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Johann Wolfgang
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Zwölftes BuchDer
Wanderer war nun endlich gesünder und froher nach Hause gelangt als das
erstemal, aber in seinem ganzen Wesen zeigte sich doch etwas Überspanntes,
welches nicht völlig auf geistige Gesundheit deutete. Gleich zu Anfang
brachte ich meine Mutter in den Fall, daß sie zwischen meines Vaters
rechtlichem Ordnungsgeist und meiner vielfachen Exzentrizität die Vorfälle
in ein gewisses Mittel zu richten und zu schlichten beschäftigt sein mußte.
In Mainz hatte mir ein harfespielender Knabe so wohl gefallen, daß ich
ihn, weil die Messe gerade vor der Türe war, nach Frankfurt einlud, ihm
Wohnung zu geben und ihn zu befördern versprach. In diesem Ereignis
trat wieder einmal diejenige Eigenheit hervor, die mich in meinem Leben
so viel gekostet hat, daß ich nämlich gern sehe, wenn jüngere Wesen
sich um mich versammeln und an mich anknüpfen, wodurch ich denn
freilich zuletzt mit ihrem Schicksal belastet werde. Eine unangenehme
Erfahrung nach der andern konnte mich von dem angebornen Trieb nicht zurückbringen,
der noch gegenwärtig, bei der deutlichsten Überzeugung, von Zeit zu
Zeit mich irre zu führen droht. Meine Mutter, klärer als ich, sah wohl
voraus, wie sonderbar es meinem Vater vorkommen müßte, wenn ein
musikalischer Meßläufer von einem so ansehnlichen Hause her zu Gasthöfen
und Schenken ginge, sein Brot zu verdienen; daher sorgte sie in der
Nachbarschaft für Herberge und Kost desselben; ich empfahl ihn meinen
Freunden, und so befand sich das Kind nicht übel. Nach mehreren Jahren
sah ich ihn wieder, wo er größer und tölpischer geworden war, ohne in
seiner Kunst viel zugenommen zu haben. Die wackere Frau, mit dem ersten
Probestück des Ausgleichens und Vertuschens wohl zufrieden, dachte
nicht, daß sie diese Kunst in der nächsten Zeit durchaus nötig haben
würde. Der Vater, in seinen verjährten Liebhabereien und Beschäftigungen
ein zufriedenes Leben führend, war behaglich, wie einer, der trotz
allen Hindernissen und Verspätungen seine Plane durchsetzt. Ich hatte
nun promoviert, der erste Schritt zu dem fernem bürgerlichen,
stufenweisen Lebensgange war getan. Meine Disputation hatte seinen
Beifall, ihn beschäftigte die nähere Betrachtung derselben und manche
Vorbereitung zu einer künftigen Herausgabe. Während meines Aufenthalts
im Elsaß hatte ich viel kleine Gedichte, Aufsätze, Reisebemerkungen
und manches fliegende Blatt geschrieben. Diese zu rubrizieren, zu
ordnen, die Vollendung zu verlangen unterhielt ihn, und so war er froh
in der Erwartung, daß meine bisher unüberwundene Abneigung, etwas
dieser Dinge gedruckt zu sehn, sich nächstens verlieren werde. Die
Schwester hatte einen Kreis von verständigen und liebenswürdigen
Frauenzimmern um sich versammelt. Ohne herrisch zu sein, herrschte sie
über alle, indem ihr Verstand gar manches übersehn und ihr guter Wille
vieles ausgleichen konnte, sie auch überdies in dem Fall war, eher die
Vertraute als die Rivalin zu spielen. Von ältern Freunden und Bekannten
fand ich an Horn den unveränderlich treuen Freund und heiteren
Gesellschafter; mit Riese ward ich auch vertraut, der meinen Scharfsinn
zu üben und zu prüfen nicht verfehlte, indem er, durch anhaltenden
Widerspruch, einem dogmatischen Enthusiasmus, in welchen ich nur gar zu
gern verfiel, Zweifel und Verneinung entgegensetzte. Andere traten nach
und nach zu diesem Kreis, deren ich künftig gedenke; jedoch standen
unter den Personen, die mir den neuen Aufenthalt in meiner Vaterstadt
angenehm und fruchtbar machten, die Gebrüder Schlosser allerdings
obenan. Der ältere, Hieronymus, ein gründlicher und eleganter
Rechtsgelehrter, hatte als Sachwalter ein allgemeines Vertrauen. Unter
seinen Büchern und Akten, in Zimmern, wo die größte Ordnung
herrschte, war sein liebster Aufenthalt; dort hab ich ihn niemals anders
als heiter und teilnehmend gefunden. Auch in größerer Gesellschaft
erwies er sich angenehm und unterhaltend: denn sein Geist war, durch
eine ausgebreitete Lektüre, mit allem Schönen der Vorwelt geziert. Er
verschmähte nicht, bei Gelegenheit, durch geistreiche lateinische
Gedichte die geselligen Freuden zu vermehren; wie ich denn noch
verschiedene scherzhafte Distichen von ihm besitze, die er unter einige
von mir gezeichnete Porträte seltsamer, allgemein bekannter Frankfurter
Karikaturen geschrieben hatte. Öfters beriet ich mich mit ihm über
meinen einzuleitenden Lebens- und Geschäftsgang, und hätten mich nicht
hundertfältige Neigungen, Leidenschaften und Zerstreuungen von diesem
Wege fortgerissen, er würde mir der sicherste Führer geworden sein.
Näher an Alter stand mir sein Bruder Georg, der sich von
Treptow, aus den Diensten des Herzogs Eugen von Würtemberg, wieder zurückgezogen
hatte. An Weltkenntnis, an praktischem Geschick vorgeschritten, war er
in seiner Übersicht der deutschen und auswärtigen Literatur auch nicht
zurückgeblieben. Er schrieb, wie vormals, gern in allen Sprachen, regte
mich aber dadurch nicht weiter an, da ich, mich dem Deutschen ausschließlich
widmend, die übrigen nur insoweit kultivierte, daß ich die besten
Autoren im Original einigermaßen zu lesen imstande war. Seine
Rechtschaffenheit zeigte sich immer als dieselbe, ja die Bekanntschaft
mit der Welt mochte ihn veranlaßt haben, strenger, sogar starrer auf
seinen wohlmeinenden Gesinnungen zu beharren.
Durch diese beiden Freunde ward ich denn auch gar bald mit Merck
bekannt, dem ich durch Herdern, von Straßburg aus, nicht ungünstig
angekündigt war. Dieser eigne Mann, der auf mein Leben den größten
Einfluß gehabt, war von Geburt ein Darmstädter. Von seiner früheren
Bildung wüßte ich wenig zu sagen. Nach vollendeten Studien führte er
einen Jüngling nach der Schweiz, wo er eine Zeitlang blieb, und beweiht
zurückkam. Als ich ihn kennen lernte, war er Kriegszahlmeister in
Darmstadt. Mit Verstand und Geist geboren, hatte er sich sehr schöne
Kenntnisse, besonders der neueren Literaturen, erworben, und sich in der
Welt- und Menschengeschichte nach allen Zeiten und Gegenden umgesehn.
Treffend und scharf zu urteilen war ihm gegeben. Man schätzte ihn als
einen wackern entschlossenen Geschäftsmann und fertigen Rechner. Mit
Leichtigkeit trat er überall ein, als ein sehr angenehmer
Gesellschafter für die, denen er sich durch beißende Züge nicht
furchtbar gemacht hatte. Er war lang und hager von Gestalt, eine
hervordringende spitze Nase zeichnete sich aus, hellblaue, vielleicht
graue Augen gaben seinem Blick, der aufmerkend hin und wider ging, etwas
Tigerartiges. Lavaters "Physiognomik " hat uns sein Profil
aufbewahrt. In seinem Charakter lag ein wunderbares Mißverhältnis: von
Natur ein braver, edler, zuverlässiger Mann, hatte er sich gegen die
Welt erbittert, und ließ diesen grillenkranken Zug dergestalt in sich
walten, daß er eine unüberwindliche Neigung fühlte, vorsätzlich ein
Schalk, ja ein Schelm zu sein. Verständig, ruhig, gut in einem
Augenblick, konnte es ihm in dem andern einfallen, wie die Schnecke ihre
Hörner hervorstreckt, irgend etwas zu tun, was einen andern kränkte,
verletzte, ja was ihm schädlich ward. Doch wie man gern mit etwas Gefährlichem
umgeht, wenn man selber davor sicher zu sein glaubt, so hatte ich eine
desto größere Neigung, mit ihm zu leben und seiner guten Eigenschaften
zu genießen, da ein zuversichtliches Gefühl mich ahnden ließ, daß er
seine schlimme Seite nicht gegen mich kehren werde. Wie er sich nun,
durch diesen sittlich unruhigen Geist, durch dieses Bedürfnis, die
Menschen hämisch und tückisch zu behandeln, von einer Seite das
gesellige Leben verdarb, so widersprach eine andere Unruhe, die er auch
recht sorgfältig in sich nährte, seinem innern Behagen. Er fühlte nämlich
einen gewissen dilettantischen Produktionstrieb, dem er um so mehr
nachhing, als er sich in Prosa und Versen leicht und glücklich ausdrückte,
und unter den schönen Geistern jener Zeit eine Rolle zu spielen gar
wohl wagen durfte. Ich besitze selbst noch poetische Episteln von
ungemeiner Kühnheit, Derbheit und Swiftischer Galle, die sich durch
originelle Ansichten der Personen und Sachen höchlich auszeichnen, aber
zugleich mit so verletzender Kraft geschrieben sind, daß ich sie nicht
einmal gegenwärtig publizieren möchte, sondern sie entweder vertilgen,
oder als auffallende Dokumente des geheimen Zwiespalts in unserer
Literatur der Nachwelt aufbewahren muß. Daß er jedoch bei allen seinen
Arbeiten verneinend und zerstörend zu Werke ging, war ihm selbst
unangenehm, und er sprach es oft aus, er beneide mich um meine
unschuldige Darstellungslust, welche aus der Freude an dem Vorbild und
dem Nachgebildeten entspringe.
Übrigens hätte ihm sein literarischer Dilettantismus eher
Nutzen als Schaden gebracht, wenn er nicht den unwiderstehlichen Trieb
gefühlt hätte, auch im technischen und merkantilischen Fach
aufzutreten. Denn wenn er einmal seine Fähigkeiten zu verwünschen
anfing, und außer sich war, die Ansprüche an ein ausübendes Talent
nicht genialisch genug befriedigen zu können, So ließ er bald die
bildende, bald die Dichtkunst fahren und sann auf fabrikmäßige kaufmännische
Unternehmungen, welche Geld einbringen sollten, indem sie ihm Spaß
machten.
In Darmstadt befand sich übrigens eine Gesellschaft von sehr
gebildeten Männern. Geheimerat von Hesse, Minister des Landgrafen,
Professor Petersen, Rektor Wenck und andere waren die Einheimischen, zu
deren Wert sich manche fremde Benachbarte und viele Durchreisende
abwechselnd gesellten. Die Geheimerätin von Hesse und ihre Schwester,
Demoiselle Flachsland, waren Frauenzimmer von seltenen Verdiensten und
Anlagen, die letztre, Herders Braut, doppelt interessant durch ihre
Eigenschaften und ihre Neigung zu einem so vortrefflichen Manne.
Wie sehr dieser Kreis mich belebte und förderte, wäre nicht
auszusprechen. Man hörte gern die Vorlesung meiner gefertigten oder
angefangenen Arbeiten, man munterte mich auf, wenn ich offen und umständlich
erzählte, was ich eben vorhatte, und schalt mich, wenn ich bei jedem
neuen Anlaß das Früherbegonnene zurücksetzte. "Faust " war
schon vorgeruckt, "Götz von Berlichingen " baute sich nach
und nach so in meinem Geiste zusammen, das Studium des fünfzehnten und
sechzehnten Jahrhunderts beschäftigte mich, und jenes Münstergebäude
hatte einen sehr ernsten Eindruck in mir zurückgelassen, der als
Hintergrund zu solchen Dichtungen gar wohl dastehn konnte.
Was ich über jene Baukunst gedacht und gewähnt hatte, schrieb
ich zusammen. Das erste, worauf ich drang, war, daß man sie deutsch und
nicht gotisch nennen, nicht für ausländisch, sondern für vaterländisch
halten solle; das zweite, daß man sie nicht mit der Baukunst der
Griechen und Römer vergleichen dürfe, weil sie aus einem ganz anderen
Prinzip entsprungen sei. Wenn jene, unter einem glücklicheren Himmel,
ihr Dach auf Säulen ruhen ließen, so entstand ja schon an und für
sich eine durchbrochene Wand. Wir aber, die wir uns durchaus gegen die
Witterung schützen, und mit Mauern überall umgeben müssen, haben den
Genius zu verehren, der Mittel fand, massiven Wänden Mannigfaltigkeit
zu geben, sie dem Scheine nach zu durchbrechen und das Auge würdig und
erfreulich auf der großen Fläche zu beschäftigen. Dasselbe galt von
den Türmen, welche nicht, wie die Kuppeln, nach innen einen Himmel
bilden, Sondern außen gen Himmel streben, und das Dasein des
Heiligtums, das sich an ihre Base gelagert, weit umher den Ländern verkünden
sollten. Das Innere dieser würdigen Gebäude wagte ich nur durch
poetisches Anschauen und durch fromme Stimmung zu berühren.
Hätte ich diese Ansichten, denen ich ihren Wert nicht absprechen
will, klar und deutlich, in vernehmlichem Stil abzufassen beliebt, so hätte
der Druckbogen "Von deutscher Baukunst, D. M. Ervini a Steinbach
" schon damals, als ich ihn herausgab, mehr Wirkung getan und die
vaterländischen Freunde der Kunst früher aufmerksam gemacht; so aber
verhüllte ich, durch Hamanns und Herders Beispiel verführt, diese ganz
einfachen Gedanken und Betrachtungen in eine Staubwolke von seltsamen
Worten und Phrasen, und verfinsterte das Licht, das mir aufgegangen war,
für mich und andere. Demungeachtet wurden diese Blätter gut
aufgenommen und in dem Herderschen Heft "Von deutscher Art und
Kunst " nochmals abgedruckt.
Wenn ich mich nun, teils aus Neigung, teils zu dichterischen und
andern Zwecken, mit vaterländischen Altertümern sehr gern beschäftigte
und sie mir zu vergegenwärtigen suchte; so ward ich durch die
biblischen Studien und durch religiöse Anklänge von Zeit zu Zeit
wieder abgelenkt, da ja Luthers Leben und Taten, die in dem sechzehnten
Jahrhundert so herrlich hervorglänzen, mich immer wieder zu den
Heiligen Schriften und zu Betrachtung religiöser Gefühle und Meinungen
hinleiten mußten. Die Bibel als ein zusammengetragenes, nach und nach
entstandenes, zu verschiedenen Zeiten überarbeitetes Werk anzusehn,
schmeichelte meinem kleinen Dünkel, indem diese Vorstellungsart noch
keineswegs herrschend, viel weniger in dem Kreis aufgenommen war, in
welchem ich lebte. Was den Hauptsinn betraf, hielt ich mich an Luthers
Ausdruck, im einzelnen ging ich wohl zur Schmidischen wörtlichen Übersetzung,
und suchte mein weniges Hebräisch dabei so gut als möglich zu
benutzen. Daß in der Bibel sich Widersprüche finden, wird jetzt
niemand in Abrede sein. Diese suchte man dadurch auszugleichen, daß man
die deutlichere Stelle zum Grunde legte, und die widersprechende,
weniger klare jener anzuähnlichen bemüht war. Ich dagegen wollte durch
Prüfung herausfinden, welche Stelle den Sinn der Sache am meisten
ausspräche; an diese hielt ich mich und verwarf die anderen als
untergeschoben.
