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Johann Wolfgang
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Neunzehntes BuchDurch
das leichte Kläffen eines uns entgegen kommenden Hündchens angemeldet,
wurden wir von einer ältlichen aber rüstigen Frauensperson an der Türe
freundlich empfangen; sie entschuldigte den Herrn Pater, welcher nach
Mailand gegangen sei, jedoch diesen Abend wieder erwartet werde; alsdann
aber sorgte sie, ohne viel Worte zu machen, für Bequemlichkeit und Bedürfnis.
Eine warme geräumige Stube nahm uns auf; Brot, Käse und trinkbarer
Wein wurden aufgesetzt, auch ein hinreichendes Abendessen versprochen.
Nun wurden die Überraschungen des Tags wieder aufgenommen, und der
Freund tat sich höchlich darauf zugute, daß alles so wohl gelungen und
ein Tag zurückgelegt sei, dessen Eindrücke weder Poesie noch Prose
wieder herzustellen imstande. Bei spät einbrechender Dämmerung trat
endlich der ansehnliche Pater herein, begrüßte mit freundlich
vertraulicher Würde seine Gäste und empfahl mit wenigen Worten der Köchin
alle mögliche Aufmerksamkeit. Als wir unsre Bewunderung nicht zurückhielten,
daß er hier oben, in so völliger Wüste, entfernt von aller
Gesellschaft, sein Leben zubringen gewollt, versicherte er: an
Gesellschaft fehle es ihm nie, wie wir denn ja auch gekommen wären, ihn
mit unserm Besuche zu erfreuen. Gar stark sei der wechselseitige
Warentransport zwischen Italien und Deutschland; dieser immerfortwährende
Speditionswechsel setze ihn mit den ersten Handelshäusern in Verhältnis.
Er steige oft nach Mailand hinab, komme seltener nach Luzern, von woher
ihm aber aus den Häusern, welche das Postgeschäft dieser Hauptstraße
zu besorgen hätten, zum öftern junge Leute zugeschickt würden, die
hier oben auf dem Scheidepunkt mit allen in diese Angelegenheiten
eingreifenden Umständen und Vorfallenheiten bekanntwerden sollten. Unter
solchen mannigfaltigen Gesprächen ging der Abend hin, und wir schliefen
eine ruhige Nacht in etwas kurzen, an der Wand befestigten, eher an
Repositorien als Bettstellen erinnernden Schlafstätten. Früh
aufgestanden, befand ich mich bald zwar unter freiem Himmel, jedoch in
engen, von hohen Gebirgskuppen umschlossenen Räumen. Ich hatte mich an
den Fußpfad, der nach Italien hinunterging, niedergelassen und
zeichnete, nach Art der Dilettanten, was nicht zu zeichnen war und was
noch weniger ein Bild geben konnte: die nächsten Gebirgskuppen, deren
Seiten der herabschmelzende Schnee mit weißen Furchen und schwarzen Rücken
sehen ließ; indessen ist mir durch diese fruchtlose Bemühung jenes
Bild im Gedächtnis unauslöschlich geblieben. Mein
Gefährte trat mutig zu mir und begann: "Was sagst du zu der Erzählung
unsres geistlichen Wirts von gestern abend? Hast du nicht, wie ich, Lust
bekommen, dich von diesem Drachengipfel hinab in jene entzückenden
Gegenden zu begeben? Die Wanderung durch diese Schluchten hinab muß
herrlich sein und mühelos, und wann sich's dann bei Bellinzona öffnen
mag, was würde das für eine Lust sein! Die Inseln des großen Sees
sind mir durch die Worte des Paters wieder lebendig in die Seele
getreten. Man hat seit Keyßlers Reisen so viel davon gehört und
gesehen, daß ich der Versuchung nicht widerstehen kann. Ist dir's nicht
auch so?" fuhr er fort; "du sitzest gerade am rechten Fleck,
schon einmal stand ich hier und hatte nicht den Mut hinabzuspringen. Geh
voran ohne weiteres, in Airolo wartest du auf mich, ich komme mit dem
Boten nach, wenn ich vom guten Pater Abschied genommen und alles
berichtigt habe." "So
ganz aus dem Stegreife ein solches Unternehmen, will mir doch nicht
gefallen", antwortete ich. - "Was soll da viel Bedenken!"
rief jener, "Geld haben wir genug, nach Mailand zu kommen, Kredit
wird sich finden, mir sind von unsern Messen her dort mehr als ein
Handelsfreund bekannt." Er ward noch dringender. "Geh!"
sagte ich, "mach alles zum Abschied fertig, entschließen wollen
wir uns alsdann." Mir
kommt vor, als wenn der Mensch, in solchen Augenblicken, keine
Entschiedenheit in sich fühlte, vielmehr von früheren Eindrücken
regiert und bestimmt werde. Die Lombardie und Italien lag als ein ganz
Fremdes vor mir; Deutschland als ein Bekanntes, Liebwertes, voller
freundlichen einheimischen Aussichten, und, sei es nur gestanden: das,
was mich so lange ganz umfangen, meine Existenz getragen hatte, blieb
auch jetzt das unentbehrlichste Element, aus dessen Grenzen zu treten
ich mich nicht getraute. Ein goldnes Herzchen, das ich in schönsten
Stunden von ihr erhalten hatte, hing noch an demselben Bändchen, an
welchem sie es umknüpfte, lieberwärmt an meinem Halse. Ich faßte es
an und küßte es; mag ein dadurch veranlaßtes Gedicht auch hier
eingeschaltet sein: Angedenken
du verklungner Freude, Flieh'
ich, Lili, vor dir! Muß noch an deinem Bande Wie
ein Vogel, der den Faden bricht Schnell
stand ich auf, damit ich von der schroffen Stelle wegkäme und der mit
dem refftragenden Boten heranstürmende Freund mich in den Abgrund nicht
mit fortrisse. Auch ich begrüßte den frommen Pater und wendete mich,
ohne ein Wort zu verlieren, dem Pfade zu, woher wir gekommen waren.
Etwas zaudernd folgte mir der Freund, und ohngeachtet seiner Liebe und
Anhänglichkeit an mich blieb er eine Zeitlang eine Strecke zurück, bis
uns endlich jener herrliche Wasserfall wieder zusammenbrachte,
zusammenhielt und das einmal Beschlossene endlich auch für gut und
heilsam gelten sollte. Von
dem Herabstieg sag ich nichts weiter, als daß jene Schneebrücke, über
die wir in schwerbeladener Gesellschaft vor wenig Tagen ruhig hinzogen,
völlig zusammengestürzt fanden, und nun, da wir einen Umweg durch die
eröffnete Bucht machen mußten, die kolossalen Trümmer einer natürlichen
Baukunst anzustaunen und zu bewundern hatten. Ganz
konnte mein Freund die rückgängige Wanderung nach Italien nicht
verschmerzen; er mochte sich solche früher ausgedacht und, mit
liebevoller Arglist, mich an Ort und Stelle zu überraschen gehofft
haben. Deshalb ließ sich die Rückkehr nicht so heiter vollführen; ich
aber war auf meinen stummen Pfaden um desto anhaltender beschäftigt,
das Ungeheure, das sich in unserem Geiste mit der Zeit zusammenzuziehen
pflegt, wenigstens in seinen faßlichen charakteristischen Einzelnheiten
festzuhalten. Nicht
ohne manche neue wie erneuerte Empfindungen und Gedanken gelangten wir
durch die bedeutenden Höhen des Vierwaldstätter Sees nach Küßnacht,
wo wir landend und unsre Wanderung fortsetzend, die am Wege stehende
Tellenkapelle zu begrüßen und jenen der ganzen Welt als
heroisch-patriotisch rühmlich geltenden Meuchelmord zu gedenken hatten.
