Zeittafel
zu Leben und Werk
1786 - 1793
Dieses Symbol verweist jeweils auf weiterführende Texte Goethes, insbesondere auf seine autobiographischen Schriften "Dichtung und Wahrheit"
und "Italienische Reise" bzw. auf Eckermanns
"Gespräche mit Goethe".
Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde. [1]
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1786 |
Friedrich
II. stirbt.
Am 3. September reist Goethe
heimlich und inkognito als Maler Möller von Karlsbad nach Italien ab. Zunächst geht sein Weg über München,
Innsbruck, Verona und Padua nach Venedig, wo er zwei Wochen bleibt.
Schon beim Übergang über den Brenner findet er interessante
Anregungen für seine Pflanzenstudien und für sein langsam
heranreifendes Modell einer Urpflanze, die als
bildendes geistiges Prinzip allen natürlichen Pflanzen
zugrunde liegen soll:
Zu meiner Welterschaffung habe ich manches erobert, doch
nichts ganz Neues und Unerwartetes. Auch habe ich viel geträumt
von dem Modell, wovon ich so lange rede, woran ich so gern
anschaulich machen möchte, was in meinem Innern herumzieht,
und was ich nicht jedem in der Natur vor Augen stellen kann...
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Goethe in der Campagna
J.W.H. Tischbein, 1787
Städelsches Kunstinstitut
Frankfurt a.M.
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Die Pflanzen betreffend, fühl' ich noch sehr meine Schülerschaft.
Bis München glaubt' ich wirklich nur die gewöhnlichen zu sehen.
Freilich war meine eilige Tag- und Nachtfahrt solchen feinern
Beobachtungen nicht günstig. Nun habe ich zwar meinen Linné
bei mir und seine Terminologie wohl eingeprägt, wo soll aber
Zeit und Ruhe zum Analysieren herkommen, das ohnehin, wenn ich
mich recht kenne, meine Stärke niemals werden kann? Daher schärf'
ich mein Auge aufs Allgemeine, und als ich am Walchensee die
erste Gentiana sah, fiel mir auf, daß ich auch bisher zuerst
am Wasser die neuen Pflanzen fand.
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Was mich noch aufmerksamer machte, war der Einfluß, den
die Gebirgshöhe auf die Pflanzen zu haben schien. Nicht nur
neue Pflanzen fand ich da, sondern Wachstum der alten verändert;
wenn in der tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und
mastiger waren, die Augen näher aneinander standen und die Blätter
breit waren, so wurden höher ins Gebirg hinauf Zweige und
Stengel zarter, die Augen rückten auseinander, so daß von
Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum stattfand und die
Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ich bemerkte dies bei
einer Weide und einer Gentiana und überzeugte mich, daß es
nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walchensee
bemerkte ich längere und schlankere Binsen als im Unterlande.
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Einen tiefen Einblick in die
Seelenstimmung Goethes, durch die er sich innigst mit der
Natur verbunden wusste, gibt uns sein großer Prosahymnus über
Die
Natur, der etwa zu jener Zeit entstand:
Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen - unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hinein zu kommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.
Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht wieder - alles ist neu, und doch immer das Alte...
Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich....
Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur. Sie hat sich einen eigenen allumfassenden Sinn vorbehalten, den ihr niemand abmerken kann....
Ihr Schauspiel ist immer neu, weil sie immer neue Zuschauer schafft. Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben....
Ihre Krone ist die Liebe. Nur durch sie kommt man ihr nahe. Sie macht Klüfte zwischen allen Wesen, und alles will sich verschlingen. Sie hat alles isoliert, um alles
zusammenzuziehen. Durch ein paar Züge aus dem Becher der Liebe hält sie für ein Leben voll Mühe schadlos....
Jedem erscheint sie in einer eignen Gestalt. Sie verbirgt sich in tausend Namen und Termen, und ist immer dieselbe.
Sie hat mich hereingestellt, sie wird mich auch herausführen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten. Sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr. Nein, was wahr ist und was falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst.
