stand rings um - - - die Kirche, die von der Sonne beleuchtet wurde. Über dem „Schloß" waren Wolken mit Schlössern, Burgen, Tempeln zu sehen.

22. August - Ich lese jetzt Korrektur des Blaubuchs, und mir ist, als sei damit meine Mission im Leben zu Ende. Ich habe alles sagen dürfen, was ich zu sagen hatte.

Träumte, ich wäre in dem Heim meiner Kindheit am Sabbatsberg und sähe den größten Teich ausgetrocknet. Dieser Teich war für die Kinder immer gefährlich gewesen, weil die Ufer aus Morast bestanden, und der stinkende Teich war voller Frösche, Igel und Eidechsen. Jetzt, im Traum, ging ich auf dem trocknen Boden umher und war erstaunt, daß er so rein war. Dachte: nun ist Schluß mit dem Froschsumpf, nachdem ich mit den „Schwarzen Fahnen" gebrochen habe.

1. September - Las den letzten Bogen des Blaubuchs.

2. September - Begegnete der Straßenbahn 365, die ich nicht gesehen hatte, seit ich das Blaubuch zu schreiben anfing (15. Juni 1906).

12. September - Das Blaubuch erscheint heute. Erster wolkenfreier Tag im Sommer. Träumte, ich befände mich in einem Steinbruch und könnte weder hinauf noch hinunter kommen. Ich dachte ganz ruhig: Muß wohl um Hilfe rufen.

In den letzten Tagen hat man in der Stadt Nachtigallpfeifen verkauft. Jetzt eben wird eine unten auf der Straße geblasen. Am Morgen traf ich einen großen Strom festlich gekleideter Menschen, ohne daß ich weiß, woher er kam. „Die weiße Gestalt" auf dem Schloß erscheint heute nach sehr langer Abwesenheit. Der Abreißkalender sagt heute auf deutsch: Was sich soll klären, das muß erst gären.

Ich brachte Blumen, die ich kaufte, mit nach Hause. Man spielt schön, festlich unter mir, schon um zehn Uhr vormittags. Jetzt kommt die Schuljugend unten auf dem Exerzierfeld, unter Waffen, mit Fahnen und Musik.

Heute bekam ich neue Kleider, die passen. Die alten hatten mich in den letzten Tagen bis zur Marter gespannt.

Mein Töchterchen besuchte mich. Ich fuhr sie in einer Kalesche wieder nach Hause.

Am Abend eine große erfreuliche Neuigkeit. Auch kam A. und spielte mir Beethoven vor. Ein schönes Nordlicht stand über dem „Schloß".

14. September - Den ganzen Tag klar. Gegen Abend aber, um fünf Uhr fünfundvierzig, bedeckte sich der Himmel mit den schrecklichsten Wolken, schwarzen Profilen, schräg hängenden Soffitten gleich. Darauf wurden diese von einem Gewitter aufs Meer hinausgejagt. Am Abend wird die „Kronbraut" gespielt.

20. September - Träumte in der Nacht, ein schwarzer Hund spränge mir auf die Schulter; ein weißer Hund säße auf der Erde. Als ich am Morgen das Fenster öffnete, sah ich zwei Hunde, einen weißen und einen schwarzen, sich um ein Tauende reißen. Das zu deuten war nicht schwer!

So war denn das „Blaubuch" erschienen, und es war schön anzusehen, von außen, in seinem Blau und Rot. Es glich sehr meinem ersten Buch, dem „Roten Zimmer"; war aber doch so ungleich diesem, in seinem Rot und Blau. Im ersten mußte ich wie Jeremias „aufreißen, niederbrechen, vernichten und verderben"; aber in diesem Buch hatte ich „aufbauen und pflanzen" dürfen. Und ich will mit diesem Danklied des Hiskia schließen:

Nun muß ich zu der Hölle Pforten fahren
in der Mitte meines Lebens,
da ich gedachte, noch länger zu leben
Meine Zeit ist dahin
und von mir weggetan wie eines Hirten Hütte.
Ich reiße mein Leben ab wie ein Weber;
er bricht mich ab wie einen dünnen Faden;
du machst's mit mir ein Ende den Tag vor Abend.
Ich winselte wie ein Kranich und wie eine Schwalbe
und girrte wie eine Taube;
meine Augen wollten mir brechen:
Herr, ich leide Not, lindere mir's!
Was soll ich reden?
Er hat mir's zugesagt und hat's auch getan!
Ich werde in Demut wandeln all meine Lebtage
nach solcher Betrübnis meiner Seele.
Herr, davon lebt man,
und das Leben meines Geistes steht ganz darin;
denn du ließest mich wieder stark werden
und machtest mich leben.
Siehe, um Trost war mir sehr bange.
Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,
daß sie nicht verdürbe - -
und die in die Grube fahren,
warten nicht auf deine Wahrheit;
sondern allein, die da leben, loben dich,
wie ich jetzt tue.
Der Vater wird den Kindern deine Wahrheit kundtun."