Denn schon damals hatte sich bei mir eine Grundmeinung
festgesetzt, ohne daß ich zu sagen wüßte, ob sie mir eingeflößt, ob
sie bei mir angeregt worden, oder ob sie aus eignem Nachdenken
entsprungen sei. Es war nämlich die: bei allem, was uns überliefert,
besonders aber schriftlich überliefert werde, komme es auf den Grund,
auf das Innere, den Sinn, die Richtung des Werks an; hier liege das
Ursprüngliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare, Unverwüstliche, und
keine Zeit, keine äußere Einwirkung noch Bedingung könne diesem
innern Urwesen etwas anhaben, wenigstens nicht mehr als die Krankheit
des Körpers einer wohlgebildeten Seele. So sei nun Sprache, Dialekt,
Eigentümlichkeit, Stil und zuletzt die Schrift als Körper eines jeden
geistigen Werks anzusehn; dieser, zwar nah genug mit dem Innern
verwandt, sei jedoch der Verschlimmerung, dem Verderbnis ausgesetzt: wie
denn überhaupt keine Überlieferung ihrer Natur nach ganz rein gegeben
und, wenn sie auch rein gegeben würde, in der Folge jederzeit
vollkommen verständlich sein könnte, jenes wegen Unzulänglichkeit der
Organe, durch welche überliefert wird, dieses wegen des Unterschieds
der Zeiten, der Orte, besonders aber wegen der Verschiedenheit
menschlicher Fähigkeiten und Denkweisen; weshalb denn ja auch die
Ausleger sich niemals vergleichen werden.
Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt,
zu erforschen, sei daher eines jeden Sache, und dabei vor allen Dingen
zu erwägen, wie sie sich zu unserm eignen Innern verhalte, und
inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet
werde; alles Äußere hingegen, was auf uns unwirksam, oder einem
Zweifel unterworfen sei, habe man der Kritik zu überlassen, welche,
wenn sie auch imstande sein sollte, das Ganze zu zerstückeln und zu
zersplittern, dennoch niemals dahin gelangen würde, uns den
eigentlichen Grund, an dem wir festhalten, zu rauben, ja uns nicht einen
Augenblick an der einmal gefaßten Zuversicht irre zu machen.
Diese aus Glauben und Schauen entsprungene Überzeugung, welche
in allen Fällen, die wir für die wichtigsten erkennen, anwendbar und
stärkend ist, liegt zum Grunde meinem sittlichen sowohl als
literarischen Lebensbau, und ist als ein wohl angelegtes und reichlich
wucherndes Kapital anzusehn, ob wir gleich in einzelnen Fällen zu
fehlerhafter Anwendung verleitet werden können. Durch diesen Begriff
ward mir denn die Bibel erst recht zugänglich. Ich hatte sie, wie bei
dem Religionsunterricht der Protestanten geschieht, mehrmals
durchlaufen, ja, mich mit derselben sprungweise, von vorn nach hinten
und umgekehrt, bekannt gemacht. Die derbe Natürlichkeit des Alten
Testaments und die zarte Naivetät des Neuen hatte mich im einzelnen
angezogen; als ein Ganzes wollte sie mir zwar niemals recht
entgegentreten, aber die verschiedenen Charakter der verschiedenen Bücher
machten mich nun nicht mehr irre: ich wußte mir ihre Bedeutung der
Reihe nach treulich zu vergegenwärtigen und hatte überhaupt zu viel
Gemüt an dieses Buch verwandt, als daß ich es jemals wieder hätte
entbehren sollen. Eben von dieser gemütlichen Seite war ich gegen alle
Spöttereien geschützt, weil ich deren Unredlichkeit sogleich einsah.
Ich verabscheute sie nicht nur, sondern ich konnte darüber in Wut
geraten, und ich erinnere mich noch genau, daß ich in kindlich
fanatischem Eifer Voltairen, wenn ich ihn hätte habhaft werden können,
wegen seines "Sauls " gar wohl erdrosselt hätte. Jede Art von
redlicher Forschung dagegen sagte mir höchlich zu, die Aufklärungen über
des Orients Lokalität und Kostüm, welche immer mehr Licht
verbreiteten, nahm ich mit Freuden auf, und fuhr fort, allen meinen
Scharfsinn an den so werten Überlieferungen zu üben.
Man weiß, wie ich schon früher mich in den Zustand der Urwelt,
die uns das erste Buch Mosis schildert, einzuweihen suchte. Weil ich nun
schrittweise und ordentlich zu verfahren dachte, so griff ich, nach
einer langen Unterbrechung, das zweite Buch an. Allein welch ein
Unterschied Gerade wie die kindliche Fülle aus meinem Leben
verschwunden war, so fand ich auch das zweite Buch von dem ersten durch
eine ungeheure Kluft getrennt. Das völlige Vergessen vergangener Zeit
spricht sich schon aus in den wenigen bedeutenden Worten: "Da kam
ein neuer König auf in Ägypten, der wußte nichts von Joseph. "
Aber auch das Volk, wie die Sterne des Himmels unzählbar, hatte beinah
den Ahnherrn vergessen, dem Jehovah gerade dieses nunmehr erfüllte
Versprechen unter dem Sternenhimmel getan hatte. Ich arbeitete mich mit
unsäglicher Mühe, mit unzulänglichen Hülfsmitteln und Kräften durch
die fünf Bücher und geriet dabei auf die wunderlichsten Einfälle. Ich
glaubte gefunden zu haben, daß nicht unsere Zehn Gebote auf den Tafeln
gestanden, daß die Israeliten keine vierzig Jahre, sondern nur kurze
Zeit durch die Wüste gewandert, und ebenso bildete ich mir ein, über
den Charakter Mosis ganz neue Aufschlüsse geben zu können.
Auch das Neue Testament war vor meinen Untersuchungen nicht
sicher; ich verschonte es nicht mit meiner Sonderungslust, aber aus
Liebe und Neigung stimmte ich doch in jenes heilsame Wort mit ein:
"Die Evangelisten mögen sich widersprechen, wenn sich nur das
Evangelium nicht widerspricht. " - Auch in dieser Region glaubte
ich allerhand Entdeckungen zu machen. Jene Gabe der Sprachen, am
Pfingstfeste in Glanz und Klarheit erteilt, deutete ich mir auf eine
etwas abstruse Weise, nicht geeignet, sich viele Teilnehmer zu
verschaffen.
In eine der Hauptlehren des Luthertums, welche die Brüdergemeine
noch geschärft hatte, das Sündhafte im Menschen als vorwaltend
anzusehn, versuchte ich mich zu schicken, obgleich nicht mit
sonderlichem Glück. Doch hatte ich mir die Terminologie dieser Lehre so
ziemlich zu eigen gemacht, und bediente mich derselben in einem Briefe,
den ich unter der Maske eines Landgeistlichen an einen neuen Amtsbruder
zu erlassen beliebte. Das Hauptthema desselbigen Schreibens war jedoch
die Losung der damaligen Zeit, sie hieß Toleranz, und galt unter den
besseren Köpfen und Geistern.
Solche Dinge, die nach und nach entstanden, ließ ich, um mich an
dem Publikum zu versuchen, im folgenden Jahre auf meine Kosten drucken,
verschenkte sie, oder gab sie der Eichenbergischen Buchhandlung, um sie
so gut als möglich zu verhöken, ohne daß mir dadurch einiger Vorteil
zugewachsen wäre. Hier und da gedenkt eine Rezension derselben, bald günstig,
bald ungünstig, doch gleich waren sie verschollen. Mein Vater bewahrte
sie sorgfältig in seinem Archiv, sonst würde ich kein Exemplar davon
besitzen. Ich werde sie, sowie einiges Ungedruckte der Art, was ich noch
vorgefunden, der neuen Ausgabe meiner Werke hinzufügen.
Da ich mich nun sowohl zu dem sibyllinischen Stil solcher Blätter
als zu der Herausgabe derselben eigentlich durch Hamann hatte verleiten
lassen, so scheint mir hier eine schickliche Stelle, dieses würdigen
einflußreichen Mannes zu gedenken, der uns damals ein ebenso großes
Geheimnis war, als er es immer dem Vaterlande geblieben ist. Seine
"sokratischen Denkwürdigkeiten " erregten Aufsehen, und waren
solchen Personen besonders lieb, die sich mit dem blendenden Zeitgeiste
nicht vertragen konnten. Man ahndete hier einen tiefdenkenden gründlichen
Mann, der, mit der offenbaren Welt und Literatur genau bekannt, doch
auch noch etwas Geheimes, Unerforschliches gelten ließ, und sich darüber
auf eine ganz eigne Weise aussprach. Von denen, die damals die Literatur
des Tags beherrschten, ward er freilich für einen abstrusen Schwärmer
gehalten, eine aufstrebende Jugend aber ließ sich wohl von ihm anziehn.
Sogar die Stillen im Lande, wie sie halb im Scherz, halb im Ernst
genannt wurden, jene frommen Seelen, welche, ohne sich zu irgend einer
Gesellschaft zu bekennen, eine unsichtbare Kirche bildeten, wendeten ihm
ihre Aufmerksamkeit zu, und meiner Klettenberg, nicht weniger ihrem
Freunde Moser war der "Magus aus Norden " eine willkommene
Erscheinung. Man setzte sich um so mehr mit ihm in Verhältnis, als man
erfahren hatte, daß er, von knappen häuslichen Umständen gepeinigt,
sich dennoch diese schöne und hohe Sinnesweise zu erhalten verstand.
Bei dem großen Einflusse des Präsidenten von Moser wäre es leicht
gewesen, einem so genügsamen Manne ein leidliches und bequemes Dasein
zu verschaffen. Die Sache war auch eingeleitet, ja man hatte sich so
weit schon verständigt und genähert, daß Hamann die weite Reise von Königsberg
nach Darmstadt unternahm. Als aber der Präsident zufällig abwesend
war, kehrte jener wunderliche Mann, aus welchem Anlaß weiß man nicht,
sogleich wieder zurück; man blieb jedoch in einem freundlichen
Briefverhältnis. Ich besitze noch zwei Schreiben des Königsbergers an
seinen Gönner, die von der wundersamen Großheit und Innigkeit ihres
Verfassers Zeugnis ablegen.
Aber ein so gutes Verständnis sollte nicht lange dauern. Diese
frommen Menschen hatten sich jenen auch nach ihrer Weise fromm gedacht,
sie hatten ihn als den Magus aus Norden mit Ehrfurcht behandelt, und
glaubten, daß er sich auch so fort in ehrwürdigem Betragen darstellen
würde. Allein er hatte schon durch die "Wolken, ein Nachspiel
Sokratischer Denkwürdigkeiten " einigen Anstoß gegeben, und da er
nun gar die "Kreuzzüge des Philologen " herausgab, auf deren
Titelblatt nicht allein das Ziegenprofil eines gehörnten Pans zu sehen
war, sondern auch auf einer der ersten Seiten ein großer, in Holz
geschnittener Hahn, taktgebend jungen Hähnchen, die mit Noten in den
Krallen vor ihm da standen, sich höchst lächerlich zeigte, wodurch
gewisse Kirchenmusiken, die der Verfasser nicht billigen mochte,
scherzhaft durchgezogen werden sollten: so entstand unter den Wohl- und
Zartgesinnten ein Mißbehagen, welches man dem Verfasser merken ließ,
der denn auch, dadurch nicht erbaut, einer engeren Vereinigung sich
entzog. Unsere Aufmerksamkeit auf diesen Mann hielt jedoch Herder immer
lebendig, der, mit seiner Braut und uns in Korrespondenz bleibend,
alles, was von jenem merkwürdigen Geiste nur ausging, sogleich
mitteilte. Darunter gehörten denn auch seine Rezensionen und Anzeigen,
eingerückt in die "Königsberger Zeitung ", die alle einen höchst
sonderbaren Charakter trugen. Ich besitze eine meist vollständige
Sammlung seiner Schriften und einen sehr bedeutenden handschriftlichen
Aufsatz über Herders Preisschrift, den Ursprung der Sprache betreffend,
worin er dieses Herdersche Probestück, auf die eigenste Art, mit
wunderlichen Schlaglichtern beleuchtet.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, eine Herausgabe der Hamannschen
Werke entweder selbst zu besorgen, oder wenigstens zu befördern, und
alsdann, wenn diese wichtigen Dokumente wieder vor den Augen des
Publikums liegen, möchte es Zeit sein, über den Verfasser, dessen
Natur und Wesen das Nähere zu besprechen; inzwischen will ich noch
einiges hier schon beibringen, um so mehr, als noch vorzügliche Männer
leben, die ihm auch ihre Neigung geschenkt, und deren Beistimmung oder
Zurechtweisung mir sehr willkommen sein würde. Das Prinzip, auf welches
die sämtlichen Äußerungen Hamanns sich zurückführen lassen, ist
dieses: "Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun
durch Tat oder Wort oder sonst hervorgebracht, muß aus sämtlichen
vereinigten Kräften entspringen; alles Vereinzelte ist verwerflich.
" Eine herrliche Maxime! aber schwer zu befolgen. Von Leben und
Kunst mag sie freilich gelten; bei jeder Überlieferung durchs Wort
hingegen, die nicht gerade poetisch ist, findet sich eine große
Schwierigkeit: denn das Wort muß sich ablösen, es muß sich
vereinzeln, um etwas zu sagen, zu bedeuten. Der Mensch, indem er
spricht, muß für den Augenblick einseitig werden; es gibt keine
Mitteilung, keine Lehre ohne Sonderung. Da nun aber Hamann ein für
allemal dieser Trennung widerstrebte, und, wie er in einer Einheit
empfand, imaginierte, dachte, so auch sprechen wollte, und das gleiche
von andern verlangte; so trat er mit seinem eignen Stil und mit allem,
was die andern hervorbringen konnten, in Widerstreit. Um das Unmögliche
zu leisten, greift er daher nach allen Elementen; die tiefsten
geheimsten Anschauungen, wo sich Natur und Geist im Verborgenen
begegnen, erleuchtende Verstandesblitze, die aus einem solchen
Zusammentreffen hervorstrahlen, bedeutende Bilder, die in diesen
Regionen schweben, andringende Sprüche der heiligen und
Profanskribenten, und was sich sonst noch humoristisch hinzufügen mag,
alles dieses bildet die wunderbare Gesamtheit seines Stils, seiner
Mitteilungen. Kann man sich nun in der Tiefe nicht zu ihm gesellen, auf
den Höhen nicht mit ihm wandeln, der Gestalten, die ihm vorschweben,
sich nicht bemächtigen, aus einer unendlich ausgebreiteten Literatur
nicht gerade den Sinn einer nur angedeuteten Stelle herausfinden; so
wird es um uns nur trüber und dunkler, je mehr wir ihn studieren, und
diese Finsternis wird mit den Jahren immer zunehmen, weil seine
Anspielungen auf bestimmte, im Leben und in der Literatur augenblicklich
herrschende Eigenheiten vorzüglich gerichtet waren. Unter meiner
Sammlung befinden sich einige seiner gedruckten Bogen, wo er an dem
Rande eigenhändig die Stellen zitiert hat, auf die sich seine
Andeutungen beziehn. Schlägt man sie auf, so gibt es abermals ein
zweideutiges Doppellicht, das uns höchst angenehm erscheint, nur muß
man durchaus auf das Verzicht tun, was man gewöhnlich Verstehen nennt.
Solche Blätter verdienen auch deswegen sibyllinisch genannt zu werden,
weil man sie nicht an und für sich betrachten kann, sondern auf
Gelegenheit warten muß, wo man etwa zu ihren Orakeln seine Zuflucht nähme.
Jedesmal, wenn man sie aufschlägt, glaubt man etwas Neues zu finden,
weil der einer jeden Stelle inwohnende Sinn uns auf eine vielfache Weise
berührt und aufregt.
Persönlich habe ich ihn nie gesehn, auch kein unmittelbares Verhältnis
zu ihm durch Briefe gehabt. Mir scheint er in Lebens- und
Freundschaftsverhältnissen höchst klar gewesen zu sein und die Bezüge
der Menschen untereinander und auf ihn sehr richtig gefühlt zu haben.
Alle Briefe, die ich von ihm sah, waren vortrefflich und viel deutlicher
als seine Schriften, weil hier der Bezug auf Zeit und Umstände sowie
auf persönliche Verhältnisse klarer hervortrat. Soviel glaubte ich
jedoch durchaus zu ersehn, daß er, die Überlegenheit seiner
Geistesgaben aufs naivste fühlend, sich jederzeit für etwas weiser und
klüger gehalten als seine Korrespondenten, denen er mehr ironisch als
herzlich begegnete. Gälte dies auch nur von einzelnen Fällen, so war
es für mich doch die Mehrzahl, und Ursache, daß ich mich ihm zu nähern
niemals Verlangen trug.
