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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

 

Inszenierungen des ODYSSEE-Theaters:


Zeittafel zu Leben und Werk

1786 - 1793

1749- 1765- 1771- 1775- 1786- 1794- 1806 - 1813- 1832

Dieses Symbol verweist jeweils auf weiterführende Texte Goethes Dieses Symbol verweist jeweils auf weiterführende Texte Goethes, insbesondere auf seine autobiographischen Schriften "Dichtung und Wahrheit" und "Italienische Reise" bzw. auf Eckermanns "Gespräche mit Goethe".

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde. [1]  

Audio-File: Johann Wolfgang von Goethe, Selige Sehnsucht. Sprecher: Wolfgang Peter

Italienische Reise und Rückkehr nach Weimar (1786-1793)

1786 Friedrich II. stirbt.

Am 3. September reist Goethe heimlich und inkognito als Maler Möller von Karlsbad nach Italien ab. Zunächst geht sein Weg über München, Innsbruck, Verona und Padua nach Venedig, wo er zwei Wochen bleibt. Schon beim Übergang über den Brenner findet er interessante Anregungen für seine Pflanzenstudien und für sein langsam heranreifendes Modell einer Urpflanze, die als bildendes geistiges Prinzip allen natürlichen Pflanzen zugrunde liegen soll:

Zu meiner Welterschaffung habe ich manches erobert, doch nichts ganz Neues und Unerwartetes. Auch habe ich viel geträumt von dem Modell, wovon ich so lange rede, woran ich so gern anschaulich machen möchte, was in meinem Innern herumzieht, und was ich nicht jedem in der Natur vor Augen stellen kann...

J.W.H. Tischbein, Goethe in der Campagna. 1787
Goethe in der Campagna 
J.W.H. Tischbein, 1787
Städelsches Kunstinstitut
Frankfurt a.M.

Die Pflanzen betreffend, fühl' ich noch sehr meine Schülerschaft. Bis München glaubt' ich wirklich nur die gewöhnlichen zu sehen. Freilich war meine eilige Tag- und Nachtfahrt solchen feinern Beobachtungen nicht günstig. Nun habe ich zwar meinen Linné bei mir und seine Terminologie wohl eingeprägt, wo soll aber Zeit und Ruhe zum Analysieren herkommen, das ohnehin, wenn ich mich recht kenne, meine Stärke niemals werden kann? Daher schärf' ich mein Auge aufs Allgemeine, und als ich am Walchensee die erste Gentiana sah, fiel mir auf, daß ich auch bisher zuerst am Wasser die neuen Pflanzen fand. 

Was mich noch aufmerksamer machte, war der Einfluß, den die Gebirgshöhe auf die Pflanzen zu haben schien. Nicht nur neue Pflanzen fand ich da, sondern Wachstum der alten verändert; wenn in der tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und mastiger waren, die Augen näher aneinander standen und die Blätter breit waren, so wurden höher ins Gebirg hinauf Zweige und Stengel zarter, die Augen rückten auseinander, so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum stattfand und die Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ich bemerkte dies bei einer Weide und einer Gentiana und überzeugte mich, daß es nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walchensee bemerkte ich längere und schlankere Binsen als im Unterlande. Italienische Reise: Auf dem Brenner, den 8. September, abends.

Von Karlsbad bis auf den Brenner Trient Verona Venedig Rom Neapel Sizilien Torbole Vicenza Padua Ferrara - Cento - Bologna Lojano Florenz - Perugia Terni Velletri - St. Agata

Einen tiefen Einblick in die Seelenstimmung Goethes, durch die er sich innigst mit der Natur verbunden wusste, gibt uns sein großer Prosahymnus über Die Natur, der etwa zu jener Zeit entstand:

Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen - unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hinein zu kommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.

Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht wieder - alles ist neu, und doch immer das Alte...

Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich....

Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur. Sie hat sich einen eigenen allumfassenden Sinn vorbehalten, den ihr niemand abmerken kann....

Ihr Schauspiel ist immer neu, weil sie immer neue Zuschauer schafft. Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben....

Ihre Krone ist die Liebe. Nur durch sie kommt man ihr nahe. Sie macht Klüfte zwischen allen Wesen, und alles will sich verschlingen. Sie hat alles isoliert, um alles zusammenzuziehen. Durch ein paar Züge aus dem Becher der Liebe hält sie für ein Leben voll Mühe schadlos....