Ebenso fuhren wir über den Zugersee, den wir schon vom Rigi herab aus
der Ferne hatten kennen lernen. In Zug erinnere ich mich nur einiger im
Gasthofzimmer nicht gar großer, aber in ihrer Art vorzüglicher in die
Fensterflügel eingefügter gemalter Scheiben. Dann ging unser Weg über
den Albis in das Sihltal, wo wir einen jungen in der Einsamkeit sich
gefallenden Hannoveraner, von Lindau, besuchten, um seinen Verdruß zu
beschwichtigen, den er früher in Zürch über eine von mir nicht aufs
freundlichste und schicklichste abgelehnte Begleitung empfunden hatte.
Die eifersüchtige Freundschaft des trefflichen Passavant war eigentlich
Ursache an dem Ablehnen einer zwar lieben, aber doch unbequemen
Gegenwart. Ehe
wir aber von diesen herrlichen Höhen wieder zum See und zur freundlich
liegenden Stadt hinabsteigen, muß ich noch eine Bemerkung machen über
meine Versuche, durch Zeichnen und Skizzieren der Gegend etwas
abzugewinnen. Die Gewohnheit von Jugend auf, die Landschaft als Bild zu
sehen, verführte mich zu dem Unternehmen, wenn ich in der Natur die
Gegend als Bild erblickte, sie fixieren, mir ein sichres Andenken von
solchen Augenblicken festhalten zu wollen. Sonst nur an beschränkten
Gegenständen mich einigermaßen übend, fühlt' ich in einer solchen
Welt gar bald meine Unzulänglichkeit. Drang und Eile zugleich nötigten
mich zu einem wunderbaren Hülfsmittel: kaum hatte ich einen
interessanten Gegenstand gefaßt, und ihn mit wenigen Strichen im
allgemeinsten auf dem Papier angedeutet, so führte ich das Detail, das
ich mit dem Bleistift nicht erreichen noch durchführen konnte, in
Worten gleich darneben aus und gewann mir auf diese Weise eine solche
innere Gegenwart von dergleichen Ansichten, daß eine jede Lokalität,
wie ich sie nachher in Gedicht oder Erzählung nur etwa brauchen mochte,
mir alsobald vorschwebte und zu Gebote stand. Bei
meiner Rückkunft in Zürch fand ich die Stolberge nicht mehr; ihr
Aufenthalt in dieser Stadt hatte sich auf eine wunderliche Weise verkürzt. Gestehen
wir überhaupt, daß Reisende, die sich aus ihrer häuslichen Beschränkung
entfernen, gewissermaßen in eine nicht nur fremde, sondern völlig
freie Natur einzutreten glauben; welchen Wahn man damals um so eher
hegen konnte, als man noch nicht durch polizeiliche Untersuchung der Pässe,
durch Zollabgaben und andere dergleichen Hindernisse jeden Augenblick
erinnert wurde, es sei draußen noch bedingter und schlimmer als zu
Hause. Vergegenwärtige
man sich zunächst jene unbedingte Richtung nach einer verwirklichten
Naturfreiheit, so wird man den jungen Gemütern verzeihen, welche die
Schweiz gerade als das rechte Lokal ansahen, ihre frische Jünglingsnatur
zu idyllisieren. Hatten doch Geßners zarte Gedichte, sowie seine
allerliebsten Radierungen hiezu am entschiedensten berechtigt. In
der Wirklichkeit nun scheint sich für solche poetische Äußerungen das
Baden in unbeengten Gewässern am allerersten zu qualifizieren. Schon
unterwegs wollten dergleichen Naturübungen nicht gut zu den modernen
Sitten paßlich erscheinen; man hatte sich ihrer auch einigermaßen
enthalten. In der Schweiz aber, beim Anblick und Feuchtgefühl des
rinnenden, laufenden, stürzenden, in der Fläche sich sammelnden, nach
und nach zum See sich ausbreitenden Gewässers war der Versuchung nicht
zu widerstehen. Ich selbst will nicht leugnen, daß ich mich im klaren
See zu baden mit meinen Gesellen vereinte und, wie es schien, weit genug
von allen menschlichen Blicken. Nackte Körper jedoch leuchten weit, und
wer es auch mochte gesehen haben, nahm Ärgernis daran. Die
guten harmlosen Jünglinge, welche gar nichts Anstößiges fanden, halb
nackt wie ein poetischer Schäfer, oder ganz nackt wie eine heidnische
Gottheit sich zu sehen, wurden von Freunden erinnert, dergleichen zu
unterlassen. Man machte ihnen begreiflich: sie weseten nicht in der
uranfänglichen Natur, sondern in einem Lande, das für gut und nützlich
erachtet habe, an älteren, aus der Mittelzeit sich herschreibenden
Einrichtungen und Sitten fest zu halten. Sie waren nicht abgeneigt, dies
einzusehen, besonders da vom Mittelalter die Rede war, welches ihnen als
eine zweite Natur verehrlich schien. Sie verließen daher die allzu
taghaften Seeufer und fanden auf ihren Spaziergängen durch das Gebirg
so klare, rauschende, erfrischende Gewässer, daß in der Mitte Juli es
ihnen unmöglich schien, einer solchen Erquickung zu widerstehen. So
waren sie auf ihren weitschweifenden Spaziergängen in das düstere Tal
gelangt, wo hinter dem Albis die Sihl strömend herabschießt, um sich
unterhalb Zürch in die Limmat zu ergießen. Entfernt von aller Wohnung,
ja von allem betretenen Fußpfad, fanden sie es hier ganz unverfänglich,
die Kleider abzuwerfen und sich kühnlich den schäumenden Stromwellen
entgegen zu setzen; dies geschah freilich nicht ohne Geschrei, nicht
ohne ein wildes, teils von der Kühlung, teils von dem Behagen
aufgeregtes Lustjauchzen, wodurch sie diese düster bewaldeten Felsen
zur idyllischen Szene einzuweihen den Begriff hatten. Allein,
ob ihnen frühere Mißwollende nachgeschlichen, oder ob sie sich durch
diesen dichterischen Tumult in der Einsamkeit selbst Gegner aufgerufen,
ist nicht zu bestimmen. Genug, sie mußten aus dem oberen stummen Gebüsch
herab Steinwurf auf Steinwurf erfahren, ungewiß ob von wenigen oder
mehrern, ob zufällig oder absichtlich, und sie fanden daher für das Klügste,
das erquickende Element zu verlassen und ihre Kleider zu suchen. Keiner
war getroffen; Überraschung und Verdruß war die geistige Beschädigung,
die sie erlitten hatten, und sie wußten, als lebenslustige Jünglinge,
die Erinnerung daran leicht abzuschütteln. Auf
Lavatern jedoch erstreckten sich die unangenehmsten Folgen, daß er