Zwischen Herder und uns waltete dagegen ein gemütlich
literarischer Verkehr höchst lebhaft fort, nur schade, daß er sich
niemals ruhig und rein erhalten konnte. Aber Herder unterließ sein
Necken und Schelten nicht; Mercken brauchte man nicht viel zu reizen,
der mich denn auch zur Ungeduld aufzuregen wußte. Weil nun Herder unter
allen Schriftstellern und Menschen Swiften am meisten zu ehren schien,
so hieß er unter uns gleichfalls der Dechant, und dieses gab abermals
zu mancherlei Irrungen und Verdrießlichkeiten Anlaß.
Demungeachtet freuten wir uns höchlich, als wir vernahmen, daß
er in Bückeburg sollte angestellt werden, welches ihm doppelt Ehre
brachte: denn sein neuer Patron hatte den höchsten Ruf als ein
einsichtiger, tapferer, obwohl sonderbarer Mann gewonnen. Thomas Abbt
war in diesen Diensten bekannt und berühmt geworden, dem Verstorbenen
klagte das Vaterland nach und freute sich an dem Denkmal, das ihm sein Gönner
gestiftet. Nun sollte Herder an der Stelle des zu früh Verblichenen
alle diejenigen Hoffnungen erfüllen, welche sein Vorgänger so würdig
erregt hatte.
Die Epoche, worin dieses geschah, gab einer solchen Anstellung
doppelten Glanz und Wert; denn mehrere deutsche Fürsten folgten schon
dem Beispiel des Grafen von der Lippe, daß sie nicht bloß gelehrte und
eigentlich geschäftsfähige, sondern auch geistreiche und
vielversprechende Männer in ihre Dienste aufnahmen. Es hieß: Klopstock
sei von dem Markgrafen Karl von Baden berufen worden, nicht zu
eigentlichem Geschäftsdienst, sondern um, durch seine Gegenwart, Anmut
und Nutzen der höheren Gesellschaft mitzuteilen. So wie nun hierdurch
das Ansehn auch dieses vortrefflichen Fürsten wuchs, der allem Nützlichen
und Schönen seine Aufmerksamkeit schenkte, so mußte die Verehrung für
Klopstock gleichfalls nicht wenig zunehmen. Lieb und wert war alles, was
von ihm ausging; sorgfältig schrieben wir die Oden ab und die Elegien,
wie sie ein jeder habhaft werden konnte. Höchst vergnügt waren wir
daher, als die große Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt eine
Sammlung derselben veranstaltete, und eins der wenigen Exemplare in
unsere Hände kam, das uns instand setzte, die eignen handschriftlichen
Sammlungen zu vervollzähligen. Daher sind uns jene ersten Lesarten
lange Zeit die liebsten geblieben, ja wir haben uns noch oft an
Gedichten, die der Verfasser nachher verworfen, erquickt und erfreut. So
wahr ist, daß das aus einer schönen Seele hervordringende Leben nur um
desto freier wirkt, je weniger es durch Kritik in das Kunstfach herübergezogen
erscheint.
Klopstock hatte sich und andern talentvollen Männern, durch
seinen Charakter und sein Betragen, Ansehn und Würde zu verschaffen
gewußt; nun sollten sie ihm aber auch wo möglich die Sicherung und
Verbesserung ihres häuslichen Bestandes verdanken. Der Buchhandel nämlich
bezog sich in früherer Zeit mehr allgemein beliebter deutscher
Schriftsteller sich behelfen müsse, wenn er sich nicht durch sonst
irgend einen Erwerb das Leben erleichterte. Auch die mittleren und
geringern Geister fühlten ein lebhaftes Verlangen, ihre Lage verbessert
zu sehn, sich von Verlegern unabhängig zu machen.
Nun trat Klopstock hervor und bot seine "Gelehrtenrepublik
" auf Subskription an. Obgleich die spätern Gesänge des
"Messias ", teils ihres Inhalts, teils der Behandlung wegen,
nicht die Wirkung tun konnten wie die frühem, die, selbst rein und
unschuldig, in eine reine und unschuldige Zeit kamen; so blieb doch die
Achtung gegen den Dichter immer gleich, der sich, durch die Herausgabe
seiner Oden, die Herzen, Geister und Gemüter vieler Menschen zugewendet
hatte. Viele wohldenkende Männer, darunter mehrere von großem Einfluß,
erboten sich, Vorausbezahlung anzunehmen, die auf einen Louisdor gesetzt
war, weil es hieß, daß man nicht sowohl das Buch bezahlen, als den
Verfasser, bei dieser Gelegenheit, für seine Verdienste um das
Vaterland belohnen sollte. Hier drängte sich nun jedermann hinzu,
selbst Jünglinge und Mädchen, die nicht viel aufzuwenden hatten, eröffneten
ihre Sparbüchsen; Männer und Frauen, der obere, der mittlere Stand
trugen zu dieser heiligen Spende bei, und es kamen vielleicht tausend Pränumeranten
zusammen. Die Erwartung war aufs höchste gespannt, das Zutrauen so groß
als möglich.
Hiernach mußte das Werk, bei seiner Erscheinung, den seltsamsten
Erfolg von der Welt haben; zwar immer von bedeutendem Wert, aber nichts
weniger als allgemein ansprechend. Wie Klopstock über Poesie und
Literatur dachte, war in Form einer alten deutschen Druidenrepublik
dargestellt, seine Maximen über das Echte und Falsche in lakonischen
Kernsprüchen angedeutet, wobei jedoch manches Lehrreiche der seltsamen
Form aufgeopfert wurde. Für Schriftsteller und Literatoren war und ist
das Buch unschätzbar, konnte aber auch nur in diesem Kreise wirksam und
nützlich sein. Wer selbst gedacht hatte, folgte dem Denker, wer das
Echte zu suchen und zu schätzen wußte, fand sich durch den gründlichen
braven Mann belehrt; aber der Liebhaber, der Leser ward nicht aufgeklärt,
ihm blieb das Buch versiegelt, und doch hatte man es in alle Hände
gegeben, und indem jedermann ein vollkommen brauchbares Werk erwartete,
erhielten die meisten ein solches, dem sie auch nicht den mindesten
Geschmack abgewinnen konnten. Die Bestürzung war allgemein, die Achtung
gegen den Mann aber so groß, daß kein Murren, kaum ein leises Murmeln
entstand. Die junge schöne Welt verschmerzte den Verlust und
verschenkte nun scherzend die teuer erworbenen Exemplare. Ich erhielt
selbst mehrere von guten Freundinnen, deren keines aber mir geblieben
ist.
Diese dem Autor gelungene, dem Publikum aber mißlungene
Unternehmung hatte die böse Folge, daß nun so bald nicht mehr an
Subskription und Pränumeration zu denken war; doch hatte sich jener
Wunsch zu allgemein verbreitet, als daß der Versuch nicht hätte
erneuert werden sollen. Dieses nun im großen und ganzen zu tun, erbot
sich die Dessauische Verlagshandlung. Hier sollten Gelehrte und
Verleger, in geschlossenem Bund, des zu hoffenden Vorteils beide verhältnismäßig
genießen. Das so lange peinlich empfundene Bedürfnis erweckte hier
abermals ein großes Zutrauen, das sich aber nicht lange erhalten
konnte, und leider schieden die Teilhaber nach kurzen Bemühungen mit
wechselseitigem Schaden auseinander.
Eine rasche Mitteilung war jedoch unter den Literaturfreunden
schon eingeleitet; die Musenalmanache verbanden alle jungen Dichter, die
Journale den Dichter mit den übrigen Schriftstellern. Meine Lust am
Hervorbringen war grenzenlos; gegen mein Hervorgebrachtes verhielt ich
mich gleichgültig; nur wenn ich es mir und andern in geselligem Kreise
froh wieder vergegenwärtigte, erneute sich die Neigung daran. Auch
nahmen viele gern an meinen größern und kleinern Arbeiten teil, weil
ich einen jeden, der sich nur einigermaßen zum Hervorbringen geneigt
und geschickt fühlte, etwas in seiner eignen Art unabhängig zu
leisten, dringend nötigte, und von allen gleichfalls wieder zu neuem
Dichten und Schreiben aufgefordert wurde. Dieses wechselseitige, bis zur
Ausschweifung gehende Hetzen und Treiben gab jedem nach seiner Art einen
fröhlichen Einfluß, und aus diesem Quirlen und Schaffen, aus diesem
Leben und Lebenlassen, aus diesem Nehmen und Geben, welches mit freier
Brust, ohne irgend einen theoretischen Leitstern, von so viel Jünglingen,
nach eines jeden angebornem Charakter, ohne Rücksichten getrieben
wurde, entsprang jene berühmte, berufene und verrufene Literarepoche,
in welcher eine Masse junger genialer Männer, mit aller Mutigkeit und
aller Anmaßung, wie sie nur einer solchen Jahreszeit eigen sein mag,
hervorbrachen, durch Anwendung ihrer Kräfte manche Freude, manches
Gute, durch den Mißbrauch derselben manchen Verdruß und manches Übel
stifteten; und gerade die aus dieser Quelle entspringenden Wirkungen und
Gegenwirkungen sind das Hauptthema dieses Bandes.
Woran sollen aber junge Leute das höchste Interesse finden, wie
sollen sie unter ihresgleichen Interesse erregen, wenn die Liebe sie
nicht beseelt, und wenn nicht Herzensangelegenheiten, von welcher Art
sie auch sein mögen, in ihnen lebendig sind? Ich hatte im stillen eine
verlorene Liebe zu beklagen; dies machte mich mild und nachgiebig, und
der Gesellschaft angenehmer als in glänzenden Zeiten, wo mich nichts an
einen Mangel oder einen Fehltritt erinnerte, und ich ganz ungebunden vor
mich hinstürmte.
Die Antwort Friedrikens auf einen schriftlichen Abschied zerriß
mir das Herz. Es war dieselbe Hand, derselbe Sinn, dasselbe Gefühl, die
sich zu mir, die sich an mir herangebildet hatten. Ich fühlte nun erst
den Verlust, den sie erlitt, und sah keine Möglichkeit ihn zu ersetzen,
ja nur ihn zu lindern. Sie war mir ganz gegenwärtig; stets empfand ich,
daß sie mir fehlte, und, was das Schlimmste war, ich konnte mir mein
eignes Unglück nicht verzeihen. Gretchen hatte man mir genommen,
Annette mich verlassen, hier war ich zum erstenmal schuldig; ich hatte
das schönste Herz in seinem Tiefsten verwundet, und so war die Epoche
einer düsteren Reue, bei dem Mangel einer gewohnten erquicklichen
Liebe, höchst peinlich, ja unerträglich. Aber der Mensch will leben;
daher nahm ich aufrichtigen Teil an andern, ich suchte ihre
Verlegenheiten zu entwirren, und, was sich trennen wollte, zu verbinden,
damit es ihnen nicht ergehen möchte wie mir. Man pflegte mich daher den
Vertrauten zu nennen, auch, wegen meines Umherschweifens in der Gegend,
den Wanderer. Dieser Beruhigung für mein Gemüt, die mir nur unter
freiem Himmel, in Tälern, auf Höhen, in Gefilden und Wäldern zuteil
ward, kam die Lage von Frankfurt zustatten, das zwischen Darmstadt und
Homburg mitten inne lag, zwei angenehmen Orten, die durch Verwandtschaft
beider Höfe in gutem Verhältnis standen. Ich gewöhnte mich, auf der
Straße zu leben, und wie ein Bote zwischen dem Gebirg und dem flachen
Lande hin und her zu wandern. Oft ging ich allein oder in Gesellschaft
durch meine Vaterstadt, als wenn sie mich nichts anginge, speiste in
einem der großen Gasthöfe in der Fahrgasse und zog nach Tische meines
Wegs weiter fort. Mehr als jemals war ich gegen offene Welt und freie
Natur gerichtet. Unterwegs sang ich mir seltsame Hymnen und Dithyramben,
wovon noch eine, unter dem Titel "Wanderers Sturmlied ", übrig
ist. Ich sang diesen Halbunsinn leidenschaftlich vor mich hin, da mich
ein schreckliches Wetter unterweges traf, dem ich entgegen gehn mußte.
Mein Herz war ungerührt und unbeschäftigt: ich vermied
gewissenhaft alles nähere Verhältnis zu Frauenzimmern, und so blieb
mir verborgen, daß mich Unaufmerksamen und Unwissenden ein liebevoller
Genius heimlich umschwebe. Eine zarte liebenswürdige Frau hegte im
stillen eine Neigung zu mir, die ich nicht gewahrte, und mich eben
deswegen in ihrer wohltätigen Gesellschaft desto heiterer und anmutiger
zeigte. Erst mehrere Jahre nachher, ja erst nach ihrem Tode, erfuhr ich
das geheime himmlische Lieben, auf eine Weise, die mich erschüttern mußte;
aber ich war schuldlos und konnte ein schuldloses Wesen rein und redlich
betrauern, und um so schöner, als die Entdeckung gerade in eine Epoche
fiel, wo ich, ganz ohne Leidenschaft, mir und meinen geistigen Neigungen
zu leben das Glück hatte.
Aber zu der Zeit, als der Schmerz über Friedrikens Lage mich beängstigte,
suchte ich, nach meiner alten Art, abermals Hülfe bei der Dichtkunst.
Ich setzte die hergebrachte poetische Beichte wieder fort, um durch
diese selbstquälerische Büßung einer innern Absolution würdig zu
werden. Die beiden Marien in "Götz von Berlichingen " und
"Clavigo ", und die beiden schlechten Figuren, die ihre
Liebhaber spielen, möchten wohl Resultate solcher reuigen Betrachtungen
gewesen sein.
Wie man aber Verletzungen und Krankheiten in der Jugend rasch überwindet,
weil ein gesundes System des organischen Lebens für ein krankes
einstehen und ihm Zeit lassen kann, auch wieder zu gesunden, So traten körperliche
Übungen glücklicherweise, bei mancher günstigen Gelegenheit, gar
vorteilhaft hervor, und ich ward zu frischem Ermannen, zu neuen
Lebensfreuden und Genüssen vielfältig aufgeregt. Das Reiten verdrängte
nach und nach jene schlendernden, melancholischen, beschwerlichen und
doch langsamen und zwecklosen Fußwanderungen; man kam schneller,
lustiger und bequemer zum Zweck. Die jüngern Gesellen führten das
Fechten wieder ein; besonders aber tat sich, bei eintretendem Winter,
eine neue Welt vor uns auf, indem ich mich zum Schlittschuhfahren,
welches ich nie versucht hatte, rasch entschloß, und es in kurzer Zeit,
durch Übung, Nachdenken und Beharrlichkeit, so weit brachte als nötig
ist, um eine frohe und belebte Eisbahn mitzugenießen, ohne sich gerade
auszeichnen zu wollen.
Diese neue frohe Tätigkeit waren wir denn auch Klopstocken
schuldig, seinem Enthusiasmus für diese glückliche Bewegung, den
Privatnachrichten bestätigten, wenn seine Oden davon ein
unverwerfliches Zeugnis ablegen. Ich erinnere mich ganz genau, daß, an
einem heiteren Frostmorgen, ich aus dem Bette springend mir jene Stellen
zurief: Schon
von dem Gefühle der Gesundheit froh,
Mein
zaudernder und schwankender Entschluß war sogleich bestimmt, und ich
flog sträcklings dem Orte zu, wo ein so alter Anfänger mit einiger
Schicklichkeit seine ersten Übungen anstellen konnte. Und fürwahr!
diese Kraftäußerung verdiente wohl von Klopstock empfohlen zu werden,
die uns mit der frischesten Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling
seiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft, und ein stockendes Alter
abzuwehren geeignet ist. Auch hingen wir dieser Lust unmäßig nach.
Einen herrlichen Sonnentag so auf dem Eise zu verbringen, genügte uns
nicht; wir setzten unsere Bewegung bis spät in die Nacht fort. Denn wie
andere Anstrengungen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese eine immer
neue Schwungkraft. Der über den nächtlichen, weiten, zu Eisfeldern überfrorenen
Wiesen aus den Wolken hervortretende Vollmond, die unserm Lauf entgegensäuselnde
Nachtluft, des bei abnehmendem Wasser sich senkenden Eises ernsthafter
Donner, unserer eigenen Bewegungen sonderbarer Nachhall vergegenwärtigten
uns Ossiansche Szenen ganz vollkommen. Bald dieser bald jener Freund ließ
in deklamatorischem Halbgesange eine Klopstockische Ode ertönen, und
wenn wir uns im Dämmerlichte zusammenfanden, erscholl das ungeheuchelte
Lob des Stifters unserer Freuden. Und
sollte der unsterblich nicht sein, Solchen
Dank verdient sich ein Mann, der irgend ein irdisches Tun durch geistige
Anregung zu veredeln und würdig zu verbreiten weiß!