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Am 24. Mai 1828 schrieb Goethe
über diesen Aufsatz an den Kanzler von Müller:
Jener Aufsatz ist mit vor kurzem aus der brieflichen Verlassenschaft der ewig verehrten Herzogin Anna Amalia mitgeteilt worden; er ist von einer wohlbekannten Hand geschrieben, deren ich mich in den Achtziger Jahren in meinen Geschäften zu bedienen pflegte.
Daß ich diese Betrachtungen verfaßt, kann ich mich faktisch zwar nicht erinnern, allein sie stimmen mit den Vorstellungen wohl überein, zu denen sich mein Geist damals ausgebildet hatte. Ich möchte die Stufe damaliger Einsicht einen Komparativ nennen, der seine Richtung gegen einen noch nicht erreichten Superlativ zu äußern gedrängt ist. Man sieht die Neigung zu einer Art von Pantheismus, indem den Welterscheinungen ein unerforschliches, unbedingtes, humoristisches, sich selbst widersprechendes Wesen zum Grunde gedacht ist, und mag als Spiel, dem es bitterer Ernst ist, gar wohl gelten.
Die Erfüllung aber, die ihm fehlt, ist die Anschauung der zwei großen Triebräder aller Natur: der Begriff von Polarität und von Steigerung, jene der Materie, insofern wir sie materiell, diese ihr dagegen, insofern wir sie geistig denken, angehörig; jene ist in immerwährendem Anziehen und Abstoßen, diese in immerstrebendem Aufsteigen. Weil aber die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, so wie sich's der Geist nicht nehmen läßt, anzuziehen und abzustoßen; wie derjenige nur allein zu denken vermag, der genugsam getrennt hat, um zu verbinden, genugsam verbunden hat, um wieder trennen zu mögen...
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Im Oktober reist Goethe weiter über Bologna und Florenz nach
Rom und kommt dort am 29. Oktober an. Hier findet er Kontakt zu einem Kreis deutscher Künstler,
darunter die Maler Angelika Kauffmann
(Werke)
und Wilhelm
Tischbein (Werke). Unter dem überwältigenden Eindruck der
antiken Kunst und Literatur
wird hier die Deutsche Klassik eingeläutet.
Besonders beeindruckt ist Goethe auch von den Werken Raffaels:
Trifft man denn gar wieder einmal auf eine Arbeit von Raffael, oder die ihm wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird, so ist man gleich vollkommen geheilt und froh. So habe ich eine heilige Agathe gefunden, ein kostbares, obgleich nicht ganz wohl erhaltenes Bild. Der Künstler hat ihr eine gesunde, sichere Jungfräulichkeit gegeben, doch ohne Kälte und Roheit. Ich habe mir die Gestalt wohl gemerkt und werde ihr im Geist meine »Iphigenie« vorlesen und meine Heldin nichts sagen lassen, was diese Heilige nicht aussprechen möchte.
Iphigenie auf Tauris (in
Versen) ist das erste Werk der Deutschen Klassik. Die
Königstochter Iphigenie ist
nach
Tauris versetzt, ins Reich des Sythenkönigs Thoas, wo sie als
Tempelpriesterin lebt. Von dort wird sie von ihrem Bruder Orest
in die Heimat zurückgeholt, nachdem sie wie mit Engelszungen
in dem rohen Barbarenkönig Thoas, der sie zuerst nicht gehen
lassen wollte, tiefe Gefühle der Menschlichkeit erweckt hat.
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Am 1. November schreibt Goethe in seiner
später veröffentlichten Italienischen
Reise:
Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt! Wenn ich sie in guter Begleitung, angeführt von einem recht verständigen Manne, vor funfzehn Jahren gesehen hätte, wollte ich mich glücklich preisen. Sollte ich sie aber allein, mit eignen Augen sehen und besuchen, so ist es gut, daß mir diese Freude so spät zuteil ward. Über das Tiroler Gebirg bin ich gleichsam weggezogen. Verona,
Vicenz, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna flüchtig und Florenz kaum gesehen. Die Begierde, nach Rom zu kommen, war so groß, wuchs so sehr mit jedem Augenblicke, daß kein Bleiben mehr war, und ich mich nur drei Stunden in Florenz aufhielt. Nun bin ich hier und ruhig und, wie es scheint, auf mein ganzes Leben beruhigt. Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in- und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend
seh' ich nun lebendig; die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere (mein Vater hatte die Prospekte von Rom auf einem Vorsaale aufgehängt),
seh' ich nun in Wahrheit, und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten, in Gips und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir; wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; es ist alles, wie ich mir's dachte, und alles neu. Ebenso kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, daß sie für neu gelten können.