junge Leute von dieser Frechheit bei sich freundlich aufgenommen, mit
ihnen Spazierfahrten angestellt und sie sonst begünstigt, deren wildes,
unbändiges, ja heidnisches Naturell einen solchen Skandal in einer
gesitteten, wohlgeregelten Gegend anrichte. Der
geistliche Freund jedoch, wohl verstehend solche Vorkommenheiten zu
beschwichtigen, wußte dies auch beizulegen, und nach Abzug dieser
meteorisch Reisenden war schon bei unsrer Rückkehr alles ins gleiche
gebracht. In
dem Fragment von Werthers Reisen, welches in dem XVI. Bande meiner Werke
neuerlich wieder mit abgedruckt ist, habe ich diesen Gegensatz der
schweizerischen löblichen Ordnung und gesetzlichen Beschränkung mit
einem solchen, im jugendlichen Wahn geforderten Naturleben zu schildern
gesucht. Weil man aber alles, was der Dichter unbewunden darstellt,
gleich als entschiedene Meinung, als didaktischen Tadel aufzunehmen
pflegt; so waren die Schweizer deshalb sehr unwillig, und ich unterließ
die intentionierte Fortsetzung, welche das Herankommen Werthers bis zur
Epoche, wo seine Leiden geschildert sind, einigermaßen darstellen und
dadurch gewiß den Menschenkennern willkommen sein sollte. In
Zürch angelangt, gehörte ich Lavatern, dessen Gastfreundschaft ich
wieder ansprach, die meiste Zeit ganz allein. Die "Physiognomik"
lag mit allen ihren Gebilden und Unbilden dem trefflichen Manne mit
immer sich vermehrenden Lasten auf den Schultern. Wir verhandelten alles
den Umständen nach gründlich genug, und ich versprach ihm dabei nach
meiner Rückkehr die bisherige Teilnahme. Hiezu
verleitete mich das jugendlich unbedingte Vertrauen auf eine schnelle
Fassungskraft, mehr noch das Gefühl der willigsten Bildsamkeit; denn
eigentlich war die Art, womit Lavater die Physiognomien zergliederte,
nicht in meinem Wesen. Der Eindruck, den der Mensch beim ersten Begegnen
auf mich machte, bestimmte gewissermaßen mein Verhältnis zu ihm,
obgleich das allgemeine Wohlwollen, das in mir wirkte, gesellt zu dem
Leichtsinn der Jugend, eigentlich immer vorwaltete und mich die Gegenstände
in einer gewissen dämmernden Atmosphäre schauen ließ. Lavaters
Geist war durchaus imposant; in seiner Nähe konnte man sich einer
entscheidenden Einwirkung nicht erwehren, und so mußt' ich mir denn
gefallen lassen, Stirn und Nase, Augen und Mund einzeln zu betrachten,
und ebenso ihre Verhältnisse und Bezüge zu erwägen. Jener Seher tat
dies notgedrungen, um sich von dem, was er so klar anschaute,
vollkommene Rechenschaft zu geben; mir kam es immer als eine Tücke, als
ein Spionieren vor, wenn ich einen gegenwärtigen Menschen in seine
Elemente zerlegen und seinen sittlichen Eigenschaften dadurch auf die wo
Spur kommen wollte. Lieber hielt ich mich an sein Gespräch, in welchem
er nach Belieben sich selbst enthüllte. Hiernach will ich denn nicht
leugnen, daß es in Lavaters Nähe gewissermaßen bänglich war: denn
indem er sich auf physiognomischem Wege unsrer Eigenschaften bemächtigte,
so war er in der Unterredung Herr unsrer Gedanken, die er im Wechsel des
Gespräches mit einigem Scharfsinn gar leicht erraten konnte. Wer
eine Synthese recht prägnant in sich fühlt, der hat eigentlich das
Recht zu analysieren, weil er am äußeren Einzelnen sein inneres Ganze
prüft und legitimiert. Wie Lavater sich hiebei benommen, sei nur ein
Beispiel gegeben. Sonntags,
nach der Predigt, hatte er als Geistlicher die Verpflichtung, den
kurzgestielten Sammetbeutel jedem Heraustretenden vorzuhalten und die
milde Gabe segnend zu empfangen. Nun setzte er sich z.B. diesen Sonntag
die Aufgabe, keine Person anzusehen, sondern nur auf die Hände zu
achten und ihre Gestalt sich auszulegen. Aber nicht allein die Form der
Finger, sondern auch die Miene derselben beim Niederlassen der Gabe
entging nicht seiner Aufmerksamkeit, und er hatte mir viel davon zu eröffnen.
Wie belehrend und aufregend mußten mir solche Unterhaltungen werden,
mir, der ich doch auch auf dem Wege war, mich zum Menschenmaler zu
qualifizieren? Manche
Epoche meines nachherigen Lebens ward ich veranlaßt, über diesen Mann
zu denken, welcher unter die Vorzüglichsten gehört, mit denen ich zu
einem so vertrauten Verhältnis gelangte. Und so sind nachstehende Äußerungen
über ihn zu verschiedenen Zeiten geschrieben. Nach unsern auseinander
strebenden Richtungen mußten wir uns allmählich ganz und gar fremd
werden, und doch wollt' ich mir den Begriff von seinem vorzüglichen
Wesen nicht verkümmern lassen. Ich vergegenwärtigte mir ihn mehrmals,
und so entstanden diese Blätter, ganz unabhängig von einander, in
denen man Wiederholung, aber hoffentlich keinen Widerspruch finden wird. Lavater
war eigentlich ganz real gesinnt und kannte nichts Ideelles als unter
der moralischen Form; wenn man diesen Begriff festhält, wird man sich
über einen seltenen und seltsamen Mann am ersten aufklären. Seine
"Aussichten in die Ewigkeit" sind eigentlich nur Fortsetzungen
des gegenwärtigen Daseins, unter leichteren Bedingungen als die sind,
welche wir hier zu erdulden haben. Seine Physiognomik ruht auf der Überzeugung,
daß die sinnliche Gegenwart mit der geistigen durchaus zusammenfalle,
ein Zeugnis von ihr ablege, ja sie selbst vorstelle. Mit
den Kunstidealen konnte er sich nicht leicht befreunden, weil er, bei
seinem scharfen Blick, solchen Wesen die Unmöglichkeit, lebendig
organisiert zu sein, nur allzusehr ansah, und sie daher ins Fabelreich,
ja in das Reich des Monstrosen verwies. Seine unaufhaltsame Neigung, das
Ideelle verwirklichen zu wollen, brachte ihn in den Ruf eines Schwärmers,
ob er sich gleich überzeugt fühlte, daß niemand mehr auf das
Wirkliche dringe als er; deswegen er denn auch den Mißgriff in seiner