Und so wie talentreiche Kinder, deren Geistesgaben schon früh
wundersam ausgebildet sind, sich, wenn sie nur dürfen, den einfachsten
Knabenspielen wieder zuwenden, vergaßen wir nur allzu leicht unseren
Beruf zu ernsteren Dingen; doch regte gerade diese oft einsame Bewegung,
dieses gemächliche Schweben im Unbestimmten, gar manche meiner innern
Bedürfnisse wieder auf, die eine Zeitlang geschlafen hatten, und ich
bin solchen Stunden die schnellere Ausbildung älterer Vorsätze
schuldig geworden.
Die dunkleren Jahrhunderte der deutschen Geschichte hatten von
jeher meine Wißbegierde und Einbildungskraft beschäftigt. Der Gedanke,
den Götz von Berlichingen in seiner Zeitumgebung zu dramatisieren, war
mir höchlich lieb und wert. Ich las die Hauptschriftsteller fleißig;
dem Werke "De pace publica " von Datt widmete ich alle
Aufmerksamkeit; ich hatte es emsig durchstudiert, und mir jene seltsamen
Einzelnheiten möglichst veranschaulicht. Diese zu sittlichen und
poetischen Absichten hin gerichteten Bemühungen konnte ich auch nach
einer anderen Seite brauchen, und da ich nunmehr Wetzlar besuchen
sollte, war ich geschichtlich vorbereitet genug: denn das Kammergericht
war doch auch in Gefolge des Landfriedens entstanden, und die Geschichte
desselben konnte für einen bedeutenden Leitfaden durch die verworrenen
deutschen Ereignisse gelten. Gibt doch die Beschaffenheit der Gerichte
und der Heere die genauste Einsicht in die Beschaffenheit irgend eines
Reichs. Die Finanzen selbst, deren Einfluß man für so wichtig hält,
kommen viel weniger in Betracht: denn wenn es dem Ganzen fehlt, so darf
man dem Einzelnen nur abnehmen, was er mühsam zusammengescharrt und -
gehalten hat, und so ist der Staat immer reich genug.
Was mir in Wetzlar begegnete, ist von keiner großen Bedeutung,
aber es kann ein höheres Interesse einflößen, wenn man eine flüchtige
Geschichte des Kammergerichts nicht verschmähen will, um sich den ungünstigen
Augenblick zu vergegenwärtigen, in welchem ich daselbst anlangte.
Die Herren der Erde sind es vorzüglich dadurch, daß sie, wie im
Kriege die Tapfersten und Entschlossensten, so im Frieden die Weisesten
und Gerechtesten um sich versammeln können. Auch zu dem Hofstaat eines
deutschen Kaisers gehörte ein solches Gericht, das ihn, bei seinen Zügen
durch das Reich, immer begleitete. Aber weder diese Sorgfalt noch das
Schwabenrecht, welches im südlichen Deutschland, das Sachsenrecht,
welches im nördlichen galt, weder die zu Aufrechthaltung derselben
bestellten Richter, noch die Austräge der Ebenbürtigen, weder die
Schiedsrichter, durch Vertrag anerkannt, noch gütliche Vergleiche,
durch die Geistlichen gestiftet, nichts konnte den aufgereizten
ritterlichen Fehdegeist stillen, der bei den Deutschen durch innern
Zwist, durch fremde Feldzüge, besonders aber durch die Kreuzfahrten, ja
durch Gerichtsgebräuche selbst aufgeregt, genährt und zur Sitte
geworden. Dem Kaiser sowie den mächtigem Ständen waren die Plackereien
höchst verdrießlich, wodurch die Kleinen einander selbst, und, wenn
sie sich verbanden, auch den Größern lästig wurden. Gelähmt war alle
Kraft nach außen, wie die Ordnung nach innen gestört; überdies
lastete noch das Femgericht auf einem großen Teile des Vaterlands, von
dessen Schrecknissen man sich einen Begriff machen kann, wenn man denkt,
daß es in eine geheime Polizei ausartete, die sogar zuletzt in die Hände
von Privatleuten gelangte.
Diesen Unbilden einigermaßen zu steuern, ward vieles umsonst
versucht, bis endlich die Stände ein Gericht aus eignen Mitteln
dringend in Vorschlag brachten. Dieser, so wohlgemeint er auch sein
mochte, deutete doch immer auf Erweiterung der ständischen Befugnisse,
auf eine Beschränkung der kaiserlichen Macht. Unter Friedrich dem
Dritten verzögert sich die Sache; sein Sohn Maximilian, von außen gedrängt,
gibt nach. Er bestellt den Oberrichter, die Stände senden die
Beisitzer. Es sollten ihrer vierundzwanzig sein, anfangs begnügt man
sich mit zwölfen.
Ein allgemeiner Fehler, dessen sich die Menschen bei ihren
Unternehmungen schuldig machen, war auch der erste und ewige Grundmangel
des Kammergerichts: zu einem großen Zwecke wurden unzulängliche Mittel
angewendet. Die Zahl der Assessoren war zu klein; wie sollte von ihnen
die schwere und weitläuftige Aufgabe gelöst werden! Allein wer sollte
auf eine hinlängliche Einrichtung dringen? Der Kaiser konnte eine
Anstalt nicht begünstigen, die mehr wider als für ihn zu wirken
schien; weit größere Ursache hatte er, sein eignes Gericht, seinen
eignen Hofrat auszubilden. Betrachtet man dagegen das Interesse der Stände
so konnte es ihnen eigentlich nur um Stillung des Bluts zu tun sein, ob
die Wunde geheilt würde, lag ihnen nicht so nah; und nun noch gar ein
neuer Kostenaufwand! Man mochte sich's nicht ganz deutlich gemacht
haben, daß durch diese Anstalt jeder Fürst seine Dienerschaft
vermehre, freilich zu einem entschiedenen Zwecke, aber wer gibt gern
Geld fürs Notwendige? Jedermann wäre zufrieden, wenn er das Nützliche
um Gottes willen haben könnte.
Anfangs sollten die Beisitzer von Sporteln leben, dann erfolgte
eine mäßige Bewilligung der Stände; beides war kümmerlich. Aber dem
großen und auffallenden Bedürfnis abzuhelfen, fanden sich willige, tüchtige,
arbeitsame Männer, und das Gericht ward eingesetzt. Ob man einsah, daß
hier nur von Linderung, nicht von Heilung des Übels die Rede sei, oder
ob man sich, wie in ähnlichen Fällen, mit der Hoffnung schmeichelte,
mit wenigem vieles zu leisten, ist nicht zu entscheiden; genug, das
Gericht diente mehr zum Vorwande, die Unruhstifter zu bestrafen, als daß
es gründlich dem Unrecht vorgebeugt hätte. Allein es ist kaum
beisammen, so erwächst ihm eine Kraft aus sich selbst, es fühlt die Höhe,
auf die es gestellt ist, es erkennt seine große politische Wichtigkeit.
Nun sucht es sich durch auffallende Tätigkeit ein entschiedneres Ansehn
zu erwerben; frisch arbeiten sie weg alles, was kurz abgetan werden kann
und muß, was über den Augenblick entscheidet, oder was sonst leicht
beurteilt werden kann, und so erscheinen sie im ganzen Reiche wirksam
und würdig. Die Sachen von schwererem Gehalt hingegen, die eigentlichen
Rechtshändel, blieben im Rückstand, und es war kein Unglück. Dem
Staate liegt nur daran, daß der Besitz gewiß und sicher sei; ob man
mit Recht besitze, kann ihn weniger kümmern. Deswegen erwuchs aus der
nach und nach aufschwellenden ungeheuren Anzahl von verspäteten
Prozessen dem Reiche kein Schade. Gegen Leute, die Gewalt brauchten, war
ja vorgesehn, und mit diesen konnte man fertig werden, die übrigen, die
rechtlich um den Besitz stritten, sie lebten, genossen oder darbten, wie
sie konnten, sie starben, verdarben, verglichen sich; das alles war aber
nur Heil oder Unheil einzelner Familien, das Reich ward nach und nach
beruhigt. Denn dem Kammergericht war ein gesetzliches Faustrecht gegen
die Ungehorsamen in die Hände gegeben; hätte man den Bannstrahl
schleudern können, dieser wäre wirksamer gewesen.
Jetzo aber, bei der bald vermehrten, bald verminderten Anzahl der
Assessoren, bei manchen Unterbrechungen, bei Verlegung des Gerichts von
einem Ort an den andern, mußten diese Reste, diese Akten ins Unendliche
anwachsen. Nun flüchtete man in Kriegsnot einen Teil des Archivs von
Speyer nach Aschaffenburg, einen Teil nach Worms, der dritte fiel in die
Hände der Franzosen, welche ein Staatsarchiv erobert zu haben glaubten,
und hernach geneigt gewesen wären, sich dieses Papierwusts zu
entledigen, wenn nur jemand die Fuhren hätte daran wenden wollen.
Bei den westfälischen Friedensunterhandlungen sahen die
versammelten tüchtigen Männer wohl ein, was für ein Hebel erfordert w
erde, um jene sisyphische Last vom Platze zu bewegen. Nun sollten fünfzig
Assessoren angestellt werden, diese Zahl ist aber nie erreicht worden:
man begnügte sich abermals mit der Hälfte, weil der Aufwand zu groß
schien; allein hätten die Interessenten sämtlich ihren Vorteil bei der
Sache gesehn, so wäre das Ganze gar wohl zu leisten gewesen. Um fünfundzwanzig
Beisitzer zu besolden, waren ohngefähr einhunderttausend Gulden nötig;
wie leicht hätte Deutschland das Doppelte herbeigeschafft. Der
Vorschlag, das Kammergericht mit eingezogenen geistlichen Gütern
auszustatten, konnte nicht durchgehn: denn wie sollten sich beide
Religionsteile zu dieser Aufopferung verstehn? Die Katholiken wollten
nicht noch mehr verlieren, und die Protestanten das Gewonnene jeder zu
innern Zwecken verwenden. Die Spaltung des Reichs in zwei
Religionsparteien hatte auch hier, in mehrerem Betracht, den schlimmsten
Einfluß. Nun verminderte sich der Anteil der Stände an diesem ihrem
Gericht immer mehr: die mächtigem suchten sich von dem Verbande loszulösen;
Freibriefe, vor keinem obern Gerichtshofe belangt zu werden, wurden
immer lebhafter gesucht; die größeren blieben mit den Zahlungen zurück,
und die kleineren, die sich in der Matrikel ohnehin bevorteilt glaubten,
säumten, solange sie konnten.
Wie schwer war es daher, den zahltägigen Bedarf zu den
Besoldungen aufzubringen. Hieraus entsprang ein neues Geschäft, ein
neuer Zeitverlust für das Kammergericht; früher hatten die jährlichen
sogenannten Visitationen dafür gesorgt. Fürsten in Person, oder ihre Räte,
begaben sich nur auf Wochen oder Monate an den Ort des Gerichts,
untersuchten die Kassen, erforschten die Reste und übernahmen das Geschäft,
sie beizutreiben. Zugleich, wenn etwas in dem Rechts- und Gerichtsgange
stocken, irgend ein Mißbrauch einschleichen wollte, waren sie befugt,
dem abzuhelfen.
Gebrechen der Anstalt sollten sie entdecken und heben, aber persönliche
Verbrechen der Glieder zu untersuchen und zu bestrafen, ward erst später
ein Teil ihrer Pflicht. Weil aber Prozessierende den Lebenshauch ihrer
Hoffnungen immer noch einen Augenblick verlängern wollen, und deshalb
immer höhere Instanzen suchen und hervorrufen; so wurden diese
Visitatoren auch ein Revisionsgericht, vor dem man erst in bestimmten,
offenbaren Fällen Wiederherstellung, zuletzt aber in allen Aufschub und
Verewigung des Zwists zu finden hoffte: wozu denn auch die Berufung an
den Reichstag, und das Bestreben beider Religionsparteien, sich
einander, wo nicht aufzuwiegen, doch im Gleichgewicht zu erhalten, das
Ihrige beitrugen.
Denkt man sich aber, was dieses Gericht ohne solche Hindernisse,
ohne so störende und zerstörende Bedingungen, hätte sein können; so
kann man es sich nicht merkwürdig und wichtig genug ausbilden. Wäre es
gleich anfangs mit einer hinreichenden Anzahl von Männern besetzt
gewesen, hätte man diesen einen zulänglichen Unterhalt gesichert; unübersehbar
wäre bei der Tüchtigkeit deutscher Männer der ungeheure Einfluß
geworden, zu dem diese Gesellschaft hätte gelangen können. Den
Ehrentitel Amphiktyonen, den man ihnen nur rednerisch zuteilte, würden
sie wirklich verdient haben; ja sie konnten sich zu einer Zwischenmacht
erheben, beides, dem Oberhaupt und den Gliedern ehrwürdig.
Aber weit entfernt von so großen Wirkungen, schleppte das
Gericht, außer etwa eine kurze Zeit unter Karl dem Fünften und vor dem
Dreißigjährigen Kriege, sich nur kümmerlich hin. Man begreift oft
nicht, wie sich nur Männer finden konnten zu diesem undankbaren und
traurigen Geschäft. Aber was der Mensch täglich treibt, läßt er
sich, wenn er Geschick dazu hat, gefallen, sollte er auch nicht gerade
sehen, daß etwas dabei herauskomme. Der Deutsche besonders ist von
einer solchen ausharrenden Sinnesart, und so haben sich drei
Jahrhunderte hindurch die würdigsten Männer mit diesen Arbeiten und
Gegenständen beschäftigt. Eine charakteristische Galerie solcher
Bilder würde noch jetzt Anteil erregen und Mut einflößen.
Denn gerade in solchen anarchischen Zeiten tritt der tüchtige
Mann am festesten auf, und der das Gute will, findet sich recht an
seinem Platze. So stand z.B. das Direktorium Fürstenbergs noch immer in
gesegnetem Andenken, und mit dem Tode dieses vortrefflichen Manns
beginnt die Epoche vieler verderblichen Mißbräuche.
Aber alle diese späteren und früheren Gebrechen entsprangen aus
der ersten, einzigen Quelle: aus der geringen Personenzahl. Verordnet
war, daß die Beisitzer in einer entschiedenen Folge und nach bestimmter
Ordnung vortragen sollten. Ein jeder konnte wissen, wann die Reihe ihn
treffen werde, und welchen seiner ihm obliegenden Prozesse; er konnte
darauf hinarbeiten, er konnte sich vorbereiten. Nun häuften sich aber
die unseligen Reste; man mußte sich entschließen, wichtigere Rechtshändel
auszuheben und außer der Reihe vorzutragen. Die Beurteilung der
Wichtigkeit einer Sache vor der andern ist, bei dem Zudrang von
bedeutenden Fällen, schwer, und die Auswahl läßt schon Gunst zu; aber
nun trat noch ein anderer bedenklicher Fall ein. Der Referent quälte
sich und das Gericht mit einem schweren verwickelten Handel, und zuletzt
fand sich niemand, der das Urteil einlösen wollte. Die Parteien hatten
sich verglichen, auseinander gesetzt, waren gestorben, hatten den Sinn
geändert. Daher beschloß man, nur diejenigen Gegenstände vorzunehmen,
welche erinnert wurden. Man wollte von der fortdauernden Beharrlichkeit
der Parteien überzeugt sein, und hiedurch ward den größten Gebrechen
die Einleitung gegeben: denn wer seine Sache empfiehlt, muß sie doch
jemand empfehlen, und wem empfähle man sie besser als dem, der sie
unter Händen hat. Diesen, ordnungsgemäß, geheim zu halten ward unmöglich:
denn bei so viel mitwissenden Subalternen, wie sollte derselbe verborgen
bleiben? Bittet man um Beschleunigung, so darf man ja wohl auch um Gunst
bitten: denn eben daß man seine Sache betreibt, zeigt ja an, daß man
sie für gerecht hält. Geradezu wird man es vielleicht nicht tun, gewiß
aber am ersten durch Untergeordnete; diese müssen gewonnen werden, und
so ist die Einleitung zu allen Intrigen und Bestechungen gegeben.