Jedem erscheint sie in einer eignen Gestalt. Sie verbirgt sich in tausend Namen und Termen, und ist immer dieselbe.

Sie hat mich hereingestellt, sie wird mich auch herausführen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten. Sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr. Nein, was wahr ist und was falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst.

Am 24. Mai 1828 schrieb Goethe über diesen Aufsatz  an den Kanzler von Müller:

Jener Aufsatz ist mit vor kurzem aus der brieflichen Verlassenschaft der ewig verehrten Herzogin Anna Amalia mitgeteilt worden; er ist von einer wohlbekannten Hand geschrieben, deren ich mich in den Achtziger Jahren in meinen Geschäften zu bedienen pflegte.

Daß ich diese Betrachtungen verfaßt, kann ich mich faktisch zwar nicht erinnern, allein sie stimmen mit den Vorstellungen wohl überein, zu denen sich mein Geist damals ausgebildet hatte. Ich möchte die Stufe damaliger Einsicht einen Komparativ nennen, der seine Richtung gegen einen noch nicht erreichten Superlativ zu äußern gedrängt ist. Man sieht die Neigung zu einer Art von Pantheismus, indem den Welterscheinungen ein unerforschliches, unbedingtes, humoristisches, sich selbst widersprechendes Wesen zum Grunde gedacht ist, und mag als Spiel, dem es bitterer Ernst ist, gar wohl gelten.

Die Erfüllung aber, die ihm fehlt, ist die Anschauung der zwei großen Triebräder aller Natur: der Begriff von Polarität und von Steigerung, jene der Materie, insofern wir sie materiell, diese ihr dagegen, insofern wir sie geistig denken, angehörig; jene ist in immerwährendem Anziehen und Abstoßen, diese in immerstrebendem Aufsteigen. Weil aber die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, so wie sich's der Geist nicht nehmen läßt, anzuziehen und abzustoßen; wie derjenige nur allein zu denken vermag, der genugsam getrennt hat, um zu verbinden, genugsam verbunden hat, um wieder trennen zu mögen...

Erläuterungen zu dem aphoristischen Aufsatz "Die Natur"

Im Oktober reist Goethe weiter über Bologna und Florenz nach Rom und kommt dort am 29. Oktober an. Hier findet er Kontakt zu einem Kreis deutscher Künstler, darunter die Maler Angelika Kauffmann (Werke) und Wilhelm Tischbein (Werke). Unter dem überwältigenden Eindruck der antiken Kunst und Literatur wird hier die Deutsche Klassik eingeläutet. Besonders beeindruckt ist Goethe auch von den Werken Raffaels:

Trifft man denn gar wieder einmal auf eine Arbeit von Raffael, oder die ihm wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird, so ist man gleich vollkommen geheilt und froh. So habe ich eine heilige Agathe gefunden, ein kostbares, obgleich nicht ganz wohl erhaltenes Bild. Der Künstler hat ihr eine gesunde, sichere Jungfräulichkeit gegeben, doch ohne Kälte und Roheit. Ich habe mir die Gestalt wohl gemerkt und werde ihr im Geist meine »Iphigenie« vorlesen und meine Heldin nichts sagen lassen, was diese Heilige nicht aussprechen möchte.  Italienische Reise, Bologna, den 19. Oktober, abends.

Iphigenie auf Tauris (in Versen) ist das erste Werk der Deutschen Klassik. Die Königstochter Iphigenie ist nach Tauris versetzt, ins Reich des Sythenkönigs Thoas, wo sie als Tempelpriesterin lebt. Von dort wird sie von ihrem Bruder Orest  in die Heimat zurückgeholt, nachdem sie wie mit Engelszungen in dem rohen Barbarenkönig Thoas, der sie zuerst nicht gehen lassen wollte, tiefe Gefühle der Menschlichkeit erweckt hat.