Denk- und Handelsweise niemals entdecken konnte. Nicht
leicht war jemand leidenschaftlicher bemüht anerkannt zu werden als er,
und vorzüglich dadurch eignete er sich zum Lehrer; gingen aber seine
Bemühungen auch wohl auf Sinnes- und Sittenbesserung anderer, so war
doch dies keineswegs das letzte, worauf er hinarbeitete. Um
die Verwirklichung der Person Christi war es ihm am meisten zu tun;
daher jenes beinahe unsinnige Treiben, ein Christusbild nach dem andern
fertigen, kopieren, nachbilden zu lassen, wovon ihm denn, wie natürlich,
keines genug tat. Seine
Schriften sind schon jetzt schwer zu verstehen, denn nicht leicht kann
jemand eindringen in das, was er eigentlich will. Niemand hat so viel
aus der Zeit und in die Zeit geschrieben als er, seine Schriften sind
wahre Tagesblätter, welche die eigentlichste Erläuterung aus der
Zeitgeschichte fordern; sie sind in einer Koteriesprache geschrieben,
die man kennen muß, um gerecht gegen sie zu sein, sonst wird dem verständigen
Leser manches ganz toll und abgeschmackt erscheinen, wie denn auch dem
Manne schon bei seinem Leben und nach demselben hierüber genügsame
Vorwürfe gemacht wurden. So
hatten wir ihm z.B. mit unserm Dramatisieren den Kopf so warm gemacht,
indem wir alles Vorkömmliche nur unter dieser Form darstellten und
keine andere wollten gelten lassen, daß er, hiedurch aufgeregt, in
seinem "Pontius Pilatus" mit Heftigkeit zu zeigen bemüht ist:
es gebe doch kein dramatischeres Werk als die Bibel; besonders aber die
Leidensgeschichte Christi sei für das Drama aller Dramen zu erklären. In
diesem Kapitel des Büchleins, ja in dem ganzen Werke überhaupt,
erscheint Lavater dem Pater Abraham von Santa Clara sehr ähnlich; denn
in diese Manier muß jeder Geistreiche verfallen, der auf den Augenblick
wirken will. Er hat sich nach den gegenwärtigen Neigungen,
Leidenschaften, nach Sprache und Terminologie zu erkundigen, um solche
alsdann zu seinen Zwecken zu brauchen, und sich der Masse anzunähern,
die er an sich heranziehen will. Da
er nun Christum buchstäblich auffaßte, wie ihn die Schrift, wie ihn
manche Ausleger geben, so diente ihm diese Vorstellung dergestalt zum
Supplement seines eignen Wesens, daß er den Gottmenschen seiner
individuellen Menschheit so lange ideell einverleibte, bis er zuletzt
mit demselben wirklich in eins zusammengeschmolzen, mit ihm vereinigt,
ja eben derselbe zu sein wähnen durfte. Durch
diesen entschiedenen bibelbuchstäblichen Glauben mußte er auch eine völlige
Überzeugung gewinnen, daß man ebenso gut noch heutzutage als zu jener
Zeit Wunder müsse ausüben können, und da es ihm vollends schon früh
gelungen war, in bedeutenden und dringenden Angelegenheiten, durch brünstiges
ja gewaltsames Gebet, im Augenblick eine günstige Umwendung schwer
bedrohender Unfälle zu erzwingen; so konnte ihn keine kalte
Verstandseinwendung im mindesten irre machen. Durchdrungen ferner von
dem großen Werte der durch Christum wieder hergestellten und einer glücklichen
Ewigkeit gewidmeten Menschheit, aber zugleich auch bekannt mit den
mannigfaltigen Bedürfnissen des Geistes und Herzens, mit dem
grenzenlosen Verlangen nach Wissen, selbst fühlend jene Lust, sich ins
Unendliche auszudehnen, wozu uns der gestirnte Himmel sogar sinnlich
einlädt, entwarf er seine "Aussichten in die Ewigkeit",
welche indes dem größten Teil der Zeitgenossen sehr wunderlich
vorkommen mochten. Alles
dieses Streben jedoch, alle Wünsche, alles Unternehmen ward von dem
physiognomischen Genie überwogen, das ihm die Natur zugeteilt hatte.
Denn wie der Probierstein, durch Schwärze und rauhglatte Eigenschaft
seiner Oberfläche, den Unterschied der aufgestrichenen Metalle
anzuzeigen am geschicktesten ist, so war auch er, durch den reinen
Begriff der Menschheit, den er in sich trug, und durch die scharfzarte
Bemerkungsgabe, die er erst aus Naturtrieb, nur obenhin, zufällig, dann
mit Überlegung, vorsätzlich und geregelt ausübte, im höchsten Grade
geeignet, die Besonderheiten einzelner Menschen zu gewahren, zu kennen,
zu unterscheiden, ja auszusprechen. Jedes Talent, das sich auf eine
entschiedene Naturanlage gründet, scheint uns etwas Magisches zu haben,
weil wir weder es selbst, noch seine Wirkungen einem Begriffe
unterordnen können. Und wirklich ging seine Einsicht in die einzelnen
Menschen über alle Begriffe; man erstaunte, wenn man über diesen oder
jenen vertraulich sprach, ja es war furchtbar, in der Nähe des Mannes
zu leben, dem jede Grenze deutlich erschien, in welche die Natur uns
Individuen einzuschränken beliebt hat. Jedermann
glaubt dasjenige mitteilbar, was er selbst besitzt, und so wollte
Lavater nicht nur für sich von dieser großen Gabe Gebrauch machen,
sondern sie sollte auch in andern aufgefunden, angeregt, sie sollte
sogar auf die Menge übertragen werden. Zu welchen dunklen und boshaften
Mißdeutungen, zu welchen albernen Späßen und niederträchtigen
Verspottungen diese auffallende Lehre reichlichen Anlaß gegeben, ist
wohl noch in einiger Menschen Gedächtnis, und es geschah dieses nicht
ganz ohne Schuld des vorzüglichen Mannes selbst: denn ob zwar die
Einheit seines inneren Wesens auf einer hohen Sittlichkeit ruhte, so
konnte er doch, mit seinen mannigfaltigen Bestrebungen, nicht zur äußern
Einheit gelangen, weil in ihm sich weder Anlage zur philosophischen
Sinnesweise, noch zum Kunsttalent finden wollte. Er war weder Denker
noch Dichter, ja nicht einmal Redner im eigentlichen Sinne. Keineswegs
imstande, etwas methodisch anzufassen, griff er das einzelne einzeln
sicher auf, und so stellte er es auch kühn nebeneinander. Sein großes
physiognomisches Werk ist hiervon ein auffallendes Beispiel und Zeugnis.