Kaiser Joseph, nach eignem Antriebe und in Nachahmung Friedrichs,
richtete zuerst seine Aufmerksamkeit auf die Waffen und die Justiz. Er
faßte das Kammergericht ins Auge; herkömmliche Ungerechtigkeiten,
eingeführte Mißbräuche waren ihm nicht unbekannt geblieben. Auch hier
sollte aufgeregt, gerüttelt und getan sein. Ohne zu fragen, ob es sein
kaiserlicher Vorteil sei, ohne die Möglichkeit eines glücklichen
Erfolgs vorauszusehn, brachte er die Visitation in Vorschlag, und übereilte
ihre Eröffnung. Seit hundertundsechsundsechzig Jahren hatte man keine
ordentliche Visitation zustande gebracht; ein ungeheurer Wust von Akten
lag aufgeschwollen und wuchs jährlich, da die siebzehn Assessoren nicht
einmal imstande waren, das Laufende wegzuarbeiten. Zwanzigtausend
Prozesse hatten sich aufgehäuft, jährlich konnten sechzig abgetan
werden, und das Doppelte kam hinzu. Auch auf die Visitatoren wartete
keine geringe Anzahl von Revisionen, man wollte ihrer funfzigtausend zählen.
Überdies hinderte so mancher Mißbrauch den Gerichtsgang; als das
Bedenklichste aber von allem erschienen im Hintergrunde die persönlichen
Verbrechen einiger Assessoren.
Als ich nach Wetzlar gehn sollte, war die Visitation schon einige
Jahre im Gange, die Beschuldigten suspendiert, die Untersuchung
weitvorgerückt; und weil nun die Kenner und Meister des deutschen
Staatsrechts diese Gelegenheit nicht vorbeilassen durften, ihre
Einsichten zu zeigen und sie dem gemeinen Besten zu widmen, so waren
mehrere gründliche wohlgesinnte Schriften erschienen, aus denen sich,
wer nur einige Vorkenntnisse besaß, gründlich unterrichten konnte.
Ging man bei dieser Gelegenheit in die Reichsverfassung und die von
derselben handelnden Schriften zurück, so war es auffallend, wie der
monströse Zustand dieses durchaus kranken Körpers, der nur durch ein
Wunder am Leben erhalten ward, gerade den Gelehrten am meisten zusagte.
Denn der ehrwürdige deutsche Fleiß, der mehr auf Sammlung und
Entwickelung von Einzelnheiten als auf Resultate losging, fand hier
einen unversiegbaren Anlaß zu immer neuer Beschäftigung, und man
mochte nun das Reich dem Kaiser, die kleinern den größern Ständen,
die Katholiken den Protestanten entgegensetzen, immer gab es, nach dem
verschiedenen Interesse, notwendig verschiedene Meinungen, und immer
Gelegenheit zu neuen Kämpfen und Gegenreden.
Da ich mir alle diese ältern und neuern Zustände möglichst
vergegenwärtigt hatte, konnte ich mir von meinem Wetzlarschen
Aufenthalt unmöglich viel Freude versprechen. Die Aussicht war nicht
reizend, in einer zwar wohl gelegenen, aber kleinen und übel gebauten
Stadt eine doppelte Welt zu finden: erst die einheimische alte
hergebrachte, dann eine fremde neue, jene scharf zu prüfen beauftragt,
ein richtendes und ein gerichtetes Gericht; manchen Bewohner in Furcht
und Sorge, er möchte auch noch mit in die verhängte Untersuchung
gezogen werden; angesehene, so lange für würdig geltende Personen der
schändlichsten Missetaten überwiesen und zu schimpflicher Bestrafung
bezeichnet: das alles zusammen machte das traurigste Bild und konnte
nicht anreizen, tiefer in ein Geschäft einzugehen, das, an sich selbst
verwickelt, nun gar durch Untaten so verworren erschien.
Daß mir, außer dem deutschen Zivil- und Staatsrechte, hier
nichts Wissenschaftliches sonderlich begegnen, daß ich aller poetischen
Mitteilung entbehren würde, glaubte ich vorauszusehn, als mich, nach
einigem Zögern, die Lust meinen Zustand zu verändern, mehr als der
Trieb nach Kenntnissen, in diese Gegend hinführte. Allein wie
verwundert war ich, als mir, anstatt einer sauertöpfischen
Gesellschaft, ein drittes akademisches Leben entgegensprang. An einer
großen Wirtstafel traf ich beinah sämtliche
Gesandtschaftsuntergeordnete, junge muntere Leute, beisammen; sie nahmen
mich freundlich auf, und es blieb mir schon den ersten Tag kein
Geheimnis, daß sie ihr mittägiges Beisammensein durch eine romantische
Fiktion erheitert hatten. Sie stellten nämlich, mit Geist und
Munterkeit, eine Rittertafel vor. Obenan saß der Heermeister, zur Seite
desselben der Kanzler, sodann die wichtigsten Staatsbeamten; nun folgten
die Ritter, nach ihrer Anciennetät; Fremde hingegen, die zusprachen, mußten
mit den untersten Plätzen vorlieb nehmen, und für sie war das Gespräch
meist unverständlich, sich in der Gesellschaft die Sprache, außer den
Ritterausdrücken, noch mit manchen Anspielungen bereichert hatte. Einem
jeden war ein Rittername zugelegt, mit einem Beiworte. Mich nannten Sie
Götz von Berlichingen, den Redlichen. Jenen verdiente ich mir durch
meine Aufmerksamkeit für den biedern deutschen Altvater, und diesen
durch die aufrichtige Neigung und Ergebenheit gegen die vorzüglichen Männer,
die ich kennen lernte. Dem Grafen von Kielmannsegg bin ich bei diesem
Aufenthalt vielen Dank schuldig geworden. Er war der Ernsteste von
allen, höchst tüchtig und zuverlässig. Von Goué, ein schwer zu
entziffernder und zu beschreibender Mann, eine derbe, breite, hannövrische
Figur, still in sich gekehrt. Es fehlte ihm nicht an Talenten mancher
Art. Man hegte von ihm die Vermutung, daß er ein natürlicher Sohn sei;
auch liebte er ein gewisses geheimnisvolles Wesen, und verbarg seine
eigensten Wünsche und Vorsätze unter mancherlei Seltsamkeiten, wie er
denn die eigentliche Seele des wunderlichen Ritterbundes war, ohne daß
er nach der Stelle des Heermeisters gestrebt hätte. Vielmehr ließ er,
da gerade zu der Zeit dies Haupt der Ritterschaft abging, einen andern wählen
und übte durch diesen seinen Einfluß. So wußte er auch manche kleine
Zufälligkeiten dahin zu lenken, daß sie bedeutend erschienen und in
fabelhaften Formen durchgeführt werden konnten. Bei diesem allen aber
konnte man keinen ernsten Zweck bemerken; es war ihm bloß zu tun, die
Langeweile, die er und seine Kollegen bei dem verzögerten Geschäft
empfinden mußten, zu erheitern, und den leeren Raum, wäre es auch nur
mit Spinnegewebe, auszufüllen. Übrigens wurde dieses fabelhafte
Fratzenspiel mit äußerlichem großen Ernst betrieben, ohne daß jemand
lächerlich finden durfte, wenn eine gewisse Mühle als Schloß, der Müller
als Burgherr behandelt wurde, wenn man "Die vier Haimonskinder
" für ein kanonisches Buch erklärte und Abschnitte daraus, bei
Zeremonien, mit Ehrfurcht vorlas. Der Ritterschlag selbst geschah mit
hergebrachten, von mehreren Ritterorden entlehnten Symbolen. Ein
Hauptanlaß zum Scherze war ferner der, daß man das Offenbare als ein
Geheimnis behandelte; man trieb die Sache öffentlich, und es sollte
nicht davon gesprochen werden. Die Liste der sämtlichen Ritter ward
gedruckt, mit so viel Anstand als ein Reichstagskalender; und wenn
Familien darüber zu spotten und die ganze Sache für absurd und lächerlich
zu erklären wagten, so ward, zu ihrer Bestrafung, so lange intrigiert,
bis man einen ernsthaften Ehemann, oder nahen Verwandten, beizutreten
und den Ritterschlag anzunehmen bewogen hatte; da denn über den Verdruß
der Angehörigen eine herrliche Schadenfreude entstand.
In dieses Ritterwesen verschlang sich noch ein seltsamer Orden,
welcher philosophisch und mystisch sein sollte, und keinen eigentlichen
Namen hatte. Der erste Grad hieß der Übergang, der zweite des Übergangs
Übergang, der dritte des Übergangs Übergang zum Übergang, und der
vierte des Übergangs Übergang zu des Übergangs Übergang. Den hohen
Sinn dieser Stufenfolge auszulegen, war nun die Pflicht der
Eingeweihten, und dieses geschah nach Maßgabe eines gedruckten Büchleins,
in welchem jene seltsamen Worte auf eine noch seltsamere Weise erklärt,
oder vielmehr amplifiziert waren. Die Beschäftigung mit diesen Dingen
war der erwünschteste Zeitverderb. Behrischens Torheit und Lenzens
Verkehrtheit schienen sich hier vereinigt zu haben; nur wiederhole ich,
daß auch nicht eine Spur von Zweck hinter diesen Hüllen finden war.
Ob ich nun gleich zu solchen Possen sehr gern beiriet, auch
zuerst die Perikopen aus den "Vier Haimonskindern " in Ordnung
brachte, und Vorschläge tat, wie sie bei Festen und Feierlichkeiten
vorgelesen werden sollten, auch selbst sie mit großer Emphase
vorzutragen verstand; so hatte ich mich doch schon früher an solchen
Dingen müde getrieben, und als ich daher meine Frankfurter und Darmstädter
Umgebung vermißte, war es mir höchst lieb, Gottern gefunden zu haben,
der sich mit aufrichtiger Neigung an mich schloß, und dem ich ein
herzliches Wohlwollen erwiderte. Sein Sinn war zart, klar und heiter,
sein Talent geübt und geregelt; er befleißigte sich der französischen
Eleganz und freute sich des Teils der englischen Literatur, der sich mit
sittlichen und angenehmen Gegenständen beschäftigt. Wir brachten viele
vergnügte Stunden zusammen zu, in denen wir uns wechselseitig unsere
Kenntnisse, Vorsätze und Neigungen mitteilten. Er regte mich zu manchen
kleinen Arbeiten an, zumal da er, mit den Göttingern in Verhältnis
stehend, für Boies Almanach auch von meinen Gedichten etwas verlangte.
Dadurch kam ich mit jenen in einige Berührung, die sich, jung
und talentvoll, zusammenhielten, und nachher so viel und mannigfaltig
wirkten. Die beiden Grafen Stoiberg, Bürger, Voß, Hölty und andere
waren im Glauben und Geiste um Klopstock versammelt, dessen Wirkung sich
nach allen Seiten hin erstreckte. In einem solchen, sich immer mehr
erweiternden deutschen Dichterkreise entwickelte sich zugleich, mit so
mannigfaltigen poetischen Verdiensten, auch noch ein anderer Sinn, dem
ich keinen ganz eigentlichen Namen zu geben wüßte. Man könnte ihn das
Bedürfnis der Unabhängigkeit nennen, welches immer im Frieden
entspringt, und gerade da, wo man eigentlich nicht abhängig ist. Im
Kriege erträgt man die rohe Gewalt so gut man kann, man fühlt sich
wohl physisch und ökonomisch verletzt, aber nicht moralisch; der Zwang
beschämt niemanden, und es ist kein schimpflicher Dienst, der Zeit zu
dienen; man gewöhnt sich, von Feind und Freund zu leiden, man hat Wünsche
und keine Gesinnungen. Im Frieden hingegen tut sich der Freiheitssinn
der Menschen immer mehr hervor, und je freier man ist, desto freier will
man sein. Man will nichts über sich dulden: wir wollen nicht beengt
sein, niemand soll beengt sein, und dies zarte ja kranke Gefühl
erscheint in schönen Seelen unter der Form der Gerechtigkeit. Dieser
Geist und Sinn zeigte sich damals überall, und gerade da nur wenige
bedrückt waren, wollte man auch diese von zufälligem Druck befrein,
und so entstand eine gewisse sittliche Befehdung, Einmischung der
einzelnen ins Regiment, die, mit löblichen Anfängen, zu unabsehbar
unglücklichen Folgen hinführte.
Voltaire hat durch den Schutz, den er der Familie Calas
angedeihen ließ, großes Aufsehn erregt und sich ehrwürdig gemacht. Für
Deutschland fast noch auffallender und wichtiger war das Unternehmen
Lavaters gegen den Landvogt gewesen. Der ästhetische Sinn, mit dem
jugendlichen Mut verbunden, Strebte vorwärts, und da man noch vor
kurzem studierte, um zu Ämtern zu gelangen, so fing man nun an den
Aufseher der Beamten zu machen, und die Zeit war nah, wo der Theater-
und Romanendichter seine Bösewichter am liebsten unter Ministern und
Amtleuten aufsuchte. Hieraus entstand eine halb eingebildete, halb
wirkliche Welt von Wirkung und Gegenwirkung, in der wir späterhin die
heftigsten Angebereien und Verhetzungen erlebt haben, welche sich die
Verfasser von Zeitschriften und Tagblättern, mit einer Art von Wut,
unter dem Schein der Gerechtigkeit erlaubten, und um so
unwiderstehlicher dabei zu Werke gingen, als sie das Publikum glauben
machten, vor ihm sei der wahre Gerichtshof: töricht! da kein Publikum
eine exekutive Gewalt hat, und in dem zerstückten Deutschland die öffentliche
Meinung niemanden nutzte oder schadete. Unter uns jungen Leuten ließ
sich zwar nichts von jener Art spüren, welche tadelnswert gewesen wäre;
aber eine gewisse ähnliche Vorstellung hatte sich unsrer bemächtigt,
die, aus Poesie, Sittlichkeit und einem edlen Bestreben
zusammengeflossen, zwar unschädlich aber doch fruchtlos war. Durch die
"Hermannsschlacht " und die Zueignung derselben an Joseph den
Zweiten hatte Klopstock eine wunderbare Anregung gegeben. Die Deutschen,
die sich vom Druck der Römer befreiten, waren herrlich und mächtig
dargestellt, und dieses Bild gar wohl geeignet, das Selbstgefühl der
Nation zu erwecken. Weil aber im Frieden der Patriotismus eigentlich nur
darin besteht, daß jeder vor seiner Türe kehre, seines Amts warte,
auch seine Lektion lerne, damit es wohl im Hause stehe; so fand das von
Klopstock erregte Vaterlandsgefühl keinen Gegenstand, an dem es sich hätte
üben können. Friedrich hatte die Ehre eines Teils der Deutschen gegen
eine verbundene Welt gerettet, und es war jedem Gliede der Nation
erlaubt, durch Beifall und Verehrung dieses großen Fürsten, teil an
seinem Siege zu nehmen; aber wo denn nun hin mit jenem erregten
kriegerischen Trotzgefühl? welche Richtung sollte es nehmen, und welche
Wirkung hervorbringen? Zuerst war es bloß poetische Form, und die
nachher so oft gescholtenen, ja lächerlich gefundenen Bardenlieder häuften
sich durch diesen Trieb, durch diesen Anstoß. Keine äußeren Feinde
waren zu bekämpfen; nun bildete man sich Tyrannen, und dazu mußten die
Fürsten und ihre Diener ihre Gestalten erst im allgemeinen, sodann nach
und nach im besondern hergeben; und hier schloß sich die Poesie an jene
oben gerügte Einmischung in die Rechtspflege mit Heftigkeit an, und es
ist merkwürdig, Gedichte aus jener Zeit zu sehn, die ganz in einem
Sinne geschrieben sind, wodurch alles Obere, es sei nun monarchisch oder
aristokratisch, aufgehoben wird.
Was mich betraf, so fuhr ich fort, die Dichtkunst zum Ausdruck
meiner Gefühle und Grillen zu benutzen. Kleine Gedichte, wie "Der
Wanderer ", fallen in diese Zeit; sie wurden in den "Göttinger
Musenalmanach " aufgenommen. Was aber von jener Sucht in mich
eingedrungen sein mochte, davon strebte ich mich kurz nachher im "Götz
von Berlichingen " zu befrein, indem ich schilderte, wie in wüsten
Zeiten der wohldenkende brave Mann allenfalls an die Stelle des Gesetzes
und der ausübenden Gewalt zu treten sich entschließt, aber in
Verzweiflung ist, wenn er dem anerkannten verehrten Oberhaupt
zweideutig, ja abtrünnig erscheint.