In den Tagen, als die „Schwarzen Fahnen" erscheinen sollten, kam ich in eine Buchhandlung und fand auf dem Tisch mit dem ersten Blick ein Heft der „Kleinen Theosophischen Schriften" des Vereins Orion (Zehntes Heft des Jahres 1906). Ich nahm die Schrift mit nach Hause. Darin fand ich zuerst ein wunderbares Gedicht von Georg Ljungström, genannt „Alpha Omega". Dann las ich die Mitteilungen von der Astralwelt, vom selben G. L. Unter anderm stand darin das folgende (das ich kürze): 

„Unter der Oberfläche des südlichen Polarkontinents haben die Schwarzmagier sich ein unerhörtes Reich erbaut - - - Einige Millionen der am tiefsten gesunkenen Menschenseelen bewohnen dieses Reich und leiden eine ganz unerträgliche Unterdrückung durch die Großfürsten der Schwarzmagie, die dort herrschen. Da ist eine Regierung, die Ordnung und Sitte mit größerem Nachdruck als in irgend einem ändern Reich aufrecht erhält. Aber die Verbrecher, die in diesem Reich das Böse verkörpern, entkommen damit nicht dem Gesetz des Guten. Zwei Wege stehen ihnen dort offen: der Weg des Guten und der des Bösen. Könnten sie nur die Liebe zu einem Wesen begreifen, wären sie gerettet. Denn die Vorsehung hat es so weise angeordnet, daß in diesem Wohnsitz der Strafe die Liebe, wenn möglich, lockender wird als auf der Erde, gerade weil es ihr dort viel schwerer ist, zum Ausdruck zu kommen. Es ist nämlich ein Gesetz für die Schwarzmagier, sowohl hohe wie niedrige, daß sie ganz wesentlich ihr Schicksal (Karma) aufschieben können, wenn sie sich nur hüten, dem, den sie lieben, einen einzigen selbstlosen Liebesdienst zu leisten. Tun sie das, werden sie augenblicklich ein Raub der andern Schwarzmagier. Solch ein zufälliger Augenblick der Willensschwäche im Dienst des Guten liefert sie ihrem strafenden Karma aus, und sie sind darum sichtbar ängstlich, in dieser Hinsicht nachzugeben. Trotz aller drohenden Folgen geben sie schließlich nach, und sie werden dann unmittelbar von der Hand des Karmas getroffen, für alles Böse, das sie verübt haben, aber sind sofort vom geistigen Tod gerettet. Wenn ein Bewohner dieses Reiches des Bösen eine gute Handlung ausführt, verliert er im selben Augenblick allen Schutz und Halt. Wenn solch ein bekehrter Schwarzmagier Mensch wird, tritt er sehr oft wie ein hochintelligenter guter Mensch auf, dessen Güte von einer besonders lebhaft tätigen Natur ist. Er hat ja so viele Träume von dieser Art vorrätig, denen er bisher keinen Ausdruck zu geben gewagt hatte. Viele Heilige des Mittelalters waren gerade solche jüngst bekehrte Schwarzmagier aus der Folterwelt der Tiefe, und das erklärt ihren festen Glauben an eine Hölle und ihre große Fähigkeit, deren Schrecken zu schildern. Sie haben sie in frischer Erinnerung." 

Das war ja meine Lage, als ich im Begriff stand, mit den Schwarzmagiern (den Fahnen) zu brechen. Ich sah voraus, was mich erwartete. Aber ich befahl meine Seele in Gottes Hand und ging vorwärts. Als Motto auf das folgende Buch setzte ich auch: „Wer vom Bösen weichet, der muß jedermanns Raub sein." Das Eigentümliche aber ist, daß von dieser Stunde an mein eigentliches Karma sich zu vollenden begann. Ich war geschützt, es ging mir gut, ich fand neue, bessere Freunde als ich sie verloren hatte. Und nun möchte ich alle meine früheren systematischen Mißerfolge dem Umstand zuschreiben, daß ich den Schwarzen diente. Es war kein Segen mit ihnen!


*) „Beim Tag, der steigt! / und bei der Nacht, die schweigt! / verlassen hat dich nicht dein Herr, noch dir sich abgeneigt. / Das dort ist besser, als was hier sich zeigt. / Er gibt dir noch, was dir zu deiner Lust gereicht. / Fand er dich nicht als Waisen und ernährte dich? / als Irrenden, und führte dich? / als Dürftigen, und mehrte dich? / Darum den Waisen plage nicht, / dem Bittenden versage nicht, / und deines Herren Huld vermelde."

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