In ihm selbst mochte wohl der Begriff des sittlichen und sinnlichen
Menschen ein Ganzes bilden, aber außer sich wußte er ihn nicht
darzustellen, als nur wieder praktisch im einzelnen, so wie er das
einzelne im Leben aufgefaßt hatte. Eben
jenes Werk zeigt uns zum Bedauern, wie ein so scharfsinniger Mann in der
gemeinsten Erfahrung umhertappt, alle lebenden Künstler und Pfuscher
anruft, für charakterlose Zeichnungen und Kupfer ein unglaubliches Geld
ausgibt, um hinterdrein im Buche zu sagen, daß diese und jene Platte
mehr oder weniger mißlungen, unbedeutend und unnütz sei. Freilich schärft
er dadurch sein Urteil und das Urteil anderer, allein es beweist auch,
daß ihn seine Neigung trieb, Erfahrungen mehr aufzuhäufen als sich in
ihnen Luft und Licht zu machen. Eben daher konnte er niemals auf
Resultate losgehn, um die ich ihn öfters und dringend bat. Was er als
solche in späterer Zeit Freunden vertraulich mitteilte, waren für mich
keine: denn sie bestanden aus einer Sammlung von gewissen Linien und Zügen,
ja Warzen und Leberflecken, mit denen er bestimmte sittliche, öfters
unsittliche Eigenschaften verbunden gesehn. Es waren darunter
Bemerkungen zum Entsetzen; allein es machte keine Reihe, alles stand
vielmehr zufällig durcheinander, nirgends war eine Anleitung zu sehn,
oder eine Rückweisung zu finden. Ebenso wenig schriftstellerische
Methode oder Künstlersinn herrschte in seinen übrigen Schriften,
welche vielmehr stets eine leidenschaftlich heftige Darstellung seines
Denkens und Wollens enthielten, und das, was sie im ganzen nicht
leisteten, durch die herzlichsten geistreichsten Einzelnheiten jederzeit
ersetzten. Nachfolgende
Betrachtungen möchten wohl, gleichfalls auf jene Zustände bezüglich,
hier am rechten Orte eingeschaltet stehen. Niemand
gesteht gern andern einen Vorzug ein, solang er ihn nur einigermaßen
leugnen kann; Naturvorzüge aller Art sind am wenigsten zu leugnen, und
doch gestand der gemeine Redegebrauch damaliger Zeit nur dem Dichter
Genie zu. Nun aber schien auf einmal eine andere Welt aufzugehn, man
verlangte Genie vom Arzt, vom Feldherrn, vom Staatsmann und bald von
allen Menschen, die sich theoretisch oder praktisch hervorzutun dachten.
Zimmermann vorzüglich hatte diese Forderungen zur Sprache gebracht.
Lavater in seiner "Physiognomik" mußte notwendig auf eine
allgemeinere Verteilung der Geistesgaben aller Art hinweisen; das Wort
Genie ward eine allgemeine Losung, und weil man es so oft aussprechen hörte,
so dachte man auch, das, was es bedeuten sollte, sei gewöhnlich
vorhanden. Da nun aber jedermann Genie von anderen zu fordern berechtigt
war, so glaubte er es auch endlich selbst besitzen zu müssen. Es war
noch lange hin bis zu der Zeit, wo ausgesprochen werden konnte: daß
Genie diejenige Kraft des Menschen sei, welche, durch Handeln und Tun,
Gesetz und Regel gibt. Damals manifestierte sich's nur, indem es die
vorhandenen Gesetze überschritt, die eingeführten Regeln umwarf und
sich für grenzenlos erklärte. Daher war es leicht, genialisch zu sein,
und nichts natürlicher, als daß der Mißbrauch in Wort und Tat alle
geregelte Menschen aufrief, sich einem solchen Unwesen zu widersetzen. Wenn
einer zu Fuße, ohne recht zu wissen warum und wohin, in die Welt lief,
so hieß dies eine Geniereise, und, wenn einer etwas Verkehrtes ohne
Zweck und Nutzen unternahm, ein Geniestreich. Jüngere lebhafte, oft
wahrhaft begabte Menschen verloren sich ins Grenzenlose; ältere Verständige,
vielleicht aber Talent- und Geistlose, wußten dann mit höchster
Schadenfreude ein gar mannigfaltiges Mißlingen vor den Augen des
Publikums lächerlich darzustellen. Und
so fand ich mich fast mehr gehindert, mich zu entwickeln und zu äußern,
durch falsche Mit- und Einwirkung der Sinnesverwandten, als durch den
Widerstand der Entgegengesinnten. Worte, Beiworte, Phrasen zu Ungunsten
der höchsten Geistesgaben verbreiteten sich unter der geistlos
nachsprechenden Menge dergestalt, daß man sie noch jetzt im gemeinen
Leben hie und da von Ungebildeten vernimmt, ja daß sie sogar in die Wörterbücher
eindrangen, und das Wort Genie eine solche Mißdeutung erlitt, aus der
man die Notwendigkeit ableiten wollte, es gänzlich aus der deutschen
Sprache zu verbannen. Und
so hätten sich die Deutschen, bei denen überhaupt das Gemeine weit
mehr überhand zu nehmen Gelegenheit findet als bei anderen Nationen, um
die schönste Blüte der Sprache, um das nur scheinbar fremde, aber
allen Völkern gleich angehörige Wort vielleicht gebracht, wenn nicht
der durch eine tiefere Philosophie wieder neu gegründete Sinn fürs Höchste
und Beste sich wieder glücklich hergestellt hätte. In
dem Vorhergehenden ist von dem Jünglingsalter zweier Männer die Rede
gewesen, deren Andenken aus der deutschen Literatur- und
Sittengeschichte sich nimmer verlieren wird. In gemeldeter Epoche jedoch
lernen wir sie gewissermaßen nur aus ihren Irrschritten kennen, zu
denen sie durch eine falsche Tagsmaxime in Gesellschaft ihrer gleichjährigen
Zeitgenossen verleitet worden. Nunmehr aber ist nichts billiger, als daß
wir ihre natürliche Gestalt, ihr eigentliches Wesen geschätzt und
geehrt vorführen, wie solches eben damals in unmittelbarer Gegenwart
von dem durchdringenden Lavater geschehen, deshalb wir denn, weil die
schweren und teuren Bände des großen physiognomischen Werkes nur
wenigen unsrer Leser gleich zur Hand sein möchten, die merkwürdigen
Stellen, welche sich auf beide beziehen, aus dem zweiten Teile gedachten
Werkes, und dessen dreißigstem Fragmente, Seite 244, hier einzurücken
kein Bedenken tragen. "Die
Jünglinge, deren Bilder und Silhouetten wir hier vor uns haben, sind
die ersten Menschen, die mir zur physiognomischen Beschreibung saßen
und standen, wie, wer sich malen läßt, dem Maler sitzt. Ich
kannte sie sonst, die edeln - und ich machte den ersten Versuch, nach
der Natur und mit aller sonstigen Kenntnis, ihren Charakter zu
beobachten und zu beschreiben. - Hier
ist die Beschreibung des ganzen Menschen. Erstlich
des Jüngeren. Siehe
den blühenden Jüngling von 25 Jahren! das leichtschwebende,
schwimmende, elastische Geschöpfe! Es liegt nicht; es steht nicht; es
stemmt sich nicht; es fliegt nicht; es schwebt oder schwimmt. Zu
lebendig, um zu ruhen; zu locker, um fest zu stehen; zu schwer und zu
weich, um zu fliegen. Ein
Schwebendes also, das die Erde nicht berührt! In seinem ganzen Umrisse
keine völlig schlaffe Linie, aber auch keine gerade, keine gespannte,
keine fest gewölbte, hart gebogene; - kein eckichter Einschnitt; kein
felsiges Vorgebürge der Stirn; keine Härte, keine Steifigkeit; keine zürnende
Rohigkeit; keine drohende Obermacht; kein eiserner Mut - elastisch
reizbarer wohl, aber kein eiserner; kein fester, forschender Tiefsinn;
keine langsame Überlegung, oder kluge Bedächtlichkeit; nirgends der
Raisonneur mit der festgehaltenen Waagschale in der einen, dem Schwerte
in der andern Hand, und doch auch nicht die mindeste Steifheit im Blicke
und Urteile! und doch die völligste Geradheit des Verstandes, oder
vielmehr der unbefleckteste Wahrheitssinn! Immer der innige Empfinder,
nie der tiefe Ausdenker; nie der Erfinder, nie der prüfende Entwickler
der so schnellerblickten, schnellerkannten, schnellgeliebten,
schnellergriffenen Wahrheit .... Ewiger Schweber; Seher; Idealisierer;
Verschönerer. Gestalter aller seiner Ideen! Immer halbtrunkener
Dichter, der sieht, was er sehen will; - nicht der trübsinnig
schmachtende - nicht der hartzermalmende; - aber der hohe, edle,
gewaltige! der mit gemäßigtem 'Sonnendurst' in den Regionen der Luft
hin und her wallt, über sich strebt, und wieder - nicht zur Erde sinkt!