Durch Klopstocks Oden war denn auch in die deutsche Dichtkunst
nicht sowohl die nordische Mythologie, als vielmehr die Nomenklatur
ihrer Gottheiten eingeleitet; und ob ich gleich mich sonst gern alles
dessen bediente, was mir gereicht ward; so konnte ich es doch nicht von
mir gewinnen, mich derselben zu bedienen, und zwar aus folgenden
Ursachen. Ich hatte die Fabeln der "Edda " schon längst aus
der Vorrede zu Mallets "Dänischer Geschichte " kennen
gelernt, und mich derselben sogleich bemächtigt; sie gehörten unter
diejenigen Märchen, die ich, von einer Gesellschaft aufgefordert, am
liebsten erzählte. Herder gab mir den Resenius in die Hände, und
machte mich mit den Heldensagen mehr bekannt. Aber alle diese Dinge, wie
wert ich sie hielt, konnte ich nicht in den Kreis meines Dichtungsvermögens
aufnehmen; wie herrlich sie mir auch die Einbildungskraft anregten,
entzogen sie sich doch ganz dem sinnlichen Anschaun, indessen die
Mythologie der Griechen, durch die größten Künstler der Welt in
sichtliche, leicht einzubildende Gestalten verwandelt, noch vor unsern
Augen in Menge dastand. Götter ließ ich überhaupt nicht viel
auftreten, weil sie mir noch außerhalb der Natur, die ich nachzubilden
verstand, ihren Wohnsitz hatten. Was hätte mich nun gar bewegen sollen,
Wodan für Jupiter, und Thor für Mars zu setzen, und, statt der südlichen
genau umschriebenen Figuren, Nebelbilder, ja bloße Wortklänge in meine
Dichtungen einzuführen? Von einer Seite schlossen sie sich vielmehr an
die Ossianschen gleichfalls formlosen Helden, nur derber und
riesenhafter an, von der andern lenkte ich sie nach dem heiteren Märchen
hin: denn der humoristische Zug, der durch die ganze nordische Mythe
durchgeht, war mir höchst lieb und bemerkenswert. Sie schien mir die
einzige, welche durchaus mit sich selbst scherzt, einer wunderlichen
Dynastie von Göttern abenteuerliche Riesen, Zauberer und Ungeheuer
entgegensetzt, die nur beschäftigt sind, die höchsten Personen während
ihres Regiments zu irren, zum besten zu haben, und hinterdrein mit einem
schmählichen unvermeidlichen Untergang zu bedrohen.
Ein ähnliches, wo nicht gleiches Interesse gewannen mir die
indischen Fabeln ab, die ich aus Dappers Reisen zuerst kennen lernte,
und gleichfalls mit großer Lust in meinen Märchenvorrat hineinzog. Der
Altar des Ram gelang mir vorzüglich im Nacherzählen, und ungeachtet
der großen Mannigfaltigkeit der Personen dieses Märchens blieb doch
der Affe Hannemann der Liebling meines Publikums. Aber auch diese unförmlichen
und überförmlichen Ungeheuer konnten mich nicht eigentlich poetisch
befriedigen; sie lagen zu weit von dem Wahren ab, nach welchem mein Sinn
unablässig hinstrebte.
Doch gegen alle diese kunstwidrigen Gespenster sollte es mein
Sinn für das Schöne durch die herrlichste Kraft geschützt werden. Glücklich
ist immer die Epoche einer Literatur, wenn große Werke der
Vergangenheit wieder einmal auftauen und an die Tagesordnung kommen,
weil sie alsdann eine vollkommen frische Wirkung hervorbringen. Auch das
Homerische Licht ging uns neu wieder auf, und zwar recht im Sinne der
Zeit, die ein solches Erscheinen höchst begünstigte: denn das beständige
Hinweisen auf Natur bewirkte zuletzt, daß man auch die Werke der Alten
von dieser Seite betrachten lernte. Was mehrere Reisende zu Aufklärung
der Heiligen Schriften getan, leisteten andere für den Homer. Durch
Guys ward man eingeleitet, Wood gab der Sache den Schwung. Eine Göttinger
Rezension des anfangs sehr seltenen Originals machte uns mit der Absicht
bekannt, und belehrte uns, wie weit sie ausgeführt worden. Wir sahen
nun nicht mehr in jenen Gedichten ein angespanntes und aufgedunsenes
Heldenwesen, sondern die abgespiegelte Wahrheit einer uralten Gegenwart,
und suchten uns dieselbe möglichst heranzuziehen. Zwar wollte uns zu
gleicher Zeit nicht völlig in den Sinn, wenn behauptet wurde, daß, um
die Homerischen Naturen recht zu verstehn, man sich mit den wilden Völkern
und ihren Sitten bekannt machen müsse, wie sie uns die Reisebeschreiber
der neuen Welten schildern: denn es ließ sich doch nicht leugnen, daß
sowohl Europäer als Asiaten in den Homerischen Gedichten schon auf
einem hohen Grade der Kultur dargestellt worden, vielleicht auf einem höhern,
als die Zeiten des Trojanischen Kriegs mochten genossen haben. Aber jene
Maxime war doch mit dem herrschenden Naturbekenntnis übereinstimmend,
und insofern mochten wir sie gelten lassen.
Bei allen diesen Beschäftigungen, die sich auf Menschenkunde im
höheren Sinne, sowie auf Dichtkunst im nächsten und lieblichsten
bezogen, mußte ich doch jeden Tag erfahren, daß ich mich in Wetzlar
aufhielt. Das Gespräch über den Zustand des Visitationsgeschäftes und
seiner immer wachsenden Hindernisse, die Entdeckung neuer Gebrechen
klang stündlich durch. Hier war nun abermals das Heilige Römische
Reich versammelt, nicht bloß zu äußerlichen Feierlichkeiten, sondern
zu einem ins Allertiefste greifenden Geschäfte. Aber auch hier mußte
mir jener halbleere Speisesaal am Krönungstage einfallen, wo die
geladenen Gäste außen blieben, weil sie zu vornehm waren. Hier hatten
sie sich zwar eingefunden, aber man mußte noch schlimmere Symptome
gewahr werden. Der Unzusammenhalt des Ganzen, das Widerspiel der Teile
kamen fortwährend zum Vorschein, und es war kein Geheimnis geblieben,
daß Fürsten untereinander sich die Absicht vertraulich mitgeteilt
hatten: man müsse sehn, ob man nicht, bei dieser Gelegenheit, dem
Oberhaupt etwas abgewinnen könne?
Welchen üblen Eindruck das kleine Detail aller Anekdoten von
Nachlässigkeiten und Versäumnissen, Ungerechtigkeiten und Bestechungen
auf einen jungen Menschen machen mußte, der das Gute wollte und sein
Inneres in diesem Sinne bearbeitete, wird jeder Redliche mitfühlen. Wo
soll unter solchen Umständen Ehrfurcht vor dem Gesetz und dem Richter
entspringen? Aber hätte man auch auf die Wirkungen der Visitation das
größte Zutrauen gesetzt, hätte man glauben können, daß sie völlig
ihre hohe Bestimmung erfüllen werde; für einen frohen vorwärts
schreitenden Jüngling war doch hier kein Heil zu finden. Die Förmlichkeiten
dieses Prozesses an sich gingen alle auf ein Verschleifen; wollte man
einigermaßen wirken und etwas bedeuten, so mußte man nur immer
demjenigen dienen, der unrecht hatte, stets dem Beklagten, und in der
Fechtkunst der verdrehenden und ausweichenden Streiche recht gewandt
sein.
Ich verlor mich daher einmal über das andre, da mir, in dieser
Zerstreuung, keine ästhetische Arbeiten gelingen wollten, in ästhetische
Spekulationen; wie denn alles Theoretisieren auf Mangel oder Stockung
von Produktionskraft hindeutet. Früher mit Mercken, nunmehr manchmal
mit Gottern, machte ich den Versuch, Maximen auszufinden, wonach man
beim Hervorbringen zu Werke gehn könnte. Aber weder mir noch ihnen
wollte es gelingen. Merck war Zweifler und Eklektiker, Gotter hielt sich
an solche Beispiele, die ihm am meisten zusagten. Die Sulzersche Theorie
war angekündigt, mehr für den Liebhaber als für den Künstler. In
diesem Gesichtskreise werden vor allem sittliche Wirkungen gefordert,
und hier entsteht sogleich ein Zwiespalt zwischen der hervorbringenden
und benutzenden Klasse; denn ein gutes Kunstwerk kann und wird zwar
moralische Folgen haben, aber moralische Zwecke vom Künstler fordern,
heißt ihm sein Handwerk verderben.
Was die Alten über diese wichtigen Gegenstände gesagt, hatte
ich seit einigen Jahren fleißig, wo nicht in einer Folge studiert, doch
sprungweise gelesen. Aristoteles, Cicero, Quintilian, Longin, keiner
blieb unbeachtet, aber das half mir nichts: denn alle diese Männer
setzten eine Erfahrung voraus, die mir abging. Sie führten mich in eine
an Kunstwerken unendlich reiche Welt, sie entwickelten die Verdienste
vortrefflicher Dichter und Redner, von deren meisten uns nur die Namen
übrig geblieben sind, und überzeugten mich nur allzu lebhaft, daß
erst eine große Fülle von Gegenständen vor uns liegen müsse, ehe man
darüber denken könne, daß man erst selbst etwas leisten, ja daß man
fehlen müsse, um seine eignen Fähigkeiten und die der andern kennen zu
lernen. Meine Bekanntschaft mit so vielem Guten jener alten Zeiten war
doch immer nur schul- und buchmäßig und keineswegs lebendig, da es
doch, besonders bei den gerühmtesten Rednern, auffiel, daß sie sich
durchaus im Leben gebildet hatten, und daß man von den Eigenschaften
ihres Kunstcharakters niemals sprechen konnte, ohne ihren persönlichen
Gemütscharakter zugleich mitzuerwähnen. Bei Dichtern schien dies
weniger der Fall; überall aber trat Natur und Kunst nur durch Leben in
Berührung, und so blieb das Resultat von allem meinen Sinnen und
Trachten jener alte Vorsatz, die innere und äußere Natur zu
erforschen, und in liebevoller Nachahmung sie eben selbst walten zu
lassen.
Zu diesen Wirkungen, welche weder Tag noch Nacht in mir ruhten,
lagen zwei große, ja ungeheure Stoffe vor mir, deren Reichtum ich nur
einigermaßen zu schätzen brauchte, um etwas Bedeutendes
hervorzubringen. Es war die ältere Epoche, in welche das Leben Götzens
von Berlichingen fällt, und die neuere, deren unglückliche Blüte im
"Werther " geschildert ist.
Von der historischen Vorbereitung zu der ersten Arbeit habe ich
bereits gesprochen; die ethischen Anlässe zu der zweiten sollen gegenwärtig
eingeleitet werden.
Jener Vorsatz, meine innere Natur nach ihren Eigenheiten gewähren,
und die äußere nach ihren Eigenschaften auf mich einfließen zu
lassen, trieb mich an das wunderliche Element, in welchem "Werther
" ersonnen und geschrieben ist. Ich suchte mich innerlich von allem
Fremden zu entbinden, das Äußere liebevoll zu betrachten, und alle
Wesen, vom menschlichen an, so tief hinab, als sie nur faßlich sein möchten,
jedes in seiner Art auf mich wirken zu lassen. Dadurch entstand eine
wundersame Verwandtschaft mit den einzelnen Gegenständen der Natur, und
ein inniges Anklingen, ein Mitstimmen ins Ganze, so daß ein jeder
Wechsel, es sei der Ortschaften und Gegenden, oder der Tags- und
Jahreszeiten, oder was sonst sich ereignen konnte, mich aufs innigste
berührte. Der malerische Blick gesellte sich zu dem dichterischen, die
schöne ländliche, durch den freundlichen Fluß belebte Landschaft
vermehrte meine Neigung zur Einsamkeit und begünstigte meine stillen
nach allen Seiten hin sich ausbreitenden Betrachtungen.
Aber seitdem ich jenen Familienkreis zu Sesenheim und nun wieder
meinen Freundeszirkel zu Frankfurt und Darmstadt verlassen, war mir eine
Leere im Busen geblieben, die ich auszufüllen nicht vermochte; ich
befand mich daher in einer Lage, wo uns die Neigung, sobald sie nur
einigermaßen verhüllt auftritt, unversehens überschleichen und alle
guten Vorsätze vereiteln kann.
Und indem nun der Verfasser zu dieser Stufe seines Unternehmens
gelangt, fühlt er sich zum erstenmal bei der Arbeit leicht ums Herz:
denn von nun an wird dieses Buch erst, was es eigentlich sein soll. Es
hat sich nicht als selbständig angekündigt; es ist vielmehr bestimmt,
die Lücken eines Autorlebens auszufüllen, manches Bruchstück zu ergänzen
und das Andenken verlorner und verschollener Wagnisse zu erhalten. Was
aber schon getan ist, soll und kann nicht wiederholt werden; auch würde
der Dichter jetzt die verdüsterten Seelenkräfte vergebens aufrufen,
umsonst von ihnen fordern, daß sie jene lieblichen Verhältnisse wieder
vergegenwärtigen möchten, welche ihm den Aufenthalt im Lahntale so
hoch verschonten. Glücklicherweise hatte der Genius schon früher dafür
gesorgt und ihn angetrieben, in vermögender Jugendzeit das nächst
Vergangene festzuhalten, zu schildern und kühn genug zur günstigen
Stunde öffentlich aufzustellen. Daß hier das Büchlein "Werther
" gemeint sei, bedarf wohl keiner nähern Bezeichnung; von den
darin aufgeführten Personen aber, sowie von den dargestellten
Gesinnungen, wird nach und nach einiges zu eröffnen sein.
Unter den jungen Männern, welche, der Gesandtschaft zugegeben,
sich zu ihrem künftigen Dienstlauf vorüben sollten, fand sich einer,
den wir kurz und gut den Bräutigam zu nennen pflegten. Er zeichnete
sich aus durch ein ruhiges gleiches Betragen, Klarheit der Ansichten,
Bestimmtheit im Handeln und Reden. Seine heitere Tätigkeit, sein
anhaltender Fleiß empfahl ihn dergestalt den Vorgesetzten, daß man ihm
eine baldige Anstellung versprach. Hiedurch berechtigt, unternahm er,
sich mit einem Frauenzimmer zu verloben, das seiner Gemütsart und
seinen Wünschen völlig zusagte.
Nach dem Tode ihrer Mutter hatte sie sich als Haupt einer
zahlreichen jüngeren Familie höchst tätig erwiesen und den Vater in
seinem Witwerstand allein aufrecht erhalten, so daß ein künftiger
Gatte von ihr das gleiche für sich und seine Nachkommenschaft hoffen
und ein entschiedenes häusliches Glück erwarten konnte. Ein jeder
gestand, auch ohne diese Lebenszwecke eigennützig für sich im Auge zu
haben, daß sie ein wünschenswertes Frauenzimmer sei. Sie gehörte zu
denen, die, wenn sie nicht heftige Leidenschaften einflößen, doch ein
allgemeines Gefallen zu erregen geschaffen sind. Eine leicht aufgebaute,
nett gebildete Gestalt, eine reine gesunde Natur und die daraus
entspringende frohe Lebenstätigkeit, eine unbefangene Behandlung des täglich
Notwendigen, das alles war ihr zusammen gegeben. In der Betrachtung
solcher Eigenschaften ward auch mir immer wohl, und ich gesellte mich
gern zu denen, die sie besaßen; und wenn ich nicht immer Gelegenheit
fand, ihnen wirkliche Dienste zu leisten, so teilte ich mit ihnen lieber
als mit andern den Genuß jener unschuldigen Freuden, die der Jugend
immer zur Hand sind und ohne große Bemühung und Aufwand ergriffen
werden. Da es nun ferner ausgemacht ist, daß die Frauen sich nur für
einander putzen und unter einander den Putz zu steigern unermüdet sind;
so waren mir diejenigen die liebsten, welche mit einfacher Reinlichkeit
dem Freunde, dem Bräutigam die stille Versicherung geben, daß es
eigentlich nur für ihn geschehen, und daß ohne viel Umstände und
Aufwand ein ganzes Leben so fortgeführt werden könne.
Solche Personen sind nicht allzu sehr mit sich selbst beschäftigt;
sie haben Zeit, die Außenwelt zu betrachten, und Gelassenheit genug,
sich nach ihr zu richten, sich ihr gleichzustellen; sie werden klug und
verständig ohne Anstrengung, und bedürfen zu ihrer Bildung wenig Bücher.