Am 1. November schreibt Goethe in seiner später veröffentlichten Italienischen Reise:

Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt! Wenn ich sie in guter Begleitung, angeführt von einem recht verständigen Manne, vor funfzehn Jahren gesehen hätte, wollte ich mich glücklich preisen. Sollte ich sie aber allein, mit eignen Augen sehen und besuchen, so ist es gut, daß mir diese Freude so spät zuteil ward. Über das Tiroler Gebirg bin ich gleichsam weggezogen. Verona, Vicenz, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna flüchtig und Florenz kaum gesehen. Die Begierde, nach Rom zu kommen, war so groß, wuchs so sehr mit jedem Augenblicke, daß kein Bleiben mehr war, und ich mich nur drei Stunden in Florenz aufhielt. Nun bin ich hier und ruhig und, wie es scheint, auf mein ganzes Leben beruhigt. Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in- und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh' ich nun lebendig; die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere (mein Vater hatte die Prospekte von Rom auf einem Vorsaale aufgehängt), seh' ich nun in Wahrheit, und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten, in Gips und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir; wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; es ist alles, wie ich mir's dachte, und alles neu. Ebenso kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, daß sie für neu gelten können. Italienische Reise: Rom, den 1. November 1786

Goethe am Fenster seiner römischen Wohnung, 1787
Goethe aus einem Fenster seiner römischen Wohnung auf den zwei Stock unter ihm liegenden Corso blickend.
Aquarell und Bleistift über Kreide von Wilhelm Tischbein, 1787
In Rom studiert Goethe ausführlich die Werke Raffaels, in denen sich so überwältigend jene menschliche Seelenreinheit widerspiegelt, der auch er unermüdlich schaffend in seinen Werken nachstrebt. Raffaels Bilder sind ihm der vollkommene Ausdruck eines überkonfessionellen, zukunftsweisenden Christentums, das auch ihm vorschwebt.

Die Logen von Raffael und die großen Gemälde der »Schule von Athen« etc. hab' ich nur erst einmal gesehen, und da ist's, als wenn man den Homer aus einer zum Teil verloschenen, beschädigten Handschrift heraus studieren sollte. Das Vergnügen des ersten Eindrucks ist unvollkommen, nur wenn man nach und nach alles recht durchgesehn und studiert hat, wird der Genuß ganz. Italienische Reise: Rom, den 7. November

Raffael, Die Schule von Athen
Raffael, Die Schule von Athen

Gemeinsam mit Tischbein besucht er die von Michelangelo (Werke) ausgestaltete Sixtinische Kapelle:

Dann gingen wir in die Sixtinische Kapelle, die wir auch hell und heiter, die Gemälde wohlerleuchtet fanden. Das »Jüngste Gericht« und die mannigfaltigen Gemälde der Decke, von Michelangelo, teilten unsere Bewunderung. Ich konnte nur sehen und anstaunen. Die innere Sicherheit und Männlichkeit des Meisters, seine Großheit geht über allen Ausdruck. Italienische Reise: Rom, den 22. November 1786, am Cäcilienfeste.

Michelangelo Buonarotti, Die Erschaffung Adams,
Michelangelo Buonarotti, Die Erschaffung Adams,
Detail aus dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle
1787

Goethe erlebt den Karneval in Rom und macht ausgiebige Gesteins- und Pflanzenstudien in Neapel und Sizilien:

Palermo, Sonnabend, den 7. April 1787. In dem öffentlichen Garten unmittelbar an der Reede brachte ich im stillen die vergnügtesten Stunden zu. Es ist der wunderbarste Ort von der Welt. Regelmäßig angelegt, scheint er uns doch feenhaft; vor nicht gar langer Zeit gepflanzt, versetzt er ins Altertum. Grüne Beeteinfassungen umschließen fremde Gewächse, Zitronenspaliere wölben sich zum niedlichen Laubengange, hohe Wände des Oleanders, geschmückt von tausend roten nelkenhaften Blüten, locken das Auge. Ganz fremde, mir unbekannte Bäume, noch ohne Laub, wahrscheinlich aus wärmern Gegenden, verbreiten seltsame Zweige. Eine hinter dem flachen Raum erhöhte Bank läßt einen so wundersam verschlungenen Wachstum übersehen und lenkt den Blick zuletzt auf große Bassins, in welchen Gold- und Silberfische sich gar lieblich bewegen, bald sich unter bemooste Röhren verbergen, bald wieder scharenweise durch einen Bissen Brot gelockt, sich versammeln. An den Pflanzen erscheint durchaus ein Grün, das wir nicht gewohnt sind, bald gelblicher, bald blaulicher als bei uns. Was aber dem Ganzen die wundersamste Anmut verlieh, war ein starker Duft, der sich über alles gleichförmig verbreitete, mit so merklicher Wirkung, daß die Gegenstände, auch nur einige Schritte hintereinander entfernt, sich entschiedener hellblau voneinander absetzten, so daß ihre eigentümliche Farbe zuletzt verlorenging, oder wenigstens sehr überbläut sie sich dem Auge darstellten. Italienische Reise, Palermo, Sonnabend, den 7. April 1787