zur Erde sich stürzt, in des 'Felsenstromes' Fluten sich taucht und
sich wiegt 'im Donner der hallenden Felsen umher' - Sein Blick nicht
Flammenblick des Adlers! Seine Stirn und Nase nicht Mut des Löwen!
seine Brust - nicht Festigkeit des Streit wiehernden Pferdes! Im ganzen
aber viel von der schwebenden Gelenksamkeit des Elefanten ... Die
Aufgezogenheit seiner vorragenden Oberlippe gegen die unbeschnittene,
uneckige, vorhängende Nase zeigt, bei dieser Beschlossenheit des
Mundes, viel Geschmack und feine Empfindsamkeit; der untere Teil des
Gesichtes viel Sinnlichkeit, Trägheit, Achtlosigkeit. Der ganze Umriß
des Halbgesichtes Offenheit, Redlichkeit, Menschlichkeit, aber zugleich
leichte Verführbarkeit und einen hohen Grad von gutherziger
Unbedachtsamkeit, die niemanden als ihm selber schadet. Die Mittellinie
des Mundes ist in seiner Ruhe eines geraden, planlosen,
weichgeschaffenen, guten; in seiner Bewegung eines zärtlichen, feinfühlenden,
äußerst reizbaren, gütigen, edlen Menschen. Im Bogen der Augenlider
und im Glanze der Augen sitzt nicht Homer, aber der tiefste, innigste,
schnelleste Empfinder, Ergreifer Homers; nicht der epische, aber der
Odendichter; Genie, das quillt, umschafft, veredelt, bildet, schwebt,
alles in Heldengestalt zaubert, alles vergattlicht. - Die halbsichtbaren
Augenlider, von einem solchen Bogen, sind immer mehr feinfühlender
Dichter, als nach Plan schaffender, als langsam arbeitender Künstler;
mehr der verliebten, als der strengen. - Das ganze Angesicht des Jünglings
ist viel einnehmender und anziehender, als das um etwas zu lockere, zu
gedehnte Halbgesicht; das Vordergesicht zeugt bei der geringsten
Bewegung von empfindsamer, sorgfältiger, erfindender, ungelernter,
innerer Güte, und sanft zitternder, Unrecht verabscheuender, freiheitdürstender
Lebendigkeit. Es kann nicht den geringsten Eindruck von den vielen
verbergen, die es auf einmal, die es unaufhörlich empfängt. - Jeder
Gegenstand, der ein nahes Verhältnis zu ihm hat, treibt das Geblüt in
die Wangen und Nase; die jungfräulichste Schamhaftigkeit in dem Punkte
der Ehre verbreitet sich mit der Schnelle des Blitzes über die zart
bewegliche Haut. Die
Gesichtsfarbe, sie ist nicht die blasse des alles erschaffenden und
alles verzehrenden Genius; nicht die wildglühende des verachtenden
Vertreters; nicht die milchweiße des Blöden, nicht die gelbe des
Harten und Zähen; nicht die bräunliche des langsam fleißigen
Arbeiters; aber die weißrötlichte, violette, so sprechend und so
untereinander wallend, so glücklich gemischt, wie die Stärke und Schwäche
des ganzen Charakters. - Die Seele des Ganzen und eines jeden besonderen
Zuges ist Freiheit, ist elastische Betriebsamkeit, die leicht fortstößt
und leicht zurückgestoßen wird. Großmut und aufrichtige Heiterkeit
leuchten aus dem ganzen Vordergesichte und der Stellung des Kopfes. -
Unverderblichkeit der Empfindung, Feinheit des Geschmacks, Reinheit des
Geistes, Güte und Adel der Seele, betriebsame Kraft, Gefühl von Kraft
und Schwäche scheinen so alldurchdringend im ganzen Gesichte durch, daß
das sonst mutige Selbstgefühl sich dadurch in edle Bescheidenheit auflöst,
und der natürliche Stolz und die Jünglingseitelkeit sich ohne Zwang
und Kunst in diesem herrlich spielenden All liebenswürdig verdämmert.
- Das weißliche Haar, die Länge und Unbehaglichkeit der Gestalt, die
sanfte Leichtigkeit des Auftritts, das Hin- und Herschweben des Ganges,
die Fläche der Brust, die weiße faltenlose Stirn, und noch
verschiedene andere Ausdrücke verbreiten über den ganzen Menschen eine
gewisse Weiblichkeit, wodurch die innere Schnellkraft gemäßigt, und
dem Herzen jede vorsätzliche Beleidigung und Niederträchtigkeit ewig
unmöglich gemacht, zugleich aber auch offenbar wird, daß der mutund
feuervolle Poet, mit allem seinem unaffektierten Durste nach Freiheit
und Befreiung, nicht bestimmt ist, für sich allein ein fester, Plan
durchsetzender, ausharrender Geschäftsmann, oder in der blutigen
Schlacht unsterblich zu werden. Und nun erst am Ende merk' ich, daß ich
von dem Auffallendsten noch nichts gesagt; nichts von der edlen, von
aller Affektation reinen Simplizität! Nichts von der Kindheit des
Herzens! Nichts von dem gänzlichen Nichtgefühle seines äußerlichen
Adels! Nichts von der unaussprechlichen Bonhomie, mit welcher er Warnung
und Tadel, sogar Vorwürfe und Unrecht, annimmt und duldet. Doch,
wer will ein Ende finden, von einem guten Menschen, in dem so viele
reine Menschheit ist, alles zu sagen, was an ihm wahrgenommen oder
empfunden wird! Beschreibung
des Älteren. Was
ich von dem jüngern Bruder gesagt - wie viel davon kann auch von diesem
gesagt werden! Das Vornehmste, das ich anmerken kann, ist dies: Diese
Figur und dieser Charakter sind mehr gepackt und weniger gedehnt, als
die vorige. Dort alles länger und flächer, hier alles kürzer,
breiter, gewölbter, gebogener; dort alles lockerer, hier beschnittener.
So die Stirn; so die Nase; so die Brust; zusammengedrängter,
lebendiger, weniger verbreitete, mehr zielende Kraft und Lebendigkeit!