So war die Braut. Der Bräutigam, bei seiner durchaus rechtlichen und
zutraulichen Sinnesart, machte jeden, den er schätzte, bald mit ihr
bekannt, und sah gern, weil er den größten Teil des Tages den Geschäften
eifrig oblag, wenn seine Verlobte, nach vollbrachten häuslichen Bemühungen,
sich sonst unterhielt und sich gesellig auf Spaziergängen und
Landpartien mit Freunden und Freundinnen ergetzte. Lotte - denn so wird
sie denn doch wohl heißen - war anspruchslos in doppeltem Sinne: erst
ihrer Natur nach, die mehr auf ein allgemeines Wohlwollen als auf
besondere Neigungen gerichtet war, und dann hatte sie sich ja für einen
Mann bestimmt, der, ihrer wert, sein Schicksal an das ihrige fürs Leben
zu knüpfen sich bereit erklären mochte. Die heiterste Luft wehte in
ihrer Umgebung. Ja, wenn es schon ein angenehmer Anblick ist, zu sehen,
daß Eltern ihren Kindern eine ununterbrochene Sorgfalt widmen, so hat
es noch etwas Schöneres, wenn Geschwister Geschwistern das gleiche
leisten. Dort glauben wir mehr Naturtrieb und bürgerliches Herkommen,
hier mehr Wahl und freies Gemüt zu erblicken.
Der neue Ankömmling, völlig frei von allen Banden, sorglos in
der Gegenwart eines Mädchens, das, schon versagt, den gefälligsten
Dienst nicht als Bewerbung auslegen und sich desto eher daran erfreuen
konnte, ließ sich ruhig gehen, war aber bald dergestalt eingesponnen
und gefesselt, und zugleich von dem jungen Paare so zutraulich und
freundlich behandelt, daß er sich selbst nicht mehr kannte. Müßig und
träumerisch, weil ihm keine Gegenwart genügte, fand er das, was ihm
abging, in einer Freundin, die, indem sie fürs ganze Jahr lebte, nur für
den Augenblick zu leben schien. Sie mochte ihn gern zu ihrem Begleiter;
er konnte bald ihre Nähe nicht missen, denn sie vermittelte ihm die
Alltagswelt, und so waren sie, bei einer ausgedehnten Wirtschaft, auf
dem Acker und den Wiesen, auf dem Krautland wie im Garten, bald
unzertrennliche Gefährten. Erlaubten es dem Bräutigam seine Geschäfte,
so war er an seinem Teil dabei; sie hatten sich alle drei an einander
gewöhnt, ohne es zu wollen, und wußten nicht, wie sie dazu kamen, sich
nicht entbehren zu können. So lebten sie, den herrlichen Sommer hin,
eine echt deutsche Idylle, wozu das fruchtbare Land die Prosa, und eine
reine Neigung die Poesie hergab. Durch reife Kornfelder wandernd
erquickten sie sich am taureichen Morgen; das Lied der Lerche, der
Schlag der Wachtel waren ergetzliche Töne, heiße Stunden folgten,
ungeheure Gewitter brachen herein, man schloß sich nur desto mehr an
einander, und mancher kleine Familienverdruß war leicht ausgelöscht
durch fortdauernde Liebe. Und so nahm ein gemeiner Tag den andern auf,
und alle schienen Festtage zu sein; der ganze Kalender hätte müssen
rot gedruckt werden. Verstehen wird mich, wer sich erinnert, was von dem
glücklich-unglücklichen Freunde der Neuen Heloise geweissagt worden:
"Und zu den Füßen seiner Geliebten sitzend, wird er Hanf brechen,
und er wird wünschen Hanf zu brechen, heute, morgen und übermorgen, ja
sein ganzes Leben. "
Nur wenig, aber gerade so viel als nötig sein mag, kann, ich
nunmehr von einem jungen Manne sagen, dessen Name in der Folgezeit nur
allzu oft genannt worden. Es war Jerusalem, der Sohn des frei und zart
denkenden Gottesgelehrten. Auch er war bei einer Gesandtschaft
angestellt: Seine Gestalt gefällig, mittlerer Größe, wohlgebaut; ein
mehr rundes als längliches Gesicht; weiche ruhige Züge und was sonst
noch einem hübschen blonden Jüngling zukommen mag; blaue sodann, mehr
anziehend als sprechend zu nennen. Seine Kleidung war die unter den
Niederdeutschen, in Nachahmung der Engländer, hergebrachte: blauer
Frack, ledergelbe Weste und Unterkleider, und Stiefeln mit braunen
Stolpen. Der Verfasser hat ihn nie besucht, auch nicht bei sich gesehen;
manchmal traf er ihn bei Freunden. Die Äußerungen des jungen Mannes
waren mäßig, aber wohlwollend. Er nahm an den verschiedensten
Produktionen teil; besonders liebte er solche Zeichnungen und Skizzen,
in welchen man einsamen Gegenden ihren stillen Charakter abgewonnen
hatte. Er teilte bei solchen Gelegenheiten Geßnersche Radierungen mit,
und munterte die Liebhaber auf, darnach zu studieren. An allem jenen
Ritterwesen und Mummenspiel nahm er wenig oder keinen Anteil, lebte sich
und seinen Gesinnungen. Man sprach von einer entschiedenen Leidenschaft
zu der Gattin eines Freundes. Öffentlich sah man sie nie miteinander.
Überhaupt wußte man wenig von ihm zu sagen, außer daß er sich mit
der englischen Literatur beschäftige. Als der Sohn eines wohlhabenden
Mannes brauchte er sich weder ängstlich Geschäften zu widmen, noch um
baldige Anstellung dringend zu bewerben.
Jene Geßnerschen Radierungen vermehrten die Lust und den Anteil
an ländlichen Gegenständen, und ein kleines Gedicht, welches wir in
unsern engern Kreis mit Leidenschaft aufnahmen ließ uns von nun an
nichts anders mehr beachten. Das "Deserted village " von
Goldsmith mußte jedermann auf jener Bildungsstufe, in jenem
Gesinnungskreise höchlich zusagen. Nicht als lebendig oder wirksam,
sondern als ein vergangenes, verschwundenes Dasein ward alles das
geschildert, was man so gern mit Augen sah, was man liebte, schätzte,
in der Gegenwart leidenschaftlich aufsuchte, um jugendlich munter teil
daran zu nehmen. Fest und Feiertage auf dem Lande, Kirchweihen und Jahrmärkte,
dabei unter der Dorflinde erst die ernste Versammlung der Ältesten,
verdrängt von der heftigem Tanzlust der Jüngern, und wohl gar die
Teilnahme gebildeter Stände. Wie schicklich erschienen diese Vergnügungen,
gemäßigt durch einen braven Landgeistlichen, der auch dasjenige, was
allenfalls übergriff, was zu Händeln und Zwist Anlaß geben konnte,
gleich zu schlichten und abzutun verstand. Auch hier fanden wir unsern
ehrlichen Wakefield wieder, in seinem wohlbekannten Kreise, aber nicht
mehr wie er leibte und lebte, sondern als Schatten, zurückgerufen durch
des elegischen Dichters leise Klagetöne. Schon der Gedanke dieser
Darstellung ist einer der glücklichsten, Sobald einmal der Vorsatz gefaßt
ist, ein unschuldiges Vergangene mit anmutiger Trauer wieder
heranzufordern. Und wie gelungen ist in jedem Sinne dem Engländer
dieses gemütliche Vorhaben! Ich teilte den Enthusiasmus für dieses
allerliebste Gedicht mit Gottern, dem die von uns beiden unternommene Übersetzung
besser als mir geglückt ist: denn ich hatte allzu ängstlich die zarte
Bedeutsamkeit des Originals in unserer Sprache nachzubilden getrachtet,
und war daher wohl mit einzelnen Stellen, nicht aber mit dem Ganzen übereingekommen.
Ruht nun, wie man sagt, in der Sehnsucht das größte Glück, und
darf die wahre Sehnsucht nur auf ein Unerreichbares gerichtet sein; so
traf wohl alles zusammen, um den Jüngling, den wir gegenwärtig auf
seinen Irrgängen begleiten, zum glücklichsten Sterblichen zu machen.
Die Neigung zu einer versagten Braut, das Bestreben, Meisterstücke
fremder Literatur der unsrigen zu erwerben und anzueignen, die Bemühung,
Naturgegenstände nicht nur mit Worten, sondern auch mit Griffel und
Pinsel ohne eigentliche Technik, nachzuahmen: jedes einzeln wäre schon
hinreichend gewesen das Herz zu schwellen und die Brust zu beklemmen.
Damit aber der so süß Leidende aus diesen Zuständen gerissen und ihm
zu neuer Unruhe neue Verhältnisse bereitet würden, so ergab sich
folgendes.
In Gießen befand sich Höpfner, Professor der Rechte. Er war als
tüchtig in seinem Fach, als denkender und wackerer Mann, von Mercken
und Schlossern anerkannt und höchlich geehrt. Schon längst hatte ich
seine Bekanntschaft gewünscht, und nun, als jene beiden Freunde bei ihm
einen Besuch abzustatten gedachten, um über literarische Gegenstände
zu unterhandeln, ward beliebt daß ich, bei dieser Gelegenheit, mich
gleichfalls nach Gießen begeben sollte. Weil wir aber, wie es in dem Übermut
froher und friedlicher Zeiten zu geschehn pflegt, nicht leicht etwas auf
geradem Wege vollbringen konnten, sondern, wie wahrhafte Kinder, auch
dem Notwendigen irgend einen Scherz abzugewinnen suchten; so sollte ich,
als der Unbekannte, in fremder Gestalt erscheinen, und meiner Lust,
verkleidet aufzutreten, hier abermals Genüge tun. An einem heiteren
Morgen, vor Sonnenaufgang, schritt ich daher von Wetzlar an der Lahn
hin, das liebliche Tal hinauf; Solche Wanderungen machten wieder mein größtes
Glück. Ich erfand, verknüpfte, arbeitete durch, und war in der Stille
mit mir selbst heiter und froh; ich legte mir zurecht, was die ewig
widersprechende Welt mir ungeschickt und verworren aufgedrungen hatte.
Am Ziele meines Weges angelangt, suchte ich Höpfners Wohnung und pochte
an seine Studierstube. Als er mir "Herein! " gerufen hatte,
trat ich bescheidentlich vor ihn, als ein Studierender, der von
Akademien sich nach Hause verfügen und unterwegs die würdigsten Männer
wollte kennen lernen. Auf seine Fragen nach meinen näheren Verhältnissen
war ich vorbereitet; ich erzählte ein glaubliches prosaisches Märchen,
womit er zufrieden schien, und als ich mich hierauf für einen Juristen
angab, bestand ich nicht übel: denn ich kannte sein Verdienst in diesem
Fach und wußte, daß er sich eben mit dem Naturrecht beschäftigte.
Doch stockte das Gespräch einigemal, und es schien, als wenn er einem
Stammbuch oder meiner Beurlaubung entgegensähe. Ich wußte jedoch immer
zu zaudern, indem ich Schlossern gewiß erwartete, dessen Pünktlichkeit
mir bekannt war. Dieser kam auch wirklich, ward von seinem Freund
bewillkommnet, und nahm, als er mich von der Seite angesehn, wenig Notiz
von mir. Höpfner aber zog mich ins Gespräch und zeigte sich durchaus
als einen humanen wohlwollenden Mann. Endlich empfahl ich mich und eilte
nach dem Wirtshause, wo ich mit Mercken einige flüchtige Worte
wechselte und das Weitere verabredete!
Die Freunde hatten sich vorgenommen, Höpfnern zu Tische zu
bitten und zugleich jenen Christian Heinrich Schmid, der in dem
deutschen Literarwesen zwar eine sehr untergeordnete, aber doch eine
Rolle spielte. Auf diesen war der Handel eigentlich angelegt, und er
sollte für manches, was er gesündigt hatte, auf eine lustige Weise
bestraft werden. Als die Gäste sich in dem Speisesaale versammelt
hatten, ließ ich durch den Kellner fragen, ob die Herren mir erlauben
wollten mitzuspeisen? Schlosser, dem ein gewisser Ernst gar wohl zu
Gesicht stand, widersetzte sich, weil sie ihre freundschaftliche
Unterhaltung nicht durch einen Dritten wollten gestört wissen. Auf das
Andringen des Kellners aber und die Fürsprache Höpfners, der
versicherte, daß ich ein leidlicher Mensch sei, wurde ich eingelassen,
und betrug mich zu Anfang der Tafel bescheiden und verschämt. Schlosser
und Merck taten sich keinen Zwang an, und ergingen sich über manches so
offen, als wenn kein Fremder dabei wäre. Die wichtigsten literarischen
Angelegenheiten sowie die bedeutendsten Männer kamen zur Sprache. Ich
erwies mich nun etwas kühner, und ließ mich nicht stören, wenn
Schlosser mir manchmal ernstlich, Merck spöttisch etwas abgab; doch
richtete ich auf Schmiden alle meine Pfeile, die seine mir wohlbekannten
Blößen scharf und sicher trafen.
Ich hatte mich bei meinem Nößel Tischwein mäßig verhalten;
die Herren aber ließen sich besseren reichen, und ermangelten nicht,
auch mir davon mitzuteilen. Nachdem viele Angelegenheiten des Tags
durchgesprochen waren, zog sich die Unterhaltung ins Allgemeine, und man
behandelte die Frage, die, solange es Schriftsteller gibt, sich immer
wiederholen wird, ob nämlich die Literatur im Auf- oder Absteigen, im
Vor- oder Rückschritt begriffen sei? Diese Frage, worüber sich
besonders Alte und Junge, Angehende und Abtretende selten vergleichen,
sprach man mit Heiterkeit durch, ohne daß man gerade die Absicht gehabt
hätte, sich darüber entschieden zu verständigen. Zuletzt nahm ich das
Wort und sagte: "Die Literaturen, scheint es mir, haben
Jahrszeiten, die, miteinander abwechselnd, wie in der Natur, gewisse Phänomene
hervorbringen, und sich der Reihe nach wiederholen. Ich glaube daher
nicht, daß man irgend eine Epoche einer Literatur im ganzen loben oder
tadeln könne; besonders sehe ich nicht gerne, wenn man gewisse Talente,
die von der Zeit hervorgerufen werden, so hoch erhebt und rühmt, andere
dagegen schilt und niederdrückt. Die Kehle der Nachtigall wird durch
das Frühjahr aufgeregt, zugleich aber auch die Gurgel des Kuckucks. Die
Schmetterlinge, die dem Auge so wohl tun, und die Mücken, welche dem
Gefühl so verdrießlich fallen, werden durch eben die Sonnenwärme
hervorgerufen, beherzigte man dies, so würde man dieselbigen Klagen
nicht alle zehn Jahre wieder erneuert hören, und die vergebliche Mühe,
dieses und jenes Mißfällige auszurotten, würde nicht so oft
verschwendet werden. " Die Gesellschaft sah mich mit Verwunderung
an, woher mir so viele Weisheit und so viele Toleranz käme? Ich aber
fuhr ganz gelassen fort, die literarischen Erscheinungen mit
Naturprodukten zu vergleichen, und ich weiß nicht, wie ich sogar auf
die Mollusken kam, und allerlei Wunderliches von ihnen herauszusetzen wußte.