Angelika Kauffmann, Johann Wolfgang von Goethe. 1787/88
Johann Wolfgang von Goethe
Angelika Kauffmann, 1787/88
Goethe-Nationalmuseum
Weimar
Quelle: biblint.de

Die Entstehung der Metamorphosenlehre

Goethe besteigt den Vesuv und kehrt schließlich zurück nach Rom. Zuvor, im Botanischen Garten von Palermo, leuchtet ihm die ausgereifte Idee der Urpflanze erstmals völlig klar vor dem geistigen Auge auf, die nun das zentrale Prinzip seiner Metamorphosenlehre der Pflanzen wird:

Palermo, Dienstag, den 17. April 1787. Es ist ein wahres Unglück, wenn man von vielerlei Geistern verfolgt und versucht wird! Heute früh ging ich mit dem festen, ruhigen Vorsatz, meine dichterischen Träume fortzusetzen, nach dem öffentlichen Garten, allein eh' ich mich's versah, erhaschte mich ein anderes Gespenst, das mir schon diese Tage nachgeschlichen. Die vielen Pflanzen, die ich sonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte Zeit des Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher. Im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes fiel mir die alte Grille wieder ein, ob ich nicht unter dieser Schar die Urpflanze entdecken könnte. Eine solche muß es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären? Italienische Reise: Palermo, Dienstag, den 17. April 1787.

Am 17. Mai berichtet er an Herder:

Ferner muß ich Dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin und daß es das einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel kann man die schönsten Beobachtungen machen. Den Hauptpunkt, wo der Keim steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden; alles übrige seh' ich auch schon im ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt, die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen. Italienische Reise, 17. Mai 1787

Eng verbunden mit Goethes Naturverständnis ist auch seine Kunstauffassung. In beiden, in Natur und Kunst, scheinen ihm ein und dieselben Gesetze zu wirken, nur auf verschiedenen Stufen. In der Kunst darf nicht willkürliche Phantasterei herrschen, sondern große Daseinsgesetze müssen sich darin aussprechen, die ewig verborgen blieben, wenn sie nicht durch die Kunst offenbart würden. In der Natur sind dieses Gesetze bis zu einem gewissen Grad sichtbar geworden; die Kunst setzt das Naturwerk fort und macht bildhaft offenbar, was noch verborgen als Möglichkeit in ihr ruht. Angesichts der Kunst der Griechen, die er hier in Rom in Form von Repliken allgegenwärtig vor seinem Auge hat, beginnt er deren Kunstgeheimnis zu ahnen:

Ich habe eine Vermutung, daß sie nach eben den Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf der Spur bin. Nur ist noch etwas anders dabei, das ich nicht auszusprechen wüßte. Italienische Reise, 28. Januar 1787

So viel ist gewiß, die alten Künstler haben ebenso große Kenntnis der Natur und einen ebenso sichern Begriff von dem, was sich vorstellen läßt und wie es vorgestellt werden muß, gehabt als Homer. Leider ist die Anzahl der Kunstwerke der ersten Klasse gar zu klein. Wenn man aber auch diese sieht, so hat man nichts zu wünschen, als sie recht zu erkennen und dann in Friede hinzufahren. Diese hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen, da ist die Notwendigkeit, da ist Gott. Italienische Reise, 6. September 1787

Zu Goethes Kunstauffassung siehe auch: Rudolf Steiner, Goethe als Vater einer neuen Ästhetik

Egmont: Trauerspiel in fünf Aufzügen über Graf Egmont, der 1568 für die niederländische Unabhängigkeit kämpfte und schließlich von den Spaniern hingerichtet wurde. 

GoethesUrfaust wird veröffentlicht.

1788 Im Frühjahr erweitert Goethe seinen Faust um die Szenen Hexenküche und Wald und Höhle, letztere entstand vielleicht auch sofort nach der Rückkehr in Weimar. Neu gestaltet wird auch die Szene in Auerbachs Keller in Leipzig: nun ist es nicht mehr Faust, der den Studenten übel mitspielt, sondern Mephisto kredenzt jetzt den Weinzauber, währen Faust gelangweilt und angewidert dabei ganz passiv verharrt.