Sonst dieselbe Liebenswürdigkeit und Bonhomie! Nicht die auffallende
Offenheit; mehr Verschlagenheit, aber im Grunde, oder vielmehr in der
Tat, eben dieselbe Ehrlichkeit. Derselbe unbezwingbare Abscheu gegen
Unrecht und Bosheit; dieselbe Unversöhnlichkeit mit allem, was Ränk'
und Tücke heißt; dieselbe Unerbittlichkeit gegen Tyrannei und
Despotisme; dasselbe reine, unbestechliche Gefühl für alles Edle,
Gute, Große; dasselbe Bedürfnis der Freundschaft und Freiheit,
dieselbe Empfindsamkeit und edle Ruhmbegierde; dieselbe Allgemeinheit
des Herzens für alle gute, weise, einfältige, kraftvolle, berühmte
oder unberühmte, gekannte oder mißkannte Menschen; - und - dieselbe
leichtsinnige Unbedachtsamkeit. Nein! nicht gerade dieselbe. Das Gesicht
ist beschnittener, angezogener, fester; hat mehr innere, sich leicht
entwickelnde Geschicklichkeit zu Geschäften und praktischen
Beratschlagungen; mehr durchsetzenden Mut, der sich besonders in den
stark vordringenden, stumpf abgerundeten Knochen der Augen zeigt. Nicht
das aufquillende, reiche, reine, hohe Dichtergefühl; nicht die schnelle
Leichtigkeit der produktiven Kraft des andern. Aber dennoch, wiewohl in
tiefern Regionen, lebendig, richtig, innig. Nicht das luftige, in
morgenrötlichem Himmel dahin schwebende, Gestalten bildende Lichtgenie.
Mehr innere Kraft, vielleicht weniger Ausdruck! mehr gewaltig und
furchtbar - weniger prächtig und rund; obgleich seinem Pinsel weder Färbung
noch Zauber fehlt. - Mehr Witz und rasende Laune; drollichter Satyr;
Stirn, Nase, Blick - alles so herab, so vorhängend; recht entscheidend
für originellen, allbelebenden Witz, der nicht von außenher
einsammelt, sondern von innen herauswirft. Überhaupt ist alles an
diesem Charakter vordringender, eckiger, angreifender, stürmender! -
Nirgends Plattheit, nirgends Erschlaffung, ausgenommen im zusinkenden
Auge, wo Wollust, wie in Stirn und Nase - hervorspringt. Sonst selbst in
dieser Stirne, dieser Gedrängtheit von allem - diesem Blick sogar -
untrügbarer Ausdruck von ungelernter Größe; Stärke, Drang der
Menschheit; Ständigkeit, Einfachheit, Bestimmtheit! -" Nachdem
ich sodann in Darmstadt Mercken seinen Triumph gönnen müssen, daß er
die baldige Trennung von der fröhlichen Gesellschaft vorausgesagt
hatte, fand ich mich wieder in Frankfurt, wohl empfangen von jedermann,
auch von meinem Vater, ob dieser gleich seine Mißbilligung, daß ich
nicht nach Airolo hinabgestiegen, ihm meine Ankunft in Mailand gemeldet
habe, zwar nicht ausdrücklich aber stillschweigend merken ließ,
besonders auch keine Teilnahme an jenen wilden Felsen, Nebelseen und
Drachennestern im mindesten beweisen konnte. Nicht im Gegensatz, aber
gelegentlich, ließ er doch merken, was denn eigentlich an allem dem zu
haben sei; wer Neapel nicht gesehn, habe nicht gelebt. Ich
vermied nicht und konnte nicht vermeiden, Lili zu sehen, es war ein
schonender zarter Zustand zwischen uns beiden. Ich war unterrichtet, man
habe sie in meiner Abwesenheit völlig überzeugt, sie müsse sich von
mir trennen, und dieses sei um so notwendiger, ja tunlicher, weil ich
durch meine Reise und eine ganz willkürliche Abwesenheit mich genugsam
selbst erklärt habe. Dieselben Lokalitäten jedoch in Stadt und auf dem
Land, dieselben Personen, mit allem Bisherigen vertraut, ließen denn
doch kaum die beiden noch immer Liebenden, obgleich auf eine wundersame
Weise auseinander Gezogenen, ohne Berührung. Es war ein verwünschter
Zustand, der sich in einem gewissen Sinne dem Hades, dem Zusammensein
jener glücklich-unglücklichen Abgeschiedenen, verglich. Es
waren Augenblicke, wo die vergangenen Tage sich wieder herzustellen
schienen, aber gleich, wie wetterleuchtende Gespenster, verschwanden. Wohlwollende
hatten mir vertraut, Lili habe geäußert, indem alle die Hindernisse
unsrer Verbindung ihr vorgetragen worden: sie unternehme wohl, aus
Neigung zu mir alle dermaligen Zustände und Verhältnisse aufzugeben
und mit nach Amerika zu gehen. Amerika war damals vielleicht noch mehr
als jetzt das Eldorado derjenigen, die in ihrer augenblicklichen Lage
sich bedrängt fanden. Aber
eben das, was meine Hoffnungen hätte beleben sollen, drückte sie
nieder. Mein schönes väterliches Haus, nur wenig hundert Schritte von
dem ihrigen, war doch immer ein leidlicher zu gewinnender Zustand, als
die über das Meer entfernte ungewisse Umgebung; aber ich leugne nicht,
in ihrer Gegenwart traten alle Hoffnungen, alle Wünsche wieder hervor,
und neue Unsicherheiten bewegten sich in mir. Freilich
sehr verbietend und bestimmt waren die Gebote meiner Schwester; sie
hatte mir mit allem verständigem Gefühl, dessen sie fähig war, die
Lage nicht nur ins klare gesetzt, sondern ihre wahrhaft schmerzlich mächtigen
Briefe verfolgten immer mit kräftigerer Ausführung denselbigen Text.
"Gut", sagte sie, "wenn ihr's nicht vermeiden könntet,
so müßtet ihr's ertragen; dergleichen muß man dulden, aber nicht wählen."
Einige Monate gingen hin in dieser unseligsten aller Lagen; alle
Umgebungen hatten sich gegen diese Verbindung gestimmt; in ihr allein,
glaubt' ich, wußt' ich, lag eine Kraft, die das alles überwältigt hätte. Beide
Liebende, sich ihres Zustandes bewußt, vermieden, sich allein zu
begegnen; aber herkömmlicherweise konnte man nicht umgehen, sich in
Gesellschaft zu finden. Da war mir denn die stärkste Prüfung
auferlegt, wie eine edel fühlende Seele einstimmen wird, wenn ich mich
näher erkläre. Gestehen wir im allgemeinen, daß bei einer neuen
Bekanntschaft, einer neu sich anknüpfenden Neigung über das
Vorhergegangene der Liebende gern einen Schleier zieht; die Neigung kümmert
sich um keine Antezedentien, und wie sie blitzschnell genialisch
hervortritt, so mag sie weder von Vergangenheit noch Zukunft wissen.