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Goethe aus einem Fenster
seiner römischen Wohnung auf den zwei Stock unter ihm
liegenden Corso blickend.
Aquarell und Bleistift über Kreide von Wilhelm Tischbein,
1787
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In Rom
studiert Goethe ausführlich die Werke
Raffaels,
in denen sich so überwältigend jene menschliche
Seelenreinheit widerspiegelt, der auch er unermüdlich
schaffend in seinen Werken nachstrebt. Raffaels Bilder sind
ihm der vollkommene Ausdruck eines überkonfessionellen,
zukunftsweisenden Christentums, das auch ihm vorschwebt.
Die Logen von Raffael und die großen Gemälde der »Schule von Athen« etc. hab' ich nur erst einmal gesehen, und da ist's, als wenn man den Homer aus einer zum Teil verloschenen, beschädigten Handschrift heraus studieren sollte. Das Vergnügen des ersten Eindrucks ist unvollkommen, nur wenn man nach und nach alles recht durchgesehn und studiert hat, wird der Genuß ganz.
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Gemeinsam
mit Tischbein besucht er die von Michelangelo
(Werke)
ausgestaltete Sixtinische
Kapelle:
Dann gingen wir in die Sixtinische Kapelle, die wir auch hell und heiter, die Gemälde wohlerleuchtet fanden. Das »Jüngste Gericht« und die mannigfaltigen Gemälde der Decke, von Michelangelo, teilten unsere Bewunderung. Ich konnte nur sehen und anstaunen. Die innere Sicherheit und Männlichkeit des Meisters, seine Großheit geht über allen Ausdruck.
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1787 |
Goethe
erlebt den Karneval in Rom und macht ausgiebige Gesteins- und
Pflanzenstudien in Neapel und Sizilien:
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Palermo, Sonnabend, den 7. April 1787. In dem öffentlichen
Garten unmittelbar an der Reede brachte ich im stillen die
vergnügtesten Stunden zu. Es ist der wunderbarste Ort von der
Welt. Regelmäßig angelegt, scheint er uns doch feenhaft; vor
nicht gar langer Zeit gepflanzt, versetzt er ins Altertum. Grüne
Beeteinfassungen umschließen fremde Gewächse,
Zitronenspaliere wölben sich zum niedlichen Laubengange, hohe
Wände des Oleanders, geschmückt von tausend roten
nelkenhaften Blüten, locken das Auge. Ganz fremde, mir
unbekannte Bäume, noch ohne Laub, wahrscheinlich aus wärmern
Gegenden, verbreiten seltsame Zweige. Eine hinter dem flachen
Raum erhöhte Bank läßt einen so wundersam verschlungenen
Wachstum übersehen und lenkt den Blick zuletzt auf große
Bassins, in welchen Gold- und Silberfische sich gar lieblich
bewegen, bald sich unter bemooste Röhren verbergen, bald
wieder scharenweise durch einen Bissen Brot gelockt, sich
versammeln. An den Pflanzen erscheint durchaus ein Grün, das
wir nicht gewohnt sind, bald gelblicher, bald blaulicher als
bei uns. Was aber dem Ganzen die wundersamste Anmut verlieh,
war ein starker Duft, der sich über alles gleichförmig
verbreitete, mit so merklicher Wirkung, daß die Gegenstände,
auch nur einige Schritte hintereinander entfernt, sich
entschiedener hellblau voneinander absetzten, so daß ihre
eigentümliche Farbe zuletzt verlorenging, oder wenigstens
sehr überbläut sie sich dem Auge darstellten.
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Johann Wolfgang von
Goethe
Angelika Kauffmann, 1787/88
Goethe-Nationalmuseum
Weimar
Quelle: biblint.de
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Goethe besteigt den
Vesuv und kehrt schließlich zurück nach Rom. Zuvor,
im
Botanischen Garten von Palermo, leuchtet ihm die
ausgereifte Idee der Urpflanze
erstmals völlig klar vor dem geistigen Auge auf, die nun das zentrale Prinzip seiner Metamorphosenlehre
der Pflanzen wird:
Palermo, Dienstag, den 17.