Goethe verlässt am 23. April Rom und trifft am 18. Juni wieder in Weimar ein. Er übernimmt die Leitung des Freien Zeichen-Institutes, wird aber ansonst – abgesehen von der Direktion der Ilmenauer Bergwerke – auf eigenen Wunsch vorerst von allen anderen Ämtern entbunden.

Goethe bricht seine Beziehung zu Charlotte von Stein ab und verliebt sich in Christiane Vulpius. Charlotte bezeichnete die 23-jährige Christiane als "vulgäres Blumenmädchen". Christiane stammte aus einer hochangesehenen, aber verarmten Theologen- und Juristenfamilie. Christiane suchte im Auftrag ihres Bruders am 12. Juli 1788 Goethe im Park an der Ilm  mit einem Bittgesuch auf, um eine Daueranstellung des mittellosen Schriftstellers zu erreichen, was ihr auch gelang. Schon am nächsten Tag zog Christiane und ihre Tante sowie eine jüngere Schwester bei Goethe in dessen Gartenhaus ein. Nach seiner Italienreise fühlte sich Goethe schließlich reif dazu, eine dauerhafte Lebensverbindung mit Christiane einzugehen. Das durchaus erotische Verhältnis zu ihr spiegelt sich wider in den Römischen Elegien:

Christiane Vulpius
Christiane Vulpius
...

Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell dich ergeben!
Glaub es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von dir.
Vielfach wirken die Pfeile des Amors: einige ritzen,
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe
Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut.
In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten,
Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.
Glaubst du, es habe sich lang die Göttin der Liebe besonnen,
Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?
Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen,
O, so hätt ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt.
Hero erblickte Leandern am lauten Fest, und behende
Stürzte der Liebende sich heiß in die nächtliche Flut.
Rhea Silvia wandert, die fürstliche Jungfrau, den Tiber,
Wasser zu schöpfen, hinab, und sie ergreifet der Gott.
So erzeugte die Söhne sich Mars! – Die Zwillinge tränket
Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt.

...

Goethes Gartenhaus.
Goethes Gartenhaus.
Aquarellierte Federzeichnung von Goethe.

25 Jahre später widmete er Christiane das Gedicht Gefunden. Goethe rühmte an dieser völlig ungebildeten, aber herzensguten Frau ganz besonders das ungebrochen "Naturhafte" und ihre "paradiesische Literaturlosigkeit".

Am 7. September begegnet Goethe zum ersten Mal Schiller in Rudolstadt. Dieses Treffen bleibt aber zunächst ohne positive Nachwirkungen. Später brachte Goethe seine damaligen Gefühle zum Ausdruck: "Schiller ist mir verhasst." Und Schiller empfand: 

"Sein erster Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte... Im ganzen ist meine in der Tat große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden ..." 

So schwankte in den nächsten Jahren das Verhältnis von Schiller und Goethe zwischen Liebe und Hass.

Goethe betreibt bis 1806 ausgedehnte morphologische und optische Studien.

1789

14. Juli: Sturm auf die Bastille. Ausbruch der Französischen Revolution.

Im September reist Goethe nach Aschersleben und in den Harz.
Dezember: Bekanntschaft mit Wilhelm von Humboldt.

Am 25. Dezember wird Goethes Sohn August (*1789, gest. 1830) geboren.

Torquato Tasso: Schauspiel in fünf Akten. Am Beispiel des italienischen Dichters Torquato Tasso (1544-95) zeigt Goethe die Konflikte des schöpferischem Menschen mit der Gesellschaft; letztlich scheitert Tasso an der Realität, findet aber Trost in der Phantasiewelt seiner Dichtungen. 

Christiane Vulpius mit ihrem Sohn August
Christiane Vulpius mit ihrem Sohn August
Goethe im 42. Lebensjahr
Goethe im Alter von 42 Jahren.
Kupferstich von Johann Heinrich Lips
nach einer von ihm angefertigten
Kreidezeichnung.
Goethes Metamorphosenlehre, Die Teile einer Pflanze
Die Teile einer Pflanze
Herzog Karl August
von Sachsen - Weimar - Eisenach
(3.09.1757 - 14.06.1828 ) 
Nach dem Ölgemälde
von Georg Melchior Kraus
Kopie von J.F.H. Tischbein
Goethes Wohnhaus am Frauenplan,
Johann Gottlob Samuel Rösel, 1828
Quelle: biblint.de
1790

Als Gegenbewegung zum Rationalismus der Aufklärung und zur Formenwelt der Klassik entfaltet sich von ca. 1790 - 1830 die stark irrational ausgerichtete, gefühlsbetonte  Stilrichtung der Romantik, die aber von Goethe weitgehend abgelehnt wird.