Ich sagte, es seien dies Geschöpfe, denen man zwar eine Art von Körper,
ja sogar eine gewisse Gestalt nicht ableugnen könne; da sie aber keine
Knochen hätten, so wüßte man doch nichts Rechts mit ihnen anzufangen,
und sie seien nichts Besseres als ein lebendiger Schleim; jedoch müsse
das Meer auch solche Bewohner haben. Da ich das Gleichnis über die Gebühr
fortsetzte, um den gegenwärtigen Schmid und diese Art der
charakterlosen Literatoren zu bezeichnen, so ließ man mich bemerken, daß
ein zu weit ausgedehntes Gleichnis zuletzt gar nichts mehr sei. -
"So will ich auf die Erde zurückkehren! " versetzte ich,
"und vom Efeu sprechen. Wie jene keine Knochen, so hat dieser
keinen Stamm, mag aber gern überall, wo er sich anschmiegt, die
Hauptrolle spielen. An alte Mauern gehört er hin, an denen ohnehin
nichts mehr zu verderben ist, von neuen Gebäuden entfernt man ihn
billig; die Bäume saugt er aus, und am allerunerträglichsten ist er
mir, wenn er an einem Pfahl hinaufklettert und versichert, hier sei ein
lebendiger Stamm, weil er ihn umlaubt habe. "
Ungeachtet man mir abermals die Dunkelheit und Unanwendbarkeit
meiner Gleichnisse vorwarf, ward ich immer lebhafter gegen alle
parasitische Kreaturen, und machte, soweit meine damaligen
Naturkenntnisse reichten, meine Sachen noch ziemlich artig. Ich sang
zuletzt ein Vivat allen selbständigen Männern, ein Pereat den
Andringlingen, ergriff nach Tische Höpfners Hand, schüttelte sie derb,
erklärte ihn für den bravsten Mann von der Welt, und umarmte ihn sowie
die andern zuletzt recht herzlich. Der wackere neue Freund glaubte
wirklich zu träumen, bis endlich Schlosser und Merck das Rätsel auflösten
und der entdeckte Scherz eine allgemeine Heiterkeit verbreitete, in
welche Schmid selbst mit einstimmte, der durch Anerkennung seiner
wirklichen Verdienste, und durch unsere Teilnahme an seinen
Liebhabereien, wieder begütigt wurde.
Diese geistreiche Einleitung konnte nicht anders als den
literarischen Kongreß beleben und begünstigen, auf den es eigentlich
angesehn war. Merck, bald ästhetisch, bald literarisch, bald kaufmännisch
tätig, hatte den wohldenkenden, unterrichteten, in so vielen Fächern
kenntnisreichen Schlosser angeregt, die "Frankfurter Gelehrten
Anzeigen " in diesem Jahr herauszugeben. Sie hatten sich Höpfnern
und andere Akademiker in Gießen, in Darmstadt einen verdienten
Schulmann, den Rektor Wenck, und sonst manchen wackeren Mann zugesellt.
Jeder hatte in seinem Fach historische und theoretische Kenntnisse
genug, und der Zeitsinn ließ diese Männer nach einem Sinne wirken. Die
zwei ersten Jahrgänge dieser Zeitung (denn nachher kam sie in andere Hände)
geben ein wundersames Zeugnis, wie ausgebreitet die Einsicht, wie rein
die Übersicht, wie redlich der Wille der Mitarbeiter gewesen. Das
Humane und Weltbürgerliche wird befördert; wackere und mit Recht berühmte
Männer werden gegen Zudringlichkeit aller Art geschützt; man nimmt
sich ihrer an gegen Feinde, besonders auch gegen Schüler, die das Überlieferte
nun zum Schaden ihrer Lehrer mißbrauchen. Am interessantesten sind
beinah die Rezensionen über andere Zeitschriften, die Berliner
"Bibliothek ", den "Deutschen Merkur "; wo man die
Gewandtheit in so vielen Fächern, die Einsicht sowie die Billigkeit mit
Recht bewundert.
Was mich betrifft, so sahen sie wohl ein, daß mir nicht mehr als
alles zum eigentlichen Rezensenten fehle. Mein historisches Wissen hing
nicht zusammen, die Geschichte der Welt, der Wissenschaften, der
Literatur hatte mich nur epochenweis, die Gegenstände selbst aber nur
teil- und massenweis angezogen. Die Möglichkeit, mir die Dinge auch außer
ihrem Zusammenhange lebendig zu machen und zu vergegenwärtigen, setzte
mich in den Fall, in einem Jahrhundert, in einer Abteilung der
Wissenschaft völlig zu Hause zu sein, ohne daß ich weder von dem
Vorhergehenden noch von dem Nachfolgenden irgend unterrichtet gewesen wäre.
Ebenso war ein gewisser theoretisch-praktischer Sinn in mir aufgegangen,
daß ich von den Dingen, mehr wie sie sein sollten als wie sie waren
Rechenschaft geben konnte ohne eigentlichen philosophischen
Zusammenhang, aber sprungweise treffend. Hiezu kam eine sehr leichte
Fassungskraft und ein freundliches Aufnehmen der Meinungen anderer, wenn
sie nur nicht mit meinen Überzeugungen in geradem Widerspruch standen.
Jener literarische Verein ward überdies durch eine lebhafte
Korrespondenz und, bei der Nähe der Ortschaften, durch öftere persönliche
Unterhandlungen begünstigt. Wer das Buch zuerst gelesen hatte, der
referierte, manchmal fand sich ein Korreferent; die Angelegenheit ward
besprochen, an verwandte angeknüpft, und hatte sich zuletzt ein
gewisses Resultat ergeben, so übernahm einer die Redaktion. Dadurch
sind mehrere Rezensionen so tüchtig als lebhaft, so angenehm als
befriedigend. Mir fiel sehr oft die Rolle des Protokollführers zu;
meine Freunde erlaubten mir, auch innerhalb ihrer Arbeiten zu scherzen,
und sodann bei Gegenständen, denen ich mich gewachsen fühlte, die mir
besonders am Herzen lagen, selbständig aufzutreten. Vergebens würde
ich unternehmen, darstellend oder betrachtend, den eigentlichen Geist
und Sinn jener Tage wieder hervorzurufen, wenn nicht die beiden Jahrgänge
gedachter Zeitung mir die entschiedensten Dokumente selbst anböten.
Auszüge von Stellen, an denen ich mich wieder erkenne, mögen mit ähnlichen
Aufsätzen künftig am schicklichen Ort erscheinen.
Bei einem so lebhaften Austausch von Kenntnissen, Meinungen, Überzeugungen
lernte ich Höpfnern sehr bald näher kennen und gewann ihn lieb. Sobald
wir allein waren, sprach ich mit ihm über Gegenstände seines Fachs,
welches ja auch mein Fach sein sollte, und fand eine sehr natürlich
zusammenhängende Aufklärung und Belehrung. Ich war mir damals noch
nicht deutlich bewußt, daß ich wohl aus Büchern und im Gespräch,
nicht aber durch den zusammenhängenden Kathedervortrag etwas lernen
konnte. Das Buch erlaubte mir, bei einer Stelle zu verweilen, ja rückwärts
zu sehen, welches der mündliche Vortrag und der Lehrer nicht gestatten
konnte. Manchmal ergriff mich zu Anfang der Stunde ein Gedanke, dem ich
nachhing, darüber das Folgende verlor und ganz aus dem Zusammenhang
geriet. Und so war es mir auch in den juristischen Kollegien ergangen,
weshalb ich gar manchen Anlaß nehmen konnte, mich mit Höpfnern zu
besprechen, der denn sehr gern in meine Zweifel und Bedenken einging,
auch manche Lücke ausglich, so daß in mir der Wunsch entstand, in Gießen
bei ihm zu verweilen, um mich an ihm zu unterrichten, ohne mich doch von
meinen wetzlarischen Neigungen allzu weit zu entfernen. Gegen diesen
meinen Wunsch arbeiteten die beiden Freunde erst unwissend, sodann
wissentlich: denn beide eilten nicht allein selbst von hier wegzukommen,
sondern beide hatten sogar ein Interesse, mich aus dieser Gegend
wegzubringen.
Schlosser entdeckte mir, daß er erst in ein freundschaftliches,
dann in ein näheres Verhältnis zu meiner Schwester gekommen sei, und
daß er sich nach einer baldigen Anstellung umsehe, um sich mit ihr zu
verbinden. Diese Erklärung machte mich einigermaßen betroffen, ob ich
sie gleich in meiner Schwester Briefen schon längst hätte finden
sollen; aber wir gehen leicht über das hinweg, was die gute Meinung,
die wir von uns selbst hegen, verletzen könnte, und ich bemerkte nun
erst, daß ich wirklich auf meine Schwester eifersüchtig sei: eine
Empfindung, die ich mir um so weniger verbarg, als seit meiner Rückkehr
von Straßburg unser Verhältnis noch viel inniger geworden war. Wieviel
Zeit hatten wir nicht gebraucht, um uns wechselseitig die kleinen
Herzensangelegenheiten, Liebes- und andere Händel mitzuteilen, die in
der Zwischenzeit vorgefallen waren! und hatte sich nicht auch im Felde
der Einbildungskraft vor mir eine neue Welt aufgetan, in die ich sie
doch auch einführen mußte? Meine eignen kleinen Machwerke, eine weit
ausgebreitete Weltpoesie mußten ihr nach und nach bekannt werden. So übersetzte
ich ihr aus dem Stegreife solche Homerische Stellen, an denen sie zunächst
Anteil nehmen konnte. Die Clarkesche wörtliche Übersetzung las ich
deutsch, so gut es gehen wollte, herunter, mein Vortrag verwandelte sich
gewöhnlich in metrische Wendungen und Endungen, und die Lebhaftigkeit,
womit ich die Bilder gefaßt hatte, die Gewalt, womit ich sie aussprach,
hoben alle Hindernisse einer verschränkten Wortstellung; dem, was ich
geistreich hingab, folgte sie mit dem Geiste. Manche Stunden des Tags
unterhielten wir uns auf diese Weise; versammelte sich hingegen ihre
Gesellschaft, so wurden der Wolf Fenris und der Affe Hannemann
einstimmig hervorgerufen, und wie oft habe ich nicht die berühmte
Geschichte, wie Thor und seine Begleiter von den zauberischen Riesen geäfft
werden, umständlich wiederholen müssen! Daher ist mir auch von allen
diesen Dichtungen ein so angenehmer Eindruck geblieben, daß sie noch
immer unter das Werteste gehören, was meine Einbildungskraft sich
hervorrufen mag. In mein Verhältnis zu den Darmstädtern hatte ich
meine Schwester auch hineingezogen, und sogar meine Wanderungen und
Entfernungen mußten unser Band fester knüpfen, da ich mich von allem,
was mir begegnete, brieflich mit ihr unterhielt, ihr jedes kleine
Gedicht, wenn es auch nur ein Ausrufungszeichen gewesen wäre, sogleich
mitteilte, und ihr zunächst alle Briefe, die ich erhielt, und alle
Antworten, die ich darauf erteilte, sehen ließ. Alle diese lebhafte
Regung hatte seit meiner Abreise von Frankfurt gestockt, mein Aufenthalt
zu Wetzlar war zu einer solchen Unterhaltung nicht ausgiebig genug, und
dann mochte die Neigung zu Lotten den Aufmerksamkeiten gegen meine
Schwester Eintrag tun; genug, sie fühlte sich allein, vielleicht
vernachlässigt, und gab um so eher den redlichen Bemühungen eines
Ehrenmanns Gehör, welcher, ernst und verschlossen, zuverlässig und schätzenswert,
ihr seine Neigung, mit der er sonst sehr kargte, leidenschaftlich
zugewendet hatte. Ich mußte mich nun wohl darein ergeben, und meinem
Freunde sein Glück gönnen, indem ich mir jedoch heimlich mit
Selbstvertrauen zu sagen nicht unterließ, daß, wenn der Bruder nicht
abwesend gewesen wäre, es mit dem Freunde so weit nicht hätte gedeihen
können.
Meinem Freund und vermutlichen Schwager war nun freilich sehr
daran gelegen, daß ich nach Hause zurückkehrte, weil durch meine
Vermittelung ein freierer Umgang möglich ward, dessen das Gefühl
dieses von zärtlicher Neigung unvermutet getroffenen Mannes äußerst
zu bedürfen schien. Er nahm daher, als er sich bald entfernte, von mir
das Versprechen, daß ich ihm zunächst folgen wollte.
Von Mercken, der eben freie Zeit hatte, hoffte ich nun, daß er
seinen Aufenthalt in Gießen verlängern würde, damit ich einige
Stunden des Tags mit meinem guten Höpfner zubringen könnte, indessen
der Freund seine Zeit an die "Frankfurter Gelehrten Anzeigen "
wendete; allein er war nicht zu bewegen, und wie meinen Schwager die
Liebe, so trieb diesen der Haß von der Universität hinweg. Denn wie es
angeborene Antipathien gibt, so wie gewisse Menschen die Katzen nicht
leiden können, andern dieses oder jenes in der Seele zuwider ist, so
war Merck ein Todfeind aller akademischen Bürger, die nun freilich zu
jener Zeit in Gießen sich in der tiefsten Roheit gefielen. Mir waren
sie ganz recht: ich hätte sie wohl auch als Masken in eins meiner
Fastnachtsspiele brauchen können; aber ihm verdarb ihr Anblick bei
Tage, und des Nachts ihr Gebrüll jede Art von gutem Humor. Er hatte die
schönste Zeit seiner jungen Tage in der französischen Schweiz
zugebracht und nachher den erfreulichen Umgang von Hof-, Welt- und Geschäftsleuten
und gebildeten Literatoren genossen; mehrere Militärpersonen, in denen
ein Streben nach Geisteskultur rege geworden, suchten ihn auf, und so
bewegte er sein Leben in einem sehr gebildeten Zirkel. Daß ihn daher
jenes Unwesen ärgerte, war nicht zu verwundern; allein seine Abneigung
gegen die Studiosen war wirklich leidenschaftlicher, als es einem
gesetzten Mann geziemte, wiewohl er mich durch seine geistreichen
Schilderungen ihres ungeheuerlichen Aussehns und Betragens sehr oft zum
Lachen brachte. Höpfners Einladungen und mein Zureden halfen nichts,
ich mußte baldmöglichst mit ihm nach Wetzlar wandern.
Kaum konnte ich erwarten, bis ich ihn bei Lotten eingeführt;
allein seine Gegenwart in diesem Kreise geriet mir nicht zum Gedeihen:
denn wie Mephistopheles, er mag hintreten wohin er will, wohl schwerlich
Segen mitbringt; so machte er mir, durch seine Gleichgültigkeit gegen
diese geliebte Person, wenn er mich auch nicht zum Wanken brachte, doch
wenigstens keine Freude. Ich konnte es wohl voraussehen, wenn ich mich
erinnert hätte, daß gerade solche schlanke zierliche Personen, die
eine lebendige Heiterkeit um sich her verbreiten, ohne weitere Ansprüche
zu machen, ihm nicht sonderlich gefielen. Er zog sehr schnell die
junonische Gestalt einer ihrer Freundinnen vor, und da es ihm an Zeit
gebrach, ein näheres Verhältnis anzuknüpfen; so schalt er mich recht
bitter aus, daß ich mich nicht um diese prächtige Gestalt bemüht, um
so mehr, da sie frei, ohne irgend ein Verhältnis sich befinde. Ich
verstehe eben meinen Vorteil nicht, meinte er, und er sehe höchst
ungern auch hier meine besondere Liebhaberei, die Zeit zu verderben.
Wenn es gefährlich ist, einen Freund mit den Vorzügen seiner
Geliebten bekannt zu machen, weil er sie wohl auch reizend und
begehrenswürdig finden möchte; so ist die umgekehrte Gefahr nicht
geringer, daß er uns durch seine Abstimmung irre machen kann. Dieses
war zwar hier der Fall nicht: denn ich hatte mir das Bild ihrer Liebenswürdigkeit
tief genug eingedruckt, als daß es so leicht auszulöschen gewesen wäre;
aber seine Gegenwart, sein Zureden beschleunigte doch den Entschluß,
den Ort zu verlassen. Er stellte mir eine Rheinreise, die er eben mit
Frau und Sohn zu machen im Begriff sei, so reizend vor, und erregte die
Sehnsucht, diejenigen Gegenstände endlich mit Augen zu sehn, von denen
ich so oft mit Neid hatte erzählen hören. Nun, als er sich entfernt
hatte, trennte ich mich von Charlotten zwar mit reinerem Gewissen als
von Friedriken, aber doch nicht ohne Schmerz. Auch dieses Verhältnis
war durch Gewohnheit und Nachsicht leidenschaftlicher als billig von
meiner Seite geworden; sie dagegen und ihr Bräutigam hielten sich mit
Heiterkeit in einem Maße, das nicht schöner und liebenswürdiger sein
konnte, und die eben hieraus entspringende Sicherheit ließ mich jede
Gefahr vergessen. Indessen konnte ich mir nicht verbergen, daß diesem
Abenteuer sein Ende bevorstehe: denn von der zunächst erwarteten Beförderung
des jungen Mannes hing die Verbindung mit dem liebenswürdigen Mädchen
ab; und da der Mensch, wenn er einigermaßen resolut ist, auch das
Notwendige selbst zu wollen übernimmt, so faßte ich den Entschluß,
mich freiwillig zu entfernen, ehe ich durch das Unerträgliche
vertrieben würde.
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