April 1787. Es ist ein wahres Unglück, wenn man von vielerlei
Geistern verfolgt und versucht wird! Heute früh ging ich mit
dem festen, ruhigen Vorsatz, meine dichterischen Träume
fortzusetzen, nach dem öffentlichen Garten, allein eh' ich
mich's versah, erhaschte mich ein anderes Gespenst, das mir
schon diese Tage nachgeschlichen. Die vielen Pflanzen, die ich
sonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte Zeit des
Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen
hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre
Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher. Im
Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes fiel mir
die alte Grille wieder ein, ob ich nicht unter dieser Schar
die Urpflanze entdecken könnte. Eine solche muß es denn doch
geben! Woran würde ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes
Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem
Muster gebildet wären? Am 17. Mai
berichtet er an Herder:
Ferner muß ich Dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin und daß es das einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel kann man die schönsten Beobachtungen machen. Den Hauptpunkt, wo der Keim steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden; alles übrige
seh' ich auch schon im ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt, die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen.
Italienische Reise, 17. Mai 1787
Eng verbunden mit Goethes
Naturverständnis ist auch seine Kunstauffassung. In beiden,
in Natur und Kunst, scheinen ihm ein und dieselben Gesetze zu
wirken, nur auf verschiedenen Stufen. In der Kunst darf nicht
willkürliche Phantasterei herrschen, sondern große
Daseinsgesetze müssen sich darin aussprechen, die ewig
verborgen blieben, wenn sie nicht durch die Kunst offenbart
würden. In der Natur sind dieses Gesetze bis zu einem
gewissen Grad sichtbar geworden; die Kunst setzt das Naturwerk
fort und macht bildhaft offenbar, was noch verborgen
als Möglichkeit in ihr ruht. Angesichts der Kunst der
Griechen, die er hier in Rom in Form von Repliken
allgegenwärtig vor seinem Auge hat, beginnt er deren
Kunstgeheimnis zu ahnen:
Ich habe eine Vermutung, daß sie nach eben den Gesetzen
verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf
der Spur bin. Nur ist noch etwas anders dabei, das ich nicht
auszusprechen wüßte.
Italienische Reise, 28. Januar 1787
So viel ist gewiß, die alten Künstler haben ebenso große
Kenntnis der Natur und einen ebenso sichern Begriff von dem,
was sich vorstellen läßt und wie es vorgestellt werden muß,
gehabt als Homer. Leider ist die Anzahl der Kunstwerke der
ersten Klasse gar zu klein. Wenn man aber auch diese sieht, so
hat man nichts zu wünschen, als sie recht zu erkennen und
dann in Friede hinzufahren. Diese hohen Kunstwerke sind
zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren
und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles
Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen, da ist die
Notwendigkeit, da ist Gott.
Italienische Reise, 6. September 1787
Zu Goethes Kunstauffassung siehe auch: Rudolf
Steiner, Goethe als Vater einer neuen Ästhetik
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Egmont:
Trauerspiel in fünf Aufzügen über Graf Egmont, der 1568 für
die niederländische Unabhängigkeit kämpfte und schließlich
von den Spaniern hingerichtet wurde.
GoethesUrfaust
wird veröffentlicht.
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1788 |
Im
Frühjahr erweitert Goethe seinen Faust um die Szenen Hexenküche und
Wald und Höhle, letztere entstand vielleicht auch sofort nach der Rückkehr in Weimar.
Neu gestaltet wird auch die Szene in Auerbachs
Keller in Leipzig: nun ist es nicht mehr Faust, der den Studenten
übel mitspielt, sondern Mephisto kredenzt jetzt den Weinzauber, währen Faust gelangweilt und
angewidert dabei ganz passiv verharrt.
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Goethe verlässt am 23.
April Rom und trifft am 18. Juni wieder in Weimar ein. Er
übernimmt die Leitung des Freien Zeichen-Institutes,
wird aber ansonst – abgesehen von der Direktion der Ilmenauer
Bergwerke – auf eigenen Wunsch vorerst von allen anderen
Ämtern entbunden.