Zweite italienische Reise nach Venedig. 

Danach reist Goethe nach Schlesien in das preußische Feldlager und nach Krakau und Czenstochau. In Jena besucht er  Schiller, was aber ebenfalls ohne Nachwirkungen bleibt. Goethe arbeitet am Faust. Ein Fragment

Die Metamorphose der Pflanzen

Metamorphose der Pflanzen:

Die geheime Verwandtschaft der verschiedenen äußern Pflanzenteile, als der Blätter, des Kelchs, der Krone, der Staubfäden, welche sich nacheinander und gleichsam auseinander entwickeln, ist von den Forschern im allgemeinen längst erkannt, ja auch besonders bearbeitet worden, und man hat die Wirkung, wodurch ein und dasselbe Organ sich uns mannigfaltig verändert sehen läßt, die Metamorphose der Pflanzen genannt.

Metamorphose der Pflanzen - zweiter Versuch:

So entfernt die Gestalt der organisierten Geschöpfe voneinander ist, so finden wir doch, daß sie gewisse Eigenschaften miteinander gemein haben, gewisse Teile miteinander verglichen werden können. Recht gebraucht, ist dieses der Faden, woran wir uns durch das Labyrinth der lebendigen Gestalten durchhelfen ...

Versuch über die Gestalt der Tiere

Die Ähnlichkeit der vierfüßigen Tiere untereinander konnte von jeher auch der oberflächlichsten Betrachtung nicht entgehen. Auf die Ähnlichkeit der Tiere mit dem Menschen wurde man wahrscheinlich zuerst durch das Anschauen der Affen aufmerksam gemacht. Daß die übrigen vierfüßigen Tiere in allen ihren Hauptteilen mit dem Menschen übereinkommen, war nur durch eine genauere wissenschaftliche Untersuchung festzusetzen möglich, deren Bemühungen zuletzt noch viel weiter entfernt scheinende Gestalten aus dem Weltmeere in diese Verwandtschaft herbeizogen.

Goethe beginnt mit seiner Farbenlehre und schließt die Römische Elegien ab.

1791 Im Januar wird Goethe mit der Leitung des Weimarer Hoftheaters betraut, das er bis zum Jahre 1817 führt. Er fördert das Ensemblespiel und lässt hauptsächlich die eigenen Werke sowie Werke Schillers, Shakespeares, Lessings, Schlegels, Voltaires u.a. aufführen.

Venezianische Epigramme

Beginn der Arbeit am Wilhelm Meister, Goethes großer Bildungs- und Erziehungsroman.

Der Groß-Cophta

Beiträge zur Optik

Johann Heinrich Merck beendet sein Leben durch Selbstmord.

1792 Goethe bezieht als Eigentümer mit Christiane Vulpius das barocke Wohnhaus am Frauenplan 1, das er vormals schon zwischen 1782 und 1789 als Mieter bewohnt hatte. Besonderen Wert legte Goethe auf die farbliche Gestaltung der Räume gemäß der sinnlich-sittlichen Wirkung der Farben, wie er sie in seiner Farbenlehre beschrieben hatte.

Von August bis Oktober nimmt Goethe im Gefolge von Herzog Carl August an der Kampagne in Frankreich teil.

19. und 20. September: Kanonade von Valmy 

Im November: Aufenthalt in Düsseldorf bei Friedrich Heinrich Jacobi.
Im Dezember besucht Goethe die Fürstin Gallitizin in Münster.
1793 Von Mai bis Juli nimmt Goethe als Beobachter bei der Belagerung von Mainz teil. Belagerung von Mainz

Der Bürgergeneral: Ein Lustspiel in einem Aufzug, eine kritische Betrachtung der Französischen Revolution.

Die Aufgeregten. Politisches Drama in fünf Aufzügen (unvollendet).

Reinecke Fuchs


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[1] Goethe, Selige Sehnsucht aus West-östlicher Divan, Buch des Sängers, siehe http://gutenberg.spiegel.de/goethe/divan/divan011.htm

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