Zwar hatte sich meine nähere Vertraulichkeit zu Lili gerade dadurch
eingeleitet, daß sie mir von ihrer frühern Jugend erzählte: wie sie
von Kind auf durchaus manche Neigung und Anhänglichkeit, besonders auch
in fremden ihr lebhaftes Haus Besuchenden, erregt und sich daran ergötzt
habe, obgleich ohne weitere Folge und Verknüpfung. Wahrhaft
Liebende betrachten alles, was sie bisher empfunden, nur als
Vorbereitung zu ihrem gegenwärtigen Glück, nur als Base, worauf sich
erst ihr Lebensgebäude erheben soll. Vergangene Neigungen erscheinen
wie Nachtgespenster, die sich vor dem anbrechenden Tage wegschleichen. Aber
was ereignete sich! Die Messe kam, und so erschien der Schwarm jener
Gespenster in ihrer Wirklichkeit; alle Handelsfreunde des bedeutenden
Hauses kamen nach und nach heran, und es offenbarte sich schnell, daß
keiner einen gewissen Anteil an der liebenswürdigen Tochter völlig
aufgeben wollte noch konnte. Die Jüngeren, ohne zudringlich zu sein,
erschienen doch als Wohlbekannte, die Mittleren, mit einem gewissen
verbindlichen Anstand, wie solche, die sich beliebt machen und
allenfalls mit höheren Ansprüchen hervortreten möchten. Es waren schöne
Männer darunter, mit dem Behagen eines gründlichen Wohlstandes. Nun
aber die alten Herren waren ganz unerträglich mit ihren Onkelsmanieren,
die ihre Hände nicht im Zaum hielten, und bei widerwärtigem Tätscheln
sogar einen Kuß verlangten, welchem die Wange nicht versagt wurde; ihr
war so natürlich, dem allen anständig zu genügen. Allein auch die
Gespräche erregten manches bedenkliche Erinnern. Von jenen Lustfahrten
wurde gesprochen zu Wasser und zu Lande, von mancherlei Fährlichkeiten
mit heiterem Ausgang, von Bällen und Abendpromenaden, von Verspottung lächerlicher
Werber, und was nur eifersüchtiger Ärger in dem Herzen des trostlos
Liebenden aufregen konnte, der gleichsam das Fazit so vieler Jahre auf
eine Zeitlang an sich gerissen hatte. Aber unter diesem Zudrang, in
dieser Bewegung, versäumte sie den Freund nicht, und wenn sie sich zu
ihm wendete, so wußte sie mit wenigem das Zarteste zu äußern, was der
gegenseitigen Lage völlig geeignet schien. Doch!
Wenden wir uns von dieser noch in der Erinnerung beinahe unerträglichen
Qual zur Poesie, wodurch einige geistreich herzliche Linderung in den
Zustand eingeleitet wurde. "Lilis
Park" mag ohngefähr in diese Epoche gehören; ich füge das
Gedicht hier nicht ein, weil es jenen zarten empfindlichen Zustand nicht
ausdrückt, sondern nur, mit genialer Heftigkeit, das Widerwärtige zu
erhöhen und durch komisch ärgerliche Bilder das Entsagen in
Verzweiflung umzuwandeln trachtet. Nachstehendes
Lied drückt eher die Anmut jenes Unglücks aus, und sei deshalb hier
eingeschaltet: Ihr
verblühet, süße Rosen, Jener
Tage denk' ich trauernd, Alle
Blüten, alle Früchte Ihr
verblühet, süße Rosen, Die
Oper "Erwin und Elmire" war aus Goldsmiths liebenswürdiger,
im "Landprediger von Wakefield" eingefügter Romanze
entstanden, die uns in den besten Zeiten vergnügt hatte, wo wir nicht
ahneten, daß uns etwas Ähnliches bevorstehe. Schon
früher hab ich einige poetische Erzeugnisse jener Epoche eingeschaltet,
und wünschte nur, es hätten sich alle zusammen erhalten. Eine fortwährende
Aufregung in glücklicher Liebeszeit, gesteigert durch eintretende
Sorge, gab Anlaß zu Liedern, die durchaus nichts Überspanntes, sondern
immer das Gefühl des Augenblicks aussprachen. Von geselligen
Festliedern bis zur kleinsten Geschenksgabe, alles war lebendig, mitgefühlt
von einer gebildeten Gesellschaft; erst froh, dann schmerzlich, und
zuletzt kein Gipfel des Glücks, kein Abgrund des Wehes, dem nicht ein
Laut wäre gewidmet gewesen. Alle
diese innern und äußern Ereignisse, insofern sie meinen Vater hätten
unangenehm berühren können, welcher jene erste ihm anmutig zusagende
Schwiegertochter immer weniger hoffen konnte in sein Haus eingeführt zu
sehen, wußte meine Mutter auf das klügste und tätigste abzuwenden.
Diese Staatsdame aber, wie er sie im Vertrauen gegen seine Gattin zu
nennen pflegte, wollte ihn keineswegs anmuten. Indessen
ließ er dem Handel seinen Gang und setzte seine kleine Kanzlei recht
emsig fort. Der junge Rechtsfreund, sowie der gewandte Schreiber
gewannen unter seiner Firma immer mehr Ausdehnung des Bodens. Da nun,
wie bekannt, der Abwesende nicht vermißt wird, so gönnten sie mir
meine Pfade, und suchten sich immer mehr auf einem Boden festzusetzen,
auf dem ich nicht gedeihen sollte. Glücklicherweise
trafen meine Richtungen mit des Vaters Gesinnungen und Wünschen
zusammen. Er hatte einen so großen Begriff von meinem dichterischen
Talent, so viel eigene Freude an der Gunst, die meine ersten Arbeiten
erworben hatten, daß er mich oft unterhielt über Neues und fernerhin
Vorzunehmendes. Hingegen von diesen geselligen Scherzen,
leidenschaftlichen Dichtungen durft ich ihn nichts merken lassen. Nachdem
ich im "Götz von Berlichingen" das Symbol einer bedeutenden
Weltepoche nach meiner Art abgespiegelt hatte, sah ich mich nach einem
ähnlichen Wendepunkt der Staatengeschichte sorgfältig um. Der Aufstand
der Niederlande gewann meine Aufmerksamkeit; in "Götz" war es
ein tüchtiger Mann, der untergeht in dem Wahn: zu Zeiten der Anarchie
sei der wohlwollende Kräftige von einiger Bedeutung. Im
"Egmont" waren es festgegründete Zustände, die sich vor
strenger, gut berechneter Despotie nicht halten können. Meinen Vater
hatte ich davon auf das lebhafteste unterhalten, was zu tun sei, was ich
tun wolle, daß ihm dies so unüberwindliches Verlangen gab, dieses in
meinem Kopf schon fertige Stück auf dem Papiere, es gedruckt, es
bewundert zu sehen. Hatt
ich in den frühern Zeiten, da ich noch hoffte, Lili mir zuzueignen,
meine ganze Tätigkeit auf Einsicht und Ausübung bürgerlicher Geschäfte
gewendet, so traf es gerade jetzt, daß ich die fürchterliche Lücke,
die mich von ihr trennte, durch Geistreiches und Seelenvolles auszufüllen
hatte. Ich fing also wirklich "Egmont" zu schreiben an, und
zwar nicht wie den ersten "Götz von Berlichingen" in Reih und
Folge, sondern ich griff nach der ersten Einleitung gleich die
Hauptszenen an, ohne mich um die allenfallsigen Verbindungen zu bekümmern.
Damit gelangte ich weit, indem ich bei meiner läßlichen Art zu
arbeiten von meinem Vater, es ist nicht übertrieben, Tag und Nacht
angespornt wurde, da er das so leicht Entstehende auch leicht vollendet
zu sehen glaubte.
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Wolfgang
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