Goethe bricht seine Beziehung zu Charlotte von Stein ab und
verliebt sich in Christiane Vulpius. Charlotte
bezeichnete die 23-jährige Christiane als "vulgäres
Blumenmädchen". Christiane stammte aus einer
hochangesehenen, aber verarmten Theologen- und
Juristenfamilie. Christiane suchte im Auftrag ihres Bruders am
12. Juli 1788 Goethe im Park an der Ilm mit einem
Bittgesuch auf, um eine Daueranstellung des mittellosen
Schriftstellers zu erreichen, was ihr auch gelang. Schon am
nächsten Tag zog Christiane und ihre Tante sowie eine jüngere
Schwester bei Goethe in dessen Gartenhaus ein. Nach seiner
Italienreise fühlte sich Goethe schließlich reif dazu, eine
dauerhafte Lebensverbindung mit Christiane
einzugehen. Das durchaus erotische Verhältnis zu ihr spiegelt
sich wider in den Römischen
Elegien:
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Christiane Vulpius
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...
Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell dich ergeben!
Glaub es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von dir.
Vielfach wirken die Pfeile des Amors: einige ritzen,
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe
Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut.
In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten,
Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.
Glaubst du, es habe sich lang die Göttin der Liebe besonnen,
Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?
Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen,
O, so hätt ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt.
Hero erblickte Leandern am lauten Fest, und behende
Stürzte der Liebende sich heiß in die nächtliche Flut.
Rhea Silvia wandert, die fürstliche Jungfrau, den Tiber,
Wasser zu schöpfen, hinab, und sie ergreifet der Gott.
So erzeugte die Söhne sich Mars! – Die Zwillinge tränket
Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt.
... |
25 Jahre später widmete er Christiane das
Gedicht Gefunden.
Goethe rühmte an dieser völlig ungebildeten, aber herzensguten
Frau ganz besonders das ungebrochen "Naturhafte" und ihre "paradiesische
Literaturlosigkeit".
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Am 7. September begegnet Goethe zum
ersten Mal Schiller
in Rudolstadt. Dieses Treffen bleibt aber
zunächst ohne positive Nachwirkungen. Später
brachte Goethe seine damaligen Gefühle zum Ausdruck: "Schiller
ist mir verhasst." Und Schiller empfand:
"Sein erster Anblick
stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser
anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte... Im ganzen ist meine
in der Tat große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft
nicht vermindert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe
rücken werden ..."
So schwankte
in den nächsten Jahren das Verhältnis von Schiller und Goethe zwischen
Liebe und Hass.
Goethe betreibt bis 1806 ausgedehnte
morphologische und optische Studien. |
1789 |
14.
Juli: Sturm auf die Bastille. Ausbruch der Französischen
Revolution.
Im September reist Goethe nach Aschersleben und in
den Harz.
Dezember: Bekanntschaft mit Wilhelm von
Humboldt.
Am 25. Dezember
wird Goethes Sohn August (*1789, gest. 1830) geboren.
Torquato Tasso:
Schauspiel in fünf Akten. Am Beispiel
des italienischen Dichters Torquato Tasso (1544-95) zeigt
Goethe die Konflikte des schöpferischem Menschen mit der
Gesellschaft; letztlich scheitert Tasso an der Realität,
findet aber Trost in der Phantasiewelt seiner Dichtungen. |
Christiane Vulpius mit
ihrem Sohn August
Goethe im Alter von 42
Jahren.
Kupferstich von Johann Heinrich Lips
nach einer von ihm angefertigten
Kreidezeichnung.
Die Teile einer Pflanze
Herzog Karl August
von Sachsen - Weimar - Eisenach
(3.09.1757 - 14.06.1828 )
Nach dem Ölgemälde
von Georg Melchior Kraus
Kopie von J.F.H. Tischbein
Goethes Wohnhaus am
Frauenplan,
Johann Gottlob Samuel Rösel, 1828
Quelle: biblint.de
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1790 |
Als Gegenbewegung zum Rationalismus der
Aufklärung und zur Formenwelt der
Klassik
entfaltet sich von ca. 1790 - 1830 die stark irrational ausgerichtete,
gefühlsbetonte Stilrichtung der Romantik,
die aber von Goethe weitgehend abgelehnt wird.
Zweite
italienische Reise nach Venedig.
Danach reist Goethe nach Schlesien in
das preußische Feldlager und nach Krakau und Czenstochau. In
Jena
besucht er Schiller, was aber ebenfalls ohne Nachwirkungen
bleibt. Goethe arbeitet am Faust.
Ein Fragment.
Metamorphose
der Pflanzen:
Die geheime Verwandtschaft der verschiedenen äußern
Pflanzenteile, als der Blätter, des Kelchs, der Krone, der
Staubfäden, welche sich nacheinander und gleichsam
auseinander entwickeln, ist von den Forschern im allgemeinen längst
erkannt, ja auch besonders bearbeitet worden, und man hat die
Wirkung, wodurch ein und dasselbe Organ sich uns mannigfaltig
verändert sehen läßt, die Metamorphose der Pflanzen
genannt.
Metamorphose
der Pflanzen - zweiter Versuch:
So entfernt die Gestalt der organisierten Geschöpfe
voneinander ist, so finden wir doch, daß sie gewisse
Eigenschaften miteinander gemein haben, gewisse Teile
miteinander verglichen werden können. Recht gebraucht, ist
dieses der Faden, woran wir uns durch das Labyrinth der
lebendigen Gestalten durchhelfen ...
Die Ähnlichkeit der vierfüßigen Tiere untereinander
konnte von jeher auch der oberflächlichsten Betrachtung nicht
entgehen. Auf die Ähnlichkeit der Tiere mit dem Menschen
wurde man wahrscheinlich zuerst durch das Anschauen der Affen
aufmerksam gemacht. Daß die übrigen vierfüßigen Tiere in
allen ihren Hauptteilen mit dem Menschen übereinkommen, war
nur durch eine genauere wissenschaftliche Untersuchung
festzusetzen möglich, deren Bemühungen zuletzt noch viel
weiter entfernt scheinende Gestalten aus dem Weltmeere in
diese Verwandtschaft herbeizogen.
Goethe beginnt mit seiner Farbenlehre
und schließt die Römische
Elegien ab. |
1791 |
Im
Januar wird Goethe mit der Leitung des Weimarer Hoftheaters
betraut, das er bis zum Jahre 1817 führt. Er fördert das
Ensemblespiel und lässt hauptsächlich die eigenen Werke
sowie Werke Schillers,
Shakespeares,
Lessings,
Schlegels,
Voltaires u.a. aufführen.
Venezianische Epigramme
Beginn der Arbeit am Wilhelm
Meister, Goethes großer Bildungs- und
Erziehungsroman.
Der Groß-Cophta
Beiträge zur Optik Johann Heinrich Merck
beendet sein Leben durch Selbstmord. |
1792 |
Goethe bezieht
als Eigentümer mit Christiane Vulpius das barocke
Wohnhaus am Frauenplan 1, das er vormals schon zwischen
1782 und 1789 als Mieter bewohnt hatte. Besonderen Wert legte
Goethe auf die farbliche Gestaltung der Räume gemäß der sinnlich-sittlichen
Wirkung der Farben, wie er sie in seiner Farbenlehre
beschrieben hatte.
Von
August bis Oktober nimmt Goethe im Gefolge von Herzog Carl
August
an der Kampagne in Frankreich teil.
19. und 20. September: Kanonade von
Valmy
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Im November: Aufenthalt in Düsseldorf bei
Friedrich Heinrich Jacobi.
Im Dezember besucht Goethe die Fürstin Gallitizin in Münster. |
1793 |
Von
Mai bis Juli nimmt Goethe als Beobachter bei der Belagerung
von Mainz teil. Belagerung von Mainz
Der Bürgergeneral: Ein
Lustspiel in einem Aufzug, eine kritische Betrachtung der
Französischen Revolution.
Die Aufgeregten. Politisches
Drama in fünf Aufzügen (unvollendet).
Reinecke
Fuchs |
[1] Goethe, Selige
Sehnsucht aus West-östlicher Divan, Buch des Sängers, siehe http://gutenberg.spiegel.de/goethe/divan/divan011.htm
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